MOZ, Nummer 47
Dezember
1989
No Sex · No Drugs · No Rock ’n’ Roll

Die 80er am Ende

Es geht um die Geister der Zeit. Wer ließ sie los und warum lassen sie uns nicht los? — Ein gefälliger Streifzug ist da fällig, einer, der manches wird auslassen müssen, sich dafür aber über manch anderes auch kräftig auslassen wird.

Die Achtziger waren das Jahrzehnt der schleichenden Anpassung und Unterwerfung der gesellschaftlichen Opposition in den Metropolen des Kapitals.

Zugegeben, im nachhinein läßt sich das leichter feststellen als in der Phase des grünen Scheinaufbruchs (1978-1986).

Jahre der politischen Reaktion liegen hinter uns, wie sie vor uns liegen. Es handelt sich dabei um eine extreme Reaktion der Mitte, um eine eigenartige, bisher nicht bekannte Übersteigerung und Verabsolutierung des Liberalismus.

Bisher dachte man bei dieser Kategorie nämlich verfälschenderweise immer an Repression oder gar Terror. Doch wer uns so fest im Griff hat, der ist auf obige Griffe nicht angewiesen. Herrschaft verläuft störungsfreier, wenn von solchen unschönen Mitteln eben nicht Gebrauch gemacht wird.

Der Endsieg des Kapitalismus

— ist bereits ausgerufen. Er inszeniert sich in einer geradezu obszönen Selbsthuldigung, die bisher ihresgleichen suchte. Tagtäglich erleben wir die Multipublikation der herrschenden Kongruenz. Die Wucht ihres Auftretens läßt selbst den stärksten Zweifler an seinen Zweifeln (ver)zweifeln, denn: die angebotene Ansicht ist die gebotene Weltsicht. Niemand vermag sich ihr gänzlich zu entziehen oder gar zu entledigen.

„Wenn es wahr ist, daß der Kapitalismus gesiegt hat — und dieser Befund ertönt aus allen politischen Ecken —, dann müssen wir diesen Sieg ernst und den Sieger selbst in die Pflicht nehmen“, lesen wir etwa im Entwurf für ein grünes Sozialprogramm. Wer will schon Verlierer sein? Auch in dieser Ecke hat man sich so schnell dem herrschenden Konsens der Modernisierer zugeschlagen, bevor man von ihm erschlagen wird.

Es ist heute zu einem intellektuellen Wagnis geworden, diese Siegesmeldungen zu kritisieren bzw. gar in Frage zu stellen. Solche Meinungen werden als wahrlich lächerlich tabuisiert. Diese Einstellung wird nicht vorgestellt, da sie als abgestellt gilt. Sie ist nicht bloß angesehen, sie ist nicht einmal vorgesehen.

In allen Ecken hat man sich auf diesen Endsieg eingestellt, eben darum, weil man auf ihn eingestellt wurde. Der Passiv frißt den Aktiv auf. Die grammatikalische Unterscheidung wird der realen Welt zusehends beraubt. Freie Entscheidung bedeutet somit bloß, frei von der Entscheidung zu sein.

Was und wie soll der Mensch noch anderes denken können? Wir sehen die Siegeszüge im Fernsehen, hören die Frontberichte im Radio, lesen von den gewonnenen Schlachten des freien Markts. Wir sind schon ganz drüber, weil uns alles übergeht bei dieser modernen Wochenschau, oder besser noch Stundenschau. Unsere Sinnesorgane sind gestopft, zu voll und voll mit Eindrücken. Ganz eingedrückt, werden wir immer trüber. Doch ‚unser‘ Sendungsbewußtsein ist ungebrochener denn je. Die Beglückung der übrigen Welt steht an: Was wir nicht alles haben dürfen müssen, können wir den anderen nur wünschen bringen wollen. Das ist Tagesordnung, was heißt: Tagesbefehl. Und der wird durchgezogen. Gründlichst.

