Grundrisse, Texte außerhalb der Grundrisse
 
2015

Dimensionen des garantierten Grundeinkommens

Eine Antwort auf populäre Einwände

Die folgenden Überlegungen fußen nicht nur auf der Lektüre diverser Schriften sondern vor allem auf der Erfahrung mit Diskussionsbeträgen zum Thema Grundeinkommen, die ich auf verschiedenen Veranstaltungen machen konnte. Dabei zeigte es sich, daß offenbar eine Reihe von Einwänden existieren, die in verschiedenen Varianten, insbesondere aus dem sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Umfeld, immer wieder erhoben werden. Zwei Stränge an Einwänden scheinen mir besonders bedeutsam: Einerseits das Argument der „Integration in den gesellschaftlichen Zusammenhang“, welches im Konzept des Grundeinkommens scheinbar nicht bedacht wird, andererseits der Einwand, beim Grundeinkommen handle es sich um ein etwas geschöntes Projekt des Sozialabbaus, um eine Art „Aussteigerprämie“. Daß diese Einwände nicht neu sind, tut nichts zur Sache. Im Prinzip finden sie sich alle im Artikel „Freiwillige Arbeitslosigkeit?“ [1] von Peter Glotz aus dem Jahre 1986. Der Bogen reicht von der knalligen Behauptung „Geistiger Vater dieses Gespenstes (des Grundeinkommens K.R.) ist Milton Friedman, der Papst des Monetarismus.“ (Glotz 1968; 135), bis hin zum Mantra der „Aussteigerprämie“, das Glotz den Verfechtern des Grundeinkommens mit folgenden Worten in den Mund legt: „390 Mark sind zu wenig; aber für 800 sind wir bereit, euch und eurem ganzen gräßlichen Arbeits- und Wirtschaftssystem den Rücken zu kehren und euch in Frieden zu lassen.“ (Glotz 1986; 143) Soweit einer der „Vordenker“ der SPD. De grobe und aggressive Ton im Artikel von Glotz erklärt sich möglicherweise aus dem damaligen Kalkül, die Forderung nach dem garantierten Grundeinkommen sei eine leichtgewichtige Eintagsfliege der Grün-Alternativen Bewegung und würde mit dieser wieder rasch in die politische Bedeutungslosigkeit verschwinden. Die Entwicklung ist allerdings anders verlaufen. Wie die Diskussion am Austrian Sozial Forum gezeigt hat, zählt dieses Konzept zu einem weit verbreiteten und wohlwollend diskutierten Thema jener Bewegung, die mit dem Ausdruck „Antiglobalisierungsbewegung“ nur sehr unzureichend benannt wird. Und daß etwa die Arbeitslosenbewegung in Süditalien [2]]] eben mit dieser Forderung massenhaft demonstrierend durch die Straßen zieht, auch diese Entwicklung haben die frühen Kritiker des Grundeinkommens ebensowenig erwartet, wie das Eintreten der französischen Arbeitslosenbewegung 1995 für die Forderung. Mit der inzwischen breit diskutierten Forderung nach dem Grundeinkommen sind die Einwände a la Glotz noch nicht widerlegt. Sehen wir uns also diese beiden Hauptachsen der Kritik genauer an.

Soziale Integration, Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenhang

Im Kern beruht dieser Einwand auf der These, das garantierte Grundeinkommen würde das Herausfallen von Menschen aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang stillschweigend akzeptieren, ja befördern, wobei bestimmte Variationen dieses Argumente zu beobachten sind. Arbeitslosigkeit, so wird formuliert, würde akzeptiert, anstatt bekämpft zu werden. Oftmals bekommt der Einwand auch eine feministische Wendung, mit dem Grundeinkommen würden Frauen vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden, es stelle also eine „Zurück-an-den-Herd-Prämie“ dar. Daß diese feministische Variante weit weniger innerhalb der autonomen Frauenbewegung, sondern vielmehr innerhalb des gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Apparates verbreitet ist, will ich vorweg festhalten – auf die Gründe komme ich weiter unten noch zu sprechen. Bleiben wir beim Thema Integration und gesellschaftlicher Zusammenhang. Zu aller erst fällt auf, daß gesellschaftliche Beziehungen mit einem sehr positiv konnotierten Wort, eben Integration, bezeichnet wird. Im Wort Integration schwingt etwas von Anerkennung, von Teilhabe, von Wertschätzung mit. Der Gegensatz wäre also das Herausfallen, das Nichtdazugehören, der Ausschluß aus sozialen Beziehungen. Wie stets in der Debatte um das Grundeinkommen, wirken auch hier Annahmen über die Vergesellschaftung im Kapitalismus, die in den Argumenten pro und contra Grundeinkommen nur implizit enthalten sind. Wer, so wie ich, Gesellschaft analytisch wie empirisch als entgegengesetzt, zerrissen, voll Widersprüche und Konflikte wahrnimmt, wird die harmonischen Implikationen der Ausdrucks „Integration“ kritisieren. Wer die herrschende Gesellschaft jedoch als vernünftige Ordnung, als möglicherweise nicht konfliktfreien, doch prinzipiell konsensfähigen Zusammenhang deuten möchte, wird sich weit weniger am Ausdruck „Integration“ stoßen. Würde ich die grobe Sprache eines Peter Glotz verwenden, so würde ich sagen, die GegnerInnen des Grundeinkommens gaukeln uns ein Bild der gesellschaftlichen Harmonie vor, das so überhaupt nicht existiert. Manche mögen nun als weiteres Argument anfügen, Integration und Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenhang bedeute keineswegs automatisch, Gesellschaft als harmoniefähiges System zu phantasieren. Dieser Gegeneinwand ist zweifellos berechtigt. Marx, der wie kein anderer die Zerrissenheit, Widersprüchlichkeit und Fetischisierung der Gesellschaft analysiert hat, hat zugleich, oft in überschwenglichen Worten, jene Konsequenzen der sich entfalteten kapitalistischen Produktionsweise gefeiert, die in der Überwindung isolierter, „bornierter“ und abgeschotteter Verhältnisse ihr Resultat findet. Seine Rede von der „Idiotie des Landlebens“ ist wohl jedem, der seien Texte gelesen hat, in lebendiger Erinnerung. Für eine ganze historische Epoche stellte sich der Gegensatz von gesellschaftlichem Leben und dumpfer Isolation als Gegensatz von Stadt und Land dar. Dieser Gegensatz ist selbst heute nicht verschwunden. Menschen, die aus abgelegenen Gegenden stammen, schütteln angesichts gewisser Idealisierungen des Landes, zu der Stadtkinder wie ich neigen, nur den Kopf. Lieber im Zentrum der Stadt leben, mit ihrem Dreck, Hektik und Lärm als im ruhigen und nachbarschaftlichen Waldviertel. Was hier in die Waagschale geworfen wird, ist leicht zu erkennen. Nichts anderes als die Dichte des gesellschaftlichen Lebens selbst. Analog dazu muß das Leben einer Hausfrau, zwischen Waschmittelankauf und Mikrowelle wohl als borniert bezeichnet werden, im Gegensatz zu ihrem Gatten, der möglicherweise beruflich nach New York jettet.

