Heft 6/2000
Oktober
2000
Botswana

Afrikanisches Musterland?

Für viele europäische und nordamerikanische Medien ist der Staat Botswana ein afrikanisches Vorzeigeland, eine Art demokratische und wirtschaftlich erfolgreiche Enklave in einer Region, die ansonsten hauptsächlich als „hopeless continent“ (The Economist) oder „dark continent“ (The Guardian) wahrgenommen wird.

Bei all der begeisterten Beurteilung Botwanas in den internationalen Medien wollte auch die österreichische Tageszeitung Salzburger Nachrichten nicht hinten anstehen und widmete Botswana neben Mauritius eine lobende Erwähnung in ihrem Coverkommentar, natürlich nicht, ohne auf das große Chaos hinzuweisen, das den Rest des Kontinents auszeichnen würde.

Sieht man sich Indikatoren wie Pro-Kopf-Einkommen, regelmäßiges Abhalten von Wahlen, Wirtschaftswachstum, Kriminalität oder sogar den prozentuellen Anteil der Sozialausgaben am BIP an, so schneidet Botswana tatsächlich vergleichsweise gut ab. Wobei natürlich beispielsweise Vergleiche von Kriminalitätsstatistiken mit den Nachbarstaaten Simbabwe oder Südafrika von höchst zweifelhafter Ausdruckskraft sind. Schließlich haben wir es bei Botswana mit einem extrem dünn besiedelten Land zu tun, dessen größte Ansiedlung nicht mehr als 140000 Einwohner fasst. Die Bevölkerungsdichte in Simbabwe und Südafrika ist dagegen etwa 12 mal so groß. Trotzdem sind die Gefängnisse Botswanas genauso überfüllt und überbelegt wie die seiner Nachbarn. Negative Schlagzeilen machte in diesem Zusammenhang vor allem das Gefängnis von Maun, das für eine Höchstkapazität von 54 Häftlingen ausgestattet ist, aber im Jahre 1999 205 Insassen aufwies. Die hygienischen Standards der Gefängnisse sind katastrophal, Berufungsrechte existieren nur in der Theorie.

Was die Vorbildhaftigkeit der Demokratie betrifft, so ist festzuhalten, dass seit der Unabhängigkeit im Jahre 1966 ein und die selbe Partei (nämlich die Botswana Democratic Party/BDP) ohne Unterbrechung mit absoluter Mehrheit das Land regiert und alle wichtigen Medien kontrolliert. Auch Mike Dingake, Parlamentsabgeordneter und Führer der Oppositionspartei Botswana Congress Party, kritisiert die Vorherrschaft der Regierungspartei unter ihrem Vorsitzenden Festus G. Mogae: „Dieses Land ist mehr oder weniger eine Bananenrepublik! Die Oppositionsparteien haben keinerlei Geldmittel zur Verfügung, um irgendetwas gegen Gesetzesverstöße und verfassungswidrige Maßnahmen der Regierenden zu unternehmen.“ Die BCP hatte sich von der ihrer Meinung nach ebenfalls zu diktatorischen und unflexiblen Oppositionspartei Botswana National Front/BNF abgespalten und bei den Wahlen von 1999 immerhin 12% der Stimmen errungen. Dingake macht auch den mangelnden Zugang zu den Medien dafür verantwortlich, dass nicht noch mehr Wähler bewegt werden konnten, ihm ihre Stimme zu geben. Das politische Informationsdefizit der Bevölkerung sei ziemlich groß.