Es ist selbstverständlich kein Endsieg. Einen solchen kann es für den Kapitalismus ja gar nicht geben, da gesellschaftliche Grundkonflikte (z.B. Lohnarbeit-Kapital) ihm immanent sind, sich andauernd erneuern und in objektiv systemsprengende Konflikte münden. Solange es eine internationale Arbeitsteilung, basierend auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln, gibt, wird es auch immer einen Kampf um die Verfügungsgewalten geben.

Und doch, es ist ein Sieg, der sich gewaschen hat und auf Jahre nicht umkehrbar ist. Die Systemauseinandersetzung mit dem real-existierenden Sozialismus, der bislang stärksten — wenn auch völlig deformierten — nichtkapitalistischen Macht, ist gewonnen. Was die Freude im Westen erklärt. 1917 ist endgültig vorbei.

Die, die diese Umkrempelung der internationalen Kräfteverhältnisse am meisten spüren werden, sind die politisch vom Imperialismus befreiten Länder der sogenannten „Dritten Welt“ und die Befreiungsbewegungen. Ein Wunschtraum der bürgerlichen Metropolen, hier entwickelte demokratische Verhältnisse, aufbauend auf Reichtum und Überfluß, dort unterentwickelte Militärdiktaturen oder antiimperialistische Zwangsregimes, basierend auf Hunger und Armut, scheint Wirklichkeit zu werden. Die ideologischen Fronten, die sich daraus ergeben, lassen Schlimmstes befürchten.

Das Zeitalter der nationalen Befreiungsbewegungen geht damit zwar nicht zu Ende, doch die Erfolgsaussichten werden geringer. In dem ablaufenden Jahrzehnt konnten sie sich kaum gegen das internationale Kapital im nationalen Rahmen politisch-militärisch durchsetzen.

Tatsächlich erleben wir das Umgekehrte: Der Kapitalismus erobert alte Märkte zurück und besetzt neue: er dehnt sich sowohl geographisch aus (gen Osten) als auch zeitlich (Flexibilisierung, neue Arbeitszeitformen) und verwandelt die letzten freien Güter der Natur in Waren (Wasser, Luft). Die Macht des Kapitals erscheint vor diesem Hintergrund grenzenlos und ewig.

Das Ende des real-existierenden Sozialismus

— ist die natürliche Ergänzung zum Endsieg. Endsiege können nur dann propagiert werden, wenn (vermeintliche oder tatsächliche) Alternativen beseitigt werden können.

Der real-existierende Sozialismus läuft aus und davon. Die Achtziger waren das letzte Jahrzehnt dieses deformierten Sozialismus in Europa. Ein anderer ist nicht in Sicht. Wo soll er auch herkommen? Die stalinistische Konterrevolution wird durch die bürgerlich-liberale Konterrevolution abgelöst.

Die verstärkte Einführung von marktwirtschaftlichen Wirtschaftsformen ist kurz- und mittelfristig sicher nicht mehr rückgängig zu machen. An der Tatsache der Etablierung des Kapitalismus im europäischen Osten sollte sich niemand vorbeischwindeln. In kürzester Frist wird der Markt zur dominierenden Größe heranwachsen, die planwirtschaftlichen Elemente zurückdrängen und eindämmen.

Unterentwickelte Planwirtschaften haben in einer vom Kapital dominierten Weltwirtschaft letzten Endes keine Chance gegen die Tempo und Richtung bestimmende internationale Konkurrenz.

Der Stalinismus ist jedenfalls am Ende, was freuen kann, aber aktuell wenig freut, da er am falschen Ende angekommen ist. Der deformierte Sozialismus wurde nicht revolutionär hinweggefegt, sondern ist dort hingelangt, von wo er einmal aufgebrochen ist: bei der bürgerlichen Gesellschaft.