Vielleicht ist nun der Platz, eine scheinbare Selbstverständlichkeit auszusprechen. Die Idee einer variablen Nähe und Ferne zum gesellschaftlichem Leben macht durchaus Sinn. Gerade Marx, der betonte, daß sich der Mensch nur in Gesellschaft vereinzelt kann, war vom Gedanken, daß die stürmische Entwicklung des Kapitalverhältnisses Beziehungen knüpft, wo vorher keine waren, Individuen, Landstriche und Bevölkerungen in die Entwicklung mit einbezieht, die vorher ein isoliertes gesellschaftliches Leben pflegten, zu tiefst beeindruckt und erkannte in einer bestimmte Dichte des gesellschaftlichen Lebens eine Bedingung für Emanzipation. Allerdings möchte ich hier auch an die Auffassung von Hannah Arendt erinnern, eine Autorin, die kaum wie eine andere das gemeinschaftliche Leben in der polis als versunkenes Ideal pries, aber auch die Bedeutung des Intimen, des verborgenen Lebens erinnerte und von der eigentümlichen Verflachung sprach, die ein ausschließlich in der Öffentlichkeit geführte Existenz nach sich zieht. Wie jede sozialphilosophische Überlegung kann die mögliche Ferne oder Nähe zur gesellschaftlichen Dichte nicht ohne weiteres operationalisiert werden. Weder Dichte und Intensität der gesellschaftlichen Entwicklung, als auch das Ausmaß der Anteilnahme kann ohne weiteres mit Meßzahlen erfaßt werden. Nicht nur, daß eine in sich zerrissene und von Gegensätzen geprägte Gesellschaft mit linear-hierarchischen Skalen nicht erfaßt werden kann, es stellt sich zudem das Phänomen des Unsichtbaren, des Abgespalteten und Verleugneten, deren gesellschaftliche Bedeutung oft nur im Nachhinein zu erkennen ist. Wer hätte gedacht, daß aus dem Kreis einiger russischer Intellektueller, die sich in London wilden Spekulationen und Thesen hingeben, die Führungsgarnitur der Russischen Revolution entspringen würde, wer, daß ein unauffällig im französischen Exil lebender muslimischer Geistlicher plötzlich eine welthistorische Rolle spielen würde, wer, daß einer Handvoll rebellierender StudentInnen in Berlin und Frankfurt Jahre später eine gesellschaftstransformatorische Avantgarderolle zugesprochen werden würde? Um es auf den Punkt zu bringen: Auch wenn die Vorstellung einer harmonischen Integration in die Gesellschaft zurückzuweisen ist, macht trotzdem das Konzept einer Näher bzw. Ferne zur gesellschaftlichen Entwicklung Sinn. Ausschluß bzw. Teilhabe hängen jedoch von einem ganzen Bündel von Parametern ab. An diesem Punkt argumentieren die KritikerInnen des Grundeinkommens geradezu grotesk verkürzt. Lohnarbeit bedeutet Teilhabe am gesellschaftlichen Zusammenhang und Teilhabe am gesellschaftliche Zusammenhang ist nur durch Lohnarbeit zu haben. Viele KritikerInnen des Grundeinkommens, jedenfalls jene, die mit dem Ausschluß aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang argumentieren, benutzen dieses ganz eindimensionales Kriterium für das Ausmaß der Anteilnahme: Lohnarbeit = Anteilnahme, Nichtlohnarbeit = Herausfallen aus den gesellschaftlichen Bezügen. Worauf ich hinaus will, ist wohl klar: diese Gleichungen sind viel zu simpel, Ausmaß und Form der Anteilnahme ist viel zu komplex und vieldimensional, als daß sie auf einen einzigen Parameter reduziert werden können. Oftmals verhält es sich gerade umgekehrt. Ich denke jetzt vor allem an das Hineinströmen in den Bildungssektor, der seit den 60er Jahren für viele ein Weg der persönlichen Entwicklung darstellt, und oftmals trotz zweifelhafter Berufsaussichten gewählt wird. Verbleiben wir einen Moment auf jener Ebene, auf der sich „Realisten“ wie Glotz so wohl fühlen, der Ebene der banalen Alltagssituationen. Wer kennt nicht das Dilemma, in dem sich etwa Menschen, und darunter natürlich ebenso viel Frauen wie Männer befinden, die künstlerische, wissenschaftliche oder einfach nur ganz bestimmte Ambitionen haben. Wenn mensch von diesen Interessen (und Fähigkeiten) eben nicht leben kann, so wird wohl nichts anderes überbleiben, als einen ungeliebten Brotberuf zu ergreifen. Und wer das nicht akzeptieren will, wird mit wechselnder Intensität schlicht dazu gezwungen. Auf´s Argument bezogen: oftmals, wenn auch nicht immer, bedeutet gerade umgekehrt Lohnarbeit den Ausschluß aus jenem gesellschaftlichen Feld, an denen mensch gerne teilhaben würde. Ich will jedoch die These auch nicht einfach um 180 Grand wenden. Zu sagen Lohnarbeit verhindere die Teilhabe wäre ebenso einstig und falsch wie zu behaupten, sie stelle sie her. Wird diese Aussage einmal akzeptiert, so ist dem Integrations- Einwand die Wucht genommen.

Um es offen auszusprechen: Die advokatorische Sorge um die Integration via Erwerbsarbeit der KritikerInnen des Grundeinkommens macht stutzig, und der Verdacht, daß es noch eine zweite Ebene von nicht explizierten Hintergrundannahmen gibt, ist nicht von der Hand zu weisen. Immer wieder habe ich es in Diskussionen erlebt, daß jene, die pro Grundeinkommen argumentieren, darauf hinweisen, welche sumpfsinnigen, idiotischen und schädigenden Arbeiten es gibt, und daß nicht ernsthaft behauptet werden kann, der gleich Handgriff Tag aus Tag ein könne als Integration in die Gesellschaft bezeichnet werden. Diese Hinweise werden zumeist mit Schweigen quittiert.

Teilhabe durch Arbeit?

Eigentümlich ist auch, daß der Arbeit, genauer der Erwerbsarbeit eine bevorzugte Rolle zugesprochen wird. Fast im Stile des Marx der „Pariser Manuskripte“ soll und kann Anteilhabe an der Gesellschaft ausschließlich über Arbeit erfolgen. Aber was ist Arbeit, welche Rolle kommt ihr zu? Die sozialphilosophische Debatte um die Arbeit stellt ein ungeheures, nicht mehr zu überschauendes Feld dar. Ich meine, daß es zwei Dimensionen gibt, die es ermöglichen, die Debatte um die Arbeit zu strukturieren. Einmal die Weite bzw. Enge des Arbeitsbegriffs. Der Arbeitsbegriff hat etwas von einer Ziehharmonika, die entweder weit ausgedehnt, oder sehr eng zusammengepreßt werden kann. Ein sehr enger Arbeitsbegriff läßt im Grunde nur die gesellschaftlich anerkannte und entlohnte Arbeit gelten, also die Erwerbsarbeit. Ein sehr weiter Arbeitsbegriff kennt Termini wir die Traumarbeit, die Arbeit am Begriff, die Beziehungsarbeit, die Stadtteilarbeit, die politische, soziale, künstlerische und kommunikative Arbeit. Der weite Arbeitsbegriff umfaßt Tätigkeiten, die nicht entlohnt werden und nicht entlohnt werden können – zumindest nicht ohne weiteres. Hannah Arendt war weder die erste noch die letzte Autorin, die darauf aufmerksam gemacht hat, welch steile Karriere der Arbeitsbegriff seit der Antike durchlaufen hat. Vo einer verachteten Tätigkeit, die nur der Sklaven würdig ist, wurde sie oftmals zum ersten Vermögen des Menschen erklärt. Aber auch diese offensichtliche Umwertung der Arbeit kann verschieden interpretiert werden. Entweder liegt der Schwerpunkt auf der Durchsetzung des Kapitalismus und damit verbunden der Zwang zur Arbeit, der durch Arbeitsmoral versüßt und legitimiert werden soll, oder es wird in die Richtung argumentiert, dass die gesellschaftliche Entwicklung selbst die historisch neue Sichtweise der Arbeit erzwungen hat. Selbstverständlich schließen sich diese Pole nicht aus, bei Marx sind sie ohne Zweifel eng verklammert.

