FŒHN, Heft 19/20
 
1994

Der Exzeß

Notizen zum Massentourismus

Liebe Leserin, lieber Leser! Laß dich nicht schrecken von der Dicke dieses Heftes! Laß dich von diesem 100-Seiten-Ding nicht so anschauen wie von einer Arbeit, die du hinter dich zu bringen hast!

Während in den letzten Heften die massierten Informationen einander, mitunter fast erschlagen haben, sollen sie hier einmal nicht übereinander herfallen. Hinter jedem Absätzchen ist ein Plätzchen eingerichtet zum Rasten, zum Pause machen, zum Atemschöpfen, zum Zurückdenken, zum Weiterdenken. Jede kleine Notiz in diesem Heft sollte die Chance haben, durch das Zusammentreffen mit deinem Wissen, deinen Erfahrungen und deinen Vorstellungen über meine Überlegungen hinauszugehen. Die folgenden paar hundert Schnipsel sollen nicht mehr sein als Bausatz-Teile für deinen ganz persönlichen FÖHN, den du dir in deinem Kopf zusammenbastelst.

Die vorliegende Reihung meiner Notizen entspricht im großen ganzen der ungeordneten Abfolge ihrer Entstehung. Das 46. Häppchen hat mit dem 47. soviel zu tun wie mit dem 12. und dem 161. Jedes könnte vor oder hinter jedem anderen stehen. So weiß man beim Lesen auch nie, um was es in der nächsten Notiz geht. Das unvermittelte Aufeinander-prallen der sehr unterschiedlichen Brocken mag da und dort Einsichten möglich machen, die mir beim Schreiben nicht bewußt waren.

Ich wünsche mir, daß dieses Heft beinahe so langsam gelesen wird, wie ich es geschrieben habe. Freilich kann beim Lesen von so kleinen, mundgerechten Stückchen auch leicht ein Sog entstehen, wie sagen wir — beim Salzstangerln-Knabbern, der bekanntlich zu immer hastigeren Nachstopfen führt. Auch wenn es lauter mundgerechte Stücke sind: zuviele mundgerechte auf einmal drücken auch auf den Magen.

Wir möchten uns ganz außerordentlich bedanken, für die enorm vielen Zuschriften auf die letzte Ausgabe, die ja auch sonst weitreichende Folgen gehabt hat. Der Geschäftsführer der Tiroler Industriellenvereinigung hat bei Erscheinen der Nr. 18 wie ein Wahnsinniger um sich geschlagen — und sich dabei (siehe dazu die beiden letzten Umschlagseiten) leider erhebliche Verletzungen zugezogen.

„Auswüchse des Tourismus“? Der Tourismus ist ein einziger Auswuchs.

Es ist ein Protest der Massen gegen die lebensfeindlichen Zustände, den sie in immer häufigeren und in immer gewaltigeren Demonstrationen zum Ausdruck bringen: in Form endloser Autokolonnen, in Form von Warteschlangen bei den Skiliften, in der Form von Strangen auf den Großglockner, in der Form von großflächigen Sitz- und Liegestreiks an den Mittelmeerstränden und der von Aufläufen an den Eisbars. Das sind Massenkundgebungen für ein ganz anderes Leben. So unbeholfen und zum Teil sogar unbewußt diese Rebellion sein mag, so real ist sie. Aber wer nimmt sie ernst? Wer faßt sie zusammen? Wer erarbeitet die richtigen Loungen? Wer organisiert? Wer führt diese Mehrheitsbewegung zum Erfolg? Kümmert sich die Politik, die fortschrittliche, um dieses Massen-Potential einer Veränderung? Nein. Wer dann? — Liegestuhlerzeuger, Liftunternehmer und Straßenbaufirmen.

Dieser Massentourismus ist der Überlauf eines völlig außer Kontrolle stehenden Wirtschaftssystems.

„Wissenschafter“ sagen, Kunstschnee ist für die Wiese besser. Besser als nicht zu Zigtausenden auf der Wiese schifahren?

Die Massentouristen, in lila-grün-schwarze Kaufhof-Overalls und in grellbunte Adler-Anoraks verkleidet, treten uns nicht als Schraubenzieher bei Philips und als Wurstverkäuferin bei Aldi entgegen, aber sie sind es.

Das Wort Urlaub (urloup) kommt von erlauben. Im frühesten Gebrauch im österreichischen Heer bedeutete es die Erlaubnis, sich von der Truppe zu entfernen.

Bei der Fachmesse fürs Gastgewerbe (FAFGA) im April 1993 in Innsbruck wird in einem großen Zelt auf dem Freigelände Nord „ein original Tiroler Wirtshaus“ aufgebaut. Täglich werden hier „Tiroler Köstlichkeiten nicht nur angeboten, sondern vor den Augen der Gäste zubereitet“. In diesem „Wirtshaus“ findet am zweiten Messetag eine große Diskussion zum Thema „Stirbt das Tiroler Gasthaus?“ statt. Am Podium sitzen unter anderem der dazupassende Landesrat, der Werbechef des Tiroler Massentourismus, ein ORF-Sumser und zwei Nobelhoteliers. Der Zuhörerraum ist gestoßen voll von herausgeputzten kleinen und großen Wirten und Wirtinnen, regionalen und lokalen Funktionären. Am öftesten wird das Wort Tiroler gesagt, gefolgt von Gastlichkeit und Kultur (exaequo). Während am Haupteingang des Zeltes immer noch Zulauf zur Tiroler Gasthauskultur herrscht, flüchten bei einem kleinen seitlichen Zeltschlitz abwechselnd einzelne Küchentürkinnen ins Freie, um Luft zu schnappen und schnell wieder in der Küche dieses Tiroler Gasthauses zu verschwinden.

Was die Leute alles auf sich nehmen, um wegzukommen: Buchungsstreß, Einkaufsstreß, Kofferpacken, Autoaufpacken, Streß im Auto, Streß auf der Autobahn, sieben Stunden Fahrt, elf Stunden Fahrt, zu dritt und zu viert auf zwei Meter Autobank, Stau, Paßkontrolle, Zollkontrolle, Stau, Menschengestank im Auto, Dieselgestank auf der Autobahn ... Sie setzen ihr Leben aufs Spiel (so und soviele krepieren auf der Flucht!).
Wie un!-er!-träg!-lich! muß es dort sein!

Im Massentourismus-Kaff tun die Arbeit die Frauen. Im Gemeinderat sitzen nur Männer.
Die Frauen ziehen noch dazu Kinder auf: Mädchen, die im Massentourismus-Kaff die Arbeit tun, Buben, die im Massentourismus-Kaff im Gemeinderat sitzen.

Jeder zweite Tiroler empfindet„nach einer Umfrage des Fessel-Instituts“den Gästetrubel als „nervtötend“„. (TT, 6.12.91) Der Direktor der Tirol Werbung für Massentourismus sagt dazu:“Die Zahlen zeugen von der Uninformiertheit der Bevölkerung. (TT, 6.12.91)

Weil die Tiroler Tourismusindustriellen Tourismusindustrielle sind, aber so nicht heißen wollen, haben sie 1991 „nach dem Vorbild der Industriellenvereinigung“ eine Tiroler Tourismusindustriellenvereinigung gegründet, die Tiroler Tourismusvereinigung (TTV) heißt.

Die Gedrückten suchen Freiheit und bekommen bestenfalls Textilfreiheit zugestanden. Sie, die der Stechuhr in den Betrieben für immer entfliehen möchten, bekommen für zwei Wochen die Sperrstunde verlängert. Damit die, die weg vom Fließband wollen, sich ans Liftseil hängen lassen, und die hinaus aus der Firmenkantine wollen, sich im SB-Bergrestaurant abfertigen lassen, muß die Meinungs-Diktatur gehörig hineinfahren.
Sie suchen etwas anderes, als zu 9623. die Großpiste von Sölden herunterzurutschen, etwas ganz anderes!

Wer holt die Leute hier ’raus? Die Reiseindustrie?

Die Hoteliers, landauf, landab, leben nicht „vom Fremdenverkehr“, sondern von der Arbeit im Fremdenverkehr, die ihre Angestellten verrichten.
„Dank an Gott für die gute Saison“ überschrieb das Zentralorgan der Handelskammer seinen Bericht über die 1. Tiroler Tourismuswallfahrt, zu der der Tiroler Diözesanbischof aufgerufen hatte. Gesponsert haben diesen Auftrieb von Wirten und Funktionären Firmen wie Eurogast, Inntalmilch, Speck Handl, Brau AG, Coca Cola. (T. Wirtschaft, 18.10.91)

Goa, Indien: Beschmierung eines Reisebusses mit Kuhmist, Transparente: „Sie sind in Goa nicht willkommen!“, „Wir brauchen Ihre DM nicht!“; Flugblätter und Graffitis auf Mallorca: „Fuera Alemanes!“ (Deutsche raus!); Tirol: - - -

Früher kam das billige (willige) Personal für das Gastgewerbe von der niedergehenden Landwirtschaft. Heute ist dieses Reservoir erschöpft. Jetzt werden Vorkommen im Ausland angezapft.

Sorgen Sie mir dafür, daß alles getan wird, um die Freizeit und Erholung der schaffenden Menschen sicherzustellen. Nur mit einem Volke mit starken Nerven kann man eine gute Politik machen!
(Adolf Hitler beauftragt den Leiter der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, mit dem Aufbau der ‚NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“‘, 1933)

A: Der Hotelier bezahlt das Personal nicht in dem Maße, in dem es erarbeitet. — B: Ja, das ist, weil ihm Hotel und Einrichtung gehören! — A: Nein, Hotel und Einrichtung gehören ihm, weil er dem Personal nicht in dem Maße bezahlt, in dem es erarbeitet!

Unsere Mitarbeiter haben Zimmerstunden und können, wenn gerade kein Geschäft ist, stricken oder Rätsel auflösen. Wo gibt es das in der Industrie?
(Hotelier Karl Reinhart, Zirl, Profil, 18.4.79)

Erlaß des Bundesministeriums für Unterricht vom 15. Juni 1949:

Im Hinblick auf die große volkswirtschaftliche Bedeutung, die dem Fremdenverkehr in Österreich zukommt, ist es notwendig, daß auch die Schulen aller Art den Bestrebungen zur Förderung des Fremdenverkehrs Beachtung schenken und daß die Schüler bei jeder passenden Gelegenheit darüber zweckentsprechend belehrt werden. Gelegenheit zu solchen Belehrungen bieten vor allem der heimatkundliche Unterricht, aber auch der Rechen- und Sprach-, der geographische und der geschichtliche Unterricht. Es wird mit den Schülern vor allem zu erörtern sein, in welcher Weise zur Förderung des Fremdenverkehrs durch die Bevölkerung im allgemeinen und durch die Schüler im besonderen beigetragen werden kann.
Zur Fremdenverkehrserziehung gehört zunächst die Belehrung über
1. das richtige Verhalten im Umgang mit Fremden. Nur allzuoft wird nach dem Benehmen einzelner der ganze Ort oder das ganze Land beurteilt. Die Schüler werden also anzuleiten sein, den Fremden mit Höflichkeit und Achtung zu begegnen; sowohl mürrisch-abweisendes als auch verlegen-schüchternes Verhalten sind nicht geeignet, für die Bevölkerung und das Land Sympathien zu erwerben. Die Schüler sind ferner zu unterrichten im
2. Erteilen richtiger Auskünfte. Die Auskunfterteilung muß im Sinne des Arbeitsunterrichtes mit verteilten Rollen praktisch geübt werden. (...)

Zl. 26.377-IV/15/49

Der Generalsekretär der Gewerkschaft „Hotel- und Beherbergungsbetriebe“ sagt, daß 20.000 Ausländer im österreichischen Massentourismus illegal beschäftigt sind. (TT, 19.7.91)

Die, denen im Büro-Alltag der Hannover-Rückversicherungs-AG oder am Montageband bei Scania alle menschliche Phantasie und Eigeninitiative abgetötet wird, sollten ihren Urlaub kreativ gestalten können?

„Die Schipisten beanspruchen nur etwa 0,65 % der Landesfläche.“ (Tiroler Tourismusvereinigung)
Eine Narbe von den Augenbrauen bis zum Kinn beansprucht sogar nur 0,62 % der Gesichtsfläche!

Als zu Weihnachten-Neujahr 1991/92 in ganz Tirol kein freies Bett mehr aufzutreiben war, als zigtausend Frauen im Massentourismus nicht mehr wußten, wo vorn und wo hinten ist und mit dem Klorollen-Nachfüllen nicht nachkamen, da gab ein feiner Herr Landesrat für Massentourismus a.D. von sich, das solle „uns aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Bettenauslastung, über das Jahr gesehen, aber noch zu wünschen übrig läßt“. (Kurier, 2.1.92)

Auch das ist Kroatien-Hilfe: Tiroler Betriebe wollen verstärkt arbeitslose Fachkräfte aus Istrien während der Wintersaison in Tirol beschäftigen.„Der Hotelier Westreicher:“Der Tourismus ist völkerverbindend. Wir können ihnen helfen, weil wir nach wie vor in der Wintersaison gut ausgebildete Arbeitskräfte brauchen.
(T. Wirtschaft, 5.6.92)

Die Wintersaison war gut. 4,5 Prozent Steigerung — beim Müll.

Liftbügel unter die Schihosenhintern zu schieben, Arme voll Menüs in Säle hineinzutragen, einen Tag lang, einen zweiten Tag lang, alle Tage, eine Saison lang, viele Saisonen lang — das ist doch alles eines Menschen nicht würdig. Das ist ja plemm-plemm!

Was haben sie verbrochen, daß sie wie Papiersäcke-Kleber im Gefängnis gehalten werden?

Wohnungsnot! Bettenberg!

Der SPÖ-Finanzsprecher E. Nowotny sagt, Betriebsprüfungen seien so selten, „daß Steuerzahlungen den Charakter einer freiwilligen Spende bekommen hätten“. (TT, 11.7.90)

Wahlspruch der Massentourismus-Unternehmer: „Wer am meisten Geld hat, wenn er tot ist, hat gewonnen.“
(Danny de Vito im Film „Das Geld andrer Leute“)

Das ganze Jahr hindurch können Journalisten, die über Tourismus schreiben, als Gäste von Fremdenverkehrsverbänden, Reiseunternehmen, Hotelkonzernen, Fluggesellschaften auf der ganzen Welt unterwegs sein, hofiert wie Millionäre aus dem internationalen Jet-Set.
(Spiegel, 28/1968)

Urlaub ist scheinbar das höchste, was eine Arbeiterin und ein Arbeiter in diesem System erreichen können. (Früher gab„s überhaupt nur den Himmel — den“s nicht gibt.) Die Kraft, sich ein ganz anderes Leben als das gelebte vorzustellen, reicht nur noch zum Schwärmen vom nächsten Urlaub.

Die Gewerkschaften haben in mühseligen Kämpfen die Reduzierung der Arbeitszeit erreicht und den Unternehmern den bezahlten Urlaub abgerungen. In diesem Urlaub aber überlassen sie die Arbeitenden erst wieder der Ausbeutung durch das Kapital. - - -

Beim von Medien und Bonzen hofierten Fünf-Sterne-Wirt am Arlberg, A. Werner, soll ein weiblicher Lehrling statt der gesetzlich zugelassenen höchstens 173 Stunden pro Monat 275 Stunden gearbeitet haben und ein anderer Lehrling ganze 300 Stunden.
(Blickpunkt, 13.8.91)

Wintersaison brachte Tirol 37,6 Milliarden S
(Kurier-Titel am 25.4.92)

Tirol?

Der Leiter der Tiroler Massentourismuswerbung zur Anwerbung von Massentouristen mittels Sex, d.h. zum Anwerben von Sextouristen: „Mir sein a pluralistische Gesellschaft, äh und derartige Dinge passieren Gottseidank auch und zeigen sehr deutlich, welche Nuancen und welche Strömungen und welche Primitivismen im Tourismus vorhanden sind, und ich bin sehr froh, daß man das zeigt, weil es auf a Phänomen hinweist, mit dem mir sicher alle zu kämpfen habm. Die touristischen Primitivstbedürfnisse darf man in keinster Weise unterschätzen. Die sind da, und die werden immer wieder befriedigt werden, in der einen oder anderen Form. I hob zwoa Möglichkeiten: I kann an Bangkok-Tourismus machn, der geht blendend, weil die Konsumerwartung da ischt. Also die Nachfrage ist da. Ist nur die Frage, ob i“s bei uns machn will."

Die Bundesrepublik Deutschland ist Österreichs größter Handelspartner und auch größter Tourismusbringer. Es wäre für Österreich ein großer Schaden, wenn sich diese Beziehungen verschlechtern würden.

1933?
Nein, eine Drohung des deutschen Innenministers F. Zimmermann 1986 (ZiB 1, 28.5.86).

Schimüll vom Winter 1993

Am Landesgericht Innsbruck ist ein 42jähriger Unterinntaler Unternehmer im Massentourismus wegen Steuerhinterziehung in der Höhe von 2,7 Millionen Schilling angeklagt. Der Schischul-Leiter und Besitzer eines Schiverleihs faßt nur eine bedingte Geldstrafe aus. (TT, Juli 1990)

Der kapitalistische Urlaub korrumpiert die arbeitenden Menschen. Er bringt sie dazu, ja zu sagen zu Lebensverhältnissen, zu denen sie nur nein sagen können.
Mit dem Urlaub wird der Arbeitende jedes Jahr neu für ein neues Jahr eingekauft. Von ihm selbst, mit dem von ihm selbst erarbeiteten Geld.
Als in Mayrhofen anstelle der „alten Penkenbahn“ „eine moderne Zweiseil-Umlaufbahn“ um 140 Millionen Schilling errichtet wird, die anstatt 600 Personen pro Stunde deren 2000 ins Schigebiet schaufelt, baut sich der Vorstand diesen Satz zusammen: „Um Irrtümer auszuschließen sei vorweggenommen, daß es sich um keine Neuerschließung, sondern um eine längst fällige Verbesserungsmaßnahme handelt.“ (TT, 28.7.90)

1929, als immer mehr Fremdenverkehrsverbände in Österreich jüdische Sommerfrischler für unerwünscht erklären, immer mehr Gemeindeversammlungen Aufenthaltbeschränkungen für Nichtarier beschließen, veröffentlicht die „Union deutschösterreichischer Juden“ ein Verzeichnis jener Orte, die keine jüdischen Besucher wünschen.

Tirol: Fügen. — Hall: „Goldener Engel“. — Hopfgarten. Judenstein ob. Hall: Pension Wälsung. — St. Jakob am Pillersee: Nur Arier werden aufgenommen. — Mieders. Stubaital: Hakenkreuz am Gasthaus „Alte Post“. — Dorf Oberlängenfeld im Ötztal: Der Gasthof „Zum Hirschen“ und dessen Dependence „Antonshaus“, Besitzer Geschwister Gstrein, nehmen jüdische Gäste nicht auf. Die Inhaber des Gasthofes „Zum Hirschen“ sind auch Besitzer von Kurbad und Pension Längenfeld. — Ötztal gilt zum größten Teil als antisemitisch verseucht; nicht judenfeindlich ist das Hotel Cassl in Ötz. — Seefeld: Hotel Fritz Werther. — Volderwildbad bei Hall nimmt laut Prospekt nur arische Gäste auf. — Walchsee bei Kufstein: Gasthof Kramerwirt lehnt die Aufnahme jüdischer Gäste ab. — Zillertal gilt als teilweise antisemitisch verseucht; es dürfte sich empfehlen, jeweils zuvor Erkundigungen einzuziehen.
(zit. nach „Deutschösterr. Tageszeitung“, 21.7.1929)

Auch früher schon wurden die Arbeitstiere zur Erholung auf die Alm geschickt. Nicht aus Liebe zum Arbeitstier, sondern aus Kalkulation.

Gigantische Arbeit leisteten zwei schwere Raupenfahrzeuge (17 bzw. 28 Tonnen) am Gaislachkogel in Sölden, die sich zur Bergstation der höchsten Seilbahn Österreichs emporarbeiteten. Es bedeutet dies eine Premiere, denn nie zuvor konnten Raupenfahrzeuge dieser Größe ohne fremde Hilfe in eine Höhe von 3.054 m gelangen. Durch den Einsatz dieser Geräte wird die Sonnenterasse an der Bergstation wesentlich vergrößert und die fünftlängste Schiabfahrt der Ostalpen erheblich verbreitert werden.
(Blickpunkt, 21.10.77)

Bewerbungsschreiben einer 16jährigen: „Mein Berufsziel währe, Hausmädchen oder Stubenmädchen in einem Hotel oder in einer Pension. Vorkenntnisse habe ich leider keine, aber ich bin sehr gelehrig.“ (Lebenslauf)

Warum — übrigens ein strenggehütetes Geheimnis — eine geplante Pkw-Demonstration von Hoteliers gegen die Steuerschraube kurzfristig abgesagt wurde? Die Teilnehmer an der Veranstaltung wären, wie die Organisatoren in letzter Sekunde hektisch realisierten, in ihren Privatautos vorgefahren: Jaguars, Mercedes, Rovers, Porsches, BMWs und andere Nobelmarken. Um Gottes-Himmels-Willen!
(FM — Fremdenverkehr-Magazin, Februar 1985)

Der Flächengebrauch („100 Pistenkilometer“) pro Arbeitsplatz ist in keiner Branche so hoch wie in der Tourismusindustrie.

1943:

Der Gau Tirol-Vorarlberg darf es sich zur besonderen Ehre anrechnen, gerade auf diesem Gebiet kriegswichtige gesamtdeutsche Gemeinschaftsaufgaben erfüllen zu können. Im allgemeinen wird die Stellung des Gaues im großdeutschen Erholungsverkehr dadurch gekennzeichnet, daß er mit 8,36 Nächtigungen jährlich je Kopf seiner Einwohnerzahl mit bedeutendem Abstand an der Spitze aller Erholungsgebiete des Reiches steht.
(zit. nach „Innsbrucks Wirtschaft im Spiegelbild der Annoncen“)

1993: - - -

Stubenmädchen, Hilfsstubenmädchen, Zimmermädchen, Hilfszimmermädchen, Abräumerin, Reinigungskraft, Wäscherin, Wäschereihilfe, Büglerin, Wäschebeschließerin, Kaffeeköchin, Küchenhilfe, Salatmädchen, Salaterin, Herdmädchen, Geschirreiniger, Silberputzerin, Putzerin für Küche und Abwasch, Abwäscher, Ablöserin, Aushilfskellnerin („Freie Stellen im Gastgewerbe“)

Aus einer Werbekampagne der Vorarlberger Massentourismusindustriellen gegen die eigene Bevölkerung: „In jeder Hinsicht von Vorteil: Wir sind dort daheim, wo Millionen von Menschen aus aller Welt ihre kostbarsten Tage des Jahres verbringen wollen — der Ferienspaß beginnt bei uns direkt vor der Haustüre! Eigentlich beneidenswert, oder ...?“ (Broschüre „Was gond mi d“Gäscht a?", 1989)

Dieser Ferienspaß-Spruch muß doch auch für die Einheimischen in Kenia und auf den Philippinen gelten, oder ...?

Die Erhaltung der Volkskraft erfordert, daß jeder Gefolgsmann zur Erholung von der Arbeit und zur Gewinnung neuer seelischer und körperlicher Kräfte einmal im Jahr eine Zeit ausruhen kann, ohne seine Lebenshaltung einschränken zu müssen. Deshalb hat jeder Gefolgsman ... ein unabdingbares Recht auf einen Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Lohnes.
(Entwurf zum deutschen Arbeitsverhältnisgesetz, §74, 1938)

„Reisen“ ist mit dem englischen „to rise“ verwandt, das heißt: aufstehen, sich erheben, rebellieren. Reisen ist Rebellion gegen die Verhältnisse hier und jetzt.

Die Massentourismuslobby „Tiroler Tourismusvereinigung“ hat sich zum Geschäftsführer einen H.H. Klier bestellt, der sich vordem über die Karriereleiter Journalismus hinaufturnen wollte. Das klang damals so: „Nach dem Bau der Fremdenpensionen wuchsen plötzlich Hotels wie Schwammerln aus dem knappen Tiroler Boden. Riesige Appartementblocks, flotte Tennishallen und sonstige, dem jeweiligen Modetrend verbissen nachhechelnde Einrichtungen machten ehemals beschauliche Dörfer zu einem Disneyland des Fremdenverkehrs. Die im Grunde stille, knorrige Volkskultur der Tiroler wurde auf das Niveau des Massentourismus gedrückt. (...) Das war der ‚Point of no return‘, die Zeit, als die ehemalige Gastfreundlichkeit einer der Massentierhaltung entsprechendsen Beziehung zwischen Tierhaltern und edlen Nerzen zu gleichen begann. Die positive Entwicklung, Wohlstand für die Bergtäler, geriet außer Kontrolle. Der Zauberlehrling ließ den Besen tanzen. (...) Und auch die Berge verwandelten sich in Goldgruben. Bald reihte sich Lift an Lift, heute vornehm ‚Aufstiegshilfe‘ genannt.“ (Profil, 28.3.1988)

Es sagt ein Hotelier (und Bürgermeister einer Massentourismus-Gemeinde): „Für gewisse Arbeiten bekommen wir keine einheimischen Arbeitskräfte, wir sind also auf Gastarbeiter angewiesen.“ (TT, 6.5.88) Richtig muß der Satz natürlich heißen: „Zu solchen Löhnen bekommen wir ...“

Die Massentourismus-Gemeinde, in der dieser Text geschrieben wird, hat 2.700 gemeldete Einwohner, in der Saison 4.000 zusätzliche gemeldete (!) Lohnarbeiter und mehr als 14.000 gemeldete (!) Fremdenbetten. Eine Studie hat als realistische Touristenbetten-Zahl 16.900 (Stand von 1992) errechnet. Das heißt, es leben hier in der Hochsaison weit mehr als 20.000 Menschen.

