Café Critique, Jahr 2008
Oktober
2008

Der Führer der Herzen

Jörg Haider ist tot und niemand freut sich. Dem modernisierten europäischen Rechtsradikalismus ist eine Leitfigur abhanden gekommen, weil sie sich volltrunken hinter das Steuer setzte und nach Walhall raste. Seine früheren Konkurrenten aber, die ihn schon zu Lebzeiten nicht nur beneidet, sondern immer auch ein wenig bewundert haben, üben sich in „Pietät“, die jedes böse Wort über den Verstorbenen verbiete. Sie kaschieren damit ihre hemmungslose Verklärung und Verharmlosung eines Politikers, dem sie prä mortem nur mit begriff- und substanzlosen Demokratiebeschwörungen bei gleichzeitiger Übernahme der Politik dieses Lautsprechers der postnazistischen Volksseele begegnen konnten.

Der sozialdemokratische Wiener Bürgermeister Michael Häupl sprach von seinem „Respekt für den Menschen Jörg Haider, für seine Dynamik, seine Kraft und seine Intelligenz.“ Der SPÖ-Bundespräsident Heinz Fischer lobte einen „Politiker mit großen Begabungen“ und zeigte sich „tief betroffen“. Der sozialdemokratische Kanzleranwärter Werner Faymann entschied sich ebenfalls für ein „tief betroffen“, wohingegen Nochkanzler Gusenbauer ein „sehr betroffen“ bevorzugte. Die sozialdemokratische Parlamentspräsidentin würdigte „die große politische Lebensleistung“ Haiders. Ähnliche Verlautbarungen kamen von der ÖVP und auch in den Stellungnahmen der grünen Parteispitze suchte man Wörter wie „Rassismus“, „Antisemitismus“ oder „NS-Verharmlosung“, die fast jedem ausländischen Beobachter beim Gedanken an den Spross einer eingefleischten Nazi-Familie in den Sinn kommen, vergeblich.

Die Statements der Politiker entsprechen der vorherrschenden Stimmung im Land. Schon die zahme Frage des ORF-Anchormans Armin Wolf an den 27-jährigen neuen BZÖ-Chef Stefan Petzner, ob sein politischer Ziehvater Haider politisch gescheitert sei, bezeichneten Zuschauer in empörten Reaktionen als pietätlos. Während es bei jedem anderen Politiker als unentschuldbare Verantwortungslosigkeit gelten würde, mit 1,8 Promille und rund 170 Sachen in eine Tempo 50-Zone einzufahren, steht Haider wie zu Lebzeiten nicht nur für seine Fans als famoser Bursche da, der sich an keine Regeln hält und halten muss.

Haiders Anhänger spekulieren darüber, ob der Mossad seine Finger im Spiel hatte oder „die Ausländer“ ihm die Reifen aufgeschlitzt haben. Sie verfielen in einen Trauertaumel, der zeitweise Lady Di-Format annahm: Vom „König der Kärntner Herzen“ war auf Plakaten zu lesen. Aus Gerhard Dörfler, dem Nachfolger Haiders als Kärntner Landeshauptmann, brach es in einer ersten Reaktion heraus: „In Kärnten ist die Sonne vom Himmel gefallen!“ Angesichts der zahlreichen Trauerkerzen an der Unfallstelle sprach er von „Lichtermeeren der Herzen“ und setzte damit einen Gegenpol zum Lichtermeer von 1993, mit dem das linkspatriotische Österreich gegen Haiders Anti-Ausländer-Volksbegehren protestiert hatte.

Am vergangenen Samstag waren dann alle nach Klagenfurt gekommen, um vom prototypischen Führer der demokratisierten Volksgemeinschaft Abschied zu nehmen: der Bundespräsident, der Bundeskanzler und sein designierter Nachfolger, Ex-Kanzler und Vizekanzler von der Volkspartei und fast alle Minister der großen Koalition, sämtliche Landeshauptleute, der Präsident der Wirtschaftskammer und der Chef der Gewerkschaft, Kameradschaftsbündler, Burschenschaftler in vollem Wichs und 30.000 trauernde Bürger. Das Bundesheer hielt Ehrenwache. So ist Österreich ganz bei sich – als große postnazistische Familie.