Zum zweiten kann die Debatte an der Frage strukturiert werden, inwieweit Arbeit als sprachlose Beziehung zwischen Mensch und Naturstoff zu begreifen ist, beziehungsweise inwieweit die kommunikativen Aspekte sozialer Interaktion genuine Aspekte der Arbeit sind. Habermas etwa, ähnlich wie Arendt, will sprachlich vermittelte Interaktion aus dem Arbeitsbegriff ausklammern, viele neuere Debatten hingegen betonen gerade diese Aspekte und sprechen von affektiver und immaterieller Arbeit. In der Auseinandersetzung um das Grundeinkommen tritt jedoch ein dritter Aspekt in den Vordergrund. Dabei geht es vorrangig um den Gegensatz Erwerbsarbeit – nicht Erwerbsarbeit. „An die Stelle einer Fixierung auf die Erwerbsarbeit werden auch jene Tätigkeiten und Arbeitsformen mit ins Blickfeld gerückt, die sich nicht unmittelbar der Erwerbsarbeit zurechnen lassen: Es sind einerseits Tätigkeiten, die mit dem Leben des Menschen eng verbunden sind und daher immer getan werden müssen, wie Hausarbeit, Kinderbetreuung und -erziehung, Pflegetätigkeiten. Andererseits sind es Tätigkeiten, die die neue gesellschaftlich notwendige Arbeit darstellen, wie jene Tätigkeiten, die jetzt ehrenamtlich z.B. in Menschenrechts-, Umwelt- und Dritte-Welt-NGOs verrichtet werden; aber auch jene in Kirchen, Freiwilliger Feuerwehr, Rotem Kreuz, Beratungseinrichtungen, Bürgerinitiativen, Vereinen, kulturellen Einrichtungen und Kulturinitiativen sowie diverse andere politische Tätigkeiten. Bei vielen dieser Tätigkeiten würde mit dem Grundeinkommen erstmals eine Koppelung von Arbeit mit Einkommen erfolgen.“ [3] Aus der immer stärker betonten Rolle der Nichterwerbsarbeit läßt sich gewissermaßen in zwei Stufen ein Argument pro Grundeinkommen ableiten. Die erste Stufe besteht dabei einfach darin, die gesellschaftliche Bedeutung der Nichtlohnarbeit zu erkennen und anzuerkennen. Der Debatte um die Hausarbeit („Lohn für Hausarbeit?“ - So lautete in den 70er Jahren oftmals die Fragestellung) kam dabei eine Avantgarderolle zu. Diese Diskussion, die in den 70er und 80ern geführt wurde, fokussierte ein eine bestimmte Form der gesellschaftlich notwenigen, doch ignorierten und entwerteten Arbeit, eben der von Frauen verrichteten Hausarbeit. Inzwischen hat sich die Diskussion verallgemeinert. Nicht nur Hausarbeit, sondern eine Vielzahl von Tätigkeiten wurde in ihre gesellschaftlichen Bedeutung erkennt, und gefordert, diese auch anzuerkennen. Marco Revelli schätzt in seinem Buch „Die gesellschaftliche Linke“ [4] den Anteil der NGOs und der non-profit Unternehmen auf 3% bis 5% des BIP der westlichen Industrieländer. Dabei ist der Großteil der unbezahlten Arbeit, von der Hausarbeit bis zu organisatorischen, politischen, künstlerischen und sozialen Tätigkeiten und - nicht zu vergessen – die nachbarschaftliche Arbeit, als Pfusch denunziert, in diesen Prozentzahlen nicht eingerechnet. Daß die Bedeutung der Arbeit jenseits der offiziellen Erwerbsarbeit immer stärker in den Debatten auftaucht, ist kein Zufall. Den gesellschaftlichen Hintergrund stellt zweifellos jene Transformation dar, die mit den Begriffen Fordismus und Postfordismus zu erfassen versucht wird. Ich habe ein kleines Schaubild entwickelt, das die Umstrukturierung der Arbeit schematisch darstellen soll. Die Pyramide stellt das Idealbild eines Fordistischen Betriebs dar. Auf der untersten Ebene ist der Fluß der Produktion zu finden. Die fordistischen Betreibe tendierten dazu, möglichst alle Bestandteile, von der Schraube bis zur Glühbirne, im eigenen Betrieb am Produktionsstandort zu produzieren. Die Grenze gegenüber dem Markt ist starr und klar gezogen, Einkauf von Arbeitskraft und Rohstoffen auf der einen Seite, Verkauf des Massenproduktes auf der anderen, nur an diesen Punkten berührt die Produktion den Markt. Der eigentliche Arbeitsprozeß wurde durch einen parallel laufenden Prozeß der Kontrolle in schriftlicher Form ergänzt. Der Arbeitsprozeß war formalisiert und taylorisiert, über diesen Arbeitsprozeß türmte sich die Pyramide der bürokratischen Planungs- und Kontrollinstanzen des Managements. Harry Braverman hat diese Struktur in dem inzwischen klassischen Werk „Die Arbeit im modernen Produktionsprozeß“ detailliert beschrieben. Diese Struktur war durch starre Grenzen gekennzeichnet. (Nebenbemerkung: Wenn ich von „war“ spreche will ich damit nicht sagen, dass fordistische Strukturen schlicht und einfach verschwunden sind. Ich will damit nur Ausdrücken, daß es sich um eine Ordnung handelt, die ihren historischen Zenith überschritten hat.) Produktion und Markt waren ebenso klar abgegrenzt wie Ausführung und Kommando/Kontrolle und Arbeitszeit von Freizeit. Das Symbol des Fordismus sind wohl die Fabriksmauern, die tatsächlich gezogen wurden. Es versteht sich von selbst, daß das gemeinsame Schicksal, die gemeinsame Situation der MassenarbeiterInnen Grundlage und Basis für ihre gegenseitige Solidarität darstellte. Allerdings entwickelte parallel zur Hierarchie des Management eine spiegelbildliche Hierarchie der ArbeiterInnenvertreter. Dem Abteilungsleiter stand der Betriebsrat, dem führenden Management der Zentralbetreibrat gegenüber usw. Idealtypisch entwickelte sich im Postfordismus eine völlig andere Struktur. An Stelle der fordistischen Pyramide trat zum einen die Zentrums- Peripherie (P) Struktur. Um diese Struktur besser verstehen zu können, müssen wir die Frage nach dem Charakter der Peripherie stellen. Peripherie das sind nicht nur Fremdbetreibe, sondern sehr oft ehemalige fordistische Abteilungen die formal oder tatsächlich ausgelagert wurden. Bei der Peripherie kann es sich auch um geographisch weit entfernte Weltmarktfabriken, aber auch um Individuen handeln, die durch neue Arbeitsverträge (Werkverträge, freier Dienstnehmer) lose an das Zentrum gebunden werden. Ein Parameter der Untersuchungen, die es inzwischen in großer Zahl über diese neuen Scheinselbständigen gibt, betrifft dabei die Frage, ob und inwieweit diese Scheinselbständigen als „Marktzombies“ [5] agieren, und/oder neue Formen der gegenseitigen Hilfestellung und Vernetzung entwickeln, ja zu entwickeln haben, gerade weil sie am Markt überleben müssen. Entscheidend ist, daß die Steuerungsmechanismen von einer bürokratisch- planenden Form in eine Marktform überführt wird, wobei es sich oftmals um eine nur simulierte, oftmals um eine tatsächliche Marktform handelt. Ein einfaches Beispiel kann diese Aussage erläutern. Die Distribution von Gütern ist Aufgabe des Fuhrparks. Natürlich wurde auch im Fordismus die Tätigkeit des Fuhrparks kontrolliert, Lieferzeiten und Termine festgelegt und kontrolliert. Mit den Methoden der Kostenrechung und der Buchhaltung wurde versucht, eine optimale Auslastung zu erreichen, wobei, und das ist der Punkt, es sich um innerbetriebliche Kontroll- und Steuerungsmaßnahmen handelte. Im Postfordismus hingegen handelt es sich idealtypisch beim Fuhrpark (um bei diesem Beispiel zu bleiben) um einen formal oder tatsächlich ausgegliederten Bereich, dessen Beziehung zum Zentrumsbetrieb durch Rechnungslegung, also durch Marktbeziehungen bestimmt ist. Als ausgegliederter Teil des alten Betriebes steht nun dieser Fuhrpark in unmittelbarer Marktkonkurrenz zu anderen Speditionsbetrieben. Schlechte und unzuverlässige Arbeit in den Augen des Managements konnte im Fordismus zwar die Entlassung vorgeblicher Schuldiger oder ähnlicher Disziplinarformen nach sich ziehen, im Postfordismus jedoch einfach der Ankauf der entsprechenden Leistung oder der entsprechenden Waren durch Konkurrenten auf dem Markt nach sich ziehen. An die Stelle von Disziplinarmaßnahmen wird einfach der Anbieter gewechselt. Die Kreise, die sich über das Zentrum legen stellen in meinem Schaubild also (ehemalige) ausgegliederte Abteilungen dar, die weiter weg gerückten tatsächliche Fremdfirmen und/oder Einzelpersonen, Teams usw. Der Fluß der Produktion durchläut zwar einerseits noch immer die Form der bürokratischen Planung und Kontrolle, andererseits tritt immer wieder an den verstreutesten Punkten der Marktmechanismus als zentrales Steuerungsmedium auf.