Die Größe des Fortschritts bemißt sich nach der Masse dessen, was ihm alles geopfert werden mußte.
(Friedrich Nietzsche)

Der Unterschied in der Wartung einer Fabriksmaschine und der einer Fabriksarbeiterin besteht für den Fabriksherrn darin, daß er die Wartung der letzteren getrost ihr selber überlassen kann. Im Gegensatz zur Maschine, an der sie stehen, haben die Arbeiter einen Selbsterhaltungstrieb und machen ihr Service (Essen, Schlaf, Erholung, Urlaub) selbst. Daß der Fabriksarbeiterin die Nahrungsmittel, die sie verzehrt, vielleicht schmecken, die Fabriksmaschine das Schmieröl aber empfindungslos aufnimmt, daß sich die Fabriksarbeiterin auf die Erholung vielleicht freut, die Fabriksmaschine der Überholung aber gleichgültig entgegensieht, ist belanglos.

In diesem Heft ist vom Massentourismus im Winter die Rede (Oktober — April). Der Sommertourismus ist in den Tiroler Massentourismus-Zentren nichts anderes als eine bescheidene Nachnutzung der gigantischen Wintertourismus-Infrastruktur (zu Schleuderpreisen). Den St. Antoner Unternehmen, z.B., bringt die industrielle Beschneiung der Hänge „die gleiche Wertschöpfung wie die gesamte Sommersaison.“ (Blickpunkt, 28.2.90)

Obergurgl im Juni (1993): „Betrieb geschlossen“, „Betrieb geschlossen“, „Betrieb geschlossen“, tote Saison im Hotelnest (398 Einwohner, 3900 Touristenbetten). Die Angestellten sind weg, die Einheimischen auf Urlaub, auf Kur, im Krankenhaus und vielfach beim Arzt. Allein fünfundsiebzig bei der Tiroler Gebietskrankenkasse Versicherte, also nur „Erwerbstätige“, „Arbeitslose“, „Pensionisten“ und mitversichterte „Angehörige“, fassen in diesem Monat beim Obergurgler Sprengelarzt 130 Medikamente aus: vom Kreislaufmittel bis zum Verdauungspräparat, vom Antidepressivum bis zum Schmerzblocker, vom Antibiotikum bis zum Asthmalöser (Adalat, Beloc, Ditropan, Dusodril, Estraderm, Glucagon, Imodium, Imurec, Josalid, Losec, Psychopax, Pulmicort, Renitec, Sinequan, Thrombophob, Triloc, Ulsal, Unifyl, Urosin, Zyloric usw.)

Die Zukunft ist grün:

Durch die enge Zusammenarbeit zwischen Seilbahnunternehmen und Industrie sind die Pistenerhalter in die Lage versetzt, selbst dort saftig grüne Wiesen wachsen zu lassen, wo vor dem Pistenbau Ödland vorherrschte.
(P.R.-Einschaltung der Tiroler Seilbahnunternehmer, TT, 24.12.88)

Der Bürgermeister von Sölden:

Ein Hotelier reicht ein Bauansuchen ein, in dem die Errichtung von Privatwohnungen, 3 Gästeappartements und einer Reihe von Personalwohnungen dargestellt ist. Das Ansuchen kann positiv erledigt werden; die Bauführung wird in der Folge regelmäßig kontrolliert; es gibt erfreulicherweise keine Abweichungen von den genehmigten Plänen. Groß ist dann die Überraschung des Bürgermeisters, als er aus dem Katalog eines namhaften Reiseveranstalters entnimmt, daß die Personalwohnungen als Gästeappartements angeboten werden.
Darauf angesprochen gesteht der Bauwerber ohne Genierer, daß er die Baubehörde bewußt belogen habe, um einen positiven Bescheid zu erlangen (mehr als 3 Gästeappartements wären nämlich nicht genehmigt worden).
(Gemeindezeitung Sölden, Dezember 1990)

Der aggressive „Wiederaufbau“ Deutschlands hat uns Massen von davon Erschöpften ins Land gespült. Ob es wollte oder nicht, Österreich war zum Massentourismus verdammt. (Was in der deutschen Wirtschaft an ausgezehrter Arbeitskraft anfiel, kam hierher, was an Sondermüll anfiel, ging in die DDR.)

Wenn man das neurotische Verhalten der Massentouristen hier verstehen will, muß man versuchen, ihre Wohnsituation in Deutschland zu sehen, ihre Arbeitssituation in Deutschland, ihre politische Situation der empfundenen völligen Machtlosigkeit gegenüber dem Deutsche-Bank-Daimler-Benz-Siemens-Höchst-CDU/CSU-SPD-FDP-Apparat, ihre Ernährungssituation, ihre gesundheitliche Situation u.a.m.
Man muß ihre Ausweglosigkeit sehen, je vom Hemdenverkaufen bei Hettlage oder vom Ventileputzen bei Opel wegzukommen.

Der Ischgler Hotelier von der Thannen (FPÖ)-Spitzenkandidat bei den Handelskammerwahlen) „betont stellvertretend für die Ischgler Hoteliere, daß man nie und nimmer Schwarzarbeit und Unterbezahlung dulde. Man bezahle die ausländischen Arbeitnehmer korrekt mit Löhnen bis zu 16.000 Schilling netto und mehr, und das bei freier Unterkunft und Verpflegung.“ (Rundschau, 3.3.91)

Massentourismus ist umwelt-verträglich? Ja, sicher.
Umgekehrt aber nicht.

Die Schädigung durch 48 Arbeitswochen Überdruck tritt oft erst im Urlaub zutage, Tauchern gleich, die zu rasch aus dem erhöhten atmosphärischen Druck unter Wasser auftauchen: Kollapse, Lähmungen, Embolien usw. (Caissonkrankheit). Die unwillkürliche Schutzmaßnahme dagegen: den Druck auch im Urlaub aufrechterhalten.

Bräuchte eine Arbeiterin nur so lange zu arbeiten, bis sie ihren Brutto-Lohn erarbeitet hat, dann könnte sie jeden Tag um 3/4 1 nach Hause gehen und käme nie in diese heillose Zweistundenfreizeit-Panik. Aber sie muß von 1 bis 5 ja noch für die Aktienbesitzer arbeiten, für die kreditierende Bank, für die Herren Manager usw. Das erst bringt sie in diese eingeklemmte Situation.

Doppelsesselbahn, Dreiersesselbahn, Vierersesselbahn, Bergbahn, Panoramabahn, Gletscherbahn, 6er-Gondelbahn, 6er-Umlaufbahn, Gruppenumlaufbahn, Speicherteich, Schneeanlage, Kunstbeschneiung, Alpenstraße, Hochalpenstraße, Gletscherstraße, Skizirkus, Skikarussell, Skischaukel, Gletscherskischaukel - - -

Die kleine Vermieterin, die sechs oder acht Touristen in ihr Haus bringt, die sie durch persönlichen Einsatz angeworben hat, bringt diese Leute ja vor allem dem Liftbesitzer, dem Restaurantbesitzer, dem Lebensmittelhändler. Für die kleine Vermieterin ist der Tourismus ein mehr oder weniger notwendiges Zubrot. Sie ist nicht in der Lage, am Gast, den sie sozusagen an Land gezogen hat, groß zu verdienen. Unter sehr großem Arbeitsaufwand (Frühstückkochen, Frühstückservieren, Abräumen, Abspülen, Bettenmachen, Zimmerputzen, Kloputzen usw.) kann sie ihm vielleicht 200 Schilling abnehmen, die Liftgesellschaft hingegen knöpft ihm im Handumdrehen 400 Schilling für den 1-Tages-Skipaß ab.

Zu Ostern fliegen ein Schuldirektor und ein Marmeladenfabrikant aus Tirol auf Foto-Safari nach Nepal. Der Träger I., ein altes einfaches Mandl aus jener Gegend, begleitet sie. Am Schulschluß lädt der Schuldirektor Freunde zu einem Nepal-Dia-Vortrag in Innsbruck — und wartet mit einer Überraschung auf: Der Marmeladenfabrikant D. hat als exotische Attraktion des Abends den alten Sherpa einfliegen lassen.

Problem Arbeitskräftemangel:

Wenn die Wirte in der Wildschönau, die nicht stempeln gehen, jene Wirte, Wirtinnen und deren Angehörige beschäftigen würden, die Arbeitslosengeld beziehen, dann wäre das Problem schnell gelöst!
(H. Kölli, Leiter des Arbeitsamtes Kufstein, TT, 4.1.91)

Fluchtwege

Dummheit zum Tag:

Zum Thema Massentourismus meinte Schröcksnadel (ÖSV-Präsident, TTV-Vorstandsmitglied), dies sei eine Frage der Relativität. Niemand rege sich auf, wenn bei einem Fußballmatch 12.000 Zuschauer geballt zusammenkämen, während sich in einem großräumigen Skigebiet ohnehin höchstens 10.000 Skifahrer bewegten.
(TT, 6.7.91)

Fußschmerzen, Rheuma in den Händen, Kopfschmerzen, Raucherbein, Lungenbeschwerden, Herzbeschwerden, Kreuzbeschwerden, Krampfadern, Überbein, Bandscheiben, Gelenksentzündungen, Hautausschläge (am häufigsten genannte Gesundheitsschäden der Arbeiterinnen und Arbeiter im Gastgewerbe)

„Einen“touristischen Notfallsplan„entwickelte die FPÖ, um dem akuten Personalmangel im FV zu begegnen. In Slowenien gebe es eine große Anzahl von gut ausgebildeten Fachkräften, die derzeit arbeitslos seien. Unter der Telefonnummer 03/06673054 könnten österreichische FV-Betriebe in Portorocz anrufen, wo dem Unternehmen Name und Anschrift der Fachkraft genannt werden.“
(TT, 24.7.91)

Gerade auch Reisen, Wandern und Urlaubsgestaltung gehören zum Modernsten und Gewaltigsten, was in der Welt und vor allen Dingen im Deutschland Adolf Hitlers geleistet wurde. Vor wenigen Jahren noch neu und von vielen ungeglaubt, nahm hier eine Idee feste Gestalt an, die einen Meilenstein in der Revolutionierung unseres ganzen Gesellschaftslebens bedeutet. Die ‚Kraft-durch-Freude‘-Züge, die im gesamten deutschen Sprachgebiet Menschen aus den Fabriken und Stuben, aus den Zechen und vom Pflug, von den Büros und aus der Welt der riesigen Mietskasernen hinausbringen in eine schönere Welt, sind schon längst nicht mehr aus dem Bilde unseres wiedererwachten Volkes hinwegzudenken.
(Unter dem Sonnenrad — Ein Buch von Kraft durch Freude, 1938)

Als vordergründiges Ziel für die Zukunft bezeichnet (der Direktor des nächtigungsstärksten Tourismusverbandes Tirols, des Tourismusverbandes Innerötztal) Niederstetter eine gleichmäßigere Auslastung der Saisonen von Anfang Juli bis Anfang Mai. Es gelte Spitzen und Löcher zum Zwecke der Wirtschaftlichkeit auszugleichen. „Wir arbeiten seit zwei Jahren an einem Konzept, welches einerseits dem September und andererseits dem April Chancen einräumt, als gute Monate zu gelten. Ob wir auch in Zukunft mit Wachstum rechnen können, hängt von der Bereitschaft ab, ob wir gewillt sind, noch mehr zu leisten.“
(TT, 14.7.93)

Die Millionen deutschen und österreichischen Jugoslawienurlauber der letzten Jahre könnten in ihren Heimatländern (deren Regierende allergrößte Schuld an der Eskalation in Jugoslawien haben!) eine machtvolle Antikriegsbewegung bilden. Frieden ist schließlich erste Voraussetzung dafür, Urlaub machen zu können. „Könnten“! Aber in der kapitalistischen Wirklichkeit ziehen sie einfach weiter (bzw. werden weitergetrieben von ihren Reisebüros und Fluglinien), z.B. in die Türkei, ein Land, das ihnen vielleicht auch morgen schon der Krieg wegnehmen wird.

Millionenschaden richtete eine Mure in Kössen an. Im Bereich des Staffenbergliftes hatte sich oberhalb des Berggasthofes „Edernalm“ eine große Mure gelöst, die eine zum Gasthof gehörige Almhütte um ganze fünf Meter verschob und vollständig zerstörte. Erst an den Mauern des Gasthofes selbst kamen die Erdmassen zum Stillstand.
(TT, 5.8.91)

Medizinische Untersuchungen haben ergeben, daß die Mehrheit der „Normalverbraucher“ mit einem „Holiday-Syndrom“, das heißt mit Schlafstörungen, Erschöpfungs- und unklaren Angstzuständen, nach Hause kommt, die darauf zurückzuführen sind, daß dem Körper nicht genug Zeit gewährt wurde, sich auf Erholung ein- und umzustellen. Dazu gesellt sich der seelische Kater: Nach dem Urlaub warten 48 lange Arbeitswochen.
(Kurier, 1.6.91)

Ischgl praktiziert ‚Tourismus light‘
(Artikel-Titel, SN, 24.10.90)

Als 1989 Funktionäre des Massentourismus auf der einen Seite über eine Verschuldung der Massentourismusindustrie von mehr als siebzig Milliarden Schilling klagten, jubelte auf der anderen Seite der Raiffeisen-Konzern darüber, daß er „den ersten Platz bei der Finanzierung des heimischen Fremdenverkehrs einnimmt“. „Rund 21,3 Milliarden Schilling beträgt das aushaftende Kreditvolumen, was einem Marktanteil von knapp 30 Prozent bedeutet.“ (a3-gast 3/89)

Wir sind stolz auf unsere Museen, wo wir eine Lebensform zur Schau stellen, die wir unmöglich gemacht haben.
(A.K. Coomarswamy)

Es ist ihnen gelungen, den Leuten die Füße (die zu einer Änderung der Verhältnisse schreiten könnten) massenhaft in Plastikklumpschuhe zu zwängen und mit diesen noch auf Kunststofflatten zu schnallen, ihnen die Hände (die mit den herrschenden Zuständen aufräumen könnten) in dicke Fäustlinge zu stecken, ihre Augen (die die Gründe der Misere sehen könnten) mit schwarzen Brillen zu verdecken. Es ist ihnen gelungen, die hintergangenen Massen massenhaft in Gondeln einzufangen, sie an Liftseile zu legen und in ausgeleierte Schleppliftgeleise zu schubsen.

Das duty-free-shop am Innsbrucker Flughafen macht an Samstagen in der Hochsaison mit an- und abfliegenden Massentouristen mehr als 400.000 Schilling Umsatz bei alkoholischen Getränken.

„300 Mio. S investieren Österreichs Seilbahnunternehmen jährlich in den Umweltschutz.“ (T. Wirtschaft, 13.7.90) Abgesehen davon, daß es nicht 300 Mio. S sind und abgesehen davon, daß bei denen auch Pistenausbau unter Umweltschutz fällt: Wie viel müssen die in die Zerstörung der Umwelt investieren, um Hunderte Millionen in die Reparatur stecken zu können!

Massentourismus ist ein dreckiges Geschäft. Je brutaler es zugeht bei Fiat in Turin und bei Oetker in Bielefeld (Arbeitshetze, Absatzstau, Schichtarbeit usw.), desto schöner blüht der Massentourismus auf Madeira und in Meran, in Antalya und in Adelboden, auf Zypern und im Zillertal. So wird in, sagen wir, Berchtesgaden, Bad Kleinkirchheim, Bormio nocheinmal Kapital geschlagen aus den Verhältnissen in, sagen wir, Birmingham, Bremen, Basel. Und die Industrieknechte und -mägde werden in den massentouristischen Zentren für deren eigenes Geld in den Zustand der Wiederverwendbarkeit durch BASF, BP, Benetton gebracht. Massentourismus ist ein dreckiges Geschäft.

Der „Vater des Massentourismus“, Thomas Cook, war der Vorsitzende einer Abstinenzlervereinigung. Er machte sich die neueste Errungenschaft der Technik, die Eisenbahn, zunutze, um die Menschen aus den Schnapsläden zu bringen. Am 5. Juli 1841 organisierte er eine Fahrt von Leicester nach Loughborough. In den Waggons ohne Sitze drängten sich 570 Menschen. Das Begleitprogramm war darauf ausgerichtet, neue Mitglieder für die Abstinenzlervereinigung zu gewinnen.

Slogan der Österreichischen Fremdenverkehrswerbung (1987): „Fremdenverkehr ist, wenn Monika den Einkehrschwung so gut beherrscht wie ihr Skilehrer.“

Wenn den arbeitenden Menschen gehörte, was sie eigenhändig herstellen, der Lederschuhnäherin der Schuh und dem Autokarosseriespengler die Autokarosserie, wenn die arbeitenden Menschen nur für sich selbst zu arbeiten hätten und nicht vor allem für die Rendite eines jeden investierten Schillings, d.h. für den Profit der Leder & Schuh AG da und den des Autohausbesitzers dort, bräuchten sie viel weniger und viel weniger angestrengt zu arbeiten — und sich folglich im Urlaub weniger brutal von der brutalen Arbeit abzusetzen.

Eröffnung einer neuen Schalterhalle der Sparkasse Imst, Abfolge: Musikkapelle, Schützenkompanie, Segnung der Halle durch den Dekan, zwei Reden von Bankern, Darbietungen des Imster Liederkranzes, Übergabe eines Banken-Schecks in der Höhe von 150.000 Schilling an den Dekan, Menue im Hotel Stern.
(Rundschau, 20.11.90)

In Innsbruck und in der Ostmark müssen nun Hotelbauten errichtet werden, um Arbeitern und Arbeiterinnen, Angestellten und anderen schaffenden Menschen Platz für ihre Erholung zu schaffen. Sie alle werden zu ‚Kraft-durch-Freude‘-Preisen ihren Urlaub verleben können.
(Die ‚NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“‘ der Deutschen Arbeitsfront in der Publikation „Unter dem Sonnenrad“, Herbst 1938)

Hier, weit weg davon, wo sie stets Knecht sind, geben sie jetzt „den Herrn“. Die, die 48 Wochen im Jahr auf Lohn gehalten werden, auf Zuruf funktionieren, in Firmenmäntelchen gepackt, üben sich hier in Kapitalist. Gehetzt vom Zwang, in den drei Wochen soviel wie irgendwie möglich von den Früchten zu fressen, die sie das ganze Jahr über nur für ihren Herrn produzieren.
Die bei jedem „Geh-her-da!“ schnelle Füße bekommen, versuchen sich hier gern selbst in Kommandosprache. Die Großmannsucht, die, sagen wir, deutsche C&A-Hosenverkäufer in Mayrhofen oder Maurach an den Tag legen, ist widerlich — aber mehr noch ist sie verständlich.

Urlaub wird als Belohnung für fleißige Arbeit vergeben, als Zuckerl. Anspruch besteht erst nach der (mindestens sechsmonatigen) Arbeit. Leben ist im Kapitalismus kein Menschenrecht an sich, sondern muß erst durch Arbeit für andere „erkauft“ werden.

‚Scandinavians! We don"t want you here anymore!! You are ruining our village!!! Get out and never come back!!!!‘ Tausende Flugblätter mit diesem Text bedeckten am Samstag die Straßen in St. Anton. Alte-Post-Hotelier Michael Zanner: ‚Die Aktion Pro Qualität wurde von deutschen Stammgästen initiiert. Ich beteiligte mich daran. Die Gäste zahlen nicht länger 1500 Schilling pro Nacht, um dann von grölenden Horden um ihren Schlaf gebracht zu werden.
(Kurier, 4.3.90)

Der staatlich geprüfte Schilehrer S. (55), sagt N., soll in der Schwarzen Abfahrt in H. eine siebzehnjährige Holländerin vergewaltigt haben. - - - Das Schischulbüro habe, sagt er, dem Mädchen Aufenthalt und Heimflug bezahlt. Nein, dem Schilehrer sei nichts passiert.

Faschismus ist Kapitalismus auf Teufel komm raus. Wenn man seinen Blick auf ihn richtet, sieht man oft klar, was bei uns unter vielerlei schein-demokratischer Verhübschung verschwindet: Das „Staatssekretariat für Fremdenverkehr“ war im Dritten Reich dem „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ von J. Goebbels unterstellt.

Urlaub ist das Geschäft mit falschen Hoffnungen. Er täuscht über das Leben als Lohnarbeiterin oder als Lohnarbeiter hinweg. Dabei ist es nicht einmal nötig, daß die Mehrzahl derer, die das Milliardengeschäft mit diesen falschen Hoffnungen machen, wissen, daß sie falsch sind. Auch der Nachrichtensprecher des ORF, der Lügen verbreitet, braucht das nicht zu wissen. Umso überzeugender kann er sie verbreiten.

Ganz Österreich ein Golfplatz?
Wenn Sie es wollen!
(Werbe-Anzeige der „Österreich Werbung“ in der FAZ vom 5.4.93)

Der Gletscher-Millionär:

Die Erschließung der Gletscher wird immer wieder kritisiert. Aber der Tourismus tut den Gletschern gut. Wir haben in Tirol von 400 Gletschern 10 vermarktet, und die sind die einzigen, die stabil geblieben sind, die anderen sind zurückgegangen.
(H. Klier, Präsident der Tiroler Massentourismusvereinigung, TT, 10.4.92)

Gerade den älteren Jahrgängen müssen wir es ermöglichen, einem weitgehendst gepflegten Volkssport huldigen zu können. Der Sport und die körperliche Bewegung ist dem 40- und 50jährigen Menschen notwendiger als der Jugend. Wir müssen das überflüssige Fett beseitigen, damit der Körper wieder die nötige Spannkraft erhält. Wir werden den Massensport pflegen.
(R. Ley, Leiter der Deutschen Arbeitsfront zur Gründung der ‚NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“‘, 27.11.1933)

Stell dir vor, die Massen österreichischer Touristen in der Türkei hätten den Streik (1992/93) der beim „österreichischen“ Konzern Humanic dort in der Türkei auf Hungerlöhne gesetzten Schuhnäherinnen hier in Österreich öffentlich machen können! Stell dir vor, die Unmassen deutscher Touristen in Österreich hätten den Widerstand gegen die von deutschen Energiekonzernen betriebene Ausplünderung der Wasserkraft im Zillertal drinnen in Deutschland draußen öffentlich machen können! Stell dir vor - - -

Als im Winter 1992 allein in Tirol nach und nach 30 Skifahrer auf der Piste ums Leben kamen, wobei die Öffentlichkeit ständig halblaut mitzählte, reagierten die Millionenverdiener am Massentourismus schnell: In der folgenden Wintersaison wurden keine Zahlen mehr veröffentlicht.

Tiroler Tageszeitung, 28.3.90

Sölden, die voll auf den Massentourismus abgefahrene Gemeinde, in der ich diese Sätze schreibe, hat jeden Winter soviele Nächtigungen wie Ischgl und Kitzbühel zusammengenommen. Jeder siebzehnte Tiroler Massentourist im Winter landet in dieser 2.700-Einwohner-Gemeinde.

Wäre in der Arbeit Befreiung, bräuchte es nicht Befreiung von der Arbeit. Aber wer dazu verdammt ist, ein Frauenleben lang Käsescheiben von Käsestangen zu schneiden oder ein Männerleben lang volle Bierkisten in Getränkekeller zu karren und leere Bierkisten auf Lkw-Ladeflächen zu stapeln - - -

Der Fotograf eines neuen Prachtbandes über das Zillertal, L.H., „gab unumwunden zu, daß er beim Fotografieren“Kamerakosmetik„betreiben mußte. Im Klartext: Gar manches Wunschmotiv war wegen baulicher oder anderer“Verschandelungen„nicht oder nur schwer fotografierbar.“
(TT, 20.4.91)

Das Fünfsterne-Hotel Europa in Innsbruck bietet den Gstopften in einem Prospekt Partys im Olympia-Museum (70 DM pro Person), Empfang mit Musikkapelle (700 DM) usw. Die Bonzen werden aufgefordert, ihren jüngsten „Umsatzgipfel“ entsprechend zu feiern. Dazu wird ihnen angeboten: „Hissen Sie Ihre Firmenfahne auf einem Dreitausender mit dem Mount-Everest-Bezwinger Wolfgang Nairz.“
(SZ, 30.1.1988)

Der Urlaub, das ist das Ventil, das man den Leuten läßt, damit sie nicht darangehen, die unerträglichen Arbeitsverhältnisse umzuschmeißen. Der Urlaub hat in diesem System erstens die Arbeitskraft der Massen wiederherzustellen und zweitens die politische Kraft der Massen an Stränden und an Liften zu verpuffen.