Und die östlichen Stalinisten? Sie waren — Poszgay und Jaruselzki sei Dank — nichts anderes als verkappte sozialdemokratische Staatsterroristen. Ohne Repression bleibt dann nur noch der Übertritt zur II. Internationale. Die USP will schon, weitere werden folgen. Auch westliche.

Der Ostblock hat und ist ausgeblockt. Er wird bald der Geschichte angehören, eben als herzeigbares Beispiel einer Fehlentwicklung, die auf einer Irrlehre basierte. Ein verirrtes Schaf kehrt heim zur Herde, bittet um Verzeihung für alle Sondertouren und blökt kniend die westlichen Werte und Urteile nach. Nichts gefällt Ex-Stalinisten so sehr wie der Konsens mit den westlichen Demokraten.

Extremismus der Mitte

— benennt jene klassen- und schichtübergreifende Verbrüderung im Liberalismus. Mitte steht synonym für die Mitte in der kleinbürgerlichen Gesellschaft, für eine von Extremen befreite, scheinbar ideologiefreie und sachliche Weltsicht. Mitte bedeutet uns daher nicht eine Mitte zwischen Rechts und Links, zwischen Beharrung und Emanzipation.

Extremismus der Mitte meint ein militantes geistiges Auftreten für das Hier und Heute. Mit ihm gelingt den Demokratien westlichen Typs (korrekt: der parlamentarisch verfaßten bürgerlich-demokratischen Diktatur des Kapitals) ihr ureigenster Extremismus: er ist Ausdruck einer stabilen, sich selbst als endgültig erkennenden Herrschaftsform.

Die Medien sind sein Medium. Sie gehören ja auch selbstverständlich seinen Hauptinteressenten. An die 100%. So sehr der Extremismus der Mitte Pluralismus predigt, so wenig darf er ihn zulassen. Abweichung hat so keinen Platz. Er desinformiert zwecks Uniformierung.

Nicht bloß, daß alle Medien über das Gleiche schreiben oder berichten, sie schreiben und berichten auch noch das Gleiche. Ihre Journalisten sind beliebig auswechselbar, wie ihre Meinungen innerhalb des breiten Spektrums der Mitte austauschbar sind. Nuancen bestätigen die Regel.

Extremismus der Mitte bedeutet eine erzwungene und doch freiwillige Aufgabe des individuellen wie kollektiven Widerstands gegen die Entformierung der Welt in den Köpfen, konkret gegen die Entformierungsindustrie der Desinformationsketten. Nicht Information findet statt, sondern Entformierung. Entformierung bietet nicht einmal mehr ein Bild der Welt — das gewährleisten Information wie Desinformation —, sondern isolierte Bilder von Welten, die das Subjekt der Betrachtung aus dieser herausschneiden und so jeden Bezug und jedes Einwirken gedanklich verunmöglichen.

Die Nachrichten werden so zerstückelt und vermischt, daß sie kein sinnvolles Ganzes mehr ergeben können. Die Menschen werden betrogen und belogen, auch wenn die Lüge nicht unmittelbar nachweisbar ist, da sie sich aus ganz spezifischen Teilwahrheiten zusammensetzt. „Keine Lüge, die etwas auf sich hält, enthält Unwahres“, schrieb Günther Anders. Die geschickte Kombination von wahren Details ist kennzeichnend für die großen Lügen der Zeit.

Selten waren die Menschen in ihrer Desillusion so fanatisiert wie heute. Die ihnen zu eigen gemachten Ansichten verstehen sie nicht mehr als solche, sondern als unumstößliche Einsichten. Das Jetzt ist ihnen ein Ding, wahrlich ein Ding für die Unendlichkeit. Das Sein ist ihnen das zukünftige Sollen, es soll so sein, wie es ist. Die Banalität, daß jede Herrschaft ihre Endgültigkeit pries, die haben sie preisgegeben.