Was bedeutet diese neue Struktur für die Frage der Arbeit? Ich meine, daß die operaistische Formel, die Fabrik löse sich in die Gesellschaft auf, durchaus reale empirische Tendenzen trifft. Die Mauern des Fordismus einmal gesprengt, diffundiert Arbeit in die gesellschaftlichen Beziehungen und löst die klaren Entgegensetzungen von Arbeit und Freizeit, von Arbeitsort und Wohnort, von Erwerbsarbeit und Nicht-Erwerbsarbeit auf. Ein Beispiel für diese neue Form des Wissens findet ich im Umkreis von Software und Computer. Hier ist kaum mehr zu unterscheiden, ob es sich um berufliche, private oder gemeinschaftsrelevantes Wissen und Qualifikationen handelt. An diesem Punkt ist freilich eine Korrektur notwendig. Arbeit fand immer schon sowohl innerhalb wie auch außerhalb des Kapitalverhältnisses statt. Die Lohnarbeit als die eigentlich produktive und gesellschaftlich wertvolle zu betrachten, und andere Formen von „Tätigkeit“ als nicht relevant zu erachten muß eher umgekehrt als spezifisches Phantasma des Fordismus erkannt werden. Würde jede Art von Arbeit im weiteren Sinne eingestellt werden, die nicht die Form der Erwerbsarbeit hat, würde jede Gesellschaft wohl innerhalb weniger Tage zusammenbrechen. Das Phantasma des Fordismus, Arbeit sei Lohnarbeit zeigt sich – wie könnte es anders sein – auch in der Sprache. Vor der allgemeinen Durchsetzung der kapitalistische Lohnarbeit machte der Ausdruck „arbeitslos“ gar keinen Sinn, und er macht noch immer in jenen Bereichen der Welt, in der Subsistenzwirtschaft vorherrscht, noch immer kaum Sinn. Ein Mensch sei „arbeitslos“ sagt man, und meint ohne Lohnarbeit. Würden tatsächlich alle Arbeitslosen jede Tätigkeit einstellen, würden Kinder verwahrlosen, Häuser und Wohnungen verdrecken, Gärten verdorren, Alte noch mehr als jetzt vereinsamen und kulturelles, künstlerisches und soziales Leben teilweise zum Erliegen kommen. Was in der gegenwärtigen Debatte zum Bewusstsein kommt, ist die Tatsache, daß der gesellschaftliche Zusammenhang nicht ohne weiteres in einen produktiv nützlichen und einen wertlosen ausgegliederten aufgeteilt werden kann. Ich argumentierte jetzt selbstverständlich strikt auf der Ebene des Gebrauchswerts. Es ist beachtenswert, welche Faktoren Marx für das Ausmaß der Produktivkraft der Arbeit anführt: „Die Produktivkraft der Arbeit ist durch mannigfache Umstände bestimmt, unter anderen durch den Durchschnittsgrad des Geschicks der Arbeiter, die Entwicklungsstufe der Wissenschaft und ihrer technologischen Anwendbarkeit, die gesellschaftliche Kombination des Produktionsprozesses, den Umfang und Wirkungsfähigkeit der Produktionsmittel und durch Naturverhältnisse.“ (MEW 23; 54) Alle diese Faktoren – Marx weiter an anderer Stelle – erscheinen notwendig als Produktivkraft des Kapital, da diese Faktoren sich ja tatsächlich in der Produktion auswirken. Wird Gesellschaft auch als Arbeitszusammenhang verstanden, was bereits ein etwas erweiterter Arbeitsbegriff nahelegt, so muß konstatiert werden, daß nur ein Teil dieser Arbeit in den Kapitalverwertungsprozeß eingeht und eingehen kann. Denken wir etwa an das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern. Gut, ob dieses Verhältnis rundweg als „Arbeit“ zu bezeichnen ist, wäre eine eigene Debatte. Aber kann und soll die „Betreuungsarbeit“ von Kindern zu 100% als Lohnarbeit ausgeführt werden? Freilich, und dieser Punkt muß ebenfalls betont werden um die Balance nicht zu verlieren, solange die Industrie den Motor der Entwicklung darstellte und industrielle Arbeit immer Erwerbsarbeit war, mußte sich notwendig die Gleichsetzung von Erwerbsarbeit mit „richtiger“, „gesellschaftlich wertvoller“, „eigentlicher“ Arbeit herstellen. Im Postfordismus jedoch franst die Arbeit sichtbar und auch individuell erfahrbar in die Gesellschaft, ins Private, Persönliche aus. Der offenbare Wechsel der avantgardistischen Entwicklung von der Industrie zur Informationstechnologie läßt diese Entwicklung noch deutlicher hervortreten. Ich erinnere an die Debatten um das offene Betriebssystem Linux, an dessen Weiterentwicklung dem nach Schätzungen weltweit über eine Million Menschen mitarbeiten. [6] Und diese Mitarbeit wird unter den unterschiedlichsten Statusformen geleistet. Allein die Tatsache, daß eine Debatte darüber ausgebrochen ist, ob, in wieweit und in welchem Ausmaß sich hier gesellschaftliches Wissen jenseits des Kapitalverhältnis entwickelt, zeigt an, daß das hier Verhältnisse ins Bewußtsein treten, die im Fordismus undenkbar waren. Kein Mensch wäre etwa auf die Idee gekommen, die Entwicklung von Fernsehapparaten oder Automobilen anders als durch bezahlte Lohnarbeit zu denken. Arbeit mit Erwerbsarbeit strikt gleichzusetzen, folgt der gesellschaftlich tradierten Entwertung und unsichtbar Machung aller anderen Formen der Arbeit. Diese Entwertung, ja verächtlich Machung von Arbeit jenseits der Lohnarbeit nimmt viel Formen an. Die weibliche Reproduktionsarbeit wird ignoriert, nicht als „richtige“ abqualifiziert, der Pfusch wird denunziert und bekämpft, obwohl ohne Pfusch sich viele Menschen die entsprechenden Dienstleistungen gar nicht leisten könnten, künstlerische und wissenschaftliche Tätigkeit wird nicht als solche anerkannt usw. Die Existenz diese Arbeit ist zweifellos ein wichtiges Argument pro Grundeinkommen. Denn ist es wirklich möglich, wünschenswert und realistisch, all diese Tätigkeiten zu kommerzialisieren, die der Profitlogik zu unterwerfen? Ein starkes Argument pro Grundeinkommen besteht eben darin, diese Arbeit anzuerkennen und erst gar nicht zu versuchen, sie unter das Rad der Profitlogik zu zwingen. In Wirklichkeit ist die Gesellschaft schon lange gezwungen, diese Tätigkeiten auch finanziell zu unterstützen, anzuerkennen. Im deutschen Wort „Anerkennung“ schwingt ja immer auch die finanzielle Zuwendung mit. Doch in welcher Form? Sie erfolgt in Form von Subventionen und Förderungsmittel auf kommunaler, staatlicher und EU-Ebene. Die Spannweite von EmpfängerInnen dieser Transfers ist ungeheuer weit, allein alle Institutionen aufzuzählen, die allein im Wiener Raum solche Transfers erhalten, würde Bände füllen. Ich will hier nur die Frage in den Raum stellen, ob diese Subventionspolitik wirklich das Gelbe vom Ei ist. Nur ein paar Schattenseiten: Willkür, offene Ungerechtigkeit, politische Erpreßbarkeit, Entstehen einer Subventionsbürokratie, Entstehen von informellen Seilschaften, Abhängigkeit von bestimmten politischen Konstellationen, Staatliche Steuerung von Aktivitäten durch gezielte Subventionsvergabe, Bindung von Ressourcen zur Erlangung von Subventionen. (Wer jemals um EU Förderungen angesucht hat, weiß, was das bedeutet!) Wer, so wie ich im wissenschaftliche, kulturellen und publizistischen Umfeld arbeitet, stößt unweigerlich auf die Problematik von Subventionen. Ich will hier nur meine Erfahrung zusammenfassen, die ich zugegebenermaßen hier nicht ausführen kann: Ein angemessenes Grundeinkommen statt Subventions- und Förderungspolitik würde viele problematische Resultate letzterer erst gar nicht entstehen lassen.

Abbau des Sozialstaates durch Grundeinkommen?

