Wurzelwerk, Wurzelwerk 6
Dezember
1981

Das aktuelle Interview

Dr. Rudolf Bretschneider ist Leiter des Fessel-Meinungsforschungsinstituts und Autor zahlreicher Publikationen. Das folgende Gespräch führte R. Weninger:

Wurzelwerk: Als „Alternativ-Zeitschrift” interessiert uns vorweg natürlich das Bild, das Image derartiger Blätter in der Öffentlichkeit, der relative Stellenwert in der „Meinungsbildung“, sofern man eine solche in diesem Fall überhaupt statistisch erfassen kann ...

Dr. Bretschneider: Das ist tatsächlich statistisch kaum relevant zu erfassen, auch nicht bei großen Media-Analysen. Jedenfalls aber betrachte ich Alternativ-Blätter als wichtiges Verständigungsmittel unter den jeweiligen Interessierten.

Umweltschutz dringt allmählich ins allgemeine Bewußtsein ein, seit auch „höchste Stellen“ seine Vordringlichkeit nicht mehr in Frage stellen (sofern ihr Ressort nicht konträre Ziele verfolgt). Ist es nicht so, daß die ersten diesbezüglichen Bemühungen, die Wurzeln eines dringend notwendigen ökologischen Geistes, von der Basis kamen, von frühen „Alternativ-Blättern“, aus der — vorwiegend jugendlichen — Gegenkultur? Vor einem Jahrzehnt schon, und damals von „höchsten Stellen“ überhaupt nicht ernst genommen wurden? Daß derartige Intentionen vor gar nicht allzulanger Zeit geradezu bekämpft wurden ...

Umweltbewußtsein ist meines Erachtens nach stark durch die Tätigkeit großer Massenmedien gewachsen, womit nicht gesagt ist, daß nicht problembewußte Personen oder Kleingruppen grundsätzliches Material aufbereitet und herangebracht haben.

Die vielzitierte „Aufklärungskampagne“ von SPÖ-Spitze, ÖGB u.a. in Sachen Kernkraft bedient sich zusehends subtil infamer Mittel, um Stimmung für Zwentendorf zu machen. Glauben Sie, daß man mit dezent suggestiven Hinweisen auf Energiekosten und Arbeitsplätze, ohne Rahmenbedingungen und Hintergründe transparent zu machen, in der Bevölkerung eine Mehrheit für einen ökologischen und ökonomischen Rückschritt wird finden können?

Eine Bewertungsfrage: Das seinerzeitige Volksbegehren versuchte mit großem Aufwand Personen zu gewinnen, die sich für eine Neuauflage einer Volksbefragung engagieren. Angst-Argumente sind keine überzeugenden, gewinnenden Argumente, weil Angst auf beiden Seiten Fixierungen erzeugt. Im Sinne aller Beteiligten sollten Angstmomente hintangehalten werden. Das Argument mit den Arbeitsplätzen dürfte nicht sonderlich ziehen.

Wie sieht der „typische Österreicher“ schlechthin die Energiesituation?

Prinzipiell sieht man einen wachsenden Problemkreis, deutlich geworden erst in den letzten 5, 6 Jahren, bezüglich Versorgung und Preis. Es existiert eine große theoretische Sparbereitschaft mit teilweise praktischen Früchten. Das sind vor allem die gesunkenen Verbrauchsziffern in Haushalten und bei den PKW, ausgelöst durch die Preissituation und das allgemein wachsende Informationsniveau. Wichtig ist es, zu wissen, wo man wirklich sinnvoll sparen kann. Für sehr sinnvoll erachte ich die EVA (Energieverwertungsagentur); Werbemittel für Energiesparkampagnen sind jedenfalls eine vernünftige Investition, ebenso wie Innovationen auf dem privaten und gewerblich industriellen Sektor.

Die deutlich gestiegene Bereitschaft der Bevölkerung, im Haus Energie zu sparen, stellt eine zunehmende Marktchance dar.

Glauben Sie, daß den Gegnern systematisch anorganischen Wachstums, daß den „Alternativen, Grünen, Protestlern, Anarchisten, Kommunisten, Steinzeitlern, Wurzelseppln“, und wie man sie sonst noch nennt, eine wachsende Bedeutung zukommt, resp., daß derartige Bewegungen, Initiativen, Gruppen und Individuen geschlossener agieren sollten, zumindest in grundsätzlichen Fragen, um ihre gesamtgesellschaftlich notwendigen Anliegen mit mehr Effizienz durchzusetzen?