Der Extremismus der Mitte sozialisiert die Meinungen und nicht die Produktionsmittel. Dem öffentlichen Sektor sind die privaten Köpfe zugeschlagen und somit ihrer Privatheit entledigt.

Der Geist der Zeit

— ist eine gewagte Behauptung. Denn Geist war kaum in ihr, dafür aber ein gehöriges Maß an Dummheit. Zeitdummheit eben, die der Zeit entsprechende Dummheit.

Ein charakteristischer Zug wurde schon angesprochen. Der Mensch erlebt heute nicht mehr eine Welt, sondern er lebt in verschiedensten, fein säuberlich trennbaren Welten. Der Verlust der einen Welt ist nur allzu deutlich. Der Mensch wird in viele Welten zerstückelt, er ist nicht mehr er selbst, sondern eine spezifische Rolle in einer spezifischen Welt. Seine Lebensgeschichte könnte ersetzt werden durch die Geschichte seiner Rollen.

Die Welten selbst klaffen — wenn auch scheinbar, so doch deutlich spürbar — zusehends auseinander. Das Ganze, die eine Welt, die wir immer noch behaupten, war schon immer unübersichtlich. Heute ist sie den meisten aber sogar unsichtbar geworden. Die Welt, die es einst zu gewinnen galt, ist gedanklich verlorengegangen.

Dummheit meint eben diese (Über-) Einstimmung mit dem äußeren Schein der Welt bzw. der Welten. Man glaubt nur noch das, was man in den einzelnen Welten wahrnehmen darf, wobei eine Verknüpfung nicht mehr inhaltlich bewältigt, sondern bloß formal aneinandergereiht werden kann. Die Erkenntnis, daß es Erkenntnisse außerhalb dieser unmittelbaren Wahrnehmungen geben kann, ist verschüttet.

Zeitgeist nennt sich ein schillerndes Dessous der Herrschaft. Die mediale Inszenierung von Ereignissen statt Zusammenhängen, von Stories anstatt Geschichte, von SO statt WARUM hat einen tiefen Grund: Nicht das Wesen der Gesellschaft und ihrer Ausdrücke soll interessieren, sondern deren äußerer Reiz, der vorgeführt verführt und angeführt anführt, dem es zu verfallen gilt in Zeiten des Verfalls.

Zeitgeist ist keine wissenschaftliche Kategorie, sondern ein vom neuen Boulevard gebrauchtes Schlagwort zur Umschreibung ganz verschiedener Phänomene. Die Proklamation des Typischen ist ihm typisch. Auch wenn die Fakten nicht immer stimmen — Hauptsache, sie sind stimmig —, lautete seine Botschaft: Factum est! Und damit basta. Großgeschrieben verrät es schon den Namen eines seiner Magazine.

Aufgabe des Zeitgeistes ist es, Geschichte und Perspektiven auszulöschen, indem er sich als unbegreifbar und somit als unangreifbar stilisiert. Der Zug der Zeit sei eben nicht aufzuhalten. Und der Zug der Zeit ist zu einem Flug der Zeit geworden. Tempo — eine Illustrierte trägt nicht zufällig diesen Titel — bestimmt das Dasein.

Die nicht mehr wahrnehmbare Gegenwart wird auf unendlich getrimmt, die Grenzen von Gestern und Morgen lösen sich in einem nichterkennbaren Heute auf. Die Vergangenheit wird so entrückt wie die Zukunft verstellt. Das Mögliche wird unmöglich, das Gestaltbare ungestaltbar gemacht. Von Umgestaltung erst gar nicht zu reden.