Ein Bündel weiterer Einwände gruppiert sich um den Vorwurf, das garantierte Grundeinkommen würde dem geplanten Abbau des Sozialstaates in die Hände arbeiten. Selbst wenn das Grundeinkommen nicht verwirklicht werden würde, so würde bereits die Bereitschaft, bestimmte Sozialleistungen ersatzlos zu streichen, neoliberalen Kalkülen entgegenkommen. Zum Beispiel impliziere des Grundeinkommen die Streichung der Arbeitslosenversicherung. Sollte des Grundeinkommen wirklich eingeführt werden – so die KritikerInnen – dann mit einer derartig niedrigen Höhe, daß der weitgehende Abbau sozialstaatlicher Leistungen Realität würde. Überdies zeige ja die Herkunft dieses Konzeptes aus der Denkwelt des Milton Friedman, wessen Geistes Kind das Grundeinkommen eigentlich sei. Nun, an dieser Rede ist alles derartig schief, undurchdacht und unberechnet, daß der Verdacht aufkeimt, es gehe offenbar darum, mit Gewalt Argumente gegen das Grundeinkommen zu finden, unabhängig davon, wie stichhaltig sie auch sind. Aber Punkt für Punkt. Festzustellen ist einmal, daß selbst ein niedriges allgemeines, bedingungsloses Grundeinkommen einen so gewaltigen Finanzbedarf darstellt, daß sich die Frage stellt, ob denn eine Einführung die Transferkosten des Staates tatsächlich verringern würde. Dazu ein Bespiel, ein Grundeinkommen von 450 Euro im Monat, zweifellos eine Summe, die mit der Wendung „Zuwenig zum Leben, zuviel zum Sterben“ bedacht werden muß (nebenbei, die Ausgleichzulagengrenze für Renten beträgt derzeit rund 640 Euro) würde einen jährlichen Finanzbedarf von 43,2 Milliarden Euro erfordern. Im Bundesbudget Österreichs für das Jahr 2000 wurde für „Soziale Wohnfahrt“ [7] insgesamt 15,7 Milliarden Euro ausgegeben. [8] Bei einem Gesamtbudget von 121,6 Milliarden Euro für 2000 wurde selbst dieses viel zu geringe Grundeinkommen immerhin 35,5% des österreichischen Bundesbudgets betragen! Ob dies die Form von Sozialabbau ist, die sich jene vorstellen, die von einer vorgeblich notwenigen Entlastung der Staatesfinanzen sprechen, möchte ich wirklich dahingestellt lassen. Zugegeben, anders sieht die Sache aus, wenn der Finanzbedarf eines Grundeinkommens von 43,2 Milliarden ( = 450 Euro pro Monat/Person) mit den allgemeinen Sozialausgaben Österreich für 2000 konfrontiert wird. Diese betragen nach einer Berechnung von Josef Bauernberger [9] 59,5 Milliarden Euro. In dieser Summe sind inkludiert: Sozialleistungen für Arbeitslosigkeit (2,7 Milliarden Euro), für Individualität (4,75 Milliarden Euro), für Alter (22,2 Milliarden Euro) und jene für Familien (6,1 Milliarden Euro). Die Streichung all dieser Transfers, in denen Zuschüsse für Kindergärten, das Pflegegeld für Alte und Gebrechliche, die Mittel für „aktive Arbeitsmarktpolitik“ enthalten sind und ihre Ersetzung durch ein ganz geringes Grundeinkommen für alle, würde – solange die bestehende Rentenstruktur beibehalten wird - die Ausgaben für Soziales nochmals rasant in die Höhe schnellen lasse. Mit diesen überschlagsartigen Berechnungen [10] lassen sich zumindest die Dimensionen erkennen. Schon diese einfachen Zahlenvergleiche zeigen, daß ein allgemeines und bedingungsloses Grundeinkommen bereits in viel zu geringer Höhe keineswegs die Sozialausgaben signifikant absenken würden. Wer also behauptet, das Grundeinkommen wäre ein Mittel, den Sozialstaat zu zerschlagen und eine an seine Stelle eine Almosenvariante zu setzen, hat sich offenbar nicht einmal die Mühe gemacht, selbst die einfachsten Zahlenvergleiche anzustellen. [11] Anders gesagt, solange das Prinzip des Grundeinkommens, nämlich die Bedingungslosigkeit nicht aufgegeben oder durchlöchert wird, errechnet sich in jedem Falle ein derartig hoher Finanzbedarf, daß sich die These, das Grundeinkommen würde die Sozialtransfers absenken, nicht aufrecht erhalten läßt. In diesem Punkt ist – wenn wir uns schon auf diese Logik einlassen – das Konzept der bedarfsorientierten Grundsicherung weitaus anfälliger. Denn die Bedarfsprüfung, die ja immer über eine Vielzahl von Parametern erfolgen muß, ermöglicht es, den Kreis der BezieherInnen so einzuschränken, daß tatsächlich die Transfersumme weit unter dem jetzigen Niveau liegen könnte. Es bedarf also gar nicht des Gegeneinwandes, im Konzept des Grundeinkommens sei keineswegs an die radikale Streichung aller sonstigen Transferleistungen gedacht. Das Grundeinkommen soll nur jene Transfers ersetzen, die tatsächlich ersetzbar sind. Umgekehrt sollen jene, die aus einem Grundeinkommen unfinanzierbar, aber sozial notwendig sind, bestehen bleiben. Diese Bereiche werden je nach Konkretisierung des Grundeinkommens verschieden angesetzt. Konsens ist aber, daß etwa ärztliche Sachleistungen, Pflegegelder, Unfallrenten und dergleichen nicht aufgegeben werden können. Was ich mit den obigen Zahlenbeispielen zeigen wollte ist nur dies: Selbst im Fall des worst case ergibt ein garantiertes Grundeinkommen einen derart hohen Finanzbedarf, so daß von einer Absenkung der Sozialausgaben keine Rede sein kann.

