MOZ, Nummer 55
September
1990

Bombardiert Bagdad!

Die Folgen transatlantischer Gehirnerweichung
Mein Name ist Hase
Ich weiß von nichts
Ist hier was geschehen
Ich hab nichts gesehen ...
(Deutscher Schlager)

Saddam Hussein hat es geschafft. Er hat vereinigt. Den Westen. Den Osten. Am irakischen Fallbeispiel proben sie die eine und einzige und letzte Welt.

An den Drehbüchern der Eskalation wird bereits geschrieben. Die unabhängigen Medien mit ihren liberalisierten Journalisten stehen parat. Im Angesicht des Todfeindes lassen Gewissenlosigkeit und Wissenlosigkeit die letzten Nuancen verschwinden. Im Flächenbombardement gibt es keine abweichenden Meinungen mehr. Es toleriert nur noch eine Sicht: die imperialistische, und nur ein Ziel: die Niederstreckung des Irak und die (physische) Beseitigung Saddam Husseins. Zwischen und in den Zeilen verkünden sie ihre freiheitliche Botschaft: „Bombardiert Bagdad!“ lautet sie.

Ein Kreuzzug ist also angesagt. For freedom and democracy — all over the world. An american and a european dream: civilisation here, there and everywhere!

Es wird wieder gekämpft: für die unveräußerlichen menschlichen Werte, die Freiheit und das Privateigentum, die Menschenrechte und das Abendland, kurzum: die Zivilisation.

Der Westen ist wieder selbstbewußt, zu wirtschaftlichen Expansionen wie militärischen Exkursionen aufgelegt. Die Niederlagen von früher sind durch den Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus wie ausgelöscht. Wer mit dem russisch-bolschewistischen Bären fertig geworden ist, dem muß es doch ein Leichtes sein, die arabisch-babylonische Brut auszuhungern. Derweil zählte der irakische Präsident bisher zweifelsohne zu den guten Arabern. Vor allem nach dem Überfall auf den damaligen Hauptfeind des Westens, auf den durch die Revolution geschwächten Iran, jubelte man in den Metropolen. Fortan gab’s Streicheleinheiten für Bagdad, vor allem in Form von Waffenlieferungen. Nicht nur die USA oder Frankreich profitierten von ihrem kurzzeitigen Freund, auch Österreich naschte am Golfkrieg mit.

Über Giftgas und Massenhinrichtungen sah man geduldig hinweg. Sie tangierten ja auch nicht die Geschäfte. Kurden ausrotten und Iranis in den Tod schicken, das verzeiht man.

Aber jetzt, den kuwaitischen Geldadel in den Arsch zu treten, dessen Land zu annektieren und den saudischen Scheichs zu drohen, das geht eindeutig zu weit, sind doch diese allesamt Freunde der freien Welt, „Imperialistenknechte“, wie Saddam Hussein massenwirksam wie korrekt verkündete. Nur weil das westliche Imperium um seine arabischen Bündnispartner und Stützpunkte fürchtet, reagiert es so rabiat.

Der liberale Journalismus, d.h. jener, der sich jedweder prinzipiellen Gesellschaftskritik entledigt hat, ist zur ideologischen Speerspitze dieses kriegstreiberischen Kurses geworden. Er schafft ein Klima des Hasses und des rassistischen Vorurteils, schließlich sollen ja auch Untermenschen, Araber, zur Raison gebracht werden.

Besonders toll treibt es da einer, der bisher beanspruchte, ein kritischer und linker Journalist zu sein. Georg Hofmann-Ostenhof heißt er. Er ist außenpolitischer Redakteur der linksliberalen „AZ“. Das Szenario, das er da entwirft, ist schnell nacherzählt: Die Guten, die allgemeinmenschlichen Werte vertretend, kämpfen gegen den ‚Bösling‘, Zivilisation und Barbarei stehen vor einem entscheidenden Schlagabtausch.

Zügig kommt der Kleinformatist daher auch zum Siedepunkt, ja er lechzt ihm, freudestrahlend die amerikanische Fahne schwingend, entgegen: „Das einzige, was Saddam Hussein noch stoppen könnte, wäre die Drohung, seine und wenn nötig, die von ihm besetzten Ölförderanlagen zu zerstören. Das kann die US-Luftwaffe noch allemal.“ Einen Tag später geht er noch weiter: „Saddam Hussein ist unberechenbar. Er setzt gerade den Nahen Osten in Flammen. Er muß gestoppt werden. Mit allen Mitteln. Man kann nur hoffen, daß die Amerikaner gegenüber Saddam Hussein jetzt all das tun, was sie bisher schon unter den entrüsteten Blicken der zivilisierten Welt anderswo gemacht haben.“

Das ist Kriegshetzte pur. Nichts anderes. So werden Kriege eingepeitscht. Nicht anders. „Mit allen Mitteln“ kann doch nur heißen, daß unser Kleinformatist nicht einmal die Invasion oder die atomare Niederwerfung ausschließt.

Im Konflikt zwischen „Erster“ und „Dritter Welt“ ergreift unser Kolumnist die Seite des Imperialismus: „Im Interesse der gesamten zivilisierten Welt“, womit die USA und ihr westliches Gefolge gemeint sind — soll der Orient in die Demokratie bombardiert werden. Vietnam läßt grüßen.

Vorbei sind die antiimperialistischen Flegeljahre, aus dem linken Hasi ist ein liberaler Hase geworden. Dagegen sein ist nicht mehr. Dabei sein ist alles. Beieinander haben folglich nicht mehr gefragt.

Die westliche Linke hat auch heute keinen Grund zur Kameraderie mit ihrer Herrschaft. Wer der politischen Unterordnung der letzten Jahre bloß noch die ideologische Anpassung hintanstellt, der hat endgültig ‚oszilliert‘, um einen wunderschönen Ausdruck eines anderen „AZ“-Kleinformatisten — Robert Misik — zu verwenden. Mit Bush und Thatcher, Mitterrand und Kohl, darf es für eine Linke, die diesen Namen verdient, keine gemeinsame ideologische, politische oder gar militärische Basis geben. Nicht einmal, wenn es gegen Saddam Hussein geht.

Doch die Tendenz zeigt heute leider in die andere Richtung. Die Frage etwa, was US- und NATO-Truppen eigentlich im Persischen Golf, vor der libyschen Küste oder in Mittelamerika zu suchen haben, wird erst gar nicht mehr gestellt. Das ist alles wieder ganz selbstverständlich.

Ebenso selbstverständlich ist es, daß der heimische Journalistenchor ungestraft und unwidersprochen seine Kriegslieder anstimmen kann. Von „Bombardiert Bagdad“ bis „Serbien muß sterbien“ reicht sein aktuelles Repertoire.

Besonders unerträglich sind dabei jene Spätberufenen, die mit Absichten und Ansichten ausgestattet, erst nach Jahren zum Mainstream gefunden haben, oder besser von ihm erfaßt wurden. Ihre Überidentifikation läßt sie am lautesten bellen. Tagtäglich erledigen sie ihre Notdurft in den Spalten.

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