„Dies hier ist eine Generation“, schreibt Diedrich Diederichsen im KONKRET, „die in den 80er Jahren zwischen 20 und 30 war und die sich die ganze Zeit ihr Jahrzehnt so einrichtete, daß es aussah wie Geschichte zu Lebzeiten, Hauptdarsteller im eigenen Kostümfilm, ständig damit beschäftigt, die vermeintliche Geschichtlichkeit des eigenen Treibens ästhetisch durch Zeichen herauszustellen, die historischer Einschnitt spielten, aber natürlich nichts anderes waren als Symptome des Gegenteils, Abwesenheit von, Verlangen nach Geschichtlichkeit, Machbarkeit, Veränderbarkeit der Verhältnisse.“

Das neue Biedermeier

— diese Mischung aus Geschäftstüchtigkeit und Behaglichkeit — ist überall spürbar. An den Fassaden von Häusern und Menschen, an den Autos und Wohnzimmereinrichtungen. Der Luxus, der zeigt sich. Reichtum ist ausgebrochen und fasziniert. Mit seiner Heimlichkeit ist es aber vorbei: Noch nie wurde er wohl so zur Schau getragen wie heute, noch nie war er so wenig hinterfragt.

Der mündige Bürger — der sich freilich irrtümlich als homo sapiens par excellence ansieht — läßt sich gar manches munden. Der konsumbewußte Citoyen versteht sich als kritischer Träger des Gesellschaftssystems; Radikalität konsumiert er bloß in Literatur und Feuilleton — wo sie seiner Meinung nach wohl auch hingehört —, seinem Leben ist sie gänzlich fremd (geworden).

Genuß und Karriere stehen im Mittelpunkt seines Lebens. Auf wessen Kosten er da hochklettert und sich durchkostet, interessiert ihn reichlich wenig. Das dritte Drittel hier und die vier Fünftel anderswo, was gehen ihn die an. Aufstieg und Konkurrenz sind prinzipielle Werte geworden, Hinterhältigkeit und Kaltblütigkeit anerkannte und empfohlene Methoden. Wohl noch nie wurde das so schamlos offen ausgesprochen und betrieben wie am Ende der Achtziger.

Es ist ja sein Leben, das er frei zu gestalten versteht; mögen die anderen Gestalten es doch ebenso gestalten. Jeder ist doch seines Glückes Schmied, wenn etwas nicht gelingt, sind wir doch nur selber schuld. Und so sind viele jener, die einst nach dem kollektiven Glück strebten, auf die Suche nach dem individuellen gegangen. Was vor zehn Jahren noch unmöglich schien, ist heute bereits Realität.

Dafür ‚blühen‘ Kunst und Kultur. Es festet und symposioniert. Keine Kleinstadt mehr ohne Festspiele, ohne Seminare, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen oder Konzerte. Kunst- und Kulturbeflissenheit kennen keine Grenzen. Kein Thema, das nicht nach einer institutionellen Aufführung heischt.

Kritik wird auf den gesellschaftlichen Überbau reduziert und ebendort integriert. Die staatlich garantierte Staatsabweichung beschäftigt ganze Horden von Intellektuellen. Beliebigkeit wie Bezahlung lassen die Beschränktheit der westlichen Meinungsfreiheit erahnen. Kritik ist erwünscht, weil folgenlos.

Das neue Bild der Frau

— ist unübersehbar. Es lächelt von den Plakatflächen, es strahlt aus dem Fernseher, es grinst aus den Zeitungen. Und es geht zunehmend auf den Straßen.

Werbung wird immer weniger ohne stimulierende Frauenkörper vorstellbar. Kein Reklamespot ohne schwarzbestrumpfte Frau im Lederrock, kein Videoclip ohne Saxophon-lutschende-saugende-blasende Ladies, wie es im Zeitgeist-Englisch im absichtlichen Gegensatz zu women heißt. Only „some girls are ladies“, wußte schon ein ehemaliger Vorarlberger Mittelschullehrer in der Ö3-Hitparade zu singen. Nicht jede also, wohlgemerkt, sondern nur jene, die sich dazu machen (können).