Der Fremdenverkehrs-Landesrat:

Der Wissenschaftler hat ebenso eine soziale Verantwortung für eine positive Einstellung zum Tourismus, an dessen Erträgen er indirekt partizipiert.
(F. Kranebitter an der Uni Innsbruck, Nov. 1987)

Gran Canaria oder Obergurgl sind ja nicht die gewachsenen Bedürfnisse der Menschen — sagen wir — in Dortmund, sondern die manipulierten Bedürfnisse, die an die Stelle der wirklichen, an die Stelle der für die bestehende Ordnung gefährlichen zu treten haben.

Um das Volk vor den Schädigungen zu bewahren, wie sie eine Steigerung des Arbeitstempos verursacht, muß dafür gesorgt werden, daß das Volk in seiner Freizeit eine völlige Ausspannung von dem übersteigerten Tempo des Alltags erhält. (...) Durch die Urlaubsreisen wird vor allem auch dem schaffenden Volksgenossen ein tatsächliches Ausspannen, ein Herauskommen aus dem Allgewohnten, Luftveränderung und damit wirkliche, durchgreifende Erholung als Anregung neuer Schaffenskraft gewährleistet, in einer Weise, wie es früher für den einfachen Mann undenkbar und unerreichbar schien. (...) Frische und freudige Volksgenossen müssen geschaffen werden, dann werden auch gute Leistungen erzielt werden. Ein frischer, ausgeruhter Arbeiter, der mit Freude in den Betrieb geht, kann mehr leisten als ein müder und zermürbter Mann, der nur widerwillig den Betrieb betritt. (...)
Nicht nur aus Mitleid und Erbarmen muß daher dem Menschen Freizeit und Erholung gegeben werden, sondern auf Grund einer höheren staatlichen Notwendigkeit und einer höheren staatlichen Moral.
(„Die sozialpolitische Bedeutung der NS.-Gemeinschaft ‚Kraft durch Freude‘“, 1937)

Die Drahtzieher des Massentourismus in Tirol wollen weg von der Massennächtigungsstatistik. Weil sie zuwenig aussage, sagen sie. In Wahrheit, weil sie zu ungeschminkt aussagt über die Massenhaftigkeit des Tourismus hier. Weil diese bloße Statistik allein schon eine unerträgliche Kritik an der Plünderung Tirols durch den Massentourismus darstellt.

Jedes Hotel hat seinen Mülljugo und seinen Küchenjugo und seinen Barjugo. Der Volksname Slawe ist identisch mit dem Wort Sklave (griechisch sklabos). „Die Bedeutung“Sklave„geht auf den Sklavenhandel im mittelalterlichen Orient zurück, dessen Opfer vorwiegend Slawen waren.“ (Duden)

Der 35jährige Hotelierssohn Hannes Schneeweiß aus Seefeld war während der Fahrt von Zirl nach Seefeld am oberen Ende des Zirler Berges aus bisher noch ungeklärter Ursache auf die Gegenfahrbahn geraten und dort mit seinem schweren Mercedes frontal gegen das Auto eines Urlauberpaares aus Berlin geprallt. Der 39jährige Heinz Josef Thiel und seine 33jährige Beifahrerin Franziska Goscinski waren auf der Stelle tot.
(Kurier, 9.2.93)

Unsere Großeltern haben nicht gesportelt. Der Sport ist eine Seuche, die gezielt in die Masse hineingetragen worden ist. Wenn heute Hunderttausende auf Schiern Tiroler Berghänge herunterrutschen, so tun sie das auf innigsten Wunsch der Mächtigen in dieser Gesellschaft. Pierre de Coubertin, der Neubegründer der „Olympischen Spiele“ hat nach dem 1. Weltkrieg kritisiert, daß die Nutznießer der kapitalistischen Ordnung bislang versäumt hätten, bei den arbeitenden Menschen „die Bitterkeit zu zerstreuen, — nein, seien wir ehrlich, und nennen wir die Dinge beim Namen —, man hat versäumt, den konzentrierten Zorn, die aufgespeicherten Haßgefühle zu beschwichtigen“. Und er fordert: „Nun muß das Leben der proletarischen Jugend von der Freude am Sport durchdrungen werden. Es muß dies geschehen, weil sie das billigste Vergnügen, das dem Prinzip der Gleichheit am besten entsprechende, das wirksamste gegen den Alkohol und das produktivste an beherrschten und kontrollierten Energien ist.“

Elektroschnee, März 1993

Wenn es im Jänner, sagen wir, in Kitzbühel keinen Schnee hat, wird kurzfristig Personal gekündigt. Wenn es zur gleichen Zeit, sagen wir, im Zillertal genug Schnee hat und der dortige Massentourismus zusätzliche Abwäscher, Aufbetterinnen, Aufräumerinnen usw. bräuchte, können die Stempelnden nicht dorthin vermittelt werden, weil sie für den Fall des Falles, des Schneefalles nämlich, eine Wiedereinstellungsbestätigung von ihren Kitzbüheler Hoteliers haben. Das heißt, wir, du und ich, übernehmen das finanzielle Risiko des Unternehmers und halten ihm für die Zeit, wo es wieder Schnee und massenhaft Touristen hat, Abwäscher, Aufbetterinnen, Aufräumerinnen usw. bereit, auf daß es in seinen Kassen wieder schebbert.

Die Körper essen den Seelen alles weg.

Auf dem St.-Peters-Friedhof zu Salzburg müssen die Begräbnisse der Einheimischen um 8 Uhr 30 in der Früh stattfinden — weil sich untertags Bäche von Massentouristen über den Friedhof ergießen, d.h. damit sich untertags die Bäche von Massentouristen über den Friedhof ergießen können.

Die Tausend-Mark-Sperre hat über Mayrhofen im Zillertal (Tirol) schweres Unglück gebracht. (...) Infolge der Tausend-Mark-Sperre hat die Zahl der Fremden derart abgenommen, daß sie in den letzten Jahren auf 20 Prozent gesunken ist. (...) Die traurigen Folgen sind Ausgleiche, Konkurse, Arbeitslosigkeit und daher große Verarmung der Bevölkerung, wie man sie früher nicht für möglich gehalten hätte. Der Gefertigte betrachtet es als wichtige Pflicht, für seine verarmte Pfarrgemeinde Gäste zu werben, um dadurch beizutragen zur Linderung der Not. Daher erlaubt er sich, auch an Sie die Bitte zu richten, im kommenden Sommer Mayrhofen als ihren Sommerfrischort zu wählen und auch auf Ihre Freunde in diesem Sinne einzuwirken. Sie helfen damit die Notlage unserer Pfarrgemeinde einigermaßen zu mildern. (...) Der Gefertigte ist bereit, alle nur gewünschten Auskünfte zu erteilen. (...) Sie werden bei uns sicher angenehme Urlaubstage verleben.
In aller Hochachtung ergebenst Josef Krapf — Pfarrer in Mayrhofen, Zillertal Tirol
(1935)

1986 versuchte die österreichische Fremdenverkehrswerbung in einer großen Kampagne („Fremdenverkehr ist, wenn ...“) der vom Massentourismus überrollten einheimischen Bevölkerung die Vorteile solchen Überrolltwerdens vor Augen zu führen. In hartem Gegensatz zu den netten Slogans aus den Werbebüros veröffentlichte ein Unternehmermagazin damals ein paar selbstgebastelte, mehr an der Wirklichkeit orientierte Sprüche. Z.B. diesen: „Fremdenverkehr ist, wenn ein Drittel des Umsatzes schwarz gemacht wird.“ (a 3 gast, März/April 1986)

Wie die DDRler, als sie konnten, die DDR flohen, fliehen die BRDler, wenn sie können, die BRD.

Ein FÖHN-Leser, Pensionist, früher im Gastgewerbe tätig, schreibt:

Jemand, der so schreibt und recherchiert wie Sie, sollte sich auch einmal mit der Schmarotzerbranche Fremdenverkehr befassen. Fette Profithyänen auf dem Rücken billiger Arbeitskraft kriegen noch beliebige Subventionen (...), aber ihrem Personal gönnen sie in vielen Fällen nur die verkommensten, dreckigsten Unterkünfte, die es im Land gibt, und das Essen ist zum Beispiel in einem 4 ½ Sterne-Hotel in Igls so, daß es Brot nur aus einem Plastik-Sack gibt, in den alles Rückbrot aus den Restaurants hineingeworfen wird, und wenn die Chefin sieht daß jemand vom Personal eine Semmel ißt, dann heult sie auf, woher er die hat.
(F.L., 4.1.90)

In der brutalen Wirtschaftsschlacht, die die deutsche Industrie schlägt, ist Tirol das Feldlazarett. Mit über 400.000 Massentouristen-Betten hat Tirol soviel wie ganz Griechenland.

EG-Anschluß:

Gastwirte und Hoteliers reiben sich bereits die Hände. Sie hoffen auf „Billigkräfte“ aus Niedriglohnländern, die künftig in unbegrenzter Zahl eingestellt werden dürfen.
(Presse, 27.6.88)

Die Flucht in den Urlaub hat ein hohes Image, statt — wie es ihr eher zukäme — ein ganz niederes, mit „davonlaufen“, „kneifen“, „Feigling“, „Schwächling“ verbundenes. Das Image dieser Flucht ist gemacht.

Die aus Kanonen kommende etwa 30 Zentimenter dicke, lockere Schneedecke verhindert allzu starkes Auskühlen des Bodens und schützt die feinen Wurzeln gegen thermische und mechanische Zerstörung. Die „künstliche“ übers Land gelegte Decke bringt alle Vorteile einer vom Himmel gesandten und kann noch dazu vernünftig dosiert und im richtigen Augenblick aufgebreitet werden. Die Bauernregel — „wenn“s früher schneit, gibt„s bessere Ernten im nächsten Jahr“- erhält neue Aktualität. Schlafsaaten werden beschützt und wachen daher im nächsten Frühjahr tatsächlich auf. (...) Die Seilbahnen — Bergbauern mit Ideen und Engagement.
(Gemeindeblatt Landeck, 2.9.88, vermutl. bezahlte Werbe-Anzeige)

Über aushaftende Kredite sind (in Österreich) die Banken mit vierzig Milliarden Schilling an Seilbahnen und mit über 100 Milliarden Schilling an Hotels beteiligt. Das heißt, jedes „private“ Hotel gehört zur Hälfte einem Kreditinstitut. Anders gesagt: In jedem zweiten Hotel arbeiten Hausdiener, Kloputzerin, Direktor, Erdäpfelschälerin usw. ausschließlich für die Bank.

Das auf eine weitläufige Alm — in ein Netz von Schlepp-, Sessel- und Gondelliften — gesetzte Tagesrestaurant Giggijoch in Sölden bietet Sitzplätze für ..., raten Sie! Für zweihundertfünfzig Personen? Für vierhundert? Für sechshundert? Angabe der Skiliftgesellschaft, die das Restaurant betreibt: „Mitarbeiteranzahl: 35“, „Sitzplätze: 1200“

In den nur vierzehn Tagen vom 26.12.92 bis zum 8.1.93 flog der sogenannte Gipsbomber (eine Maschine der Tyrolean Air) zwölfmal Massentouristen, die sich auf Skipisten in Tirol schwer verletzt hatten, in ihre Heimat Deutschland, Holland, Belgien, Großbritanien aus. (TT, 9.1.93)

Nicht irgendwann dann, wenn es so weitergeht, in der Zukunft wird es Wahnsinn. Es ist es bereits.

In Tux im Zillertal wurde die 60-Jahr-Feier des Massentourismusverbandes mit einem „Dankgottesdienst“ in der Kirche begonnen. „Da an diesem Tag das Wetter schlecht war, wurden die anschließenden Festreden der Einfachheit halber auch in der Kirche abgehalten.“ (Leserbrief eines Tuxers in der TT vom 6.2.93)

Pakistan soll eine „kräftige Finanzspritze aus dem österreichischen Entwicklungshilfefonds“ erhalten. „Ein Teil davon soll für den Tourismus verwendet werden.“ „Mehrere Gespräche mit heimischen Unternehmen“, u.a. der Seilbahnfirma Doppelmayr, haben bereits stattgefunden. „Doppelmayr hatte schon vor mehreren Jahren Liftanlagen in Pakistan gebaut.“ (TT, 1.2.93)

Für 7500 Kinder endet das Vergnügen auf Tirols Skipisten im Krankenhaus. Insgesamt müssen sich in Tirol 42.000 Skifahrer pro Jahr in ärztliche Behandlung begeben.„(TT, 23.2.93)“Pro Jahr verletzen sich in Österreich 60.000 Touristen beim Skifahren. Rund 18.000 von ihnen müssen ins Krankenhaus, wo sie im Schnitt zehn Tage bleiben.
(TT, 26.2.93)

Neustift: „Wüste Prügelei nach lustiger Rodelpartie“ („Wie ein wildes Tier stürzte sich ein Landsmann auf E., riß ihn zu Boden und prügelte auf den Kopf des Wehrlosen ein, bis er bewußtlos war.“ Kurier, 31.12.92); Mayrhofen: „Vandalen wüteten in Mayrhofen“ („Seit zwei Nächten terrorisiert eine Bande von jungen Urlaubern die Touristenhochburg Mayrhofen.“ Kurier, 31.12.92); Ischgl: „Amokfahrt mit Pistenraupe“ („Der 27jährige Jürgen D. aus Ravensburg hatte nach einer ausgiebigen Zechtour durch mehrere Lokale und eine Diskothek kurz vor Mitternacht ... die Raupe in Betrieb genommen.“ Kurier, 9.1.93); Aurach: „Vandalen aus Großbritannien trieben vorgestern, Donnerstag, in Wiesenegg ihr Unwesen. Vermutlich stark alkoholisiert ...“ (Kurier, 9.1.93); Mayrhofen: „Zillertaler wurde von Touristen krankenhausreif geschlagen“ (Kurier, 11.1.93); Fulpmes: „10 Schweden prügelten Tiroler krankenhausreif“ („Wieder einmal kam es zwischen vermutlich betrunkenen Touristen und Einheimischen in einem Urlaubsort zu einer Schlägerei mit bösen Folgen.“ Kurier, 3.3.93); Sölden: „Rabiate Deutsche verprügelten Holländer“ (Kurier, 9.3.93); Wörgl: „Der 18jährige Jürgen A. geriet mit zwei italienischen Gästen in Streit“ („Der junge Wörgler hatte gegen die brutalen Italiener keine Chance. Als Jürgen A. schon wehrlos am Boden lag, ...“ Kurier, 24.3.93).

Bettenwachstum, Nächtigungssteigerung, Umsatzplus

Im Unternehmermagazin Trend schreibt ein Gastwirt unter dem Titel „Ich war ein Jahr lang Wirt — und gestehe alles“:

Ich hab immer gewußt, daß man im Gastgewerbe mit den schwarzen Einnahmen reich werden kann. (...) Die meisten Kollegen machen es genauso: bis zu 50 Prozent schwarz, beim Personal und beim Geld.
(Trend, 6/85)

„Da die Fremdenverkehrsverbände ihre Einnahmen zur Abwicklung ihrer Arbeit benötigen, muß die touristische Infrastruktur von öffentlicher Hand finanziert werden, wobei eine eventuelle Verschuldung in Kauf zu nehmen ist.“ („Strukturanalyse“ der Handelskammer [WIFI] für das Ötztal) Während die Verschuldung der Massentourismusgemeinde Sölden wächst, suchen die Massentourismus-Industriellen des Ortes auf der ganzen Welt hektisch nach hochzinsigen Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital.

Wenn man Faschismus richtig versteht, nämlich als auf die Spitze getriebenen Kapitalismus, wundert es gar nicht, daß die Arbeitszeitverordnung (AZO) in Deutschland gerade 1938 eingeführt wurde. Die Regierung Hitler hat damit (vorerst freilich nur auf dem Papier) die Fünf-Tage-Woche bei achtstündiger täglicher Arbeitszeit durchgesetzt. Dahinter stand nicht Menschenfreundlichkeit, sondern Arithmetik: Es läßt sich auf Mark und Pfennig ausrechnen, daß aus ausgeruhten Arbeiterinnen und Arbeitern in vierzig Wochenstunden mehr herauszuholen ist als aus völlig ausgepowerten in achtundvierzig.

Die Entrüstung über den von hunderttausend Skikanten abgeschabten Wiesenrücken ist so lächerlich, als beklagte man bei einem am Krebs Krepierenden die Beeinträchtigung seiner Haartracht.

Ein untrügliches Maß für die Unfreiheit der Lohnarbeiterin und des Lohnarbeiters im Kapitalismus ist die Seitenzahl des Neckermann-Kataloges.

Der Massen-Exodus aus dem Ruhrgebiet, das ist eine wirkliche demokratische Abstimmung mit den Füßen über die dort herrschenden Verhältnisse.

Franz Senn (1831-1884), Pfarrer von Vent, Nauders und Neustift, ließ Saumwege im hintersten Ötztal anlegen, war ein erster Organisator des Bergführerwesens in Tirol und Mitbegründer des Deutschen Alpenvereins. Die Manager des heutigen Massentourismus haben ihn zu ihrem Ahnherrn umgegossen. Zwei Legenden wurden in Umlauf gebracht.
Die eine dieser Legenden besagt, Franz Senn habe den Alpinismus in Vent vorangetrieben, um die „materielle Not der Bergbauern zu lindern“, „seinen Landsleuten in ärmlichen bäuerlichen Verhältnissen einen Weg zur Existenzsicherung zu weisen“, um eine „Zuerwerbsmöglichkeit für die verarmten Bergbauern im Innerötztal“ zu schaffen (wörtliche Wiedergabe aus heutigen Propagandaartikeln). Die Wahrheit geht in die andere Richtung: „Indessen, heißt es in einer historischen Beschreibung aus dem Jahre 1847,“sind die Fender und Rofener bei ihrem schönen Viehstande und im Besitze unermeßlicher Alpenweiden in gesegneten Vermögensverhältnissen." (J.J. Staffler) Diese gesegneten Vermögensverhältnisse waren auch der Grund dafür, daß die Venter und Rofner Franz Senn kaum in seinem Eifer unterstützt haben.
Die andere Legende schlachtet Franz Senn als „Fremdenverkehrspionier“ bzw. „bahnbrechenden Fremdenverkehrspionier“ und „Wegbereiter des Tourismus“ aus, der sich freuen würde, könnte er heute sehen, was aus dem von ihm begonnen Werk geworden ist. In Wahrheit sah sich Franz Senn bereits vor mehr als 120 Jahren in Vent selbst als erstes Opfer des Tourismus: „Dann kamen Reisende 1-2, 3-6, 12-20, 30-53, in Summa während des ganzen Sommers 750, darunter das Maximum über eine Nacht — 53. Mein Haus war beständig voll. In der Regel Tag und Nacht keine Ruhe! Ich versichere Dich, im nächsten Sommer will ich nicht mehr in Vent sein.“ Er beklagt, daß er „im Sommer in Vent nichts thun kann, außer:“Gehorsamen Diener„zu machen, Schlafstellen zu vertheilen, den Führern ihre Rollen zu geben usw. Ich bedanke mich für diese Geschäfte! Ich habe sie jetzt 11 Jahre gethan; es kann sie nun ein anderer versuchen. — Bin ich denn in Vent bloß ein Sklave anderer?“ (Franz Senn in einem Brief an seinen Freund J. Stüdl, 23.11.1871).

Neben den Einheimischen haben wir vor allem Mitarbeiter aus Osttirol, Kärnten und der Steiermark. Mitarbeiter im Gletscherbahnbereich stammen aus der Türkei, in der Gastronomie aus neun Nationen, wobei sich besonders die Ungarn, Slowenen und die Türken bewähren. Am weitesten her kommt Jonny aus Nigeria — unser Beitrag zur offenen Gesellschaft.
(H. Klier, Aktionär und Geschäftsführer der Wintersport Tirol AG [Stubaier Gletscherbahn], TT, 23.1.93)

Wenn es heißt, in Tirol leben 15 Prozent direkt vom Massentourismus und indirekt 35 Prozent, so wird verschwiegen, wieviele Erwerbsmöglickeiten der Massentourismus (in Landwirtschaft, Handwerk, Industrie usw.) vernichtet hat.

Massentourismus-Müll

Brandstiftung ist mit Sicherheit die Ursache von drei Autobränden, die in der Nacht zum Donnerstag vor einer Fremdenpension in Dorf Tirol stattfanden. Drei Personenwagen, Eigentum bundesdeutscher Urlaubsgäste, wurden Opfer der Flammen, der Schaden beläuft sich auf 50 Millionen Lire, etwa 600.000 Schilling. (..) In Kaltern wurden die Scheiben von fünf deutschen und einem italienischen Touristenauto eingeschlagen. (..) Die Episoden verraten unsinnigen Fremdenhass.
(TT, 20.7.1984)

Der Arbeiter aus Wolfsburg, der am Freitag nach Schichtende in Schiurlaub fährt und nach vierzehn Tagen erst am Samstag vor der nächsten Montagschicht spätabends aus dem Schiurlaub zurückkommt, der kann nicht auf „schlechte“ Gedanken kommen, mit der Scheißarbeit für die Herren Aktienbesitzer in Wolfsburg abzufahren. Vorstellbar wäre ein Urlaub, der genützt wird, um sich gegen die Lohnarbeit zu wappnen. Zigmillionenfach wird er genützt, um sich für die Lohnarbeit zu wappnen.

Neustift im Stubaital, eine für den Massentourismus umgebaggerte Gemeinde (über 1 Million Nächtigungen/Jahr), wehrt sich gegen den Bau eines Wasserkraftwerkes der österreichischen Bundesbahnen: „Der damit verbundene massive Eingriff in die Natur ist für die Tourismuswirtschaft schwer zu vertreten. Eine ursprünglich erhaltene Naturlandschaft ist ein unverzichtbarer Angebotsfaktor.“
(Presse-Mappe, Frühjahr 1993)

Als die Gewerkschaft eine „kürzere Lebenserwartung von Mitarbeitern im Fremdenverkehr“, gemeint ist: von 60-, 80-, 100-Wochenstunden-Angestellten im Massentourismus, feststellt, wischt dies der zuständige Tiroler Landesrat, ein frömmelnder Fabrikant und Seilbahn-Unternehmer, so vom Kirchenstuhl: „Diese Behauptungen seien“weit außerhalb der Bandbreite sachlicher Meinungsverschiedenheit„.“ (TT, 2.12.87)

„Kraft durch Freude“: „Wintersport muß Spaß machen. Alle Marktforscher sind sich darin einig, daß Fun and Emotion Voraussetzungen für das Schnee-Erlebnis darstellen.“
(A. Braun, Direktor der Tirol Werbung, TT, 24.10.87)

Urlaub könnte ein ganz gefährlicher Ort sein für die bestehenden Verhältnisse. Die vom Fließband, von der Kaufhauskassa, vom Firmencomputer Wegtretenden könnten darauf kommen, sich ein für allemal von der Herrschaft des Geldes zu befreien. Stattdessen ist es so eingerichtet, daß jeder, der sich genug Tausender vom Lohn abgespart hat, sich zwei oder drei Wochen lang selbst ein wenig in Herrschaft ergehen, in Befehligen üben und in Bedientwerden gefallen darf. Der Urlauber kündigt hier also nicht die eigene Lohnarbeit auf, sondern begründet neue, und er schüttelt nicht das Diktat des Geldes ab, sondern festigt es.

Anschaulich gesprochen: Man muß sich die mit Schneemaschinen-Schnee angeschneiten Talhänge als mit Leim angestrichene vorstellen, von denen Millionen Menschen angelockt werden um dort festzusitzen.

Die Bergbahn-AG, der Disko-Wirt, der Obstler-Fabrikant leben sehr gut davon, daß sie ABB, BMW, CA, DAF, EVS usw. die Arbeiterinnen und Arbeiter behüten.

Der Kapitalismus ist eine solch ungeheure Verbrechensmaschine, daß er sogar noch seine Opfer zu Verbrechern verstümmelt. Auf diese Weise muß muß muß sich die Gewalt des kapitalistischen Systems im Urlaub der von ihm Getretenen fortpflanzen bis in die letzte Bergbauernstube und bis in den dicksten afrikanischen Urwald hinein und dort alles zusammenhauen.

