radiX, Nummer 1
Dezember
1998

Das Ende des Lomé-Abkommens

1975 unterzeichnete die damalige EG (heute EU) ein Abkommen mit Entwicklungsländern aus Afrika, der Karibik und dem pazifischen Raum (AKP-Staaten). Der sogenannte Lome-Vertrag wurde von vielen als Meilenstein in der Entwicklungshilfe gefeiert, weil er den „Dritte Welt“-Staaten einseitige Handelsvorteile gewährte.

Das derzeit gültige Lomé IV-Abkommen läuft im Jahr 2000 aus, und es zeichnet sich eine Trendwende in der Entwicklungspolitik der Europäischen Union in Richtung „Globalisierung“ ab.

Doch zuerst zu den wichtigsten Teilbereichen des Abkommens:

Gemeinsame Organe zwischen der EU und den AKP-Staaten

Der Lomé-Vertrag sieht gemeinsame Vertretungen zwischen der EU und den AKP-Entwicklungsländern vor. In diesen sind die „Dritte Welt-Länder“ gegenüber der EU „formal gleichberechtigt“, die Gremien werden paritätisch besetzt. Über finanzielle Angelegenheiten entscheiden die europäischen Industriestaaten allerdings alleine, was die „formale Gleichberechtigung“ in einem entscheidenden Punkt (wie werden die bereitgestellten Finanzmittel verwendet?) außer Kraft setzt.

Handelsvorteile für die AKP-Staaten

Ein wichtiger Schritt in der europäischen Entwicklungshilfe ist die Gewährung von einseitigen Handelsvorteilen für die AKP-Staaten. Diese dürfen bis auf wenige Ausnahmen sämtliche Produkte zoll- und kontingentsfrei in den europäischen Binnenmarkt exportieren, was ihnen nicht zu unterschätzende Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Produkten bietet. Doch genau diese wichtige Regelung ist durch die Neuverhandlung des Abkommens gefährdet.

Strukturanpassung

Negative Auswirkungen durch IWF- und Weltbankauflagen sollen abgeschwächt und soziale Spannungen durch MassenentIassungen und Haushaltssanierungen verhindert werden. Die EU stellt hierfür einen größeren Finanzbetrag zur Verfügung.

Finanzielle Förderungen durch die EU

Für die Jahre 1990 bis 1995 stellte die EU 12.000 Mio. ECU für das Lomé-Abkommen zur Verfügung. Für den Zeitraum von 1996 bis ins Jahr 2000 steigerte sich dieser Betrag auf 14.625 Mio. ECU. Dies ist im internationalen Vergleich gesehen eine stattliche Summe, reicht allerdings bei weitem nicht zur nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung der durch niedrige Rohstoffpreise ausgebeuteten Entwicklungsländer aus. Mit dem „Stabex“-Programm werden von der EU Exportausfälle von AKP-Ländern im Agrarbereich stabilisiert, indem diese Staaten „Ausgleichszahlungen“ für sinkende Rohstoffpreise erhalten. Die bereitgestellten Mittel können jedoch erst seit Mitte dieses Jahrzehnts die sinkenden Weltmarktpreise ausgleichen. Ein weiteres Förderungsinstrument ist „Sysmin“, mit dem die rohstoffarme EU die Stillegung von unprofitablen Minen verhindern will, um den eigenen Rohstoffnachschub nicht zu gefährden.

Demokratisierung und Menschenrechte

In das derzeit gültige Lomé IV-Abkommen wurden auch diese beiden Punkte aufgenommen. So kann das Abkommen für Staaten, in denen schwere Menschenrechtsverletzungen vorkommen, außer Kraft gesetzt werden. Leider überwiegen weiterhin wirtschaftliche Überlegungen seitens der EU, was am Beispiel des durch die nigerianische Militärjunta ermordeten Ken Saro Wiwa ersichtlich ist. Auf Grund des Erdölreichtums Nigerias kam es zu keinen wirtschaftlichen Konsequenzen für das Land.

Zudem enthält das Abkommen weitere Bestimmungen zu Themen wie Umweltschutz, Verschuldung, Abholzung von Tropenwäldern etc.. Der Lomé-Vertrag ist also ein mit beträchtlichen Mitteln ausgestattetes und sehr umfangreiches Entwicklungsprogramm. Doch gerade die Vorteile dieses Modelles (einseitige Handelspräferenzen, großzügige finanzielle Ausstattung ...) sind durch die Neuverhandlung des Abkommens gefährdet, und werden wahrscheinlich abgeschafft.
War zu Beginn der achtziger-Jahre die Nahrungsmittelknappheit noch das größte Problem vieler AKP-Staaten, änderte sich das gegen Ende des Jahrzehntes auf Grund der hohen Verschuldung der AKP-Länder. „Strukturanpassungen“ nahmen nun einen wichtigen Teil in dem Vertragswerk ein. Durch das Ende des Staatskommunismus und die seit einigen Jahren betriebene Globalisierung (vgl. GATT,WTO, MAI ...) änderte sich die Zielsetzung des Abkommens: als wichtigster Punkt gilt nun die „Weltmarktintegration“ der AKP-Entwicklungsländer. Nachdem sie jahrzehntelang ausgebeutet und eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung durch niedrige Rohstoffpreise und die fehlenden Entwicklungsmöglichkeiten verhindert wurde, sollen sie nun großzügig in die kapitalistische Weltordnung integriert werden?