Frau soll sein ein Verpackungs- und Herzeigeartikel, ein Ausstellungs- und Ausstopfungsobjekt der Industrie für die Männer. Der unaufhaltsame Aufstieg von Dessous und Strümpfen, von Korsetten und Stöckelschuhen ist charakteristisch für das abgelaufene Jahrzehnt.

Die Frau wird in der Phantasie des Mannes zu einer eingepackten und verschnürten Ware (die er öffnen darf), degradiert und reduziert auf ihre Sexual- und/oder Arbeitskraft, zu einem strapazierfähigen Strapswesen.

Frauen haben schön zu sein, d.h. einem veröffentlichten Bild zu entsprechen, das nur mit bestimmten Markenartikeln herstellbar ist. In der Herstellung des Bildes wird die Frau dann selbst zum wiederherstellbaren Massenartikel. Nicht sie ist gefragt, ihr(e) äußere(r) Reiz(wäsche) ist gefragt.

Daß die Gesellschaft dadurch erotisiert würde, ist aber ein Irrtum. Sie wird bloß neurotisiert, da die Menschen den vorgezeigten Bildern unablässig nachjagen. Denn die Frau hat so zu sein wie die auf dem Bild, obwohl natürlich auch die nicht so sein kann wie ihr Bild, das anderen aufgezwungen wird. Die Jagd nach dem Phantom des Bildes hat einen äußeren Sinn: sie fördert die Produktion ungemein.

Diese Pflichten der Frau als Lady können wir einem x-beliebigen Schlager entnehmen. Das Lustobjekt ist „dressed to success“, wie es in einem aktuellen Hit heißt, auf Erfolg dressiert. Der Dreß wird zur Dressur.

Stellen wir uns einmal folgendes vor: Eine Frau in Männerkleidern, in Hosen und Pullover etwa. An ihr ist nichts Auffälliges oder Anstößiges oder gar Lächerliches. Viele tragen das.

Stecken wir hingegen einen Mann in einen Minirock, in Stöckelschuhe, Strümpfe und bemalen ihn, ist wahrlich eine lächerliche Figur fertig. Niemand trägt das. In der spezifischen Frauenkleidung, die der und dem Mann nicht und nichts anhaben kann, wird sicherlich ein guter Teil von Frauenverachtung mitgeliefert.

Daß die Frauen in der schon fast historischen Frauenbewegung mit diesem Kleidungsdiktat gebrochen hatten, war nur allzu verständlich und zu begrüßen. Warum aber zerbrach die Aufhebung dieses Kleidungsdiktats so unreflektiert, so beiläufig wie offensichtlich? Welcher Druck ist dafür verantwortlich zu machen, daß seit Mitte der achtziger Jahre von den alten Kritiken und Praxen so wenig übriggeblieben ist? Was war daran originäres Bedürfnis der Frauen bzw. bestimmter Frauen, was aber entspricht bloß den Interessen von Industrie und Mann?

Das ganze Teufelszeug, mit dem der Frauenkörper bearbeitet und geformt, proportioniert und portioniert wird, ist in den letzten Jahren von einem Beiwerk — das auch ab und zu (wie eben Alkohol und Drogen) mal Spaß und Freude machen kann und machen soll — zu einem Hauptwerkzeug der Modeindustrie geworden. Produktionsziffern und Männerphantasien entwerfen das Bild der neuen Frau.

Der Gebrauch dieser spezifischen Droge ist ein vorgeschriebener: Ohne ist nicht! Ohne geht nicht! Das verlautbart der Zeitgeistboulevard. Mit Erfolg, betrachten wir die flächendeckende Werbung von Palmers & Co. einmal unter diesem Blickwinkel.

Die Krise der Emanzipation

— ist nur allzu deutlich. In der (radikalen) Linken blüht das Renegatentum — eine typische Begleiterscheinung jeder Niederlage — wie schon lange nicht mehr. Unterwerfung, die Versöhnung genannt wird, ist hoch im Kurs. Das Abschiednehmen von der Emanzipation und ihren mühseligen Kämpfen beherrscht die Szene.