Als ein weiters vorgebliches Indiz für den konservativen Charakter des Grundeinkommens wird – ich hab es schon genannt – seine Herkunft aus der us-amerikanischen Debatte der 60er und 70er Jahre genannt, wobei Milton Friedman zumeist als dessen Protagonist genannt wird. Dieser Name läßt sich wunderbar von Hand zu Hand weiterreichen, und oftmals verfehlt ja dieses namedropping auch nicht seine Wirkung. Die Realität sieht freilich doch etwas anders aus. Daß es mit dem us-amerikanischen Sozialsystem nicht zum besten bestellt ist, ist wohl bekannt, ebenso daß die Massenarmut ein bedrohliches Phänomen darstellt. Daher flammte auch Ende der 60er Jahre eine Diskussion um eine notwenige Reform auf. Hält man sich den gesellschaftlichen Hintergrund dieser Zeit vor Augen – die Anti-Vietnamkriegsdemonstrationen, die 68er Bewegung a la USA im besonderen und der gesellschaftliche Linksruck im allgemeinen – so müßten zumindest Zweifel aufkommen, ob diese damalige Debatte tatsächlich weiteren Sozialabbau anvisierte, oder nicht umgekehrt, einen eher reformerischen positiven, allerdings auch hoch pragmatischen Impetus hatte. Im Zuge dieser Diskussion wurde das Konzept der Negativen Einkommensteuer debattiert, die für keine oder geringe Einkommen keine Steuerleistung, sondern umgekehrt einen Transfer zum Resultat haben sollte. Milton Friedmann vertrat unter anderem auch das Konzept dieser Negativen Einkommensteuer, allerdings plädierte er für ein sehr, sehr geringes Niveau. Im Zuge dieser Debatte kam es zu fünf „negative income tax experiments“, vier davon wurden in den USA, eines in Kanada durchgeführt. Diese Experimente umfaßten den Zeitraum von 1968 bis 1976, die Zahl der Probanten war sehr gering, zwischen 700 und 4800 Personen wurde eine Zeit lang eine negative Einkommensteuer (jeweils in verschiedener Höhe und zu verschiedenen Bedingungen) ausbezahlt, um die Auswirkungen zu testen. Die beste Quelle dazu stellt eine Arbeit von Karl Widerquist dar, die unter http://www.etes.ucl.ac.be/BIENbackup/Conference2002/Papers/papers_alphabeticalorder.htm zu finden ist. Widerquist analysierte insgesamt 345 Artikel, die zu diesen Experimenten veröffentlicht wurden. Allgemeiner Tenor war, daß keine wirklich weitreichenden Schlüsse gezogen werden konnten, was angesichts der Tatsache, daß gesellschaftliche Veränderungen nicht lokal simuliert werden können, weiters nicht verwundert. Ein paar Momente ließen sich allerdings herausarbeiten: Die Schulleistungen der Kinder verbesserten sich, die Scheidungsrate steig an und die Menschen verweilten länger in Arbeitslosigkeit, so sie ihren Job verloren. Diese Experimente wurden jedoch – salopp gesagt – von der politischen Rechten abgewürgt und das Thema NIT (negativ income tax) ad acta gelegt. Ohne Zweifel waren diese Experimente von einem reformerischen, sozialen Geist inspiriert, dar bald der proklamierten Rechtswendung zum Opfer fiel. An die Stelle der NIT Experimente traten statt dessen die Workfair Programme, bei der die Sozialtransfers „an unterbezahlte und/oder gemeinnützige Arbeiten gekoppelt“ [12] wird. Dieser Umstand kümmert die KritikerInnen des Grundeinkommens jedoch wenig, wichtig ist, den Namen eines profilierten Rechtsaußen der ökonomischen Wissenschaften in die Debatte werfen zu können... Trotzdem bleibt aber die Frage offen, wie verhält sich die Forderung nach dem Grundeinkommen zur aktuellen Entwicklung? Zu hinterfragen ist einmal die weit verbreitete Rede vom „Abbau des Sozialstaates“. Wenn ich hinter diese Aussage ein Fragezeichen setze, so will ich dadurch keineswegs reale Entwicklungen beschönigen, sondern einfach darauf verweisen, daß diese Prozesse genauer gefaßt werden müssen. Wenn ich die Tendenzen in Österreich und den umgebenden EU Ländern grob betrachte, scheinen mir zwei Entwicklungen von Bedeutung. Die erste Tendenz liegt auf der Linie der selbstgewählten Rückzug des Staates und der Privatisierung von Aufgaben, die sinnvoller weise nur auf gesamtgesellschaftlicher Ebene zu organisieren wären. Auch hier muß freilich zwischen den oftmals vollmundig verkündeten Programmen und der wirklichen Budgetpolitik unterschieden werden. Selbst unter Thatcher und Reagan kam es keineswegs zur Etablierung eines „schlanken Staates“, sondern eher zu einer Umgruppierung der Ausgaben von jenen Bereichen, die in weiteren Sinne von allgemeinem Nutzen (Bildung, medizinische Versorgung, kommunale Dienste) zu jenen, die mittelbar oder unmittelbar im Interesse der Kapitalakkumulation und der militärischen Sektors sind. Dieser Umgruppierungsprozeß betrifft zumeist Bereiche, die nur mittelbar in Beziehung zu Sozialtransfers stehen und mehr den Hintergrund dessen ausmachen, was als Sozialstaat im engeren Sinne bezeichnet wird. Für die Frage des garantierten Grundeinkommens ist jedoch das Prinzip, die Maxime, Kantisch gesprochen, relevant: Staats und Gemeinschaft sollen aus der Verantwortung für Bereiche entlassen werden, die jedoch nur auf dieser Ebene organisiert und administriert werden kann. Zumindest im EU Raum werden die lohnarbeitsfernen unmittelbaren Transferleistungen im engsten Sinne (z.B. Unterstützung von Querschnittgelähmten usw.) auch von rechtskonservativen Regierungen nicht in Frage gestellt. Unter lohnarbeitsfern versteh ich solche Unterstützungszahlungen, deren Erhalt nicht an die aktive Bereitschaft geknüpft ist oder geknüpft werden kann, Lohnarbeit (um jeden Preis) anzunehmen. Den „wirklich Bedürftigen“ soll – so selbst die rechtkonservativsten Kreise – durchaus geholfen werden. Dieser Rede liegt freilich die „klassische“ Unterscheidung zwischen nicht selbstverschuldeter und selbstverschuldeter Armut zugrunde. Die proklamierte Groszügigkeit gegenüber den unverschuldet in Not geratenen (eine Gruppe, die durch den Schuldbegriff jederzeit verkleinerbar ist) schlägt unmittelbar in eine besonders aggressive Haltungen gegenüber den BezieherInnen von Arbeitslosenunterstützung um. Hier treffen wir auf die zweite Tendenz: Die zweite Tendenz besteht darin, daß die lohnarbeitsnahen Sozialtransfers inzwischen von allen politisch etablierten Parteien und Mächten in Frage gestellt wird. Diese Beobachtung formulierteauch Georg Vobruba auf einem von mir organisierten Symposium. [13] Bei der Frage der lohnarbeitsnahen Sozialtransfers ist ein Unterschied zwischen der europäischen Sozialdemokratie und den konservativen und rechtskonservativen Parteien nicht mehr zu erkennen. „Nicht zufällig wollen die politisch Verantwortlichen nicht länger über die Schaffung von Arbeitsplätzen reden, sondern nur noch über ‚Faulenzer’, nicht über sozialen Ausglich, sondern über den Abbau von Sozialleistungen.“ [14] „Diese inhaltliche Umorientierung, die die europäischen sozialdemokratischen Parteien sukzessive erfaßte, erfuhr ihre Vollendung im sogenannten Schröder-Blair-Papier (1999), in der sich die beiden Sozialdemokraten als an flexiblen Märkten orientierte ‚Anwälte des Mittelstandes’ präsentieren und die Idee der systemimmanenten sozialen Umverteilung, die einmal das historische Projekt ihrer Parteien war, zu Grabe tragen.“ [15] Wahltaktischen Ausdruck fand diese Ausrichtung im Papier der Hartz-Kommission, das eher Stoff für Satire und Kabarettprogramme liefert, denn realistische Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich hätte diesen Hinweis auf vielleicht all zu Bekanntes hier gar nicht eingebaut, wäre ich nicht von gewerkschaftlicher und sozialdemokratischer Seite mehrfach mit dem oben angeführten Vorwurf konfrontiert gewesen, das Konzept des Grundeinkommens würde den Abbau des Sozialstaates vorantreiben, ein Abbau, der bezüglich seiner lohnarbeitsnahen Dimension ideologisch, praktisch, moralisch und gesetzlich von der europäischen Sozialdemokratie realpolitisch betrieben wird. Offenbar läßt es sich im Glashaus trefflich mit Steinen werfen.

Realismus?

Ein weiterer möglicher Einwand gegen das Konzept des garantierten Grundeinkommens läuft auf die Unwahrscheinlichkeit seiner Durchsetzbarkeit hinaus. Zweifellos: Eine machtvolle Bewegung, die in den nächsten Jahren das Grundeinkommen durchsetzen könnte, ist zweifellos nicht in Sicht. Zudem, läßt sich das Grundeinkommen überhaupt in einem nationalen Rahmen, vor allem wenn er so klein wie der österreichische ist, überhaupt durchsetzen? Lassen wir diese Franen einmal auf sich beruhen, und überlegen wir den realistischen Gehalt jener Politik, die dem Grundeinkommen „das Ziel einer Gesellschaft der Vollbeschäftigung“ [16] entgegensetzt. Die, verglichen mit den 60er und 70er Jahren, massiv gestiegene Arbeitslosigkeit wurde bereits erwähnt. Aber wir sind mit einem weiteren Problem konfrontiert. Die Schere zwischen den unteren und den höheren Einkommen öffnet sich zusehends. Dieses Phänomen ist besonders in den USA relevant, aber auch in Europa nicht mehr zu übersehen. Ich zitiere dazu eine Tabelle, die Albert Scharenberg errechnet hat. [17]