Der sozialdemokratische Kanzler attestierte dem Verstorbenen, der noch vor wenigen Wochen gefordert hatte, allen Asylbewerbern elektronische Fußfesseln zu verpassen, Asylsuchende rechtswidrig in andere Bundesländer abschob und bis zuletzt Urteile des obersten Gerichts hinsichtlich der Errichtung zweisprachiger Ortstafeln schlicht ignoriert hatte, er habe „ein feines Gespür für das gehabt, was sich ändern muss“ und zollte ihm gleich mehrfach „Respekt und Anerkennung“. Es war ein Staatsbegräbnis samt der Hymne jener Nation, die Haider vor seiner Phase des aggressiven Austropatriotismus ganz im Sinne des Deutsch-Nationalismus noch als „ideologische Missgeburt“ bezeichnet hatte. Auch der Ghaddafi-Sohn mit dem Sympathie verströmenden Vornamen „Schwert des Islam“ ließ sich bei der Beisetzung Haiders blicken, dessen Partei sich heute vehement für die Milliardengeschäfte der OMV mit dem Iran einsetzt, der zu Lebzeiten seine Bewegung als „PLO Österreichs“ bezeichnet hatte und sich beim irakischen Diktator Saddam Hussein sichtlich wohl fühlte, mit dem er, wie er 2003 bekannte, „in der Palästinenserfrage einer Meinung“ war.

Auch Veteranen der Waffen-SS nahmen an den Feierlichkeiten mit der versammelten Staatsspitze teil, und der ORF war sichtlich bemüht, die ordenbehängten Recken nicht ins Bild zu rücken. Haider hatte sie als „anständige Menschen“ bezeichnet, „die einen Charakter haben, die auch bei größtem Gegenwind zu ihrer Überzeugung stehen und ihrer Überzeugung bis heute treu geblieben sind.“ In den letzten Jahren hatte man Lob für die nationalsozialistischen Vernichtungskrieger oder für die „ordentliche Beschäftigungspolitik im Dritten Reich“ von Haider allerdings nicht mehr gehört. Und in einem seiner letzten Interviews kritisierte er die mangelnde Abgrenzung der Strache-FPÖ zum offenen Neonazismus. Sein neuestes Projekt dürfte darin bestanden haben, den postfaschistischen Konsens und die postnazistischen Ressentiments gegen jene Nazis zu organisieren, die vom Hitlergruß nicht lassen können, was aber wohl auch nichts daran geändert hätte, dass die alten Kameraden jährlich mit Unterstützung der Landesregierung am Kärntner Ulrichsberg aufmarschieren.

Nach den Inszenierungen der Trauerfeierlichkeiten gibt es jetzt neben der Königin der Herzen auch den Führer der Herzen, der sich als Leitfigur für die nach gemeinschaftlicher Wärme lechzenden Opfer seiner Wirtschaftspolitik und für die erfolgreichen, kaltschnäuzigen Eventhopper in Kärnten gleichermaßen etablieren konnte. In seiner nun viel beschworenen Menschenliebe sorgte er sich dermaßen um das Wohl der Eingeborenen, dass er kurz vor seinem Tod die vereinsamte Saualpe zu einer Sonderanstalt für Asylbewerber umfunktionieren ließ, die zwar nicht verurteilt wurden, aber einer Straftat „verdächtigt“ werden. Der Applaus der sozialdemokratischen Vizebürgermeisterin von Klagenfurt zu dieser rechtswidrigen Maßnahme zeigte abermals, dass der Rassismus keine Spezialität von Haider ist. Große Teile der SPÖ im südlichsten Bundesland existieren ohnehin nur, um Erwin Ringels Charakterisierung von Kärnten zu bestätigen: „Dieses Land ist wie ein Punschkrapferl – außen rosa, innen braun und ständig unter Alkohol.“

Haider wird in seinem arisierten Bärental seine letzte Ruhe finden, aber an der Unerträglichkeit der österreichischen Normalität wird sich auch ohne ihn so schnell nichts ändern. Zu dieser Normalität gehört, dass ein Politiker mit einer modernisiert-demokratischen Variante nationalsozialistischer Ressentiments und faschistischer Eventkultur mit der FPÖ Wahlergebnisse von bundesweit knapp 30 Prozent einfahren konnte und in Kärnten mit seinem BZÖ kurz vor der absoluten Mehrheit stand, dass er von seinen politischen Konkurrenten hofiert wurde und nach seinem Abgang zum Menschenfreund erklärt oder als „umstrittener Politiker“ verharmlost wird, und dass in den letzten 20 Jahren die vom Führer der Herzen eingeforderte Ausländer- und Abschiebepolitik von sozialdemokratischen Innenministern und ÖVP-Innenministerinnen gewissenhaft in die Tat umgesetzt wurde.

in redaktioneller Bearbeitung erschienen in Jungle World, Nr. 43, 2008