In Kitzbühel fliegen die Fäuste, in Kirchberg die Gläser, in Kufstein die Schneestangen usw. Es ist die blöde und verblödende Maloche bei Mannesmann und beim Ottoversand, die brutalisiert.

Wenn wir darum kämpfen, daß der deutsche Arbeiter einen ausreichenden Urlaub erhält, so hat er nicht nur ein Recht auf die von uns geschaffenen Erholungsreisen, sondern auch die Pflicht zur Teilnahme.
(Robert Ley, der Leiter der Deutschen Arbeitsfront und Verantwortliche für die KdF-Veranstaltungen in einem Aufruf am 13.3.1937)

Dreiundachtzig Prozent der Massentouristen, die sich im Winter in Tirol aufhalten, sind nach eigenen Angaben hier, um „Sport zu treiben“. „Sport“ kommt vom englischen „sport“, einer Bildung aus „disport“ (lat. „deportare“), was soviel wie zerstreuen heißt. Der Massensport ist die gelungenste Massenzerstreuung, die sich denken läßt.

Domino: Zu Zigmillionen stürzen sie aus den Industriestädten der Hoechst Chemie und der Henkel Chemie, der Klöckner-Stahl und der Krupp-Stahl, der Ford-AG und der Volkswagen-AG hinaus, sodaß Fluchtwege entstehen in alle Richtungen, planierte, betonierte, asphaltierte, vierspurige, achtspurige, zehnspurige, und diese Wucherung rundum wieder Millionen Menschen in die Flucht schlägt.

Kraft durch Freude: „Skilauf ist der gesündeste und fröhlichste Sport, den Sie sich vorstellen können. Unser Produkt ist die Freude. Kann man etwas Schöneres produzieren?“
(H. Klier, Aktionär und Geschäftsführer der Wintersport Tirol AG [Stubaier Gletscherbahn], TT, 23.1.93)

Im Winter schießt in der Schi-Abfahrt die Schneekanone (eine Latemar Snowgun), im Sommer die Saatkanone (eine Aebi TP 65).

Während des Urlaubs darf der Arbeitnehmer keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit leisten.
(Deutsches Urlaubsgesetz)

Sie haben gerade Urlaub? Sie denken, Sie könnten jetzt tun und lassen, was Sie wollen? Irrtum! Wenn Sie sich nicht richtig erholen, werden Sie bestraft. Der Urlaub ist dazu da, daß Arbeiter und Angestellte neue Kraft für ihren Arbeitsplatz sammeln.
(Bild-Zeitung, 17.7.1970)

Zur hunderttausendfachen Hausfrauenarbeit und zur vieltausendfachen Kinderarbeit und Schwarzarbeit kommt im österreichischen Massentourismus die ausgewiesene Lohnarbeit von 126.000 Inländern und Ausländern im „Beherbergungs- und Gaststättenwesen“. Das hierhergekarrte massenhafte Leid aus den Großraumbüros, aus den Montagehallen, aus den Kunstlichtkaufhäusern schafft hier massenhaft neues Leid, ohne daß es damit auch von dort beseitigt wäre. Die Lebenserwartung (was für ein nobles Wort in diesem Zusammenhang!) der im Massentourismus Arbeitenden zählt zu den niedrigsten aller Branchen, die Invaliditätsrate (auch so ein gewerkschaftlich verhübschter Ausdruck) ist im „Hotel- und Gastgewerbe“ am höchsten. Auf jeden Arbeiter im Massentourismus, der das reguläre Rentenalter erreicht, kommen zwei, die vorzeitig in Invaliditätspension gehen müssen, auf jede Arbeiterin im Massentourismus, die es bis zur Alterspension schafft, kommt eine, die schon vorher die Arbeitsunfähigkeitspension (ab 4.537.- Schilling inkl. Zulagen) nehmen muß.

Ein Finanzwissenschafter:

Da Saalbach-Hinterglemm einem Konzern von über 4.000 Mitarbeitern entspricht, sollte man ein Management aus Fremdenverkehrs- und Gemeindevertretern installieren, das sich an den Methoden der Konzernleitung orientieren sollte.
(C. Schremmer, Sommer-Workshop Saalbach, 1986)

Der Mensch kommt nicht mit dem Bedürfnis zur Welt, ein Tourist zu werden. Dazu machen ihn zum einen die realen Lebens-Verhältnisse und zum anderen die Köder der Reiseindustrie, die jedes Bedürfnis nach Ausrasten, Erholen, Stärken in eine Reise ummünzt, sodaß als Ergebnis der totalen Manipulation das Wort Urlaub (das heißt: Arbeitsfreistellung) nichts anderes mehr als Wegfahren bedeutet.

Die Leute, die die Altstadt hinunter- und die Altstadt herauftreiben: Wie bis oben hin zugeschissen sie sind! Opfer unzählbarer Verbrechen. Sie sind nicht faul, sondern kaputt, kaputtgemacht nämlich, sie sind nicht blöd, sondern blödgemacht. Wie ferngesteuert kräuln sie herum! Sie suchen etwas, aber was suchen sie? Gewiß nicht das Goldene Dachl, das hilft ihnen nicht.

Plan des Wirtschaftsministers Sch.:

Österreich kann zum Erholungsraum für ganz Mitteleuropa werden.
(Kurier, 21.6.90)

Wir Nationalsozialisten fordern den Urlaub aus der vernünftigen Erkenntnis heraus, daß das Volk noch besser arbeiten kann. Es ist dem Arbeitgeber nicht von Nutzen, wenn ein müder und abgespannter Mensch dort schafft. Ist der Mensch aber frisch, dann holt er leicht das ein, was der bezahlte Urlaub ausmacht.
(Rober Ley, „Arbeit, Volk, Staat“, 1935)

Massentourismus ist ein Auswurf des Kapitalismus. Den vom Massentourismus erzeugten Problemen kann nur durch den Sturz des kapitalistischen Systems, aus dem er sich speist und das er speist, begegnet werden.

Grün-Stuß: sanfter Tourismus, sanfte Touristen, sanfte Tourismustagungen, sanfte Tourismusentwicklung, sanfte Schritte, ökologische Korrektur, ökologischer Ausgleich, Ökologisierung des Tourismus, Ökotourismus, landschaftsschonende touristische Erschließung, umweltverträgliche Tourismuspolitik, umweltorientierte Tourismuspolitik, Umwelt, Umwelt, Umwelt usw.
(aus einem Aufsatz des Naturschutzfunktionärs im österreichischen Alpenverein, P. Haßlacher, 1992)

Wundert’s, daß der ewige Geh-her-da einmal im Jahr, und sei es unter Aufzahlung des gesamten Jahres-Ersparten, wie ein Mensch angeschaut und behandelt werden möchte — und sich als Gast ausgibt?

Der Krieg ist der Vater aller Dinge: In den Fernen Osten kamen zuerst die amerikanischen Soldaten, und mit ihnen kam die Prostitution. Wegen der Prostitution kommen seither die Touristen.

Foto: Spiegel 2/93

In die 2.700-Einwohner-Gemeinde Sölden, in der ich dies schreibe, kommt pro Jahr die Masse von 330.000 Touristen, um hier im Schnitt sechsmal zu nächtigen. Der TUI-Winterkatalog 93-94 bezeichnet den Ort dieses Massakers als „quirligst“: „Ski-total und Ski-apres, lebhaft und unterhaltsam zugleich!“

Ohne unten gibts kein oben, ohne oben gibts kein unten — das macht die Physik. Es gibt keine Knechte, wo keine Herren sind, und es gibt keine Herren, wo keine Knechte sind — das macht der Kapitalismus. Wenn nun die, die immerzu unten sind, einmal oben sitzen probieren wollen, die, die immerzu dienen, einmal bedient zu werden probieren wollen, wenn also die Knechte einmal ein paar verwackelte Schnappschüsse lang Herren darstellen wollen, brauchts Legionen neuer Knechte. (So pflanzt sich das Unglück aus den deutschen und österreichischen und holländischen und französischen Städten über den ganzen Erdball fort.)

Die Massen kleben am Skilift wie Fliegen am Insektenstrip.

Wenn man die Massen so in den Sport hineinderdrängt hat, wie sie es heute sind, dann ist für die Stabilität des Systems schon viel getan. Der Traum der Mächtigen ist die Wirklichkeit: Wie sie millionenzählig unablässig auf tausend Schibergen vorn und hinten hinunterbretteln! Hier wird mit Aggressionen abgefahren. Hier wird Arbeitskraft erschwitzt. Hier werden Milliarden an Auslagen für die Volksgesundheit eingespart. (Und es geben die Massen hier noch Abermilliarden für diese Gängelung aus.)
Wir in Tirol, z.B., stellen unsere Berge als Sportgerät zur Verfügung, damit das deutsche Kapital marschieren kann wie es ihm zu marschieren beliebt.

Auf den Skipisten von Sölden wurden im Sommer 1986 124 Tonnen „Biosol“ der Firma Biochemie Kundl (Sandoz) aufgebracht.

Das kleine Königreich Bhutan beschloß schon 1988, nur noch 2400 Touristen pro Jahr in bestimmte Landesteile zu lassen, und das in streng kontrollierten Kleingruppen. Pro Tag muß jeder Tourist dafür 150 Dollar hinlegen. Am Fremdenverkehrssektor werden prinzipiell nur Bhutanesen beschäftigt. Vorbeugend schloß das Königreich im Himalaja alle Fremdenverkehrsbüros im Ausland. Ihm sei das Wohl seines Volkes wichtiger als das Bruttonationalprodukt, erklärte Bhutans König gegenüber verblüfften Weltbankmanagern.
(Profil, 2.7.1990)

In einer vom Bischöflichen Ordinariat in Innsbruck 1973 gedruckten Schrift zur „Verkündigung im Fremdenverkehr“ werden „Segensformeln und Weihegebete“ für Einweihungen von Einkaufszentren, Gaststätten, Sportheimen und Liften vorgeschlagen. Beispiel:

Herr, unser Gott, schenke allen Menschen, die diese Seilbahn benützen, um Freude und Erholung zu suchen und ihren Körper zu ertüchtigen, deinen Geist, und laß sie echte Freude finden. Bewahre sie vor jedem Unfall und Schaden. Lehre sie Rücksicht und Hilfsbereitschaft und schenke ihnen die Erkenntnis, daß du der Herr und die Quelle allen Lebens bist. Segne auch alle, die diese Anlage betreuen und hilf ihnen, ihren Dienst gewissenhaft und mit Freude zu tun. Gottes Huld und Segen komme über uns und über all das, was wir Menschen hier zum Guten geschaffen haben, im Namen des Vaters, ... Amen.

In welchem Dreck müssen diese Menschen zuhause stecken, damit sie sich hier wohler fühlen! Schaut euch die den ganzen Samstag verstopfte Brennerbundesstraße an! Setzten diese Menschen hier alles auf diese 1-Meter-Stoßstangenfreiheit, wenn sie zuhause nicht erbärmlich eingeklemmt wären?

Über Auftrag des Kitzbühler Hoteliers Hagsteiner karrte der Busunternehmer Feller kurz vor Weihnachten 1989 sechzig jugoslawische Arbeitskräfte für die Wintersaison an. Sie wurden gleich in den Speisesaal des „Penzinghofs“ gebracht und dort den prüfenden Augen der eiligst zusammengetrommelten Hoteliers aus Kitzbühel wie Viecher vorgeführt: „Noch bedenklicher war dann das folgende Gesellschaftsspiel um die“Ware Gastarbeiter„. Um die große Personalnachfrage auf diesem improvisierten Arbeitsmarkt unter Kontrolle zu halten, ließen sich die Hoteliers zu einer Tombola um Koch und Kellner hinreißen.“ (Es wurden Zahlenlose aus einem Hut gezogen.) „Wer die Nummer 1 hatte, durfte dann als erster seine Mitarbeiterwünsche deponieren und sich reichlich bedienen.“ Natürlich hatte die Arbeiterinnen und Arbeiter aus Istrien zu dieser Zeit auch keine Arbeitsbewilligungen. Übrigens: Geleitet wurde die Tombola vom Sohn des Kitzbühler Fremdenverkehrsobmannes.
(Fremdenverkehrs-Magazin FM 3/90)

Foto: O. Schmuckler

Der Urlaub von 48 Wochen Lohnarbeiterei gerät zum großen Bluff: Man verkleidet sich wie kein Lohnarbeiter, man läuft herum wie Millionäre herumlaufen, liegt in gemachte Betten, hockt zu gedeckten Tischen, scheißt in parfümierte Klos, und keiner lacht einen aus — am Ort dieser Trickserei nicht und am Arbeitsplatz nicht. Solcher Urlaub ist in dieser Gesellschaft eine nicht nur gebilligte, sondern hochangesehene Form des Selbstbetrugs. Das mühsamst zusammengesparte Eintrittsgeld in dieses Theater, das sich Massen von Arbeitern und Angestellten hier vorspielen, zahlen sie ja in andrer Leute Taschen.

Als der Kapitalismus in Deutschland mit aller Gewalt betrieben wurde, das ist, als auch Österreich besetzt wurde, da war der Gau Tirol-Vorarlberg als das Krafthaus der deutschen Wirtschaft ausersehen. Dieses Gebiet sollte rund 6,5 Milliarden Kilowattstunden Energie für die reichsdeutsche Industrie zur Verfügung stellen. (Allein im hinteren Ötztal waren fürs erste vier Stauseen geplant.) In der kapitalistischen Wirklichkeit von heute funktioniert die Energiezufuhr an die deutsche Wirtschaft (abgesehen von der aus den Kraftwerken Achensee, Kaunertal, Sellrain-Silz, Zemm-Ziller) so: Millionen ausgepowerter Arbeiterinnen und Arbeiter aus der deutschen Industrie werden hergeschickt zum „Energie tanken in Tirol“ (Slogan der Tirol Werbung). Allein im hinteren Ötztal ...

Der Kapitalismus verhunzt den Menschen. Als Freude bleibt ihm die Urlaubsfreude, als Spaß der Freizeitspaß, als Glück das Ferienglück, als Ruhe die Feiertagsruhe, als gute Stimmung die gute Ferienstimmung, als Traum der Urlaubstraum und als Ziel das Flugziel.

So wie die meisten meinen, die Schule wäre für unser Leben da und nicht vielmehr, um erstens das Stillsitzen zu lernen und zweitens das Lesen der Lügenzeitungen, so glauben sie auch, sie sportelten aus Liebe zu sich selber.
Wenn wir radeln, sind wir zum Radeln geschickt worden, wenn wir Schi fahren, sind wir aus der Zentrale der Macht heraus zum Schifahren abkommandiert worden. Angedreht wird uns die sportliche Betätigung übers Image, aber angedreht wird ja dem Fisch die Angel auch übern Wurm. Die zu Hunderttausenden über Tiroler Pisten Kräulenden tun das (außer für die Wintersportindustrie und die Massentourismusindustrie) für ihren Arbeitgeber zu Hause, für ihre Krankenkassa, für das mit Steuern finanzierte Gesundheitswesen, für das staatliche Sozialbudget usw. Aus diesen Gründen haben früher fortschrittliche Gewerkschaften den Betriebssport abgelehnt. Heute ist er, wenn man sich die gesamte Wirtschaft eines Landes als Betrieb vorstellt, in allen kapitalistischen Ländern fast voll durchgesetzt. Als Organisator und Finanzier des ganzen haben die Unternehmer (wie in vielen anderen Bereichen) den Staat eingesetzt, der dieser Aufgabe — vom angeordneten Schulsport bis zum geförderten Seniorenturnen — bravourös nachkommt. Was in Deutschland die milliardenteure staatliche „Trimm-dich-durch Sport“-Kampagne, ist die staatliche „fit-mach-mit“-Aktion in Österreich, das sogar seinen Nationalfeiertag zum Fitmarschtag heruntergenudelt hat.

Marihuana rauchen, Kokain schnupfen, LSD schlucken, sich Heroin spritzen: dieses Sich von der Realität wegkatapultieren, dieses Sich in bunte Illusionen flüchten, nennt man bezeichnenderweise „auf einen trip (= eine“Reise„) gehen“. Für das Sichwegdrehen vom Alltag, für das Davonlaufen vor den Zuständen mithilfe von Drogen hat die Gesellschaft kein treffenderes Wort gefunden als sie es für das Sichwegdrehen vom Alltag, für das Davonlaufen vor den Zuständen mittels Urlaubs-Trip schon gehabt hat.

Welche Arbeitspeitsche — so ein TUI-Katalog! Die schnalzt in den Schädeln der Straßenbahnschaffner in Hamburg („Bucht“!, „Sandstrand“!, „Fischerdorf“!) und wiederhallt in denen der Bankangestellten in Bremen („Pulverschnee“!, „Sonnenterrasse“!, „Disco“!). „Gemma! Gemma!“ treibt jede Seite des Katalogs an. Diese Keule in den Köpfen („Pizza!,“Pisten„!,“Pesetos"!) erübrigt den Aufseher im Betrieb.

Lehrling T.:

Das Aufstehen stinkt mir immer. Habe am Morgen von Anfang an ein Gehetz. Wir haben so viel Arbeit, und ich denke, man muß Zeit sparen, wo man nur kann. Ich muß in die Arbeit hineinliegen, damit ich vorwärtskomme. Ich will die Arbeit einfach durchhaben, dann ist sie gemacht. Das hier ist eine vielseitige Arbeit. Wir haben immer wieder etwas anderes: Zahlungsbefehle, Rechtsvorschläge, Pfändungsabschriften, Verlustscheine. Das alles muß man bearbeiten und kontrollieren. Dann haben wir viel Registerarbeit: Eigentumsvorbehaltsregister, Viehverschreibungsregister, Betreibungsregister. Immer bin ich im Streß. Ich möchte meine Arbeit gut machen. Das wird einfach von einem erwartet. Wenn man Konflikte mit den Vorgesetzten vermeiden will, macht man die Arbeit gleich beim erstenmal recht: dann hat man seine Ruhe. Man schwimmt immer mit. Das ist einfach so. Wie will man es ändern? Etwas muß man einfach machen, damit man existieren kann, sonst ist man ein Nichts.
Große Träume habe ich keine. Mein Kollege und ich wollen schon seit der Schulzeit in den Amazonas gehen. Ich hoffe, daß ich das einmal werde machen können, zwei, drei Monate lang. Sonst sind meine Ziele einfach berufliche Ziele. Ich sehe keine andern. Man hat auch fast keine Zeit zum Nachdenken. Man muß einfach seine Arbeit machen.
(Tages-Anzeiger-Magazin 49/81)

In Sölden, dem Ort, an dem ich dieses schreibe, wurden im Jänner 1993 336.478 Touristen-Nächtigungen verzeichnet. Im Februar waren es 332.845 und im März 331.495. Das heißt, daß im Schnitt an jedem Jännertag und an jedem Febertag und an jedem Märztag 1993 zwischen 10.800 und 11.800 (gemeldete!) Touristen da waren, mehr als 55.000 verschiedene Massentouristen im Jänner und mehr als 55.000 verschiedene Massentouristen im Feber und mehr als 55.000 verschiedene Massentouristen im März.

Norbert Gstrein, Tiroler Nobelhure auf dem Frankfurter Literaturstrich, ist auch in seiner Kritik am Massentourismus schamloser Opportunist. Opportunist nicht in Bezug auf die Menschen hier, über die er schreibt, sondern auf die dort, für die er schreibt.
(„... in der guten alten Zeit, bevor das stolze Tiroler Volk zu einer Horde von Speichelleckern und Arschkriechern verkam, das heilige Land zu einem Zinsbordell...“)

Schaut euch den vollgerammelten Campingplatz im Dreitagesregen an!
Die Menschen wollen weg weg weg vom Fließband in Halle F und aus dem Frisiersalon Elfi im Einkaufszentrum West. Sie haben kein elementares Bedürfnis nach einer „Ski-Arena“ in A. oder einem „endlosen Sand-Strand“ in B., nur wenn ihnen unter diesen Umständen die Rutsche dorthin gelegt wird, schliddern sie dorthin.

Ein Massentourismusberater:

Für die Wiederherstellung einer erfolgsträchtigeren Umwelt ist ein Reperaturfonds zu empfehlen.
(J. Edinger, Sommer-Workshop Saalbach, 1986)

Die Tirol Werbung dienert sich der betriebenen politischen Rechtsentwicklung in Deutschland schamlos an. Ihre teuersten Werbekataloge („Starkes Land 1“, „Tiroler Bauern“, „Starkes Land 2“) greifen offen auf Mittel faschistischer Propagaganda-Kunst zurück. Ich spreche nicht von den wuchtigen Formaten und nicht vom eingesetzten Schwarweiß-Druck und Braunweiß-Druck. Und ich spreche hier auch nicht von der aus dem Keller geholten deutschen Fraktur-Schrift für den neuen „Tirol“-Schriftzug.
Es ist vor allem die Fotografie, die sich in Motivauswahl und Insbildsetzung eng an Nazi-Vorbilder anlehnt, und es ist vielleicht noch mehr die Gestaltung des Heftganzen in Ausschnittwahl und Anordnung, die nach bestimmenden Grundsätzen faschistischer Ästhetik erfolgt. Je verwüsteter das Land, je kaputter die Menschen, je aussichtsloser die Zukunft, desto zwingender erscheint für Politik und Propaganda der Rückgriff aufs Vorgestern. Fast noch deutlicher als in einem nachgestellten Szenenbild aus dem Nazifilm Geier-Wally in braun und in der monströs aufgeblasenen fotografischen Wiedergabe einer Wandmalerei aus der Hitlerzeit (die einen Skifahrer zeigt), offenbart sich das der Werbekonzeption zugrundeliegende Menschenbild in den „Originalaufnahmen“ für den Katalog „Starkes Land 2“. Der Blick auf Welt und Mensch ist verdunkelnd statt erhellend, zudeckend statt aufklärend, mystifizierend statt realistisch, monumentalisierend statt annehmend. Nicht von ungefähr ist von elf abgebildeten Menschenkörpern achten der Kopf oder der halbe oder der ganze Oberkörper abgeschnitten.
Wahrscheinlich ist es die in diesen Bildern ausgedrückte Menschenverachtung, die unbewußt sehr viele Menschen in Tirol vor diesem Millionenprospekt der Tirol Werbung zurückschrecken läßt.

In dieser Gesellschaft, in der alles — von der Taufe (500.-) bis zum Begräbnis (1.000.-) — in Geldwert umgerechnet wird (alles!), ist jede Not der einen Seite (jede!) ein Geschäft der anderen. Was den Baufirmen und den Immobilienhändlern und den Hausbesitzern die Wohnungsnot und der Filmindustrie und der Werbewirtschaft und den Zuhältern die sexuelle Not ist, das ist den Alkoholproduzenten und der Valium-Branche und den Ayatollas aller Religionen und Sekten die psychische Not der Menschen. Absolut jeder gegen absolut jeden, das ist die extremste Form menschlichen Zusammenlebens, die sich denken läßt. Und so sind auch die von Arbeit Erschöpften, Ausgebrannten, Abgehetzten, Zermürbten, die ständig Getretenen, Schikanierten, Gedemütigten, Übervorteilten überall dort, wohin sie flüchten, nichts als fette Beute. Das ist dann Fremdenverkehr.

Die massentouristischen Dörfer in Österreich leben zu einem guten Teil von der kriminellen deutschen Industrie: z.B. von der deutschen Chemieindustrie, die Gift produziert, z.B. von der deutschen Gen-Industrie, die pflanzliche, tierische und menschliche Zellen umbaut, z.B. von der deutschen Atomindustrie, die AKW-Bausätze in alle Welt liefert. Hunderttausende Arbeiterinnen und Arbeiter aus Deutschland, die schuldlos an diesen Kapitalverbrechen beteiligt sind, kommen hierher und werden hier wieder fitgemacht für ihre kriminelle Arbeit dort. Zum Beispiel für die berüchtigte deutsche Waffenindustrie. Sie bauen bei AEG Chips für Feuerleitradar und Artillerieraketen bei Krauss-Maffei, bei Dornier Kampfbomber und bei Thyssen Jagdpanzer, bauen bei Krupp U-Boote, bei Rheinmetall Kanonen, bei Siemens Waffenelektronik, bei MBB Panzerabwehrraketen, bei MTU Triebwerke für Bomber und Panzer, bei HDW Kriegsschiffe, bei Heckler & Koch Schnellfeuergewehre, bei Diehl Granaten und in hundert anderen Betrieben noch an tausend anderen Mordwaffen. Durch die Wiederherstellung der geschundenen Industriearbeiter im massentouristischen Verfahren profitiert Österreich von diesen Blutgeschäften. Und die verbrecherische deutsche Wirtschaft profitiert von der Wiederherstellung ihrer Arbeitskräfte in Österreich. Und immer so weiter.

Die größten Rummelplätze heißen jetzt Silvretta-Arena (Ischgl) und Ötztal Arena (Sölden), als hätten ihnen die erbittertsten Gegner des Massentourismus Spottnamen verpaßt. Die Arena war doch im Altertum der Kampfplatz der Unfreien (Kriegsgefangenen, Sklaven, Verbrecher), wo sie sich in grausamen Schauspielen zum Gaudium der Massen und vor allem deren Beherrscher duellierten.