TABELLE

Meine These lautet nun: Sowohl die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit als auch die Umkehr der auseinanderdriftenden Einkommen würde Interventionen in die Gesellschaft erfordern, die sowohl mit dem Bestehen des wahllegitimierten Parlamentarismus als auch der Profitorientierung der kapitalistischen Wirtschaft unvereinbar ist. Beide Phänomene sind ja nicht (nur) [18] Ausdruck einer gewissen Böswilligkeit, Unverantwortlichkeit oder falscher Entscheidungen der Entscheidungsträger, sondern die Konsequenz der postfordistischen Umstrukturierung von Gesellschaft und Wirtschaft. Diejenigen, die immer noch das Ziel „Vollbeschäftigung“ proklamieren habe sich die Konsequenzen dieser Forderung offenbar nicht wirklich überlegt – diesen Vorwurf kann ich den VertreterInnen der Vollbeschäftigungsforderung leider nicht ersparen. Eine tatsächliche Vollbeschäftigung gab es in Österreich auch nur Ende der 60er bis Mitte, Ende der 70er Jahre. Damals betrug die Anzahl der bei Arbeitsämtern als arbeitslos gemeldeten Menschen um die (und teilweise unter) 30.000 Personen, in den 80ern und 90er steig die Zahl rund um den Faktor 10.Will man eine Arbeitslosenzahl von 30.000 für Österreich als Vollbeschäftigung bezeichnen (eine wohl sinnvolle Annahme) so waren es gerade 10 Jahre im letzten Jahrhundert, in der dieses Zielerreicht war. Die Grundlage dafür lag in einer ausgesprochen Prosperitäts- und Sonderphase der kapitalistischen Ökonomie, die in dieser Form endgültig der Vergangenheit angehört. Die Bedingungen der 60er Jahre sind mit bestem Willen auf Boden kapitalistisch-parlamentarischer Verhältnisse nicht mehr herzustellen. Die Bedingungen für diese Prosperitätsphase sind Geschichte, alle, aber wirklich alle Faktoren, Bedingungen und Umstände haben sich derart grundlegend und fundamental geändert, daß das Projekt, eine ähnliche Verhältnisse in Europa wieder einzuführen, nur als weltfremd bezeichnet werden können. Wer unter diesen Bedingungen weitgehende Vollbeschäftigung proklamiert, treibt, bewußt oder unbewußt, ein gefährliche Spiel. Der grundlegende Motor der kapitalistischen Wirtschaft, die Erreichung und Maximierung von Profit ist politisch nicht verhandelbar. Solange das Profitprinzip nicht in Frage gestellt wird, solange verkehrt sich die Forderung nach und die Sorge um Arbeitsplätze stets Gegenteil. In der öffentlichen Debatte wird mit der Sorge um Arbeitsplätze, bzw. mit der Forderung nach neuen zumindest die folgenden drei Bedingungen eingeklagt: 1.) Sicherung und Optimierung des Wirtschaftstandortes, 2.) Unterordnung sämtlicher Forderungen, sei es von Seiten der Belegschaften, seien es allgemeiner Natur, unter die „Ertragslage“, sprich Rate und Masse des Profits, 3.) Ökonomie vor Ökologie. Im politischen Alltag bedeutet die Forderung nach Arbeitsplätzen, den RepräsentantInnen des Kapitals regelmäßig einen Elfmeter aufzulegen der auch dankend angenommen wird. Unter den Bedingungen einer verrechtlichter Sozialbeziehungen, herrschaftslegitimierender Wahlverfahren und des Privateigentums an Produktionsmittel ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit nicht zu erzwingen. Es ist daher auch kein Zufall, daß die europäische Sozialdemokratie und die mit ihr verbundenen Gewerkschaften diese Forderung gar nicht mehr erhebt. Der Weg, siehe Beispiel Deutschland, weist in die genau entgegengesetzte Richtung, die Arbeitslosen werden für ich Schicksal selbst verantwortlich gemacht. Mit unglaublicher Demagogie werden diese als „Faulpelze“ und „Schmarotzer“ denunziert. Hinter dieser Aggressivität gegen Nichtstuer, die sich selbstredend auch in der Kritik am Grundeinkommen kaum verbirgt, sehr freilich die Einsicht, „nichts geht mehr“. Angesichts steigende rund steigender Arbeitslosenzahlen, fällt der europäischen Sozialdemokratie nichts anderes ein, als in rabiat neoliberaler Art und Weise, die Arbeitslosen zu schikanieren, die absurdesten Konzepte – „Ich-AG“, Billiglohnarbeitsplätze in Mittelstandshaushalten – zu entwickeln um letztlich die erzreaktionäre Leier zu wiederholen, die Arbeitslosen seien selber schuld. Gut, mein Ton ist jetzt etwas scharf, aber wenn in den Vorschlägen der SPD zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit unter anderem der Ausweitung des persönlichen Dienstleistungssektor vorsieht, so heißt das im Klartext, daß jene Frauen, die das Grundeinkommen angeblich an Haus und Herd fesseln würde, nun nach den Plänen der Hartz-Kommission für einige Euro pro Stunde in Privathauhalten putzen und waschen sollen. Zwei Wege wurden eine Zeitlang erwogen, einerseits die Schaffung von Arbeitsplätzen durch den Staat, andererseits eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung. Letztere von der französischen Sozialdemokratie per Gesetz eingeführt. So weit ich sehe, ist es dadurch aber weder gelungen die Arbeitslosigkeit signifikant zu senken noch die Tendenz zum Auseinanderdriften der Einkommen umzukehren. Die Gründe dafür liegen offensichtlich in den neuen flexiblen Arbeitsformen des Postfordismus, anders gesagt, eine Arbeitszeitverkürzung setzt politische, arbeitsorganisatorische und gesellschaftliche Bedingungen voraus, die mit den Fordismus zunehmend erodieren. Mit der Schaffung neuer Arbeitsplätze durch Staat und Gemeinden ist es nicht besser gestellt. In kleinem Maßstab mag das durchaus ein Weg sein, aber die Massenarbeitslosigkeit ist dadurch nicht zu beseitigen. Arbeitslosigkeit im großen Maßstab durch staatlich geschaffene Arbeitsplätze zu beseitigen, würde bedeuten, einen ökonomischen Staatssektor mit gewaltigem Finanzbedarf zu schaffen. Ist ein solches Konzept überhaupt unter den derzeitigen politischen Bedingungen durchsetzbar, würde die staatliche Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit nicht Regime erfordern, die Züge des sogenannten realen Sozialismus aufweisen müßten? Es ist müßig, diese Frage zu stellen. So weit ich sehe, vertritt dieses Konzept aus guten Gründen weder die europäische Sozialdemokratie, noch die Gewerkschaften noch einhellig die inzwischen schwer krisengebeutelten kommunistischen Parteien. Wie sieht es nun mit dem realistischen Gehalt der Forderung nach dem Grundeinkommen aus? Eine Einschätzung, wann und wie ein solches realisiert werden könnte, ist ernsthaft nicht zu geben. Aber es gibt einen Punkt, den ich für sehr wesentlich halte. Auch in gegenwärtigen, realpolitischen Auseinandersetzung erfüllt die Forderung nach dem Grundeinkommen eine wichtige Funktion, da sie nämlich auf Prinzipien beruht, die bei allen gesellschaftlichen Fragen von hoher Relevanz sind. Und zwar:

Warum die Forderung nach dem Grundeinkommen schon heute in der Auseinandersetzung um Sozialtransfers relevant ist

Erstens: Anstatt sich der Logik der Profitmaximierung zu unterwerfen, entkoppelt das Grundeinkommen sozialpolitische Maßnamen vom Zyklus der Prosperität und Krise, knüpft also Forderungen gerade nicht an das Wohlergehen „der Wirtschaft.“ Daß dies in den Augen derer, die den Kapitalismus für die „natürliche“, dem Menschen adäquate Wirtschaftsweise halten und Alternativen in den Bereich des Wunschdenkens und des Märchenerzählens verweisen wollen, den Sündenfall schlechthin darstellt, ist klar. Aber gerade diese Konfrontation zu erzwingen, ist ja eine der starken Seiten des Grundeinkommens. Alle VertreterInnen des garantierten, bedingungslosen rundeinkommens erklären unisono – selten herrscht in einer Frage solche Einigkeit – die Realisierung dieser Forderung sei ausschließlich eine Frage des gesellschaftliche Willens. Das impliziert, daß die Logik der Kapitalverwertung und darauf aufbauend die Budgetpolitik der Staaten keineswegs eine quasi natürliche, unüberwindliche Schranke für die Perspektive des politischen Handelns erachtet und als solche auch nicht akzeptiert wird. Umgekehrt: In der Forderungen nach Arbeitsplätzen, aber auch im Konzept der bedarfsorientierte Grundsicherung ist dieser Anspruch keineswegs enthalten. Genaugenommen ist es ja auch ein Ding der Unmöglichkeit, Lohnarbeit zu fordern, also eine Ausweitung der grundlegenden Institution des Kapitalismus schlechthin möglichst auf alle, ohne dabei den Kapitalismus als Referenzsystem zu akzeptieren, der diese Institution in mühsamen jahrhundertelangen Kämpfen erst schaffen mußte, in dem er vorkapitalistische Arbeitsformen zurückdrängte und mit Peitsche und Zuckerbrot ein diszipliniertes Proletariat zu schaffen hatte. Zweitens: Das Grundeinkommen formuliert klar, daß die Sicherung eines menschenwürdigen Daseins Aufgabe der Gesellschaft ist und nicht jedes isolierten einzelnen sein kann. Damit stellt sich das Grundeinkommen vom Prinzip her gegen jede Form der Privatisierung gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Aufgaben. Das Grundeinkommen will den brutalen Kampf aller gegen alle, Konkurrenz, Neid und Mißgunst fundamental eindämmen, indem es eben bedingungslos allen Mitgliedern der Gesellschaft die Grundlage ihrer Existenz sichert. Drittens: Das Grundeinkommen setzt den Staat gerade nicht als Mittel und Modus emanzipatorischer Prozesse. Der Staat erhält durch das Grundeinkommen nur die Rolle eines universalen Distributionsbüros, die Mittel, die er für das Grundeinkommen benötigt sind so zusagen fundamental und offensichtlich zweckgebunden. Das Grundeinkommen fordert vom Staat keine Politik, weder soll der Staat Arbeitsplätze sichern oder schaffen – was dies in der Praxis bedeuten muß, habe ich ja schon angedeutet – noch soll der Staat eine aktive Sozial- aber auch Subventionspolitikpolitik betreiben. Die Maxime des Grundeinkommen ist zwar nicht in einem traditionell anarchistischen Sinne antistaatlich, doch ausgesprochen staatsreserviert. Das erklärt einerseits das Interesse linksliberaler Kreise für diese Forderung, etwa des kurzlebigen LIF. Andererseits sehe ich darin die eigentliche und entscheidende Wurzel der Abneigung gegen diese Forderung von sozialdemokratischer und gewerkschaftlicher Seite. Bleiben wir nur in Österreich, für wohl ein halbes Jahrhundert waren diese politischen Kräfte korporatistisch mit dem Staatsapparat verbunden, dominierten ihn phasenweise. Mehrere Generationen von FunktionärInnen inklusive ihres Klientels sind durch diese Verwobenheit mit dem staatlichen Machtapparat politisch sozialisiert, in ihrer Handlungsperspektive geprägt und in ihren politischen Zielvorstellung geleitet worden. Nun keimt in der Gesellschaft eine Forderung, die mit all diesen Erfahrungen und Bezügen bricht, die einen völlig anderen Typus von Handeln, einen völlig veränderten gesellschaftlichem Status der Akteure und eine vollkommene Abkehr der korporatistisch geprägten Staats- und Gesetzesinterventionismus zum Horizont hat. Was mich manchmal zu eher spitzen Formulierungen greifen läßt ist eben dies: diesen Hintergrund auszublenden, al ob der nicht die Argumentation massiv bestimmen würde. Aber vielleicht hätte mir der leider verunglückte ehemalige Sozialminister Dallinger dabei sogar zugestimmt. Zusammenfassung dieses Punktes: Ich meine, daß die hier angeführten Punkte – Bruch mit der Kapitallogik, gesellschaftliche Verantwortung für die grundlegenden Lebensbedingungen jedes einzelnen und Absage gegenüber Konzepten, die den Staat als emanzipierenden Akteur bestimmen (ohne striktem Staatsabsentismus) - bei allen Auseinandersetzungen um soziale Fragen von Bedeutung sind, daß also die Forderung nach dem Grundeinkommen Prinzipien bündelt, die selbst in der alltäglichsten Auseinandersetzung von Relevanz sind.