Die Globalisierung kommt „den Stärksten zugute“, heißt es selbst in einer Broschüre der Europäischen Kommission. Durch die bedingungslose „Weltmarktintegration“ der Entwicklungsländer erhofft sich die EU Vorteile — nämlich neue Absatzmärkte für europäische Produkte: ,,... da sich ihnen (den EU-Staaten, Anm.) damit gleichzeitig neue Absatzmärkte für ihre Ausfuhren erschließen und bessere Investitionsmöglichkeiten (vgl. dazu MAI, Anm.) bieten.“ [1]

Rohstoffarme Entwicklungsländer, die von kapitalistischen Verwertungsinteressen unbeachtet bleiben, werden dabei nicht in den Weltmarkt integriert, sondern von diesem erst recht ausgeschlossen. Denn warum sollte ein EU-Land in einem AKP-Staat investieren, wenn er dies z.B. in Südostasien zu besseren Bedingungen tun könnte? Gerade deswegen sind die einseitigen Handelszugeständnisse durch die EU ein Vorteil für die bevorzugten Staaten (derzeit 71 AKP-Staaten, unter ihnen auch die ärmsten Staaten der Welt), da sie zollfrei in einen 360 Millionen Menschen umfassenden „Absatzmarkt“ exportieren können.

Doch seitens der Europäischen Union zeichnet sich eine dramatische Trendwende in der Entwicklungspolitik ab: Statt einseitiger Handelsvorteile sollen Freihandelszonen eingeführt werden. Das bedeutet, daß die wirtschaftlich starke EU zu den selben Bedingungen in ein Entwicklungsland exportieren kann, wie ein wirtschaftlich schwacher „Dritte-Welt-Staat“ in die EU! Solche Freihandelszonen zwischen einem reichen einem armen Staat nützen in erster Linie dem wirtschaftlich Stärkeren (vgl. GATT-Freihandelszone zwischen Canada, der USA und Mexiko).

Bereits bei den Verhandlungen zu Südafrikas Lomé-Beitritt zeichnete sich diese Änderung der EU Entwicklungshilfe ab. Anstatt der Aufnahme in das Lomé-Abkommen wurde dem ehemaligen Apartheidland ein „Teilbeitritt“ (ohne Finanzhilfe und Handelsvorteile ...) zusammen mit einem Freihandelsabkommen gewährt. Dieses Freihandelsabkommen sieht den gegenseitigen Abbau von Zöllen und Einfuhrbeschränkungen vor. Dies dürfte auch das Ergebnis der Lomé-Verhandlungen werden, die im September 1998 begonnen haben. Die EU steht unter Druck ein Vertragswerk abzuschließen, das den Bestimmungen der Welthandelsorganisation WTO nicht widerspricht. Freihandelszonen führen allerdings nicht zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung des schwächeren Partners — sie behindern sie eher. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation der afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten läßt sich nur durch einen fairen Welthandel zwischen den auf Rohstoffexport angewiesenen „Dritte-Welt-Länder“ und den Industriegüter exportierenden reichen Staaten dieser Erde erreichen. Solange ein Gutteil der erwirtschafteten Finanzmittel der Entwicklungsländer allerdings als Zinszahlungen in die Industriestaaten zurückfließen, werden diese zum Aufbau einer lebensfähigen Wirtschaft fehlen.

Die europäische Entwicklungspolitik auf dem Weg ins nächste Jahrtausend stellt leider einen Schritt zurück dar. Anstelle weiterer wirtschaftlicher Hilfe sollen die Bedingungen für die ärmsten Staaten dieser Erde unter dem Vorwand der Globalisierung sogar noch verschlechtert werden. Arme und wirtschaftlich schwache Entwicklungsländer werden vom weltweiten freien Warenverkehr jedenfalls nicht profitieren. Kapitalismus pur macht’s möglich.

[1Vgl. Broschüre der Europäischen Kommission: Das IV. Abkommen von Lomé nach der Halbzeitüberprüfung. Änderungen und Aussichten, Brüssel 1996.

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