Sprachmode: „Kraft durch Freude“ sagt heute niemand mehr. Momentan nennt man es „Fit & Fun“.

Die großen Industriebetriebe (AEG und BMW und VW und Mercedes und viele andere) im Umkreis nationalsozialistischer Konzentrationslager (Buchenwald, Dachau usw.) konnten bei Bedarf bei der SS Kontingente an KZ-Häftlingen als Arbeitskräfte für Dreck- und Schwerstarbeit anfordern. Wenn heute große Tourismusbetriebe beim Sozialministerium Kontingente von Gastarbeitern als Saisonarbeitskräfte für Dreck- und Schwerstarbeit anfordern, so kann man doch das eine mit dem anderen nicht vergleichen. Auch wenn es im Aufmacher der Fachzeitung „tourist austria“ vom 14.3.86 heißt: „Jetzt würgt die Gewerkschaft auch die Gastarbeiterimporte ab“, dann ist das noch nicht dasselbe. Daß die Ingenieure der großen deutschen Industriebetriebe selbst in die KZ kamen, wenn sie spezielle Facharbeiter brauchten, ist die eine Sache, daß die Direktoren der großen Tiroler Hotels heute selbst in die Steiermark und nach Istrien fahren, wenn sie spezielle Facharbeiter brauchen, die andere.

Die Gewerkschaft ist zur verläßlichsten Mitarbeiterin der Unternehmer aufgestiegen. Etwa nur damit, die von Lohnarbeit freie Zeit der Massen nicht dazu nutzen, diese zum Kampf gegen die menschenwidrige Einrichtung Lohnarbeit zu befähigen, gibt sie sich nicht zufrieden. Statt einer Zukunft ohne Arbeitshetze und Lohnknechtschaft in Österreich bietet der ÖGB seinen Mitgliedern „ausgezeichnete, moderne Hotels zu günstigen Preisen, exclusiv für GÖD-Mitglieder (= Gewerkschaft öffentlicher Dienst) und ihre Angehörigen reserviert“ in der Türkei und „First Class Hotels, Lodges und Camps mit Bad/Du/WC, Vollpension“ in Kenia. (Angebote Sommer 1993) Auf Kosten türkischer und keniatischer Lohnknechte bewahren die Gewerkschaftsführer die österreichischen Arbeiterinnen und Arbeiter (für deren erspartes Urlaubsgeld) davor, sich in der Zeit, die sich dafür eignen würde, mit ihrer Situation und den Zuständen in Österreich auseinanderzusetzen.

Die technische Schnee-Erzeugung stellt eine nutzungsorientierte Unterstützung der Natur dar.
(Prospekt des „Fachverbandes der Seilbahnen“, BWK, 1990)

Der Fremdenverkehr kann auch der Kirche finanziellen Nutzen bringen, was in der heutigen Zeit der Not gewiß nicht zu verachten ist. Beim Gottesdienst sind die Fremden gerne bereit, auch ihr Scherflein, und zwar ein etwas größeres, in den Klingelbeutel zu geben. Unsere Stellung zum Fremdenverkehr darf also in keinem Falle ablehnend, sondern muß zumindest wohlwollend sein.
(Tyrolia-Broschüre „Fremdenverkehr und Seelsorge“, 1933)

Der Kärntner Campingplatzbesitzer A. Arneitz über die Selbstversorgung seiner großteils deutschen Gäste: „90 Prozent der Lebensmittel werden zu Hause eingekauft.“ (SN, 16.8.89)

Wo immer Skifahrer in Rudeln beisammenhocken — Obstbrand, Glühwein oder Gerstensaft sind nicht fern. Vor allem in Skizentren wie Sölden, Saalbach oder St. Anton laden Schneebars und Berghütten zur feuchtfröhlichen Einkehr. Zum Ansturm beim Apres-Ski arbeiten die Wirte gleich auf Vorrat. Etwa in der Skibar des Hotels „Valentin“, gegenüber einer Liftstation der Söldener Gaislachkogl-Bahn. Um 15.30 Uhr hat der Wirt quadratmeterweise Tabletts mit Stamperln präpariert — gefüllt mit Feigen- oder Melonenstückchen. Der Trick ist ebenso simpel wie durchschlagend: Dank der milden Südfrüchte wird dem Konsumenten die Schärfe von Wodka oder Obstler gar nicht bewußt. Der Saalbacher Bergretter Werner Binder konstatiert, daß „Ski und Schnaps eine so enge Beziehung erreicht haben wie der Skistiefel zur Bindung“.
(Stern, 15.3.1993)

Kommt der Massentourismus von den Massentouristen oder ist es umgekehrt?

Nur Leute, die außer sich (gebracht) sind, kann man so zum besten halten: in Eiseskälte schicken, an Liftseile hängen, mit Industriepommfrit abspeisen, in Tanzkellern stapeln usw.

Bauernwiesenpiste im Mai

Als im Ötztal durch Hochwasser, Überschwemmungen und Vermurungen im August 1987 13 Menschen ums Leben gekommen waren, hat der Fachverband der Seilbahnen in der Bundeswirtschaftskammer eine „Analyse der Ursachen“ bei drei Fachleuten (Patzelt/Innsbruck, Strobl/Salzburg, Zisler/Pinzgau) bestellt. Die umgehend abgelieferte „Analyse“ entlastet Seilbahnbauer und Pistenbaggerer nicht nur, sondern lobt sie auch noch für ihre „intensiven Pflegemaßnamen“ in der Natur. Es heißt dort: „Schwarzmalerei im Zusammenhang mit den jüngsten Schadensfällen hilft niemandem. Positive Beispiele zeigen, daß der Mensch der Naturgewalt nicht zwangsläufig hilflos gegenübersteht. (...) Auch was den behutsamen Umgang mit der Natur betrifft, gibt es nachahmenswerte Beispiele. In Zusammenarbeit mit den Einheimischen wurde in Obergurgl im Rahmen eines UNESCO-Forschungsprojektes ein Konzept für die künftige Fremdenverkehrs-Entwicklung erarbeitet. (...) Ein Bettenausbaustopp wurde vereinbart.“
Das war 1987. Damals hatte Obergurgl 3000 Betten (360.000 Nächtigungen). Heute hat es — dank Bettenstopp — 3900 Betten (570.000 Nächtigungen).

„Ihr lebt ja von uns!“, sagte der deutsche EG-Parlamentarier (SPD) zu mir, als wir gleich nach seiner Ankunft über den von der EG verursachten Transit-Schwerverkehr durch Tirol und die Politik, die ihn möglich macht, in Streit geraten waren. Dann fuhr er zur Fremdenpension und packte sein Zeug aus. Zuletzt schnappte er sich den aus Deutschland mitgebrachten Sack Kartoffeln aus dem Gepäcksraum und trug ihn in das von ihm gemietete Urlaubsappartement.

Aus einem Schuldiktat 1932:

Hunderte von Fremden kommen alljährlich zu uns. Wie froh sind sie, wenn sie wieder einmal den Großstadtlärm, die staubigen Straßen, die rauchenden Fabriksschlote losbekommen. Wie fühlen sie sich wohl in unserem stillen Bergdörflein. Die vielen Ausflugsmöglichkeiten, die gute Luft, die wohltuende Höhensonne, die sprudelnden Quellen sind in hohem Maße geeignet, den Fremden erquickende und angenehme Erholung zu bieten. Die 3, 4 Wochen Erholung müssen ihnen für 11 lange Monate Erfrischung, Aufmunterung und Anregung sein.
Wir wollen ihnen die paar Wochen der Erholung gerne gönnen und trachten, ihnen den Aufenthalt angenehm zu machen. Wenn sie uns begegnen, grüßen wir sie, wenn sie uns fragen, wollen wir ihnen gerne Auskunft geben, diesen oder jenen Berg zeigen.

Der Urlaub, wie er millionenfach hier verkonsumiert wird, mag vielleicht die Sehnsucht nach einem anderen Leben als Antrieb haben, inhaltlich aber hat er gar nichts von dem, was wir uns als zu erkämpfendes Leben jenseits der kapitalistischen Knute vorstellen. Der Urlaub passiert auf der selben Stufe des Bewußtseins, auf der auch tagaus tagein die entfremdende Arbeit passiert, und er kann nur dort passieren. Der Urlaub, wie er millionenfach verkonsumiert werden muß, ist die auf den Kopf gestellte Arbeitswelt. Die Fratze des Kapitalismus bleibt sich natürlich gleich, ob sie umgedreht wird oder nicht.

Sölden, die Gemeinde, in der ich dies schreibe, hat in etwa gleichviele Touristen-Nächtigungen pro Jahr wie das ganze Burgenland.
Hat zehn bis fünfzehn tausend Kilo Touristen-Scheiße an jedem Tag in der Hochsaison, hunderte Hektoliter Touristen-Urin, zwanzig Tonnen Touristen-Müll und mehr als zwanzig Millionen Schilling Touristen-Umsatz pro Tag.

Die gigantische Tourismus-Werbe-Industrie ist in allem, was sie tut, klar gegen die Urlaubsreisenden gerichtet. Wer wollte das bestreiten? Daneben durchwuchert eine sogenannte „Tourismusforschung“, in die von Staat, Banken und Massentourismus-Unternehmen Unsummen investiert werden, immer mehr Universitätsinstitute. Auch sie wird gegen die Urlaubsreisenden zum Einsatz gebracht. Der noch besseren und massenhafteren Verwertbarkeit wegen werden sie in Umfragen ausgehorcht und in Tiefeninterviews regelrecht ausgeweidet. So tief hat Goebbels (aufgrund noch mangelnden Instrumentariums) nicht in die Menschen hineingesehen. Analysen der Reisemotivationen, Studien zum Urlaubsverhalten, Werbemitteltests, Konsumkraftberechnungen — alle diese „Forschung“ genannten Ausspionierungen der Menschen haben nur den Zweck, sie noch gezielter lenken und auspressen zu können und ihren wirklichen Interessen zuvorzukommen. Die erarbeiteten Statistiken sind Schlachtpläne, nichts anderes.

Warum Abfahrten begrünt werden sollen? „Ein wirksames Sommer-Präparierungsprogramm (Grasansaat und Mulchen) kann den Verschleiß an teuren Präpariergeräten spürbar verringern.“ (aus einer Seilbahn-Studie, Ötztal 1993)

Drei Tage im Schnee (Sölden): Am Donnerstag gegen 12 Uhr wurde Herr O. ca. 100 m oberhalb der Einstiegsstelle zum Wasserkarlift von dem nachkommenden W. niedergefahren. Beide Schifahrer kamen zu Sturz, wobei O. eine Fraktur im linken Schulterbereich erlitt. Am Freitag mittags stießen R.W. und K.St. im Schigebiet Giggijoch zusammen, wobei W. unbestimmten Grades verletzt wurde und ins Krankenhaus nach Zams gebracht werden mußte. Etwas später rutschte der Italiener R. im Bereich Gaislachkogel mit seinen Schiern auf einer Eisplatte aus und stürzte ca. 50 m über felsiges Gelände ab, wobei er eine Halswirbelverletzung erlitt. Er wurde vom Hubschrauber in die Klinik nach Innsbruck gebracht. Am Sonntag gegen Mittag wollte der Holländer V. mit dem Wasserkarlift fahren. Nach Passieren des elektronischen Schrankens rutschte er aus und fiel gegen eine Eisenstange. Er erlitt eine Rißquetschwunde am Hinterkopf. Kurz darauf geriet der Franzose L. im Schigebiet Gaislachkogel über den Pistenrand hinaus und zog sich dabei eine Kopfverletzung unbestimmten Grades zu. Er wurde mit dem Hubschrauber in das Landeskrankenhaus nach Innsbruck geflogen. Wenig später fuhr der Österreicher G. vom Giggijoch talwärts. Im Ortsteil Grünwald mußte er einem Schifahrer ausweichen. G. geriet dadurch über den Pistenrand hinaus und stürzte ca. 15 m in den Wald, wo er mit einem Unterschenkelbruch liegenblieb. Er wurde mit dem Hubschrauber Christophorus 5 in das Krankenhaus Zams gebracht.
(Rundschau, 26.1.1993)

Weil sie eine zu kleine und zu schlechte Wohnung haben, müssen sie in den Urlaub fahren. Weil damit das Geld für den Urlaub draufgeht, können sie nur eine zu kleine und zu schlechte Wohnung haben und müssen in den Urlaub fahren. Weil sie in den Urlaub fahren wollen, müssen sie eine schlechte, brutale Arbeit annehmen. Weil sie eine schlechte, brutale Arbeit haben, müssen sie in den Urlaub fahren. Usw.

Werbewörter, die nicht lügen können: Skizirkus, Skikarussell, Skischaukel. Wer sind die abgerichteten Affen in diesem Zirkus? Wer wird in diesem Karussell schwindlig gedreht? Wer wird verschaukelt?

Ein Volksschüler in Obergurgl: „Mein Papa ist nicht zufrieden, wenn er nicht jedes Jahr Hausbauen kann.“ (TT, 20.10.90)

Wir werden gezwungen sein, auf gewissem Gebiet, um überhaupt wieder exportfähig zu werden, das Arbeitstempo zu steigern. Deshalb wollen und müssen wir dem schaffenden deutschen Menschen in seiner Freizeit eine völlige Ausspannung seines Körpers und seines Geistes geben.
(R. Ley, Leiter der Deutschen Arbeitsfront zur Gründung der ‚NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“‘, 27.11.1933)

Schon lange bevor der Staplerfahrer im Schraubenlager bei Opel in Rüsselsheim noch seinen Monatslohn gesehen hat, ist er um dessen selbstbestimmten Verbrauch gebracht. „Fahr in Urlaub!“ (wörtlich!) heißt (und befiehlt) der Neckermann-Winter-Katalog 1993/94. Um das bißchen Geld, das ihm die Opel-Aktionäre als Lohn lassen, balgt sich die Konsumgüterindustrie. Er muß sozusagen schon die Fixausgaben für Wohnung, Strom, Heizung, Kleidung, Nahrung, Toilette usw. zäh gegen die tausend Anschläge der vorgeschalteten Werbeindustrie verteidigen.
Wenn der Staplerfahrer durstig ist, wird ihm Red Bull angedreht. Wenn er erschöpft ist, wird er nach Saas-Fe beordert.

Auch im massentouristischen Unternehmen ist nur die menschliche Arbeit in der Lage, Kapitalgewinn zu schaffen. Liftstationen werfen nichts ab, keinen einzigen Schilling, und Zirbendecken im Speisesaal zinsen nicht, kein Zehntelprozent. Weil ein immer größerer Anteil des gesamten im Massentourismus eingesetzten Kapitals nur in Bauten, in Ausstattung, in Maschinen investiert wird, muß die Rendite ständig sinken. Nicht obwohl das Anlagevermögen im Massentourismus ständig vermehrt wird, fällt die Profitrate, sondern weil. Sie fällt, weil (im Gegensatz zu den Anfängen im Tourismus) ein immer größerer Anteil des erwirtschafteten Gewinns (oder des aufgeliehen Kredits) in Massentouristische Anlagen gesteckt wird, in Seilbahnmonster, in Restaurant-Automatisation, in Plunder fürs Auge. Und ein im Verhältnis dazu immer kleinerer in die menschliche Arbeitskraft. Der ganze Kapitalismus funktioniert nach dem „Naturgesetz“, daß nur die Arbeit von Menschen in der Lage ist, einen Wert zu erzeugen und damit Profit. Es ist so, ob man„s sich“s eingestehen will oder nicht, ob man das für gut hält oder nicht. Wenn das Hotel Ideal heute vierzig Millionen in einen Um- und Zubau steckt und zehn Millionen in zusätzliche Angestellte, dann tragen nur jene zwanzig Prozent des ausgegebenen Kapitals Früchte, die in die Arbeitskraft investiert werden. Das heißt, die Profitrate von den ausgelegten fünfzig Millionen ist heute viel niedriger als vor zehn oder zwanzig Jahren, wo der größere Teil einer solchen Summe noch für den Einsatz von Arbeitskräften hat aufgewendet werden können.
Auf diesen stetigen Verfall der Profitrate reagieren die Unternehmer im Massentourismus (wie in jeder Branche) mit jährlicher Ausdehnung der Betriebe. Auf diese Art gelingt es ihnen, bei fallender Rendite ihres Gesamtkapitals wenigstens die Profitsumme zu halten (oder zu steigern).
Der rein optische Ausdruck: geschwürartige Wucherungen übers ganze Land.

Unternehmerherz, was willst Du mehr, als daß dieser Plastikplunder aller wegkonsumiert wird?
(Intersport-Prospekt 1992)

Massentourismus ist die Auswirkung. Ihn abschaffen, ohne die Verhältnisse, die ihn unaufhörlich und stets noch monströser hervorbringen müssen, abzuschaffen, kann nicht gehen.
Irische Gerichte haben früher auf folgende Weise die Zurechnungsfähigkeit eines Menschen überprüft: Die betreffende Person wurde in ein Zimmer geschickt, in dem das voll aufgedrehte Wasser bereits über den Rand des Waschbeckens schoß, mit dem Auftrag, diesen Raum trockenzulegen. Wenn die Testperson nun damit begann, den Boden aufzuwischen, anstatt den Wasserhahn abzudrehen, hatte sie den Beweis der Schwachsinnigkeit erbracht.

Aus dem Wörterbuch der Massentourismus-Strategen: Lifte betreiben heißt „Skifahrer auf den Berg pumpen“, künstlich Schnee erzeugen heißt „Schnee kultivieren“, unerschlossene Kare und Grate heißen „potentielle Bergsportplätze“.
(Konzeptpapier einer Tiroler Bergbahnen-Gesellschaft, 1993)

Nacht in Europa: Am Kamin die Deutschen, an der Bar die Holländer, hinter der Theke österreichische Bardamen, die Kisten und das Bierfaß bringt der kroatische Hausdiener aus dem Keller, in der Küche bastelt eine tschechische Hilfskraft belegte Brote und schiebt die Gläser in den Geschirrspüler, und zwei Türkinnen säubern am nächsten Morgen das Lokal von Verschüttetem und die WCs von Erbrochenen. Das ist das Modell des Europäischen Hauses (1:1.000.000), wie es ungezählte Male in Saalbach, Seefeld, Sölden usw. steht.

Ach, wir! Statt der Freiheit nehmen wir 1 Woche Kreta. Statt mehr Lohn verlangen wir eine Superpiste. Statt Widerstand zu leisten, leisten wir uns etwas Besonderes. Statt mit den Verhältnissen abzufahren, fahren wir ab! Statt ein anderes Leben wählen wir eine andere Destination.

Sanfter Tourismus: Gibt’s irgendwo sanften Kapitalismus? Sanfte Renditen? Sanfte Ausbeutung? Sanfte Skikanten?
Sanfter Tourismus mit Touristen, die zum Zerbersten geladen sind? Gibt"s sanfte Arbeitsplätze bei Bertelsmann und bei Hochtief? Sanften Schichtdienst? Sanfte Rationalisierung?

Die wir hierherbekommen, sind allesamt schwer mißgestaltet, von der alles erdrückenden Medien-Apparatur (Goldenes Blatt, Stern, TZ, Bild, Spiegel, Abendzeitung, Tempo, Echo der Frau, Zeit usw., RTL, ARD, SAT 1, Eurosport, MTV, ZDF usw.) übelst zugerichtet, ein jeder und eine jede zigtausendmal davon betrogen, als Mensch, wie er und sie auf die Welt gekommen sind, bereits schrecklich entstellt, ramponiert von zigtausenden Anschlägen der Werbe-Industrie, von sich abgebracht zum Beispiel auch durch Köder der Nahrungsmittelchemie wie Geschmacksinhaltsstoffe, Geschmacksveredler, Geschmacksverstärker, Farbstoffe. Verhaut, vermurkst, verkrüppelt.
Joe Frazier vor seinem siegreichen Weltmeisterschaftsboxkampf im Schwergewicht gegen Cassius Clay: „Ich werde immer auf den Körper zielen, dann kommt der Kopf von selbst!“

Ich war 1936 durch KdF im Bayrischen Wald. Die Reise war durchorganisiert von A bis Z. Politik wurde da nicht gemacht. Nein. Es war wie mit einem heutigen Reiseveranstalter. Nur eben billiger. Aber das war ja auch staatlich.
(Ein KdF-Reisender)

Für die Nazis waren die österreichischen Alpen ein einziges Wasserschloß und ein einziger Erholungsraum für ihre „Kraft-durch-Freude“-Urlauber. Die Amerikaner ordneten nach dem Krieg den Abtransport von hier erzeugtem und hier benötigtem elektrischen Strom in die deutschen Industriezentren an und förderten mit ERP-Geldern den Umbau Österreichs zu einem einzigen Erholungsraum. Die EU-Politik rottet die letzte konkurrenzfähige Industrie in Österreich aus und legt sich die Alpen endgültig als Erholungsmeile Europas zu. Und die Grünen, die immer noch ein bißchen vetrottelter sind als man eh schon weiß, fordern im Juli 1993 in einem Massenflugblatt: „Liebe Leute, die Regierung muß etwas tun gegen das Gift in der Luft. Wenn wir die Alpen als Erholungslandschaft für ganz Europa noch retten wollen, dann muß auch jeder selber etwas tun.“ (Alternative Liste Innsbruck)

Die Gackspuren aus der Klomuschel bürsten, das Danebengefetzte auftrocknen, die Zigarettenstummel aus den Pissoirschalen klauben, das Schöne an der Arbeit im Tourismus ist der Umgang mit Menschen, das Erbrochene vom Nachtkastl wischen, die Glasscherben aus dem Teppichboden fingern, Alkoholflecken im Bettzeug, Lippenstiftflecken und Brandflecken, unser wertvollstes Kapital ist unsere natürliche Gastfreundschaft, verklebte Papiertaschentücher einsammeln, die Bierdosen aus dem Zimmer tragen, die Whiskyflaschen.

Stubaier Gletscherski-Gletscher (August 1991)

Im Skigebiet Hochsölden, in dem sich etwa ein Drittel der Pisten der Gemeinde Sölden befindet, ist im Winter 91/92 (gegenüber dem Vorwinter) die Zahl der bekanntgewordenen Skiunfälle offiziell „von ca. 250 auf ca. 300 angestiegen“. Im darauffolgenden Winter 92/93 „von rund 300 auf ca. 390“.

Sölden (wie Saalbach, Seefeld, Serfaus, St. Anton usw.) wandelt sich immer mehr zu einer einzigen riesigen Dorfdisco, die Pisten eingesäumt von Schnapsbuden, Almhütten, Bergrestaurants, durchsetzt von Eisbars, Imbißlokalen, Terrassencafes, schwere Lautsprechermusik den einen Skihang hinauf und die andere Skiabfahrt hinunter. Die Menschen im Ausgeh-Dress, Schi-Mode, Schuh-Mode, Stock-Mode, Handschuh-Mode, Brillen-Mode, Mützen-Mode, geschminkt, bemalt, herausgemacht. 100 Kilometer Pisten als Ort der Selbstpräsentation und der Nachstellung. „Nach Sonnenuntergang ist der Tag keineswegs beendet. Sölden (der Ortsteil allein) bietet ein Nachtleben, das sich mit einer Großstadt gut messen kann. Rund 85 Discos, Pubs, Bars, Restaurants und Clubs stehen zur Auswahl.“ (Werbetext 1993)
Das ganze Dorf ein einziges Lokal mit hundert Aus- und Eingängen, die überdrehte Musik bezieht jeden ein, der hier wohnt oder hier durchmuß.

Ihr eingezwängtes Leben wird den Menschen mit einem Urlaub abgegolten, einem, den sie sich selbst bezahlen müssen. Frage: Womit fahren denn die Leute in den Urlaub? Mit dem Auto, dem geleasten womöglich, dem der Bank geschuldeten. Nein, das meine ich nicht. Ich meine, mit welchem Geld sie herfahren, wenn nicht mit gepumptem. Die Lohnfortzahlung geht für die laufenden Kosten (Miete, Betriebskosten, Raten, Kleidung, Lebensmittel, Schule usw.) auf. In vielen Familien müssen Überstunden gearbeitet werden, um sich von der Arbeit erholen zu können. In noch mehr Familien muß die Frau arbeiten gehen, damit sie sich einmal im Jahr von der Hausarbeit ausruhen kann. Für sehr viele Haushalte ist (laut Statistik) der Urlaub die teuerste Einzelanschaffung des ganzen Jahres.