Man sollte Etikettierung und Konfrontation nicht überbewerten. Die historischen Wurzeln derartiger „Schubladisierungen“ liegen oft weit auseinander.

„Vernetzung“ am Informationssektor ist immer gut, zahlreiche neue Aspekte treten dabei in den Vordergrund. Ich hielte es für nicht unbedingt positiv, wenn daraus Organisationsmuster, Parteienstrukturen, etc. nach konventionellem Schema entstehen sollten, verweise in diesem Zusammenhang etwa auf das Folgeproblem der Korrumpierung. Dem Fermentcharakter derartiger „Gegenkulturen“ entspricht es eher, etablierte Organisationsmuster zu unterwandern und zu durchwirken, obzwar auch dieser Weg Risken birgt.

Im Ausland tritt das „radikale“ Moment (in der neuzeitlichen Bedeutung des Wortes) immer mehr in den Vordergrund, wenn diese „Alternativler“ von sich reden machen. Ist das eine systembedingte Entwicklung? Um Öffentlichkeit herzustellen, braucht man ja Medien, und die Hochdruck-reichweit-Massenmedien sind ja schön paritätisch unter Kontrolle, hüben und drüben. Werden Fortschritte in Umwelt (und anderen grundsätzlichen) Fragen heute nur mehr auf der Straße erzielt?

Das möchte ich bezweifeln. Die verhängnisvolle Wechselwirkung von Provokation, Agitation einerseits und den Massenmedien andererseits bedingt es, daß man z.B. „radikale“ Maßnahmen setzt, um in die Medien zu kommen. Freilich entsteht „Radikalisierung“ auch durch Ignoranz oder Demotivation. Wenn die „Obrigkeit“ jahrelang nicht reagiert, auf berechtigte Anliegen, kommt es zwangsläufig entweder zu Apathie oder Demonstration.

Was würden die Bürger tun, wenn es binnen kurzer Zeit kein trinkbares Wasser gäbe, wenn Menge und Qualität der meisten Nahrungsmittel drastisch sinken würden, wenn gute Luft zum Atmen eine Rarität würde? Mineralwässer und Tafelwässerchen kaufen, auf sündteure Delikatessen und Reformwaren umsteigen und mit der Gasmaske unterm Arm ins Büro stiefeln?

Mögliche Reaktionen der Bevölkerung auf Qualitätsverschlechterungen sind sektoral unterschiedlich. Beim Wasser ist eine gewisse Umstellung schon im Gange. Der Slogan vom guten Hochquellwasser hat nicht mehr die Relevanz, die er vor 20 Jahren noch hatte. Bei der Luft sind „Alternativen“ schwieriger, aber das Verlangen nach gesunder Luft ist stark gestiegen. Das äußert sich im Wunsch nach mehr „Grün“ in der Stadt wie auch in der Mobilität aus der Stadt heraus. Was zusätzliche neue Probleme aufwirft.

Wie könnte ein Gebietsverwaltungskörper aussehen, der garantiert, daß Umwelt und Wirtschaft, Individuum und Masse, Geist und Materie zu ihrem Recht kommen, mit einem Wort, daß der Mensch wieder Mensch sein kann?

Die Frage ist umfassend nicht zu beantworten. Ich möchte aber ein Element herausgreifen: Eine Verwaltung sollte sich nicht von vorneherein für alles „zuständig“ erklären. Notwendig wäre es, daß man sich wieder jener „sozialen Netze“ besinnt, die da sind oder da waren, seien es historisch-traditionell gewachsene Vereinigungen oder junge Vereine, Beziehungsgeflechte oder Initiativen, daß man großen Wert auf soziale Momente aus Eigeninitiative legt und Rahmen, Größe oder Etabliertheit vernachläßigt, weil diese Inhalte oft umbringen. Beispielsweise kommen Selbstversorgungstendenzen, von wo auch immer, allmählich wieder zum Tragen. Wichtig wäre es, solche zu pflegen, bevor sie endgültig abgestorben sind.

Wir danken für das Gespräch.
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