Dingake relativiert auch die wirtschaftliche und sozialpolitische „success story“ seines Landes. Obwohl das Land das zweithöchste Pro-Kopf-Einkommen in Schwarzafrika aufweist, lebt ein Drittel der Bevölkerung Botswanas unter der Armutsgrenze. 17% der schulpflichtigen Kinder haben noch nie eine Schule von innen gesehen, in manchen Provinzen liegt diese Rate sogar bei bis zu 35%. „Unser Volk ist sehr arm, die Leute brauchen Unterkunft, Bildung und Jobs!“ Was Dingake besonders ärgert, ist die Tatsache dass „wir 34 Jahre nach der Unabhängigkeit nicht einmal in der Lage sind, mehr als 20% unserer Grundnahrungsmittel zu produzieren und alles aus Südafrika importieren müssen!“

Aber werfen wir noch einmal einen Blick auf die kolportierte „success story“. Als Botswana 1966 nach 80 Jahren als britisches Protektoratsgebiet seine Unabhängigkeit erlangte, war es, nicht zuletzt auf Grund der eigennützigen Politik der Kolonialmacht, eines der ärmsten und am wenigsten entwickelten Länder der Welt. Die anschließende Periode kontinuierlichen Wirtschaftswachstums, das vor allem durch die reichen Diamantenvorkommen begünstigt wurde, und die recht beachtlichen ausländischen Hilfsleistungen ermöglichten es den Regierungen Botswanas, die physische und soziale Infrastruktur des südafrikanischen Landes erheblich zu verbessern. Botswana konnte dabei nicht zuletzt auf Grund seiner ohnehin schwachen staatlichen Wirtschaftstätigkeit weitgehend auf die Konditionen, die so vielen Staaten Afrikas und Lateinamerikas von der Weltbank und dem Internationalen Währungsfonds aufgezwungen worden sind, verzichten. Daher waren auch deutliche Verbesserungen bei essentiellen Indikatoren wie Lebenserwartung oder Kindersterblichkeit feststellbar. Trotz fehlender internationaler Vorgaben von USA, IWF und Co ermunterten die konservativen Regierungen Botswanas internationale Konzerne, in ihrem Land zu investieren, und ließen sie die Arbeitsbedingungen ihrer Arbeitnehmer nach ihren Gepflogenheiten regeln, wodurch soziale Ungleichheiten weiter verschärft wurden und werden.

Hunderte Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Wasserverteiler wurden nach der Unabhängigkeit errichtet und in Betrieb genommen.

Zwischen 1970 und 1990 konnte die Kindersterblichkeitsrate halbiert werden, die Lebenserwartung stieg im selben Zeitraum von 46 auf 63 Jahre an und die Alphabetisierungsrate verdoppelte sich. Im Human Development Index 1994 wurde Botswana bereits vor Südafrika an höchster Stelle aller subsaharischen Länder platziert. Die Sozialausgaben betrugen Mitte der 90er Jahre bereits 17% des Bruttonationalproduktes, wiesen also immerhin einen höheren Wert auf als beispielsweise die der USA.

Alle diese Daten vermögen aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass gegenwärtig 15% der Bevölkerung an Unterernährung leidet. Die Schere zwischen arm und reich ist groß, ein Drittel der in der Hauptstadt Gaborone lebenden Menschen müssen ihr Dasein in den Slums von Naledi fristen. Nicht zu unterschätzen ist in diesem Zusammenhang auch das immer noch fortbestehende Gefälle zwischen Stadt und Land. Viele ländliche Haushalte sind in hohem Maße auf Zuwendungen von in der Stadt lebenden Verwandten, sofern diese über ein Einkommen verfügen, oder auf Regierungsprogramme angewiesen. Während der großen Dürreperioden der 80er und frühen 90er Jahre war mehr als die Hälfte der Bevölkerung Botswanas Empfänger staatlicher Nahrungsmittelhilfen, womit diese zu einem de facto permanenten Sozialprogramm wurden. Um eine allzu große Abhängigkeit von diesen Programmen zu vermeiden, versuchte die Regierung, der ländlichen Bevölkerung gleichsam durch Arbeitsprogramme eigene Einkommen zu garantieren, was die Landflucht aber nicht eindämmte. Für den Gesundheitsbereich werden in der Gegenwart knapp über 10% der Sozialausgaben veranschlagt, ein im Vergleich etwa zu den Bildungsausgaben eher geringer Wert. Ein Hauptproblem des staatlichen Gesundheitssystems ist seine Vernachlässigung der Menschen, die in den ärmsten und abgelegensten Regionen des Landes leben. Beispielsweise konnte zwar einerseits eine 100-prozentige Abdeckung mit sauberem Trinkwasser für die Hauptstadt Gaborone erreicht werden, während aber andererseits die Regierung kaum in kleine, entfernt liegende Dörfer investierte, zum Teil aus Angst, durch den starken Trend der Migration in größere Ansiedlungen könnte Geld verschwendet werden. Stattdessen wird sogar versucht, diese Migration ausdrücklich zu fördern. So sollen Investitionen in der sozialen Infrastruktur ländlicher Regionen ausschließlich für Ansiedlungen mit mehr als 500 Einwohnern getätigt werden.