Die deutsche Papierindustrie: die Abwässer kommen in den Rhein und die ausgelaugten Arbeiter in die Alpen, die belgische Schwerindustrie: die Abgase strömen in die Atemluft und die verbrauchten Schwerarbeiter in die Alpen, die französische Atomindustrie: der Atommüll wird in die Erde entsorgt und die erholungsbedürftige Belegschaft in die Alpen, die deutsche Autoindustrie: den Schrott kippen sie auf den Müll und die ausgebrannten Fließbandhackler in die Alpen, die holländische Schweinefleischindustrie: die Gülle schieben sie ins Meer und die geschundenen Knechte in die Alpen, die deutsche Chemieindustrie: der Giftmüll landet in den Hungerländern und der kaputtgearbeitete Kuli in den Alpen.
Wir sind der Auffangkübel für die von der menschenfeindlichen Großindustrie zu Müll heruntergemachten Massen. Die spuckt und schleimt und rotzt und pustet und furzt und fetzt und kackt sie uns bis in die hintersten Täler hinein.

Pistenrowdys: Das sind die mit den Kettensägen, die mit den Preßluftbohrern, die mit den Donaritstäben, die mit den Schubraupen und die mit den Kunstdüngerstreuern.

Das Vier-Sterne-Hotel B. im Massentourismusort S. in Tirol bietet im Hochsommer das „Wiener Schnitzel vom Schwein mit Pommes“ um S 65.- an. Welch gigantische, unüberblickbare Kette von Verbrechen ist dazu vonnöten, am tschechischen Küchenmädchen angefangen und an den Lohnsklaven, die den Kunstdünger für das Schweinefutter Soja brauen, noch lange nicht zu Ende! Wer bringt die Saat aus für das Frittier-Öl, und wer preßt es unter Einsatz seiner Gesundheit? Wer spritzt den Weizen für die Brotbrösel und wer stellt in welchem Dritteweltland die Spritzmittel für den Weizen her? Wer fährt das Fischmehl für die Hennen von Norwegen nach Ungarn und wer die Eier von Ungarn nach S.?

Schon die kleinen Fluchtburgen in der Stadt sind auf Urlaub geschminkt, z.B. in Innsbruck: Cafe Arcos und Atrium, Cafe Bon-Jour und Brasil, Cafe Ciao und Cappuccino, Cafe Don Camillo - - -

Die Landschaft wird der Touristenzahl angepaßt statt die Touristenzahl der Landschaft.

Doppelmühle: Im Urlaub sammeln die Arbeiterinnen und Arbeiter Kraft für die Arbeit und bei der Arbeit sammeln sie Kaufkraft für den Urlaub.

Zwei Tiroler Zeitungsmeldungen innerhalb von acht Tagen:

Elf junge Leute im Alter zwischen 15 und 21 Jahren aus Sölden, Silz und Mötz machten sich einer Übertretung des Suchtgiftgesetzes schuldig. Die Exekutive wies ihnen laut Meldung der Sicherheitsdirektion den Besitz, Konsum und die Weitergabe von Cannabis und Heroin nach.
(TT, 5.11.1993)

Mehr als 200 vorwiegend jugendliche Kitzbühler wurden wegen Drogenmißbrauchs angezeigt. Hauptsächlich handelt es sich um Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren. Aber auch in anderen Orten des Bezirks Kitzbühel wurde die Gendarmerie aktiv. Mit Erfolg: Weitere 200 Drogenkonsumenten konnten überführt werden. Cannabisprodukte wie Haschisch, Haschischöl und Marihuana, sind am weitesten verbreitet. Aber auch Heroin erfreut sich steigender Beliebtheit.
(Kurier, 13.11.1993)

Tirol muß an der Spitze aller deutschen Gaue stehen, in denen der deutsche Arbeiter der Stirn und der Faust Erholung und neue Kraft für die gewaltigen Anstrengungen im Dienste unseres ganzen Reiches holen kann. Wenn wir sorgen, daß der deutsche Gast neugestärkt und froh aus unseren Bergen an seine Arbeit zurückkehrt, dienen wir dem ganzen Reich und damit auch uns selbst.
(Aufruf des Leiters des Landesfremdenverkehrsamtes Tirol in „Tiroler Verkehr — Mitteilungen des Landesfremdenverkehrsamtes für Tirol“, April 1938)

Aus bekanntem Anlaß erkunden Frühgeschichtler mehrerer Institute seit zwei Jahren unaufhörlich die Ötztaler Hochlagen. Auf einer Rinderalm bei Sölden, mehr als zwei Gehstunden weg von jeder Dauersiedlung, an die zehn Kilometer entfernt von der nächsten Skipiste, finden sich als Spuren frühester Besiedlung Mauer-Reste einer bäuerlichen Anlage. — Nein, fangen wir anders an: Massentouristen brauchen ultrahocherhitzten Kaffeeobers in braunen Plastiktögelchen mit Aludeckelchen und zwischen Alu- und Klarsichtfolie eingeschweißte Tabletten und übers Barglas gehängte knallbunte Plastikgiraffchen. Ein Teil dieses Drecks verschwindet in Hotelküchengullis, in Appartmentküchenausgüssen, in Kloschalen von Fremdenpensionen. PVC-Handtuchaufhänger aus dem Bad, Abziehfolien von Damenbinden, Partyspießchen aus Plastik landen im Klärwerk und flutschen durch den weiten Rechen zum Klärschlamm. Zu diesem Klärschlamm, voll von Gummibandln, Plastikringeln, Kunststoffpickerln, Staniolknäuel, Hansaplaststreifen usw. sagt der Bürgermeister: „Wir haben kein schlechtes Gewissen hinsichtlich unseres Klärschlammes, da dieser vorbildlich deponiert wird. Laut Untersuchungsergebnissen der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Versuchsanstalt Rotholz ist die Qualität sogar so gut, daß der Schlamm auf Ackerböden aufgebracht werden könnte.“ (Blickpunkt, 7.7.92) Und so findet sich dieser massentouristische Auswurf denn auch auf der Milchkuh-Weide auf zweitausend Metern Seehöhe, auf dem Platz unmittelbar vor den Resten der oben beschriebenen frühgeschichtlichen Siedlung: Verhütungsgummis, Wattestäbchen, Zäpfchenverschweißungen, Plastikeinlagen von Damenbinden.

Sie schreien am falschen Ort, sie kotzen am falschen Ort, sie schlagen am falschen Ort zu. Sie lassen hier den Dampf ab, den sie dort bräuchten, die Dinge zu ändern, die ihn erzeugen. Die uns ihr mörderisches System hierherspeibt, speiben uns hierher. „Der reißende Strom wird gewalttätig genannt / Aber das Flußbett, das ihn einengt / Nennt keiner gewalttätig.“ (B. Brecht)

Niemand vermöchte das Wesen der lautesten — Gänsestrichchen unten — Fremdenverkehrskritiker — Gänsestrichchen oben — radikaler zu enthüllen als die Wirklichkeit selbst. Die vorzugsweise vom ORF als Endlosschleife gespielten dumpen, dumpfen und — schlimmer — verdunkelnden, verdummenden Auslassungen eines Hans Haid verdanken sich nämlich im wesentlichen dem feisten Budget der Tirol Werbung. 1988 förderte sie ihn mit einer Veranstaltungsreihe „Bis an die Wurzeln“, 1989 trat sie als Sponsor seiner Veranstaltungsreihe „Vom neuen Leben“ auf, 1990 finanzierte sie ihm seine „Widerständigkeiten“-Veranstaltungsreihe, schickte ihn auf ihre Spesenkosten zur Internationalen Tourismus-Börse nach Berlin, ermöglichte sein Tourismussymposion in Vent, wofür er sich mit einer Einladung an den Direktor der Tirol Werbung als Referent erkenntlich zeigte, wofür sich wiederum der Direktor der Tirol Werbung mit einer ganzseitigen Anzeige im Symposiumsheft erkenntlich zeigte. Und so weiter.

Bevor du sagst, die Freizeit hat leicht zugenommen, mußt du sagen, die Produktivität hat rasant zugenommen. In etwas weniger Jahresarbeitszeit wird jetzt viel mehr produziert. Überall wurden die Bänder auf schneller geschaltet. Aus den vor kurzem noch siebenhundert am einen Band zusammengesteckten Apparaten pro Tag sind bei Blaupunkt schon neunhundert geworden. Die Arbeit, die früher fünf Frauen getan haben, tun jetzt vier. Der gesteigerte Druck bei der Arbeit hat den Druck im Urlaub erhöht. Je brutaler die Konkurrenz am Arbeitermarkt wird, desto brutaler geht es zu auf der Skipiste, je gehetzter die Arbeit am Band ist, desto wilder das Besäufnis, je höher der Ausstoß, desto weiter der Charterflug.
(Weil dort immer noch mehr aus den Leuten herausgeholt wird, ist hier immer noch mehr aus den Leuten herauszuholen.)

Mit seinen aus mehreren Häusern bestehenden „Familienbetrieb“- eine neue Anlage ist derzeit im Bau — bewältigt Friedrich Kaltschmid rund zehn Prozent der Gästenächtigungen Seefelds.
(Westwoche, 14.10.1993)

Eine Frau vom Massentourismusverband Sölden sagt im Sommer 1993:

Bei uns werden in diesem Winter erstmals — sofern es die Schneelage zuläßt — die Lifte bis zum 1. Mai in Betrieb sein. Vom 28. April bis zum 1. Mai planen wir ein großes Winterfinale. Ein deutscher Reiseveranstalter hat uns für diesen Termin bereits 3000 Gäste vermittelt.
(TT, 4.9.93)

Die 3000 Leute, die im schönsten Spätsommer noch frei in Deutschland herumrennen, ahnen nichts davon, daß sie für Anfang Mai bereits verkauft sind. Noch ist ihr Wunsch nach Sölden nicht einmal geweckt, ihr Bedürfnis nach einem Winterfinale nicht geschaffen, da ist ihr noch nicht verdientes Geld schon angebaut.

Schweden hat, lese ich, Anfang der 70er Jahre seine nationalen Tourismusämter im Ausland geschlossen und die Mittel für die Fremdenverkehrswerbung im Ausland drastisch gekürzt, um das Land vor allem den Schweden selbst als Ferienland zu reservieren.

Was suchen die Leute in der Altstadt?

Massentouristen leben in der Angst, das falsche Urlaubsziel zu wählen, mit der Entscheidung für das eine vielleicht das noch bessere zu versäumen. Der Anreise-Stau beweist ihnen, daß sie auf dem richtigen Weg sind. Das Gedränge im Skidorf beweist ihnen, daß sie im richtigen Ort sind, daß sie das Maximum aus ihrem Urlaub, auf den das ganze Jahr ausgerichtet ist, herausholen. Und trotzdem leiden sie in der vollen Bude in Kappl unter der Vorstellung, in Galtür könnte mehr los sein, und in der Liftschlange in Galtür stehend, fürchten sie, auf den Pisten von Ischgl etwas zu versäumen. Darum Massentourismus.

Warum wurde der Schisport zu dem Massensport unserer Zeit? Er ist, so wie er heute in großindustrieller Form betrieben wird, zum einen Reaktion auf das Leben unter dem Kapitalismus: die Bewegung auf die Starre am Arbeitsplatz, der Aufenthalt in der Natur auf das Eingeschlossensein im Betrieb, das Abfahren — mit den Aggressionen eine auf das Aufstauen derselben usw. Aber der Schisport, wie er heute ausgeübt wird, ist noch viel mehr die geradlinige Fortsetzung des Lebens in der kapitalistischen Gesellschaft: als Einzelsport in dichtester Masse, als unausgesetzter Konkurrenzkampf auf der Piste und im Gedränge am Lift, als Endloswiederholung des Immergleichen (für den zur Repetiermaschin" umgebauten Menschen, der x-mal dieselbe Liftpiste abfährt! Man stelle sich einen Wanderer vor, der x-mal hintereinander das selbe kurze Wegstück hinauf- und heruntergeht.). So ist ein großer Teil der Alpen Auslaufpiste für die auf persönlichkeitszerstörende Arbeit gesetzten Massen aus den europäischen Industrie- und Verwaltungszentren. Hier können sie als das weitermachen, auf was sie dort gequält worden sind.

Der US-Konzern Kaiser Aluminium hat 1966 in einer Jubelschrift einmal groß herausgestrichen, was er für die Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter in seinem Betrieb alles getan hat (Durchführung von Fußball- und Kegelturnieren, Organisation von Betriebsausflügen und Weiterbildungskursen usw.). „Wir taten es nicht aus Altruismus (= Selbstlosigkeit), es war die Erkenntnis der Tatsache, daß unser Verhältnis zu den von uns beschäftigten Menschen sich über den Arbeitstag hinaus erstreckte. In hohem Maße ist die Einstellung unserer Mitarbeiter gegenüber ihrer Arbeit die Wiederspiegelung davon, wie sie ihre Freizeit verbringen, und ihre Produktivität unmittelbar davon abhängig, wie sie die Stunden nutzen, in denen sie nicht arbeiten. Wir wissen nicht, was in den nächsten zwanzig Jahren geschehen wird — vielleicht werden wir Karnevalsumzüge veranstalten müssen, oder Folksong-Festivals oder Tanzparties. Was immer es sein mag, wir werden es tun, wenn es höhere Arbeitsmoral, höhere Warenqualität und besseren Kundendienst für die von uns belieferten Industrien bedeutet.“

Im Massentourismus werden Animateure eingesetzt, um die Arbeiterinnen und Arbeiter in ihren freien Tagen nicht auf Gedanken kommen zu lassen. Man stelle sich vor, es würden politische Animateure eingesetzt, die dazu anleiteten, die Verhältnisse, unter denen die Massentouristen arbeiten, zu zerschlagen.

Die Leute schifahren sich besoffen. Der ständige Wechsel der Meereshöhe (1500 m — 2500 m — 1500 m — 2500 m usw.) und die ungewohnte Kraftanstrengung führen zur Ausschüttung von Endorphinen (schmerzstillenden Hormonen) im Hirn, die „ähnlich wie Morphium wirken“ (Kurier, 25.9.93). Der Körper wird als Mittel verwendet, sich in Stimmung zu bringen. Schifahren als Einstiegsdroge, und wenn die Dosis nachläßt wird mit Alk nachgefüllt.
Kein anderer aktiver Sport ist so eng mit Alkohol verknüpft. (Der Ski-Weltcup wird u.a. von Goesser und Warsteiner gesponsert.)

Die Arbeit ist es, die den Menschen formt, nicht die Freizeit. Die Arbeit tut es, auch — und vor allem — die ungeliebte, die fremdbestimmte, die verdummende. Auch historisch hat sich der Mensch nur anhand seiner Arbeit voranentwickelt. Wenn sie zu ihrer Freizeit kommen, sind die Menschen längst verwirklicht, wenn auch meistens nicht selbstverwirklicht, sondern eben fremdverwirklicht. Beim Schifahren, beim Mountainbiken, beim Schlauchbootfahren findet keine Persönlichkeitsentwicklung statt. Dort stellt man den auf die Schier, setzt den aufs Rad oder ins Schlauchboot, zu dem einen die Arbeit gemacht hat. Wer so eifrig die Verwirklichung des Menschen in der Freizeit propagiert, will damit seine Vernichtung in der heutigen Lohnarbeit kaschieren.

Wir schickten unsere Arbeiter nicht auf eigenen Schiffen auf Urlaub oder bauten ihnen gewaltige Seebäder, weil uns das Spaß machte oder zumindest dem einzelnen, der von diesen Einrichtungen Gebrauch machen kann. Wir taten das nur, um die Arbeitskraft des einzelnen zu erhalten und um ihn gestärkt und neu ausgerichtet an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu lassen. ‚Kraft durch Freude‘ überholt gewissermaßen jede Arbeitskraft von Zeit zu Zeit, genau so wie man den Motor eines Kraftwagens nach einer gewissen gelaufenen Kilometerzahl überholen muß.
(G. Starcke, „Die deutsche Arbeitsfront“, 1940)

Wo ist die Alternative? Wo ist der Ansatz? Muß man schauen, Liftstützen zu verhindern? Muß man einen Protestbrief an den Landeshauptmann schreiben? Muß man eine Bürgerinitiative machen, damit Darbo die portionierte Marillengeschmack-Konfitüre nicht mehr in Plastik abpackt? Muß man mehr Podiumsdiskussionen zum Thema ansetzen? Die Alternative zum kapitalistischen Massentourismus ist: den Kapitalismus vernichten.

Geld hat keinen irgendwie unangenehmen Geruch: Vor ein paar Jahren ist ein kritisch sein wollendes Buch über den Fremdenverkehr in Tirol erschienen, in dem das Wort „Bank“ überhaupt nicht vorkommt (herausgegeben von einer den Tiroler Bauernrevolutionär Michael Gaismayr damit arg verhöhnenden Michael-Gaismair-Gesellschaft). Kein Kreditinstitut, keine Raiffeisenkasse, keine Sparkasse, kein gar nix. Doch, entschuldige, eine schon. Auf dem Vorsatzblatt des Werkes steht: „Gedruckt mit Unterstützung durch das Amt der Tiroler Landesregierung und das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung sowie der Sparkasse Innsbruck-Hall“. Die Sparkasse Innsbruck-Hall mit ihren ca. 60 Filialen ist neben dem Raiffeisenkassen-Konzern der Hauptprofiteur des Massentourismus in Tirol.

Speiben im Hotelzimmer gehört zu den Extras. Dafür werden derzeit 150.- Schilling in Rechnung gestellt.

Woher kommen die Bedürfnisse? Wie entstehen sie? Was hat der Mensch, wenn er geboren wird, für Bedürfnisse? Das nach Doppelumlaufseilbahnen? Nach Schneediscos? Nach den „aktuellen Gilets im Oversized-Schnitt“ von Zentrasport? Ein Glück, daß das Snowboarden-Bedürfnis nicht vor dreihundert Jahren entstanden ist, sondern heute, wo die Industrie genügend Boards (Sandwich-Konstruktion, ABS-Seitenwangen, Starke Taillierung) produzieren kann. Heute sind die Menschen um das Raften glücklicher als früher. Und zusätzlich auch noch um das Paragleiten und das Squashen und das Mountainbiken.

In der Gemeinde Sölden, in der ich dies schreibe (2.700 Einwohner), werden mit Massen-Massentourismus im Jahr zwischen drei und vier Milliarden Schilling umgesetzt. Jugendzentrum hat die Gemeinde keines.

Ein Sporthaus-Gedicht:

It’s crazy! Vormit- / tags wedeln wie / Tomba la Bomba. / Nachmittags im / wilden Snow- / Board-Ritt über die / Buckelpiste. Surfin’/ the snow — Easy / Rider am Brett! Und / Abends geht’s im / schrillen Outfit ab / in die nächste / Disco. Schließlich heißt der / Mega-Trend des heurigen / Winters: Volle Power — nur / kein Pistenvergnügen aus- / lassen — der Winter geht / sowieso viel zu schnell vor- / bei!
(Originaltext aus Zentrasport-Katalog ‚Ihr Freizeitspaß ist unser Job‘, Herbst/Winter 93)

Der Ötztaler Hotelier, Massentourismusverbandsobmann, Landtagsabgeordneter: „Ein florierendes Unternehmen braucht gute Arbeiter und Angestellte, und mein Anliegen ist es, daß die Kontakte zwischen dem Unternehmer und seinen Mitarbeitern besser werden.“ (Blickpunkt, 21.8.85) Derselbe später: „Sie war vor zwei Jahren in meinem Hotel als Schankmädl und Kellnerin. Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Im Frühjahr 1991 ist es dann passiert. Nach einem Fest nahm ich sie in meinem Jeep mit, fuhr durch die Gegend, parkte mich an einem abgelegenen Ort ein — und dann haben wir uns geliebt.“ (Täglich Alles, 20.9.92) „Der Politiker“, so dieses Blatt weiter, „streitet nicht ab, mehrmals mit seiner Angestellten ein“Schäferstündchen„verbracht zu haben.“

Sie können das Problem mit der zu kleinen Wohnung, das mit dem vielen Durchzugsverkehr durch ihre Straße, das Problem mit dem Kindergartenplatz, das mit der Lohnabrechnung, das mit der städtischen Müllgebühr nicht lösen, weil sie am ersten Tag, wo die Arbeit ihnen Zeit dazu ließe, wegfahren. Auf diese Weise kehren sie immer in dieselben beklemmenden Verhältnisse zurück bzw. in immer beklemmender werdende.

Man sollte in Sölden Tourismusindustrie betreiben. Das heißt, die vorhandene Infrastruktur noch verbessern, sprich den ganzen Ort zubetonieren, denn für die Einheimischen gibt es dort ohnehin keine angemessene Lebensqualität mehr. Es müßten außerhalb des Dorfes neue Wohnmöglichkeiten für die Sölder geschaffen werden, damit sie nicht in einem Industriegebiet wohnen müssen.
(H. Gasser, Hotelier in Kastelruth/Südtirol in der TT vom 8.4.92)

Ausländerkriminalität? So wie wir unter Ehrendelikten die Delikte an der Ehre zu verstehen haben, so unter Ausländerkriminalität die Kriminalität an den Ausländern. Die Ausländerkriminialität nimmt wirklich rasant zu. Die Täter im Bereich Massentourismus: Unternehmer im Baugewerbe und im Baunebengewerbe, im Gastgewerbe und in hunderten dem Gastgewerbe zuarbeitenden Betrieben wie Pommfrittfabrik, Vorhangfabrik, Prospektdruckerei. Kein Schmied und kein Bodenleger, der ohne „Du das machen!“-Sklaven auskommt, und kein Nachtclub und keine Schihütte, keine Pension garni und keine Liftgesellschaft. Der größte Hotelier im Ort ist der größte Ausländerkriminelle im Ort. Seine Verbrechen an den Ausländern: Verstoß gegen den Kollektivvertrag, gegen das Arbeitszeitgesetz, gegen das Arbeitnehmermeldegesetz, gegen das Sozialversicherungsgesetz, gegen die Menschenrechte, Versicherungsbetrug, Steuerbetrug etc.

Der Urlaub in Tirol ist vor allem ein Urlaub von Deutschland. Die Millionen Menschen aus den deutschen Wirtschaftszentren fliehen nicht bewußt hierher. Bewußt nehmen sie nur reißaus aus den großen Industrie- und Verwaltungsstädten, dabei rennen sie halt den ausgetretensten Fluchtwegen nach. Weil sie nicht wissen, warum sie hier sind, müssen sie ständig nach einem Sinn suchen, nach Gründen, nach Anlässen für ihr Hiersein. Weil es aber keinen Sinn geben kann, hier zu sein (da ihr wirkliches Leben ganz woanders ist), müssen tausend Nichtigkeiten hier zu Wichtigkeiten aufgeblasen werden. Darum muß hier alles greller als grell, lauter als laut, schärfer als scharf, schneller als schnell sein, die Bergstation die höchste, die Abfahrt die längste, die Gondel die modernste, die Hütte die urigste. Der Aufenthalt am falschen Ort will unablässig gerechtfertigt sein.

Die laufruhigen, wendigen, eisgriffigen, drehfreudigen, spurgenauen Schier mit dem fetzigen Design sind mit Expoxidharzen zusammengeleimt, einem aggressiven, mit Härtern versetzten Kleber, der die jungen Frauen und Männer in den Schifabriken krankmacht. Als Reaktion auf diese Tatsache hat eine österreichische Schifirma ihre hellhäutigen Beschäftigten durch dunkelhäutige Gastarbeiter ersetzt, weil diese solche Giftstoffe besser vertrügen. Und sie klagen wirklich weniger über ihre Ekzeme, ihre Allergien, ihre verschwollenen Augen, ihre Reizungen der Atemwege und ihr Bronchialasthma, weil bei ihnen zur Angst um den Arbeitsplatz noch die Angst vor dem Verlust der Beschäftigungsbewilligung dazukommt.

Die Rasenflächen rund um die 18 Löcher am geplanten Golfplatz Eichenheim (Kitzbühel) werden nach unten wie eine Sondermülldeponie abgedichtet, damit es zu keiner Grundwasserverunreinigung kommen kann.
(TT, 24.3.93)

Das Problem der kapitalistischen Wirtschaft ist, daß zuviel erzeugt wird, nicht zuwenig, zuviele Kartoffelchips, zuviele Wohnwägen, zuviele Fremdenbetten, zuviele Computerspiele, zuviele Schibindungen. Es reicht vorn und hinten (neben dem Geld) die Zeit nicht, alle diese Dinge wegzukonsumieren. Weil die Menschen beim wirtschaftlich notwendigen Kartoffelchipsessen die Zeit immer noch zuwenig auch zum wirtschaftlich notwendigen Computerspielen nutzen, und weil das wirtschaftlich notwendige Schifahren während der Arbeit im Büro und während der Arbeit am Betonmischer nicht geht, muß muß muß Freizeit dafür zur Verfügung gestellt werden. Denn, wenn die Massen nicht jedes Jahr mindestens drei Prozent mehr Liftkarten und mehr Satellitenschüsseln und Energy-Drinks kaufen, stürzt der Kapitalismus unrettbar in sich zusammen.