[1Glotz, Peter, „Freiwillige Arbeitslosigkeit? Zur neuren Debatte um das garantierte Grundeinkommen“, in: Michael Opielka, Georg Vobruba (Hg.) „Das garantierte Grundeinkommen. Entwicklung und Perspektive einer Forderung.“ Frankfurt am Main 1986

[2[[„Angesichts horrender Arbeitslosenzahlen (in Neapel offiziell 27%, die Jugendarbeitslosigkeit ist mehr als doppelt so hoch!) erscheint die alleinige ‚klassische’ Forderung nach Vollbeschäftigung ohnedies illusionär, vor allem wenn mensch die schwache Industrialisierung des italienischen Südens und die erdrückende Konkurrenz Norditaliens in den postfordistischen, immateriellen Sektoren wie der Informationstechnologie bedenkt. Deshalb fordern die starken, jenseits politischer Parteien organisierten Bewegungen der Arbeitslosen von Neapel nicht mehr ausschließlich ‚Arbeitsplätze’ sondern in zunehmenden Maße das sogenannte ‚salario garantito’, um zumindest die Grundbedürfnisse befriedigen zu können, ohne sich der allgegenwärtigen Camorra andienen zu müssen.“ Martin Birkner, „Über Kämpfe und Ängste – Soziale Bewegungen in Süditalien“ in: Kulturrisse Nr. 02, 2003, Seite 39

[3(Luise Gubitzer, Peter Heintel „Koppeln oder Entkoppeln: Grundsicherung versus Grundeinkommen“ http://www.univie.ac.at/iffgesorg/iff-texte/band4lgph.htm)

[4Westfälisches Dampfboot, Münster 1999, 224 Seiten, Übersetzung aus dem Italienischen, im Original: „La sinistra sociale“ 1997

[5Vergleiche dazu den Artikel von Dario Azzellini „Selbständige – Martrambos oder soziale Wesen?“ in Kurswechsel, Zeitschrift für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen, Nr. 2/2002, Wien Seite 37 – 49

[6Persönliche Mitteilung von Franz Naetar, der seit Jahrzehnten in der EDV tätig ist.

[7Darunter fällt: Arbeitsmarktpolitik, Kriegsopfer- und Heeresversorgung, Sozialversicherung, Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen, Leistungen nach dem Pflegegesetz.

[9Quelle: http://www.bmsg.gv.at/bmsg/relaunch/portal/content/ berichte/downloads/sozialausgaben.pdf

[10Diese Zahlenvergleiche können exakte Berechnungen natürlich nicht ersetzen, jedoch die Dimensionen anzeigen. Unter Dimensionen meine ich grundsätzliche Größenordnungen, also etwa die Frage, ob ein Grundeinkommen, 2%, 20% oder 200% des bestehenden Budgets ausmachen würde. Für solche groben, aber doch aussagenkräftige Berechnungen taugen diese einfachen Zahlenvergleiche durchaus.

[11Zum Vergleich: Mitschke errechnete für sein Modell der negativen Einkommensteuer einen zusätzlichen Finanzbedarf von 97 und 154 Mrd. ATS, das sind ungefähr 7 bis 11 Milliarden Euro, jährlich Quelle: Mitschke, Joachim, „Grundsicherungsmodelle - Ziele, Gestaltung, Wirkungen und Finanzbedarf. Eine Fundamentalanalyse mit besonderem Bezug auf die Steuer- und Sozialordnung sowie den Arbeitsmarkt der Republik Österreich“, Baden-Baden 2000

[12Grundeinkommen - Positionspapier von Vision ATTAC

[13Dieses Symposium fand am 20. Mai 2000 in Wien, im IWK statt.

[14Albert Scharenberg, „Globalisierung, Postfordismus und soziale Ungleichheit“ in: A. Scharenberg, O. Schmidtke (Hg.) Das Ende der Politik? Globalisierung und der Strukturwandel des Plitischen“, Münster 2003, Seite 26

[15Albert Scharenberg, „Globalisierung, Postfordismus und soziale Ungleichheit“ in: A. Scharenberg, O. Schmidtke (Hg.) Das Ende der Politik? Globalisierung und der Strukturwandel des Plitischen“, Münster 2003, Seite 45

[16Glotz, Peter, „Freiwillige Arbeitslosigkeit? Zur neuren Debatte um das garantierte Grundeinkommen“, in: Michael Opielka, Georg Vobruba (Hg.) „Das garantierte Grundeinkommen. Entwicklung und Perspektive einer Forderung.“ Frankfurt am Main 1986, Seite 14

[17Quelle: a.a.O. Scharenberg ... Seite 39

[18Es wäre zu einseitig, eine strikt objektivistische Sichtweise zu favorisieren. Beide Tendenzen sind durchaus auch gewollt, und werden aktiv politisch gefördert. So verweist etwa Robert Brenner in seinem viel beachteten Buch „Boom & Bubble“ darauf, daß angesichts „drohender“ Vollbeschäftigung um 1994/95 die Zentralbank der USA die Federal Reserve (abgekürzt FED) dagegen aktiv intervenierte: „Aber die Fed konnte eine derartige wirtschaftliche Dynamik nicht zulassen, insbesondere weil die Wirtschaft immer noch weiter unter Dampf kam und die Vollbeschäftigung allgemein bereits für erreicht oder jedenfalls für unmittelbar bevorstehend gehalten wurde – auch wenn die Arbeitslosenquote kaum unter 6 Prozent lag! Zwischen Februar 1994 und Februar 1995 begab sich daher die Fed auf einen aggressiven Pfad der Einschnürung der monetären Bedingungen und hob die Zinsen um volle drei Prozentpunkte an. Dieser Schritt bewirkte eine Unterbrechung der weiteren Beschleunigung des Wachstums, die ein volles Jahr andauerte – vom Ende 1994 bis zum Ende 1995.“ Robert Brenner, „Boom & Bubble“, Hamburg 2002, Seite 105f

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