Die Bildungsausgaben nehmen heute den größten Teil der staatlichen Aufwendungen für Soziales ein (normalerweise liegen diese zwischen 45 und 55%). 1966 war die Qualität der Erziehung dagegen noch sehr schlecht und die meisten Kinder konnten nicht einmal die Grundschule beenden. Nach der Unabhängigkeit wurden rasch Grundschulen, in denen die Kinder sieben Jahre lang unterrichtet werden, in allen Teilen des Landes errichtet, um allen Einwohnern annähernd gleiche Bildungschancen zu ermöglichen. Anfang der 90er Jahre besuchten darüber hinaus bereits über 65% der Kinder eine „secondary school“ (zwei Jahre lang). Kurz zuvor waren die Schulgebühren für diese Schulform gestrichen worden, was auch ärmeren Familien erlauben sollte, alle ihre Kinder in die Schule zu schicken. Mit unterschiedlichem Erfolg. Mittlerweile nehmen jedenfalls schon mehr Mädchen als Burschen eine Schulausbildung in Anspruch, was darauf zurückzuführen sein könnte, dass viele männliche Kinder von ihren Eltern in der Viehzucht, in Botswana eine rein männliche Domäne, eingesetzt werden und daher der Schule fernbleiben. Ins Gewicht fallen hier auch die Drop-out-Quoten durch „Teenage-Mütter“ oder Straßenkinder. Nicht zu unterschätzen sind auch die sozialen Auswirkungen der Seuche Aids. Viele Kinder werden nach der Erkrankung ihrer Eltern zu Halb- oder Vollwaisen, die sich irgendwie durchschlagen müssen. Ein Schulbesuch ist da freilich das letzte, an was diese dabei denken.

Die ungleiche Einkommensverteilung in Botswana führte seit den 80er Jahren zu wachsenden sozialen Spannungen und Unruhen sowie einem verstärkten Zulauf zur Oppositionspartei BNF bzw. in jüngster Zeit auch zur BCP. Die Kleinbauern protestieren gegen die massive Überweidung des nutzbaren Landes durch die Großgrundbesitzer und die ungerechte Verteilung des Grund und Bodens zugunsten der Reichsten des Landes.

Ein Überdenken der derzeit praktizierten Vernachlässigung gewisser Schichten der Bevölkerung würde in Zukunft jedenfalls eine Verbesserung der Effektivität der einzelnen Sozialleistungen erfordern, nämlich in Form einer Konzentration bestimmter Aufwendungen auf die Ärmsten des Landes. Für eine effektive Gesundheitsvorsorge wäre auch eine Verbesserung des Wissenstandes über richtige Hygiene und des entsprechenden Verhaltens erforderlich. Diesbezügliche Aufklärungen wurden lange Zeit sträflich vernachlässigt. Angesichts der Tatsache, das bereits jeder sechste sexuell aktive Einwohner Botswanas mit dem AIDS-Virus infiziert ist, besteht mehr als dringender Handlungsbedarf seitens des Staates. In der Gruppe der jungen Frauen im Alter von 15 bis 24 ist bereits jede dritte Frau infiziert, was in dieser Altersgruppe der höchste Wert der Welt ist. Werden nicht rasch effektivere Maßnahmen gesetzt, dann wird in einem Jahrzehnt wahrscheinlich auch Botswana von unseren Medien unter den hoffnungslosen sozialen und menschlichen „Katastrophenstaaten“ Afrikas aufgeführt werden.

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