Es gibt eine Verschuldung der Gastwirte, die in jedem Jahr weit höher ist als die öffentlich beklagte Verschuldung der Gastwirte gegenüber den Banken: die niemals öffentlich beklagte Verschuldung der Gastwirte gegenüber den Arbeiterinnen und Arbeitern im Gastgewerbe.

Tiroler Maler malen malerische Berge für die Tirol Werbung, Tiroler Schreiber schreiben schreiende Texte für die Tirol Werbung (W. Klier: „so viel Freude wie eine einzige Gletscherbahn hat selten eine ganze Batterie Götter unter die Menschen gebracht“), Tiroler Musiker musizieren für die Tirol Werbung, Tiroler Filmer filmen für die Tirol Werbung, das ist: für noch mehr Massentourismus, für noch mehr Menschenschinderei, für noch mehr Vermieterinnenkrebs!

Wer zahlt, schafft an; jeder kennt die Zahler und weiß, was ihnen gefällt. In der kapitalistischen Gesellschaft hat eine tatsächliche Nachfrage immer noch für das entsprechende Angebot gesorgt.
(Paul A. Beran, Paul M. Sweezy)

Neues Tiroler Wappentier, nachdem der Adler fast ausgestorben ist: die Liftkrake, die jetzt heimisch geworden ist in unseren Bergen

Die Schneekanonen, mit denen hier Nacht für Nacht zig Hektar Wiesen, Weiden, Waldschneisen beschossen werden, hängen an zweihundert Kilometer langen Stromkabeln, die bei den Kernkraftwerksblöcken Isar I und Isar II eingesteckt sind.

Nicht wenige Deutsche haben, dem Lockruf der heimischen Banken folgend (Sparkasse: „Geldanlage in Österreich — die interessante Alternative für Sie“, Hypobank: „Ihr Geld in Tirol gut angelegt“, Raiffeisen: „Lassen Sie Ihr Geld in Österreich Wurzeln schlagen!“), einen Teil ihrer Barmittel nach Tirol verbracht und finanzieren sich aus dem Zins hier den jährlichen Urlaub. Die Knechte in der Tourismusindustrie (vom polnischen Betonschaler über den einheimischen Kochlehrling bis zur serbischen Staubsaugerin), die durch ihrer Hände Arbeit ja den Kreditzins des Tourismusindustriellen erarbeiten, machen es möglich.

Um „die Schwachstellen in der Optik des Ortes“ auszumerzen, wurde in Saalbach Hinterglemm 1986 eine „Arbeitsgruppe Ortsdesign“ eingerichtet.

Alles andere denn seelenruhig ging es zu Allerheiligen im Ötztaler Gletscherskigebiet zu. Am Tiefenbach- und am Rettenbachferner ereigneten sich am Montag gleich drei Unfälle mit Snowboardfahrern, bei denen insgesamt fünf Personen verletzt wurden.
(TT, 3.11.1993)

Zwei Schnapsln beim Skifahr„n ham noch nie g“schadet, da fahrt man weicher.
(Der Tourismusindustrielle und ÖSV-Präsident P. Schröcksnadel, Kurier, 3.3.92)

Kapitalismus ist, es kann anders nicht sein, Krieg nach allen Seiten, unaufhörlicher, erbitterter, blutiger Wirtschaftskrieg: Kampf um Rohstoffe, Eroberung von Märkten und Verteidigung von Märkten, Abwehr von Importen, Ausschaltung von Konkurrenz. („Markt“ ist das nette, sanso-weiche Wort, mit dem dieser Krieg umschrieben wird.) Die Front verläuft rundum um jeden Betrieb und rundum um jede Wirtschaftsregion und rundum um jeden Industriestaat — und rundum um jeden einzelnen Arbeiter und jede einzelne Arbeiterin. Vorne, hinten, links, rechts, rund herum um jeden jeder ein Konkurrent, jeder ein Feind: das ist Kapitalismus.
Das Urlaubsland ist das Hinterland, in das die abgehetzten Kämpfer von Zeit zu Zeit zu Erholung und Zerstreuung verbracht werden, Tirol die Etappe hinter der Front dieses grauenhaften Krieges, in der die Truppenbetreuung stattzufinden hat. Hier sind marode Körper zu kurieren, hier ist die angeknackste Moral der im Handelskrieg kämpfenden Truppe zu heben, hier wird dem Lagerkoller begegnet, hier werden Kräfte gesammelt für die nächste Produktionsschlacht, hier wird das Menschenmaterial dafür aufmunitioniert.

Die „NS-Gemeinschaft“ „Kraft durch Freude“ (KdF) hat, nachdem das Organisieren von Reisen für die Volksgenossen auf die Wehrmacht übergegangen war — - -, die „Truppenbetreuung“ in der deutschen Armee übernommen. KdF hatte schon vor dem Krieg Unterhaltungsabende für Rüstungsarbeiter abgeführt und mit eigenen Reichsautobahn-Bühnen die Schwerstarbeiter beim Autobahnbau bei Laune gehalten und hatte schon von allem Anfang an die Teilnehmer an KdF-Urlaubsreisen mit Theater, Konzerten und Kabaretts zu zerstreuen versucht. Die logische Weiterentwicklung dieser Betreuung im Krieg war das Fronttheater, nach Goebbels „eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Standhaftigkeit und Durchhaltekraft der ganzen Nation in ihrem Schicksalskampf“. Hinter den Fronten traten in steter Folge Musiker, Sänger, Schauspieler, Kleinkünstler auf, um die Soldaten für ein paar Stunden von ihrem Handwerk abzulenken. In Paris beispielsweise gab Herbert von Karajan mit seinem Orchester ein Konzert vor 3500 Wehrmacht-Soldaten, im besetzten Polen gastierte der Dichter Karl Heinrich Waggerl, und bei der Truppenbetreuung in Norwegen kam ein Tiroler Bauerntheater zum Einsatz. Die Aufgabe der Künstler war es, den Soldaten das Totschießen und das Totgeschossenwerden gemütlicher zu machen.

Das Ötztal bietet sich in seinem Werbekatalog „In Scene“ den Fronturlaubern aller tobenden Wirtschaftskriege als Fronttheater an: „Auf 60 km Bühne erleben Sie ein Winterprogramm vom Feinsten.“ „Wo heute unsere Soldaten ihre Pflicht erfüllen, erscheinen die deutschen Künstler, um ihnen die Kampfpausen oder Ruhestunden zu verschönern“, schrieb der Leiter des Sonderreferats Truppenbetreuung in Goebbels Propagandaministerium 1941 („Die neue Linie“, Juli 1941). Was damals Johannes Heesters, Peter Frankenfeld oder Evelyn Künnecke besorgten, dafür werden in der Wintersaison 1993/94 in Seefelder Nachtbars zum Beispiel Rex Gildo, Roberto Blanco oder Chris Roberts herangezogen. In diesem Hinterland wird alles getan, um die rückverlegten Teile des Arbeiterheeres möglichst rasch wieder einsatzfähig zu machen. Die Siemens-Truppen werden hier wiederaufgerichtet gegen das Sony-Bataillon und die Daimler-Benz-Brigaden gegen die BMW-Batterie. Mit Fun werden die Jungs wieder nach vorne gepeitscht. Wir hier sind das, was z.B. Marilyn Monroe im Koreakrieg und Bob Hope und Sammy Davis jr. im Vietnamkrieg waren. Indem wir mithelfen, den kapitalistischen Rundumkrieg unterhaltsamer zu gestalten, helfen wir mit, ihn zu verlängern.

Das künstliche Weiß von Schneekanonen sorgte bei den Marienbergliften in Biberwier nicht nur für weiße Pisten, sondern auch für eine verschneite Fahrbahn — dies wurde Freitag abend einer Autofahrerin zum Verhängnis. Die 18jährige Ulrike G. aus Reutte geriet auf der verschneiten Straße ...
(TT, 22.11.1993)

Die Ache gleich unterhalb des „Klär“werks

Natürlich gibt es Sklaverei im Massentourismus, ohne sie sind die schwulstigen Holzdecken nicht zu denken. Wenn die Kontrollore des Arbeitsinspektorats ins Tal einfahren, wird das von Gastbetrieb zu Gastbetrieb bis ins hinterste Tal hineintelefoniert. „Aufgrund entsprechender Vorwarnungen“, stellt die Arbeiterkammer fest, werden dann z.B. „die in der Nacht mit Küchendiensten oder Serviertätigkeiten beschäftigten Jugendlichen rasch vom Arbeitsplatz abgezogen und müssen sich oftmals im Quartier verstecken oder werden — auch im Winter — aus dem Hause geschickt, bis die Inspektion vorüber ist.“ (Fremdenverkehr heute und morgen — Perspektiven aus Arbeitnehmersicht, 1991)

Der Skitag versinkt bis zum Arsch im Alkohol. Schwaden von Glühwein und Jagertee liegen über dem Apres-Ski-Strich. Wenn ich sie hier sehe, die Fast-food-Urlauber, vor den Rausch-Läden links und rechts der Hauptstraße, durchgepeitscht von dröhnender Herzschlag-Musik, torkelnd, brüllend, weiß ich, wie es ihnen dort geht. Exzesse haben nichts mit Freiheit zu tun, im Gegenteil. Wo ist die Caritas? Weit weg in Guatamala und im Sahel. Wo bleibt Amnesty?

Ein 19jähriger Kellner aus dem Burgenland nach zwei Wochen Wintersaison in Sölden: „Ans versprich i dir, sobald die Saison aus is“, fliag i für sechs Wochn mitn erstn Fliaga ganz wurscht wohin, wo halt noch a Platz frei is„.“

Die Menschen werden der großen Auswahl an Parfümeriedüften und Knabberplätzchen zum Trotz den Instinkt nicht los, daß das Leben anders sein müßte. Aber weil sie sich in den von Kindergarten, Schule, Kirche, Medien bis unter die Kopfhaut randvoll zugeschissenen Köpfen dieses anders, eingeklemmt da, wo sie leben, einfach nicht vorzustellen vermögen, wird aus dem Drang, anders zu leben, zwangsläufig der, wo-anders zu leben.

Keine Frage, Snowboarden macht süchtig. Darauf fährst du voll ab. Es ist ein Rausch. Du bist nicht mehr zurechnungsfähig, wenn du auf dem Board stehst. Der ultimative Trip, würd„ich sagen.“ (Ein Snowboarder im Reisemagazin Saison 12/1993) Weil jeder weiß, daß es aus diesem System eine Flucht nur gibt in eine Sucht, kann man das auch ganz offen benennen. Die Dealer sind hochgeachtet und haben die besten Standplätze im Ort: "Warnung des Gesundheitsministers: Snowboarding macht spontan süchtig und kann Euren Winterschlaf gefährden!
(Motto des Zentrasport-Katalogs „Snowboard 93“)

Hier spricht ein (nicht ganz) Dichter: „Was ist Tirol? Am, am ehesten ist Tirol äh für mich Landschaft, die Landschaft ist etwas, was ich nach wie vor äh sehr mag äh an diesem Land. Und so etwas ist natürlich nicht laut auszusprechen, solche Programme, und also auch nicht ernst zu nehmen, wenn ich“s jetzt tu„— und trotzdem tu“ ich„s: Äh könnte man einen äh Großteil der Bevölkerung evakuieren, äh dann wär“s vermutlich sehr sehr schön, hier zu leben.„(Norbert Gstrein in“Gedanken"- Ö 3, 27.7.93)

Sölden/Chronik: Der Playboy-Fotograf M. fotografiert für den Ortsprospekt; der Pornomagazin-Fotograf V. fotografiert Auszieh-Models für die Gästezeitung; die Hardcore-Fotogeschichte für das Erotik-Kontaktmagazin ÖKM wird im Hotel des Massentourismusverbandsobmanns F. geknipst, der mit dem Verlegen von sexistischen Ansichtskarten sein Landtagsabgeordnetengehalt aufbessert.

Man muß auch das Positive sehen: In Österreich geht die Zahl der Lehrlinge im Gastgewerbe radikal zurück. Statt 6712 im Jahr 1984 haben im Jahr 1991 nur noch 4281 Jugendliche eine Kochlehre absolviert.

Später, ja, später, wird es in der Kriminalgeschichte des Kapitalismus stehen: ‚Nach dem Tiroler Tourismusgesetz von 1991 wurde die Demokratie in den örtlichen Tourismusverbänden jeweils von einer Handvoll massentouristischer Großindustrieller (Seilbahnunternehmer, Mehrfachhoteliers) diktiert. Von den zusammen 1185 Stimmen, die sich für sämtliche 428 Zwangsmitglieder des Tourismusverbandes im Ort A. errechneten, wurden die fünf Großindustriellen vom gewählten Landtag mit je (!) 79 Stimmen ausgestattet, 28 Hoteliers und Geschäftsleute mit je 14 Stimmen, wodurch sich für den gezählten Rest von 395 kleineren und etwas größeren Vermieterinnen nur mehr gerade je eine Stimme ausging.

Der Arbeitsalltag, so liest es sich in diesem Heft, erzeugt das Bedürfnis nach Flucht aus ihm: in Freizeit total, in Alkohol, in Urlaubsreisen, in Zerstreuung. Das ist nicht ganz richtig: Der bedrückende Arbeitsalltag läßt ganz natürlich das Bedürfnis nach Veränderung dieses Arbeitsalltages entstehen! Dagegen ist das Bedürfnis, sich abzuwenden von den veränderbaren unerquicklichen Zuständen, davonzufahren vor der Bekämpfung derselben ein künstlich geschaffenes. Es den Menschen aufzunötigen, lohnt sich für die Herrschenden doppelt: Zum einen ist dieses Bedürfnis nach Ablenkung und Flucht auf tausenderlei Arten zu Geld zu machen, zum anderen garantiert es, daß die unerträglichen Verhältnisse unangetastet bleiben.

Wirte stehlen in Massen. Sie stehlen, z.B., ihren Lehrlingen das Geld aus den Hosensäcken. Allein „die Lehrlinge im steirischen Gastgewerbe werden pro Jahrgang um rund 40 Mill. S“geprellt„.“ (Salzburger Nachrichten, 4.5.90). Tausende Wirte stehen Schmiere, wenn ihre Gattinnen den Arbeitslosenfonds plündern gehen. In einem einzigen Bezirk in Tirol, sagt der Sozialminister, haben über 600 Frauen aus dem Gastgewerbe, die von ihren Männern zum Schein angemeldet waren, mit Stichtag Arbeitslosengeld bezogen. (J. Hesoun im ORF-Mittagsjournal, 7.5.91) Mit den vorgestreckten vielleicht tausend oder zweitausend Schilling Arbeitslosenbeitrag pro Monat in der Hochsaison verschaffen sie sich Zutritt zur staatlichen Arbeitslosenkassa, die sie zwischen den Saisonen dann regelrecht ausräumen. Manch geschnitzte Hoteltür, manch schwarzbeschäftigter Geschirrspüler im Ort verdankt sich dieser Diebsbeute.

„Essen auf Rädern“ für Gäste von Tiroler Vier-Sterne-Hotels ist der letzte Schrei im Kampf gegen steigende Personalkosten, Krankenstände im Küchenbereich und stagnierende Pauschalpreise. (...) Uneingeschränktes Lob für die Cateringküche kommt aus den Igler Vier-Sterne-Betrieben „Alt Igls“ und „Aegidihof“. Bruno Gerber vom „Alt Igls“: "Mein Jugoslawe, der das angelieferte Essen fertigmacht, war vier Jahre Beikoch. Der Mann hat zusätzlich Kurse absolviert, um die Speisen schön präsentieren zu können. Das funktioniert perfekt.
(Kurier, 12.3.93)

Fünftausend, achttausend, elftausend Schifahrer knäueln sich in einem Schigebiet, die Lifttrasse hinauf, die Pistentrasse herunter, die Lifttrasse hinauf, die Pistentrasse herunter, die Lifttrasse hinauf, die Pistentrasse herunter, die Lifttrasse ..., als suchten sie, neurotisiert wie der Tiger im Zoo, auf und ab und auf und ab nach einem Ausschlupf aus dem ganzen, und das in immer höherem Tempo. Auch wenn da ein Auslaß wäre, vermöchten sie ihn wohl nicht mehr wahrzunehmen, geschweige denn zu nützen.

Die Arbeiterhaushalte von Wörgl, Schwaz, Hall, Innsbruck usw. finanzieren mit ihren Stromtarifen den Seilbahnunternehmern in den Hintertälern den elektrisch hergestellten Schnee. „Die Betreiber von Kunstschneeanlagen (sprich Liftgesellschaften) sind fast ausnahmslos Sonderabnehmer, für die die TIWAG aufgrund der Tarifstruktur keinen vollen Kostendeckungsbeitrag verrechnen kann.“ (Kurier, 26.4.90)

Der Tourismusunternehmer im besonderen nimmt sich die billige Arbeitskraft, wenn er sie braucht, z.B. zwei Tage vor Weihnachten, und schmeißt sie weg, wenn er keinen Bedarf mehr hat, z.B. drei Tage nach Ostern. Er hat sozusagen mit dem Staat einen Service-Vertrag abgeschlossen, wie bei der Espressomaschine mit dem Maschinenhändler. Im Falle eines Defekts ist ihm promptes Service zugesichert. Ein Gerät, das ausfällt, bekommt er durch ein anderes ersetzt. Dafür zahlt er monatliche Raten. Das gleiche beim Getränkekellner aus Leibnitz. Fällt er aus, bekommt er einen anderen. Braucht er ihn nicht mehr, wird er für ihn gewartet, zwei, vier oder sechs Monate lang. Auf Kosten des Staates, seines Lieferanten. Auch für die Reparatur des Ausgeschiedenen braucht er nicht aufzukommen. Auch das macht der Staat, der Service-Partner des Unternehmers. Die anfallenden Full-Service-Gebühren (Arbeitslosenversicherung, Sozialversicherung) kann der Tourismusunternehmer von dem Haufen Geld, den der Arbeiter ihm erarbeitet hat, mit links zahlen.

Ausländerkriminalität? 1990 wurden in Tirol mehr als dreimal soviele Vergehen und Verbrechen von Touristen wie von Gastarbeitern registriert. Von den Betrugsdelikten von Ausländern, z.B. fingierte Diebstähle, wurden 89 Prozent von Urlaubern verübt.
(TT, 10.8.92)

Es gibt eine Hand voll namhafter ernstzunehmender Kritiker der deutschen Zustände, aber Zigmillionen namenloser ernstzunehmender, von denen niemand spricht. Es sind Kritiker der Tat, nicht der Phrase. Einige Millionen Müllers und Meiers stellen jedes Jahr allein in Tirol ihr Land an den Pranger. Indem sie diese Landschaft aufsuchen, kritisieren sie die vom Kapitalismus zerstörte bei ihnen zuhause. Indem sie hier demonstrativ gesunde Atemluft einziehen, beklagen sie sich über ihre schwere Luft zuhause. Über die Menschen dort ziehen sie her, indem sie zu den Menschen hier flüchten. Ihre Abscheu vor der in Deutschland auszuübenden Lohnarbeit bringen sie mit ihrer Urlaubsbeschäftigung zum Ausdruck. Die gemietete Ferienwohnung brandmarkt die gemietete Stadtwohnung, und ihr Lebensgefühl außerhalb von Deutschland ist vernichtende Kritik ihres Lebensgefühls in Deutschland.
(Es gibt eine Hand voll namhafter ernsthafter Kritiker der österreichischen Zustände, aber Millionen namenloser ernsthafter, von denen niemand spricht. Es sind Kritiker der Tat, nicht der Phrase. Einige Hunderttausende Novaks und Hubers - - -)

Freiwillig würden sie das, was sie tun, niemals tun: sich in Eiseskälte frühmorgens auf ein Drahtseil über schroffe Abgründe hängen, geschlagen mit Plastikklumpfüßen, in schreiendes 100 % Polyester eingepackt. Aber sie sind auf der Flucht. Sie haben bereits Unsummen an gerissene Schlepperbanden (Reisebüros, Busunternehmen, Liftbetreiber) bezahlt und versuchen jetzt verzweifelt auf eigene Faust, mit dem Skipaß in der Hand die Grenzen ihrer Alltagsexistenz zu überwinden.

Glühwein & Jagertee (Leergebinde)

Vorher:

Ein Freudensprung ins Wochenende. Nichts im Wege steht Pistenfreuden jeglicher Art an diesem Wochenende. Sowohl für Samstag als auch für Sonntag prophezeien die Wetterfrösche für das ganze Land schönes Wetter mit milden Temperaturen.
(TT, 22.1.94, Titelseite-Aufmacher mit Farbfoto)

Nachher:

Alle zehn Minuten raste am vergangenen Wochenende ein Rettungswagen zur Innsbrucker Klinik oder landete der Notarzthubschrauber — an Bord ein schwerverletzter Wintersportler. Das schöne Wetter und die harten Pisten bescherten dem Krankenhauspersonal zusätzlichen Streß.
(TT, 25.1.94)

Ein Unterschied zu KdF ist, daß es damals beim Urlaub um die ideologische Abrichtung der Menschen ging, so wie heute. Während seinerzeit mit dem Urlaub Einverständnis produziert wurde mit den Machthabern, wird das heute auch getan. Im Gegensatz zu damals, wo die Urlaubsfahrt eine einzige Propaganda für die Segnungen des Systems war, ist sie das heute ebenso.

Der Urlaub in der gehandelten Form ist ein Konsumprodukt, das über sein Luxus-Image verkauft wird. Luxus scheint überhaupt etwas ganz Tolles zu sein. Das Wort Luxus bedeutet wortgeschichtlich (lat. luxus) indes genau das, wofür heute das Wort Luxation steht: Verrenkung, Ausrenkung.

Von einem Bahnhof kann man nicht in die Freiheit fahren.
(Deutsches Sprichwort)

Die Frühjahrs-Flugreise für Rundschau-Leser nach Kemer in die Südtürkei wird wohl so schnell keiner der zahlreichen Teilnehmer wieder vergessen können. Angefangen von der Anreise ... bis zum Flug ... Es war ein schönes Gefühl, als wir dann zum erstenmal die großzügig angelegte Ferienanlage Simena, in der uns nun 7 Tage Schlemmen, Faulenzen, Sporteln und Unterhaltung — kurz Glück und Zufriedenheit — erwarteten, besichtigten. Die besonders schöne, saubere, gepflegte und ruhige Anlage übertraf sogar die ohnehin hoch gesteckten Erwartungen ... Sämtliche 110 Teilnehmer waren hellauf begeistert. So verging ein schöner Tag nach dem anderen, und plötzlich war es leider schon wieder Zeit, an die Heimreise zu denken ... Man konnte so manchen anderen Gast und auch das Personal sagen hören, wie leid es ihnen tat, daß die „lieben Tiroler“ wieder abreisen müssen.
(Rundschau, 23.5.90)

Alkoholtourismus.

Die Antwort auf die Frage: Wie sieht der fortschrittliche Standpunkt zum Massentourismus aus?, ist: Welches ist der fortschrittliche Standpunkt zu einem Krebsgeschwür? Wie kritisiert man eine Auswirkung? Kann man eine Explosion tadeln? („Dummes Feuer!“? „Blödes Donarit!“?)

Hinter dem Exzess Massentourismus steht ein brutales System, aus dem er sich unaufhörlich speisen kann. Aus diesem System wollen die Menschen — oft unter Riskierung ihres eigenen Lebens — hinaus. Zahlen aus Österreich (in Deutschland ist es schlimmer!):
Jeder zehnte Österreicher und jede zehnte Österreicherin lebt in Angst (Kurier, 15.1.91). Eine halbe Million Österreicherinnen und Österreicher sind schwer depressiv (Kurier, 25.6.93). Jeder dritte Österreicher und jede dritte Österreicherin schluckt täglich Arzneimittel (Kurier, 16.1.92), 110.000 sind medikamentenabhängig (TT, 1.7.93). 10 Prozent der Österreichinnen und Österreicher trinken täglich 50 Gramm reinen Alkohol, was z.B. einem Liter Wein entspricht (TT, 7.3.92). 300.000 sind alkoholkrank (Kurier, 4.4.93), 650.000 alkoholgefährdet (Kurier, 28.5.91). 90 Prozent der Arbeitenden in Österreich leiden unter Streß (TT, 10.11.92). 56 Prozent der Eltern geben ihren Kindern kreislaufstabilisierende Mittel (Kurier, 18.9.93). 16 Prozent der Österreicherinnen haben innerhalb eines Jahres Selbstmordgedanken (Kurier, 18.1.94). In den westlichen Bezirken Tirols gibt es mehr Selbstmorde als Verkehrstote (TT, 6.8.93). Im Schnitt spielt jeder Österreicher und jede Österreicherin in jeder Lotto-Runde mit einem Einsatz von 28,60 Schilling (Kurier, 23.6.93).

Die 100.000 Ski-Unfälle pro Saison in Österreich mit den 30.000 Verletzten und 86 Toten (1991/92), das sind größtenteils keine Freizeit-Unfälle, sondern Arbeits-Unfälle. Geschehen beim sich Herauskatapultieren aus dem Arbeits-Alltag.

