MOZ, Nummer 50
März
1990
Antimilitarismus:

Chronologie des Widerstands

1945: Die allgemeine Stimmung gegen Krieg und Militarismus ist wahlkampffähig — Ferdinand Graf, der ehemalige Heimwehrführer und spätere ÖVP-Verteidigungsminister, meint: „Und heute sieht man schon wieder Uniformen. Wir Österreicher haben mehr als genug davon.“

1947/48: Beginn der Staatsvertragsverhandlungen. Kontroversielle Diskussion zur Errichtung eines Bundesheeres. Vor allem in der Sozialistischen Jugend macht sich eine breite Stimmung gegen eine Armee bemerkbar. 1. grundsätzliche Ablehnung aus pazifistischen und antimilitaristischen Motiven, 2. grundsätzliche Ablehnung wegen des Klassencharakters des Bundesheeres, 3. grundsätzliche Bereitschaft zur Aufstellung eines Heeres, das milizartigen Charakter haben soll. Die offene Diskussion wird abrupt durch einen Vorstandsbeschluß der SPÖ, in dem die Aufstellung eines Heeres bejaht wird, beendet.

1949: Aufbau der B-Gendarmerie, die spätestens ab 1951 Militärcharakter hat, unter Duldung und mit Unterstützung der US-amerikanischen Besatzungsmacht.

Die KPÖ kritisiert als einzige Organisation dieses „geheime Bundesheer“, stößt jedoch wegen des virulenten Antikommunismus auf so gut wie keine Resonanz.

1955: Abschluß des Staatsvertrages und Entscheidung für die Errichtung eines Bundesheeres auf der Basis der allgemeinen Wehrpflicht. Massive und spontane, breite, letztlich aber vereinzelte Gegnerschaft. Künstlermanifest von H. C. Artmann u.a. gegen das Bundesheer:

wir protestieren mit allem nachdruck
gegen das makabre kasperltheater
welches bei wiedereinführung einer
wie auch immer gearteten wehrmacht
auf österreichischem boden
zur aufführung gelangen würde ...
das ist atavismus!!
das ist neandertal!!
das ist vorbereitung zum legalisierten menschenfressertum!!!

Heftige Proteste innerhalb sozialistischer Organisationen. Der Sozialist Josef Schneeweiß: „Die Mehrheit war gegen das Bundesheer, hätte jemand gesagt, werft die Pro-Redner zum Fenster hinaus, so hätte es einen Fenstersturz gegeben.“

Die KPÖ fordert vehement eine Volksabstimmung, bleibt aber nach wie vor isoliert. Innerhalb religiöser Gruppen wird vor allem die Forderung nach Verankerung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung erhoben. Gründung der Zeitschrift „Der Antimilitarist“ (Internationale der Kriegsdienstgegner Österreich).

1963: „Thirring-Plan“

Der sozialistische Bundesrat und angesehene Physiker Hans Thirring unterbreitet dem Parlament eine Denkschrift („Mehr Sicherheit ohne Waffen“), in der ein Plan einer einseitigen Totalabrüstung Österreichs vorgestellt wird. In Zeiten der „Friedlichen Koexistenz“ wäre das günstige Klima für Neutrale gegeben, vertraglich abgesicherte Abrüstungsschritte zu setzen, die internationale Vorbildwirkung haben sollten.

Die SPÖ winkt ab: „Zu Thirrings Idee der Abrüstung kann sie (die SPÖ, A.d.V.) sich solange nicht bekennen, als nicht auch alle Nachbarstaaten Österreichs hiezu ihre Bereitschaft bekundet haben.“

1969/71: „Volksbegehren zur Auflösung des Bundesheeres.“ Ende 1969 initiierten Günter Nenning und der Psychologe, Publizist und ‚Linkskatholik‘ Wilfried Daim innerhalb der Zeitschrift „Neues Forum“ ein Volksbegehren gegen das Bundesheer. Wilfried Daim: „Ich wollte mit diesem Volksbegehren, das die eigentliche Schwachstelle der österreichischen Gesellschaft, das Bundesheer, betraf, den geplanten Allerweltswahlkampf der Parteien dynamisieren. Und zwar sowohl auf der schwarzen wie auf der roten Seite. Und die Propaganda dafür sollte das Militär selbst machen. Denn es lag nahe, daß die Leute überreagieren werden, besonders zu Zeiten des Wahlkampfes, und damit die Propaganda machen, für die man selbst kein Geld hat.“

Günter Nenning: „Die grundsätzliche Erwägung war, daß man durch Nahebringen dieses Bundesheerthemas junge Menschen eher bewegen kann, politisch was zu tun, als durch die allgemeine Aufforderung: Erheben wir uns gegen den Kapitalismus. Denn dieses ist abstrakt, jenes aber — ich muß zum Militär — ist sehr einleuchtend. Das war meine grundsätzliche Erwägung, die taktische war, der Vorwahlkampf ist eine gute Zeit, und das demokratisch parlamentarische Spiel zwischen Regierung und Opposition ist so beschaffen, daß neue Ideen von einer Opposition eher aufgenommen werden. Dazu, daß es ein Zusammenspiel zwischen mir und der SPÖ-Führung gegeben hat, war letztere zu allen Zeiten zu unbeweglich und zu blöd.“

Die Einleitung des Volksbegehrens ruft beachtliches Medienecho hervor und führt zur Bildung landesweiter Aktionsgruppen, v.a. im Umkreis des „Verbandes Sozialistischer Mittelschüler“. Die Initialkraft ist wesentlich bedingt durch das zeitweise Zusammengehen neulinker mit fortschrittlichen christlichen Kräften — die Ideen Zivildienst, Soziale Verteidigung, gewaltfreie Revolution werden diskutiert.

Der SPÖ gelingt mit dem Wahlslogan „6 Monate sind genug“ ein geschicktes Auffangen dieser antimilitaristischen Strömungen. Nach der Wahl wird eine Bundesheer-Reform-Kommission eingesetzt: Verkürzung des Wehrdienstes auf 8 (!) Monate, Mixkonzept Miliz und Bereitschaftstruppe, Zivildienst.

Das Volksbegehren sammelt in der Einleitungsphase an die 30.000 Unterschriften, wird jedoch nie eingereicht. „Der Dampf war draußen“, meint Nenning. Die Unterschriften selbst sind bis heute verschollen.

1974/75: Zivildienstgesetz und gleichzeitige Verankerung der Umfassenden Landesverteidigung, in die der Zivildienst eingegliedert ist, in der Verfassung.

1981ff: Die Friedensbewegung berührt das Bundesheer eher am Rande, allerdings sind Themen wie Abfangjägerbeschaffung, Umfassende Landesverteidigung und Zeitsoldaten ständiger Zankapfel und Auslöser von Aktionen.

1985: Das Volksbegehren gegen (alle) Abfangjäger erreicht 121.182 Unterschriften, danach Aktionen gegen Drakenstationierung in Graz-Thalerhof und Zeltweg (Menschenkette, ‚Luftraumsperre‘ mit Luftballons). Erich Reiter, Sektionschef im Bundesministerium für Landesverteidigung: „Den Bürgerprotesten gegen die Stationierung von Abfangjägern steht der historisch wahrscheinlich unbestrittene Verdienst zu, die Entwicklung des Bundesheeres entscheidend zurückgeworfen zu haben.“

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