ZOOM 3/1996
Juni
1996
Joachim Hirsch:

Der nationale Wettbewerbsstaat

Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus

Joachim Hirsch geht in diesem Buch den einschneidenden Ver­änderungen nach, denen der Kapitalismus unterliegt, und fragt nach Auswirkungen auf Demokratie und Staat sowie nach neuen Ansätzen für politi­sches Handeln.

Die neu entstehende Form des globalen Kapitalismus be­zeichnet Hirsch als den „natio­nalen Wettbewerbsstaat“. Sämtliche Prinzipien und Kate­gorien der klassischen bürgerli­chen Demokratietheorie — Staat, Volk, Gesellschaft, Nati­on, demokratische Partizipati­on — stünden heute zur Disposi­tion. Primäres Ziel der moder­nen Staaten sei nicht mehr die Sicherung dieser Strukturen, sondern die Standortsicherung als Schaffung profitabler Rah­menbedingungen für ein global operierendes Kapital.

Die drastische gesellschaft­liche Veränderung bestehe dar­in, daß die Zivilgesellschaft selbst eine neue Form des Tota­litarismus hervorbringt, der nicht mehr in erster Linie auf staatlicher Herrschaft beruht, obwohl sich auch diese weiter­hin ausweitet. Der neue Totali­tarismus besteht nach Hirsch in einer Verdrängung des „Be­wußtseins von der Möglichkeit und Notwendigkeit einer prak­tischen Gestaltung gesellschaft­licher Verhältnisse. Gesellschaft wird in ihrer vorfindlichen Ge­stalt zum nicht mehr hinterfrag­baren Schicksal“. Dieses Be­wußtsein entsteht aus den in­nersten Strukturen der Gesell­schaft und wird nicht von außen aufgezwungen.

Als praktischen Ansatz neuer Politik schlägt Hirsch ei­nen „radikalen Reformismus“ vor. Das heißt, ein politischer Kampf, der auf eine internatio­nal verflochtene politische Selbstorganisation unabhängig von den herrschenden Institu­tionen begründet ist und der gleichwohl schrittweise institu­tionelle Reformen zum Ziel hat.

Die Beobachtung, daß der Wille zur praktischen Gestal­tung gesellschaftlicher Verhältnisse immer mehr einer angeb­lichen Sachzwangpolitik weicht, ist sicher richtig. Daher scheint mir auch das Anliegen des Buches, neuere Entwick­lungen zu analysieren und dar­aus Möglichkeiten politischen Handelns abzuleiten, wichtig zu sein. Leider dominiert aber in dem Buch die Neigung zu al­les erklärenden großen Theori­en. Die Einbindung zahlrei­cher Einzelbeobachtungen in eine Gesamttheorie (Durchset­zung und Krise des Fordismus) geht auf Kosten der Analyse von Entwicklungen und Zu­sammenhängen. So verwun­dert es nicht, daß die vorgeschlagene neue Politik wie der alte Grundsatz „Global den­ken, lokal handeln“ unter Hin­zunahme der modernen Ver­netzung klingt.

Joachim Hirsch: Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus. Edition ID-Archiv, Berlin, Amsterdam 1995, 214 S., ca. öS 200,—

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