Die Freizeit ist dazu da, das wegzukonsumieren, was in der Arbeitszeit produziert worden ist. Weil in immer gehetzterer Arbeit immer noch mehr produziert wird, muß in immer gehetzterer Freizeit immer noch mehr konsumiert werden. Weil jetzt auf Teufel komm raus Schi-Hosen und Apres-Ski-Hosen und Snowboard-Hosen hergestellt werden, müssen jetzt auf Teufel komm raus Schi-Hosen und Apres-Ski-Hosen und Snowboard-Hosen verbraucht werden. Wir werden auf den industriellen Ausstoß angesetzt wie jene Sorte von Würmern auf den anfallenden Sondermüll, den sie vertilgen indem sie sich durch ihn durchfressen. Der ganze Plunder wird nicht deswegen produziert, weil wir ihn konsumieren wollen, sondern weil wir ihn konsumieren müssen.

Wir sind hier mit Tirol nichts anderes als die Fabrikskantine der BRD-Fabrik, der Pausenraum.

Die Menschen scheinen voreinander unaufhörlich rechtfertigen zu müssen, wie sie den Urlaub verbracht haben (Warst du? Was hast du gemacht? Wie war es? Du warst gar nicht?) Dazu, daß sie 48 Wochen im Jahr Muttern an Schrauben ansetzen oder Staubsaugerbeutel verkaufen, verlangen sie einander keine Erklärung ab.

10.000 Models auf einer Piste: „edles Changeantgewebe“, „lässiger Schnitt“, „Metallic-Effekt“, „Stick am Rücken“, „Allover-Optik“, „dekorativer Beinzipp“, „aufwendiger Stepp“ - - -
Warenhaus-Aphorismus: „Mode heißt, sich niemals entscheiden zu müssen, wer man wirklich ist.“ (Slogan der Skimodenfirma „s unlimited / all eye need“, Obergurgl 1994)

Der Fremdenverkehr, sagt ein grüner Trottel, zerstört die Landschaft. Es ist der Fremdenverkehrs-Unternehmer, der sie zerstört.

Wenn wir die aus den Wirtschaftskriegen dieser Welt in unser Hinterland zurückflutenden Fronturlauber hassen, so schrecklich anzusehen sie sind, so übel zugerichtet, hassen wir die Falschen. Weder haben sie die Kämpfe, in die sie hineingeraten sind, selbst losgetreten, noch nehmen sie die Beute, die sie erringen, selbst in Besitz. Nur die Verwundungen, die sie erleiden, gehören wirklich ihnen. Statt diese Kriegskrüppel noch zu verlachen, sollten wir alle Verachtung zusammensparen für ihre Kommandeure und Befehlsgeber, ihren jeweiligen Hauptmann, das heißt: Landeshauptmann, und ihren jeweiligen General, das heißt: General-Direktor.

Sie sind oft die meistunterschätzten Mitarbeiter im Tourismus: die Liftwarte und Kassiere bei Bergbahnen. In Wahrheit freilich haben sie soviel Kontakt mit Gästen wie kaum ein anderer in der gesamten Branche. Die Edinger Tourismusberatung bietet daher ein spezifisches Training für Kassenkräfte und Einstiegshilfen. Schwerpunkt der Schulung, die am besten direkt im Betrieb stattfinden soll, ist das Auftreten in kritischen Situationen (...).
(Tirols Wirtschaft, 11.10.91)

Weshalb die Tiroler Gastwirte grausame Rache an den Türken nehmen müssen:

Als ich 1953 das Bürgermeisteramt übernahm, bestand Fiss aus 60 alten Häusern, von denen kein einziges über Wasserinstallationen oder gar ein Spülklosett verfügte. Die jungen Dorfbewohner sind in die Schweiz gezogen, um Arbeit zu finden. Meine Frau war vor unserer Hochzeit Dienstmädchen in der Schweiz und sie hat mir berichtet, daß die Tiroler dort so behandelt wurden wie heute bei uns die Gastarbeiter.
(BM E. Pale in ‚Seilbahnen‘ 1/86)

Mehr als du aus jedem Leitartikel über die Zustände in Deutschland, Holland usw. in Erfahrung bringen kannst, kannst du aus dem Gesicht fast eines jeden Sommertouristen herauslesen, wenn die hier ihr beschissenes Leben ausführen. Stumm schreiendes Elend. Rotgesichtige, abgearbeitete Leute mit leeren, hängenden Blicken, gar nicht mehr auf der Suche nach irgendwas in ihrem Leben, an eine Bild-Zeitung geklammert, in billiges Ost- oder Fernost-Gewand gewickelt, an ein Hündchen angebunden: eine unaufhörliche Opferschau. Es sagt der 74jährige in seinen Mokasinschuhen zu seiner 72jährigen Frau in ihren Mokasinschuhen auf dem Parkplatz am Gletscherrand: „Irjndwie müssn wa ja“n Tach totkriejn!"

Separatisten haben Freitag früh auf der französischen Mittelmeerinsel Korsika 30 Ferienhäuser in die Luft gesprengt. Die Angreifer überfielen ein Urlauberdorf bei Porto Vecchio, forderten die Touristen zum Verlassen ihrer Unterkünfte auf und zündeten dann die Sprengsätze.
(TT, 23.5.92)

Der in ein unmögliches Leben als Untergrundbahnschaffner der Düsseldorfer Verkehrsbetriebe Eingezwängte flieht in den Urlaub nicht nur vorm Gedröhn und vorm Gedränge, vor der Dunkelheit der Schächte und der Grellheit der Scheinwerfer, sondern auch vor sich selber: Er hält den, der dieses „Leben“ 48 Wochen lang aushält, nicht aus! Er muß weg von dem!

Bild: Frau, vorgebräunt und nachkoloriert, auf 40jährige gestrafft, mit Designerwässerchen abgeschmeckt usw., und Mann, eine Zehn- oder Zwanzigtausend-Mark-Brille als Zehn- oder Zwanzigtausend-Mark-Brille im fetten Gesicht, in Nobelparfum gebeizt, aufgeblasen zu etwas usw., aus der Hotelhalle des Fünfsterne-Hotels tretend.
Gedanke: Wieviel fremder Leute Schweiß und wieviel fremder Leute Blut klebt an denen ihrer Kreditkarte!

Die neue Bahn auf den X., sagt ihr Besitzer, wurde hervorragend in die Landschaft eingepaßt. Gehen wir das Wort selber fragen: „Bahn gehört wahrscheinlich zu der germanischen Wortgruppe von gotisch banja“Schlag; Wunde„und bedeutete demnach ursprünglich etwa“Waldschlag, Durchhau im Walde„.“ (Duden)

Ein großer Teil der Wintertouristen verbringt den Urlaub in Narkose. Sie halten nicht nur ihre Maloche nicht aus, sondern auch ihren Urlaub nicht! Der Alkohol legt sich wie eine Schutzschicht über die unausstehlichen Verhältnisse, er hüllt sie wie in Watte, auf daß sie nicht beschädigt werden können. (Um ja am zugrundeliegenden System nichts ändern zu müssen, haben die Herrschenden dafür die Lebertransplantation zur Serienreife entwickelt.)

Weil der Tiroler Tourismusindustrielle nicht gut mit seinem Rohstoff Tirol in ein Billiglohnland übersiedeln kann, holt er sich die Billiglohnarbeiter aus dem Billiglohnland zu seinem Rohstoff Tirol und schafft sich seinen Auslandsbetrieb im Inland.
Ein Vergleich: Im tschechischen Budisov steht eine Kolchose-Halle, „in der 47 Stepperinnen für Österreichs größten Schuhmacher nähen: 1000 Paar Schuhoberteile am Tag, lauter Högl-Damenmodelle“ (Kurier, 20.12.93). Dem entsprechen die tschechischen (kroatischen usw.) Billigarbeiter im Keller und in der Hinterküche z.B. des Hotels H. in Obergurgl. Die „halbfertigen Schuhteile“ werden dann „380 Kilometer weit zur Fertigmontage in das Hauptwerk in Oberösterreich“ gebracht. Die glattgebügelten Bettbezüge und die vorbereiteten Speckscheiben werden dann auch von billigen Arbeitskräften aus Österreich fertigmontiert. Heute gründet der Koloniebetrieb Högl auf der Arbeit billiger Tschechinnen, aber: „Steigen die Lohnkosten, packen wir und siedeln ins Baltikum oder in die Ukraine“, so ein Mitgesellschafter der Högl AG (Kurier, 20.12.93). Heute gründet der Koloniebetrieb Hotel H. in Obergurgl auf der Arbeit billiger ...
Und wer sind die Abnehmer für Hotelbett und Högelschuhe? „80 Prozent der Produktion werden exportiert, vor allem nach Deutschland.“ (Kurier, 20.12.93)

Unser deutscher Arbeiter ist in der Lage, sich zu begeistern und glücklich zu sein. Diese Begeisterungsfähigkeit und ihre Erfüllung ist ein Bestandteil seiner Leistungsgrundlage. Wenn unser Arbeiter einmal im Jahr durch eine Urlaubsfahrt glücklich gemacht wird — und es ist unser Bestreben, ihn möglichst zu verwöhnen -, dann kehrt er freudiger zu seiner Arbeitsstelle zurück.
(Bodo Lafferentz, Leiter des „KdF“-Amtes für Reisen, Wandern und Urlaub„in seinem Aufsatz“Urlaub und Erholung", 1936)

Die Unternehmer gewähren Urlaub? Streut der Mäster der Sau Stroh, weil er ihr Gutes tun will oder weil er sich Gutes tun will?

Die Massentourismus-Gemeinde Sölden, in der ich dies schreibe, zählt in etwa soviele Winternächtigungen wie der Bezirk Reutte mit den Gemeinden Bach, Berwang, Biberwier, Bichlbach, Breitenwang, Ehenbichl, Ehrwald, Elbigenalp, Elmen, Forchach, Grän, Gramais, Häselgehr, Heiterwang, Hinterhornbach, Höfen, Holzgau, Jungholz, Kaisers, Lechaschau, Lermoos, Musau, Namlos, Nesselwängle, Pfafflar, Pflach, Pinswang, Reutte, Schattwald, Stanzach, Steeg, Tannheim, Vils, Vorderhornbach, Wängle, Weissenbach am Lech und Zöblen.

Die normale Reaktion auf das Einnähen von Rock-Ärmeln im Akkord ist nicht der Wunsch nach „Ekstase im Tiefschnee“ (Prospekt Gurgl), sondern der nach dem Nichteinnähen von Rock-Ärmeln im Akkord, genauso wie die normale Reaktion auf die Schichtarbeit im Kaltwalzwerk der Wunsch nach Aufhören mit der Schichtarbeit ist und nicht der nach „Höhenrausch“ und „Gipfelhalluzination“ (Tirol Werbung).

‚Mit Raupen und Bullys wird die Piste planiert.‘ Ein klarer Satz, der in heutigen Ohren schon fast wie die Beschreibung einer Idylle klingt. Aber war eine Raupe nicht einmal etwas, was der Vegetation stark zusetzt, ja, ein Schädling, der mitunter ganze Landstriche leerfrißt? Bully ist eine Koseform zum englischen Bulldozer, das soviel heißt wie „Einschüchterung durch Gewalt“. Die Piste geht über das italienische pestare, „stampfen“, auf das lateinische pistum, „zerstoßen, zerstampft“, zurück. Das Planieren leitet sich ab aus dem lateinischen plan, das soviel wie „Kampfplatz“ heißt. Die Wörter haben ihre wahre Botschaft noch nicht ganz vergessen.

‚In Klosters gingen junge Schweizer auf die Straße und verteilten ankommenden Skifahrern Flugblätter mit der unfreundlichen Aufforderung: Bleiben Sie zu Hause — wir wollen Sie nicht.‘ So geschehen im März dieses Jahres.
(F. Rundschau, 1.11.89)

Wo der Urlaub, wie vor allem der Winterurlaub, im Sport aufgeht, wirft er fürs System besonders viel ab. Hier wird, wie es am Arbeitsplatz gebraucht wird, in Selbstdressur Tempo gelernt, Härte gewonnen, Leistung trainiert. An die Umlaufbahn in Kappl gehen sie heran wie ans Förderband in Kiel: alles im Akkord. 22 linke vordere Kotflügel grundiert, 22 Abfahrten bei der Rößlbahn geschafft. Noch das Sonnen auf Leistung (Stunden, Körperfläche, Braunton) und noch das Saufen (Getränkezahl, Getränkeart, Geschwindigkeit)! Als wären sie allesamt nur auf betriebliche Nachjustierung hier: jeder ist — wie im wirklichen Leben — eines jeden Konkurrent, jeder Parallelschwung hat jeden Parallelschwung eines jeden anderen auszustechen, und jede gezeigte Hocke hat alle anderen pistenweit gezeigten in den Schatten zu stellen. Auf eigene Kosten vervollkommnen sich hier die Lohnarbeiter quasi im Trockentraining für den brutalen Konkurrenzkampf zuhause — zum Nutzen ihrer Lohnherren. Diese Abrichtung durch Sport, genauer: Massenabrichtung durch Skisport, treiben die österreichweit durchgeführten WISBI-Rennen auf die Spitze, wo die Freizeitsportler scharenweise in den indirekten Vergleich mit der Weltspitze der Leistungssportler gehetzt werden.

Der Skiberg: ausgeholzt, abgeschält, aufgerissen und aufgeschnitten und aufgeschlitzt und aufgefetzt, durchbohrt, umgebaggert, umgemodelt, nein: umgebaut, gehäutet, zerhackt, zerschnitten, zerstochen, gesprengt, aufgetürmt, abgeschabt, eingetetscht, geradegebogen, plattgewalzt, zerkratzt, abgeschürft, wundgescheuert, geschunden, geschlagen, getreten, m-a-l-t-r-ä-t-i-e-r-t ! (Der Skiberg unterm Schnee schaut aus wie der Niki Lauda unterm Kappl.)

Man kann den Prospekt der Tirol-Werbung als Anklageschrift gegen die Zustände in den Industrieländern lesen, in die er massenhaft verschickt wird. Stilistischer Trick dieses Pamphlets ist es, die Unerträglichkeit des Dahinvegetierens in Marseille, Mailand, Manchester, Magdeburg, Mechelen dadurch zu enthüllen, daß von ihr gesprochen wird, ohne von ihr zu sprechen. Die Anprangerung des Fabriks- und Verkehrslärms dort liest sich hinterfotzigerweise als Anpreisung „grenzenloser Ruhe“ hier. Mit dem Hinweis auf „Geborgenheit und Entspannung“ in der Hetzschrift der Tirol-Werbung wird augenfällig das Leben unter dem Industriekapitalismus gegeißelt, das nur Entfremdung und Streß zuläßt. Der Werbekatalog („Frei sein!“, Wärme tanken„,“Mensch sein") ist indirekt nichts anderes als ein einziger Mängelkatalog, der die Verhältnisse beschreibt, unter denen die angesprochenen Empfänger leiden (Unfreiheit, Kälte, eine Maschine sein).

Wenn etwas eine neue Funktion bekommt, braucht es einen neuen Namen: Das Wurtenkees heißt jetzt, zum Sommerschigebiet umgebaut, Mölltaler Gletscher, und der Schafberg Hartkaser (Ellmau) heißt, als Liftberg herausgemacht, jetzt Hartkaiser, die zwei Bergbauerngemeinden Mauterndorf und Mariapfarr werden als Skigebiet unter dem Titel Samson Valley auf den Markt gebracht. HMS Reisen Offenburg bieten die umfunktionierte Sennhütte bei Auffach als die „Kumpelhütte“ und die Koleralmhütte bei Fügen als die „Ramba Zamba Hütte“ an.

Eine Umfrage in Deutschland hat ergeben, daß siebzig Prozent der Tirol-Urlauber mit der Umweltsituation in Tirol nicht mehr zufrieden sind. Sechzig Prozent der deutschen Massentouristen wünschen sich ein schöneres Ortsbild in ihrem Tiroler Urlaubsort. (Ö 2 Tirol-Journal, 20.3.1991) 600.000 Tirolerinnen und Tiroler müssen 365 Tage im Jahr in dieser Umwelt und in diesen Ortsbildern leben.

Durch die Ausbeutung² der „Dritten Welt“ ist es Ausgebeuteten der sogenannten „Ersten Welt“ möglich, Ausbeuter-Urlaub in der „Dritten Welt“ zu machen. „Zwei Wochen Türkei, Flug, NF um DM 999.-“, z.B., sind Hehlerei.

Was, sagen wir, der Prater für Wien, ist Tirol (im Winter) für Westeuropa: ein einziger Freizeitpark, in der Sprache der Tirol-Werbung: „ein Abenteuerspielplatz mit 12.648 Quadratkilometern Fläche“, 120 Tage Kirchtag am Stück, das ganze Land Festwiese, Rummelplatz, Vergnügungsviertel, Bude an Bude, Attraktion neben Attraktion: „Flutlichtrodelbahn“, „Pistenteppich“, „Sportgerät Berg“ (Tirol Werbung), „Gletschersolarium“ (Tirol Werbung). Hinter dem Sportpark jede Menge Freizeittechnik: Sprengseilbahnen, Schneefabriken auf 2.800 m, Speicherseen.

Einerseits:

Das Eigenartige ist, daß diese Tirol Werbung versucht, immer mehr Leute einzubinden, von denen ich eigentlich erwarte, daß sie sich nicht einbinden lassen, immer mehr Künstler, die ganz offiziell und offenbar ohne Unbehagen für die Tirol Werbung arbeiten. Wenn es so etwas gibt, wie einen, wenn schon nicht Feind, aber dann jemanden oder etwas, das auf der anderen Seite des Flusses ist, und im Augenblick ist keine Brücke, dann äh kann das in Tirol nur der Tourismus sein.
(Norbert Gstrein in „Gedanken“, Ö 3, 1992, Wh. am 27.7.93)

Andererseits:

Vor kurzem startete die Tirol Werbung ein Pilot-Projekt in etwas unbekannteren Gefilden: Die Kulturservicestelle des Landes Tirol offerierte den Tirol Werbern die Möglichkeit, bei Lesungen des bekannten Ötztaler Autors Norbert Gstrein („Einer“, „Anderntags“) in Tiroler Schulen als Sponsor dieser Veranstaltungen aufzutreten. Diese Gelegenheit benutzte die TW, um sich der Tiroler Jugend vorzustellen.
(Tirol — Zeitschrift der Tirol Werbung, 2/1991)

Sportgerät Berg

Das Bedürfnis der Menschen nach Änderung ihrer Lebensverhältnisse wird korrumpiert mit tausend schillernden Lockangeboten, nämlich Weglockangeboten. Und weil der als Ersatz angedrehte Bacardi kein Ersatz ist, muß er bis zum Exzeß gesoffen werden, und weil der als Ersatz gekaufte Schipaß keiner ist, muß er bis zum Exzeß ausgefahren werden. Je weiter weg die Leute von den Problemen gelockt werden, desto unmöglicher ist deren Lösung und desto verzweifelter werden die Fehlversuche.

Die Drei-Mann-Liftgesellschaft in Sölden, die im Lauf der Jahre aus der Arbeit Hunderter Liftarbeiter im Ort ein paar hundert Millionen Schilling Reingewinn gezogen hat, ist jetzt rund um den Erdball auf der Jagd nach Rendite für dieses Kapital, sucht nach einem Ort, wo eine große Menge Arbeiter wiederum durch deren Hände Arbeit aus dem zusammengerafften Geld mehr Geld macht. Gerüchten nach überlegen sie, in Kanada und im Kaukasus in Skigebiete zu investieren, Berichten nach versuchten sie zuletzt in Hoch-Oetz mit 260 Millionen Schilling einen Lift-Zirkus zu errichten (1989), 1991 in Umhausen auf 60 Hektar Bauernwiesen einen Golfplatz hinzupragsen, 1992 in der Hohen Tatra (Slowakei) ein Skigebiet auszubauen, 1993 sich groß am Liftprojekt in Imst zu beteiligen und mit 200 Millionen Schilling eine Schischaukel Kals-Matrei zu realisieren. Alles gescheitert! Das Geld modert vor sich hin, das Fieber steigt. Fortsetzung folgt.
Wie wär"s mit 300 Millionen für den sozialen Wohnbau im Tal? Oder mit - - -? Hier wurden sie ja herausgeschunden, aus den Leuten und aus dem Land.

Auch bei Kärnten im Winter hat man an Massentourismus zu denken: Bad Kleinkirchheim, Hermagor, Heiligenblut, Katschberg, Turracher Höhe, Velden, Villacher Alpe, Naßfeld, Feistritz, Lesachtal, Obervellach, Mallnitz, Spittal, Weißensee, Dobratsch, Bleiburg, Seeboden, Innerkrems, Gerlitzen ... Sölden, die Tiroler Gemeinde, in der ich dies alles schreibe, zählt (im Winter) ziemlich genau halb soviele Nächtigungen wie das ganze Tourismusland Kärnten (im Winter).

Sie schreien um Hilfe, keine Frage, Nacht für Nacht, um ein Uhr, um zwei Uhr, um drei Uhr, um vier Uhr, keiner hört sie, in Kirchberg, in Neustift, in St. Anton (...), krakeelen ihren Schmerz hinaus, ihre Verzweiflung, jeder hört sie. Sie schlagen Radau und meinen Alarm. Welches Leid vor unserer Haustüre, und wir drehen uns auf die andere Seite!

Wer die wirklichen Bergbauernförderer sind? Die Seilbahnunternehmer! Auf den von ihnen mit Maschinenschnee beschossenen Wiesen haben die Bergbauern laut Tirol werbung einen bis zu 43 Prozent höheren Heuertrag als auf den noch nicht mit Maschinenschnee beschossenen Wiesen. (TT, 16.11.91)

Mit Hilfe der Stubaier Gletscherbahn wurde eine Höhenloipe auf 2600 Metern erschlossen, die vom Herbst bis ins Frühjahr optimale Schneebedingungen garantiert. Direkt vom Eissee verlaufen die neuen 4,5 Loipenkilometer in Richtung Wilde Grube, mit einer Umkehrschleife am Ende des Daunferners.
(TT, 16.12.93)

Eine junge Westendorferin: ‚Wenn unsere Generation einmal das Sagen hat, werden wir wohl viele Lifte wieder abreißen!‘
(Kurier, 28.9.91)

Es gibt kein richtiges Leben im falschen. Es gibt keine „andere Form“ des Tourismus im Kapitalismus, keinen „sanften Tourismus“, keinen „intelligenten“ und keinen „sozialverträglichen Tourismus“. Die Alternative zum Massenauszug ist nicht „sinnvoll reisen“, sondern nicht wegfahren müssen.

Davor: „Es existiert von ihm ein Brief aus dem Jahre 1956, in dem er sich als Schriftleiter des Alpenvereins vehement gegen die Technisierung der Berge einsetzt.“ (a3 eco, 9/90) Er steht auf der Seite der Naturschützer, die ein Seilbahnprojekt im Rofan verhindern wollen. „Sie müßten“, klagt er damals einem anderen Umweltschützer in einem Schreiben, „über die Macht des Geldes Bescheid wissen, wir sind immer dem Kapital unterlegen.“
Danach: „Die Koalition aus Angstmachern und Nörglern spuckt Gift und Galle gegen die Tourismuswirtschaft.“ (Tirol — Zeitschrift der Tirol Werbung 2/92)
Dazwischen: Mit 70 Prozent Kapital aus Deutschland hat Heinrich Klier den Stubaier Gletscher (Daunkogelferner, Fernauferner, Gaißkarferner, Schaufelferner, Windachferner ...) zum Schigebiet umgebaut und sich als Geschäftsführer der Wintersport Tirol AG (Stubaier Gletscherbahn) etabliert.

Die Flüchtlinge, die überall in unser Land hereindrängen, sind Opfer der politischen Zustände in ihrer Heimat. „Aber Österreich ist ein zu kleines Land um alle aufzunehmen!“ — „Der Österreicher hat gewiß ein Herz für Menschen, denen es schlecht geht, die unter einem unmenschlichen System leiden, aber ...!“ — „Davonlaufen ist keine Lösung!“ — „Man muß ihnen helfen, die Lebensverhältnisse in ihrer Heimat zu verbessern!“ — „Dort muß sich etwas ändern!“ — „Die können doch nicht alle herkommen!“ — „Wer soll denn die Zustände dort ändern, wenn die alle abhauen!“ „Man muß die positiven Kräfte in diesen Ländern unterstützen, damit möglichst viele Leute dort bleiben wollen, wo sie geboren wurden und wo sie ja hingehören!“ Das heißt, die Ursachen, die immer wieder Anlaß geben zur Massenflucht in unser Land, die mörderischen Lebens- und Arbeitsbedingungen, müssen nachdrücklich beseitigt werden, in Deutschland, in Holland, in Belgien usw.

Tiroler Tageszeitung, 2.3.1989
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