„Von der Revolutionspolka zum Kaiserwalzer“ — beides Werke von ein und demselben Komponisten, Johann Strauß Sohn — könnte man wohl eine Geschichte des Renegatentums, der sogenannten Überlaufsbewegungen der Linken im Zeitalter der Niederlagen, betiteln. Die Kapitulation folgt allzu oft der verständlichen Resignation. Viele Apologeten der bürgerlichen Herrschaft von heute waren gestern ihre erbittertsten Feinde.

(Man blicke bloß in die Gazetten, von der rechten bis zur linken Mitte, lausche dem Radio oder starre in die Glotze. Da sehen wir sie wieder, die Ehemaligen. Und man sieht und hört, sie machen ihre Sache gut, sie bringen die gleiche Scheiße viel besser. Der beste kleinbürgerliche Journalist war einmal ein linkes Großmaul. Idealtypisch, aber doch.)

Die aktuelle Krise der Emanzipation ist natürlich auch Ausdruck der inhaltlichen Schwäche und der Niveaulosigkeit linker Debatten der letzten zwanzig Jahre. Sie ist somit nicht nur auf die Stärke des Kapitalismus zurückzuführen. Zu lange turnte man in historischen Gewändern, zu wenig widmete man sich den zentralen Fragen der Zeit, die den alten Analysen auf und davon eilten. Auch standen keine adäquaten Begriffe zur Verfügung, man verließ sich ganz einfach auf Marx, Engels, Lenin oder sonst wen. Doch die hatten uns schon verlassen. Bei den versuchten Revisionen gingen dann meist — mangels politischer Grundsubstanz — auch noch die Reste marxistischen Wissens und emanzipatorischen Bewußtseins verloren.

Alternative Politik ist heute zur Bürgerinitiative verkommen, zur niedrigsten Form politischer Kommunikation, dem Zusammenschluß wegen einer Sache (im Gegensatz zum solidarischen Zusammenschluß wegen gleichen oder ähnlichen programmatischen Zielen).

Bürgerinitiativen sind Regungen des Unmuts, nicht Bewegungen des Muts. Sie verteidigen meist nur den Status quo gegen einen Status ante portas. Sie kämpfen nicht für etwas (höchstens abstrakt), sondern bloß gegen etwas (das aber konkret). Sie sind ein Bündnis ohne inhaltliche Grundlage, d.h. sie handeln in der Konsequenz prinzipienlos. Sie negieren Folgeerscheinungen, ohne nach den Anfängen zu fragen. Sie kämpfen für die herrschenden Werte und schaffen Bewußtsein im Sinne der herrschenden Werte. Sie fordern nichts anderes als eine bessere Herrschaft. Das Niveau ihrer inneren Kommunikation hat noch nicht einmal die Höhe der bürgerlichen Demokratie erreicht. Die Bürgerinitiative ist kein Ort politischer Emanzipation. Die Bürgerinitiative als Form alternativer Politik muß überwunden werden.

Die achtziger Jahre haben die alte Neue Linke gänzlich erledigt, Sozialdemokraten und Grüne sind die Nutznießer dieser Erbmasse. Vom Aufbruch der späten sechziger und siebziger Jahre ist nicht viel übriggeblieben.

Eine emanzipatorische und radikale Linke wird auch in Österreich ganz von vorne beginnen müssen. Es wäre eigentlich Zeit, darüber die Diskussion zu eröffnen.

Die Neunziger

— folgen den Achtzigern. Und wie. Nach der schleichenden Anpassung deutet alles Richtung geiler Identifikation mit dem bürgerlich-kapitalistischen System. Nicht Unterwerfung ist mehr ein zentraler Angelpunkt — wer sollte auch noch unterworfen werden —, sondern ideologische Gleichschaltung mit der Macht. Mitmarschieren und Mitgewinnen steht auf der Tagesordnung.

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