MOZ, Nummer 54
Juli
1990
Rumänienhilfe:

Demokratie gegen Zucker

Dem Notstandsgebiet Rumänien wird weniger aus humanitären denn aus politischen Gründen geholfen.

Adrian Oberrauner war höchst erfreut. Der Aktivist des souveränen Malteser Ritterordens wußte — wofür er den Reisesegen des Weihbischofs Krenn empfangen sollte —, was zu tun war. „Es war eine Zeit der Unsicherheit“, erinnert sich der Gesegnete, „eine Zeit der besorgten Blicke in der Familie und des zuweilen mulmigen Gefühls im Magen, denn die Schreckensmeldungen über die Anschläge auf Hilfskonvois ließen sich schlecht ignorieren. Trotz allem drängte es mich, zu fahren, und es war wie eine Erlösung, als feststand, daß wir am 29. Dezember aufbrechen würden.“

Adrian Oberrauner begleitete einen der zahlreichen Hilfstransporte ins krisengebeutelte Rumänien. Wenige Tage nach der Hinrichtung des Conducators erreichte der Konvoi seinen Bestimmungsort. Im Zentrallager von Cluj (Klausenburg), wo sich die Hilfsgüter bereits bis zur Decke stapelten, endete erst mal das Abenteuer. Die rumänischen Studenten und Studentinnen zeigten sich redlich bemüht, die neue Lieferung zu verstauen. „Immer wieder“, schwärmte der Helfer, „dankten sie uns und erklärten, daß sie den gelieferten Zucker mit Demokratie bezahlen würden.“

Demokratie gegen Zucker, die Kalkulation beeinflußte alle großangelegten Hilfsaktionen ins Notstandsgebiet. Westwaren gegen Ostdemokratien, so billig gab es schon lange keine neuen Absatzmärkte und Arbeitskräftereservoirs, noch dazu quasi im eigenen Hinterhof. Zucker gegen Demokratie, Demokratie, wie sie der Westen versteht: Privatisierung, freier Kapitaltransfer, Streichung der Subventionen für Grundnahrungsmittel und Wohnraum, Streichung des Rechts auf Arbeit aus der Verfassung usw.

So manche Redakteure der Journaille und des Staatsfunks arbeiten allzu gerne mit der „Meßlatte Demokratie“ — nach bekanntem, also westlichem Muster. So folgte der — in den westeuropäischen Gazetten vorgetragenen — Empörung über die jüngste Räumung des Bukarester Universitätsplatzes durch die gewählte Regierung prompt die Einstellung der bereits bewilligten EG-Finanzhilfe an Rumänien. So, als ob die, die am Vortag noch keinen Zucker hatten, plötzlich, über Nacht, darin schwelgten.

Die Politik stellt Bedingungen, Hilfsgelder fließen nur unter bestimmten Voraussetzungen. Es kommt also nicht darauf an, aus humanitären Gründen zu helfen, sondern Sache ist vielmehr, politische Strategien durchzusetzen. Im Namen der Joint-ventures und nicht der Gerechtigkeit.

Und die österreichischen Hilfsorganisationen, die den Löwenanteil an den Millionenspenden bekommen haben, agieren mit den Geldern unverhüllt schlampig — in traditioneller heimischer Politikproporz-Manier. Ihre Hilfsbereitschaft ist ausschließlich an die „eigenen Reihen“ gerichtet. So achtet etwa die Caritas genau darauf, die katholische Kirche in Rumänien mit Kopiergeräten und Schreibmaschinen zu versorgen, damit diese ihre Schäfchen — im Namen Jesu Christi — ins trockene bringen kann.

Wenn die „eigenen Leute“, die Landler, die Katholiken, die Liberalen, die Revolutionäre, oder wer immer, nicht ausmachbar sind, dann ladet man das Zeug am besten irgendwo ab und verschwindet so schnell wie möglich wieder zurück in Richtung sicherer Westen. „Nichts wie raus hier“, betitelte ein österreichisches Nachrichtenmagazin wohl nicht zufällig eine Reportage über einen der vielen Hilfstransporte.

Hilfe zur Selbsthilfe lautet der Slogan, den die karitativen Organisationen auf ihre Fahnen geschrieben haben. Doch die gemeinnützigen Vereine reden nicht miteinander, sie koordinieren und fragen nicht, haben keine Konzepte und handeln zu oft nach dem Zufallsprinzip, ohne vor Ort zu überprüfen, wie sie am besten einzusetzen wären. So lieferte etwa das Rote Kreuz ein ganzes Jahr lang Medikamente, die auf einer international ausgetüftelten Liste zu finden sind, an ebenso ausgesuchte rumänische Spitäler. Wie soll, angesichts einer solchen Vorgangsweise, eine Person, die die Situation in Rumänien kennt, an so etwas wie Hilfe zur Selbsthilfe glauben?

Hilfeleistungen an dieses Land eignen sich vorzüglich zur Durchsetzung politischer Interessen und bieten eine wunderbare Projektionsfläche für westliche Abenteurer aller Art. Um die in der eigenen Wohlstandsgesellschaft erlittene Entfremdung kurzzeitig zu suspendieren und zu relativieren, fährt man mal ins leidende Rumänien. All die Jahre zuvor, als in demselben Land auf Grund der immensen Zins- und Kreditrückzahlungen — auferlegt von IWF und Weltbank — katastrophale Lebensbedingungen herrschten, war dies den Medien selten eine Erwähnung wert. Selten auch verirrten sich Berichterstatter dorthin, wo sie heute einander treffen, um über wahre demokratische Verhältnisse zu schreiben.

Wenig ist zu finden an Berichterstattung heimischer Medien, die sich an den Eigenheiten und Fremdheiten einer anderen Kultur orientiert und diese auch zu achten weiß. Wenig zu finden auch an Hilfsleistungen, die ein „autonomes“ Rumänien zum Ziel haben, Hilfe also, die nicht die Kolonialisierung eines ärmeren Landes bringen wird. Solche Konzepte für die Verteilung von Hilfsgeldern — die von Millionen Spender/innen in guter Absicht zur Verfügung gestellt wurden —, die zur Herausbildung eines möglichst autarken und bedarfsgerechten rumänischen Sozial- und Wirtschaftssystem führen soll, existieren nicht.

Österreich ist für die Rumäninnen und Rumänen eine Hoffnung. Wir aber machen die Grenzen dicht, werfen ihnen Medikamente, Lebensmittel und Ideologien hin und heulen auf, wenn etwas gegen unsere Vorstellungen von Demokratie passiert.

Die internationale Helsinki-Föderation urteilt denn auch in einem neuen Bericht über die Waldheimat: Österreich habe mit seiner Flüchtlingspolitik die Wachtpostenrolle für die EG übernommen. Gegen den zu erwartenden Menschenandrang aus den „unterentwickelten“ osteuropäischen Staaten. Heim also ins heile EG-Reich.

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