Grundrisse, Nummer 7
September
2003

Editorial

Nachlese zum ersten österreichischen Sozialforum

Liebe Leserinnen und Leser!

Sommerloch? Nicht mit uns! Während sich andere Menschen bei 35 Grad im Schatten von den „Mühen der Ebenen“ erholen, schwitzt und ächzt die grundrisse-Redaktion unter der Last ihrer Hyperaktivität. Neben der Teilnahme am 1. Austrian-Social-Forum Ende Mai (ausführlicher Bericht im Anschluß an dieses Editorial) und der Vorbereitung unseres Sommerseminars in Ungarn musste noch „nebenbei“ diese Nummer der grundrisse produziert werden. Außerdem waren da noch die Vorarbeiten für unseren herbstlichen Veranstaltungsreigen ... Aber nun mal der Reihe nach:

„Politik ohne innere Veränderung der an ihr Beteiligten ist Manipulation von Eliten“ titelte die Nummer 3 der grundrisse mit Rudi Dutschke. Das statische Beharren auf „ewigen Wahrheiten“, seien es bürgerliche oder „orthodox-marxistische“, muss wohl als ein zentrales Hindernis emanzipatorischer Theorie und Praxis angesehen werden. Davon sind wir selbstverständlich nicht ausgenommen. So gelingt es uns zwar ab und an, Frauen für die Mitarbeit bei den grundrissen zu gewinnen, die Redaktion ist aber auch nach mehr als eineinhalb Jahren grundrisse-Produktion eine rein männliche. Dies soll nicht als Selbstbemitleidung verstanden werden, sind doch die Gründe dafür am wenigsten außerhalb der Redaktion zu finden. In Zukunft wird es uns wohl noch weniger als in der Vergangenheit erspart bleiben, sich sowohl theoretisch als auch praktisch mit der Asymmetrie der Geschlechterverhältnisse auseinanderzusetzen.

Es gibt aber auch positives zu berichten. Linda Bilda, Graphikerin und Cartoonistin, hat die illustrative Ebene der grundrisse neu gestaltet; diesmal in Form eigener Werke, zukünftig auch unter Hinzuziehung anderer Künstlerinnen und Künstler. Dies soll auch als inhaltliche Aufwertung der bisher eher eklektisch-ornamentalen Fotoleisten verstanden werden. Die zweite Neuerung stellt auf ihre Art auch eine Kontinuität dar, da bereits zum dritten Mal (neben Stefan Gandlers Auseinandersetzung mit Echeverria’s Gebrauchswertbegriff und der Beschäftigung mit den Thesen John Holloways) Thematiken der mexikanischen Linken in den grundrissen Platz finden: Clemens Berger stellt in diesem Heft die Fabeln Subcomandante Marcos’ über den rebellischen Käfer Don Durito vor, die wir uns freuen, erstmals in deutscher Sprache übersetzt, euch in Fortsetzungen zu präsentieren. Ebenfalls in lockeren Fortsetzungen werden Ausschnitte aus einem größeren Projekt von Robert Foltin veröffentlicht werden, der sich die Aufgabe gestellt hat, die sozialen Bewegungen in Österreich nach 1945 nachzuzeichnen. Der Artikel: „Die fordistische Ordnung“, stellt einen ersten Teil dar.

Im Gegensatz zu den vorigen Nummern, wo dies aus akutem Platzmangel nicht möglich war, ist es uns diesmal gelungen, mehr und längere Buchbesprechungen zu bringen. Alles in allem sind es diesmal grundrisse der Veränderungen geworden, ein wenig konkreter und „lebensweltlicher“. Politik (und selbstverständlich auch Theorie) ohne innere Veränderung ...

Um Veränderung ging es auch beim Sommerseminar der grundrisse am ungarischen Plattensee. Begleitet von wunderbarem Wetter, erlesenen Weinen und feinsten Speisen diskutierte das — leider durch zahlreiche Ausfälle ziemlich kleine — Grüppchen das Thema „Klasse“. Entgegen den zwar entgegengesetzten, so dennoch unrichtigen Positionen (DIE ArbeitERklasse ist nach wie vor DAS revolutionäre Subjekt „vs.“ die Arbeiterklasse gibt es nicht mehr) versuchten wir der Brauchbarkeit der Kategorie „Klasse“ auf die Spur zu kommen. Natürlich können an dieser Stelle nicht annähernd alle Diskussionen und Positionen vorgestellt werden, einige Eckpunkte für eine (noch zu führende) erneuerte Klassentheorie sollen aber umrissen werden: So muß zum einen die Ära des fordistischen „Massenarbeiters“ als bestimmendes Subjekt sozialer Kämpfe einerseits zwar als beendet angesehen werden, andererseits können aber die heterogenen Arbeits- und Kampfformen unter postfordistischen Verhältnissen nicht mehr auf einen einheitlichen Nenner gebracht werden (so sie das je konnten). Es stellt sich auch die Frage, ob „Klasse“ überhaupt als empirisch-soziologische Kategorie aufgefaßt werden soll, oder vielmehr aus der Perspektive Holloways zugleich als Identität und Rebellion gegen diese Identität zu denken ist. Neben einer Analyse der Verschiedenheit dieser Formen ist aber auch noch ihre Durchquerung durch andere Formen gesellschaftlicher Herrschaft, allen voran Rassismus und Sexismus, in eine nicht-reduktive Klassentheorie einzubeziehen. Ob in diesem Prozeß der Begriff der „Klasse“ bestehen kann, oder ob er durch adäquatere Begrifflichkeiten wie etwa „Multitude“ oder „Subjektivitäten“ ersetzt werden muss, werden theoretische wie soziale Auseinandersetzungen zeigen. Die Thematik wird uns jedenfalls so schnell nicht wieder verlassen.

Abschließend sei an dieser Stelle nochmals auf unsere herbstlichen Veranstaltungen hingewiesen. Unter dem Titel: „Angelika Ebbinghaus, Marcel van der Linden und Karl Heinz Roth stellen die Zeitschrift Sozial.Geschichte vor“, findet die Präsentation am 10. September 2003 ab 19 Uhr im „Amerlinghaus“, Stiftgasse, 1070 Wien, statt. Wer sich ausführlicher über dieses Projekt informieren möchte, sei auf die Webseite www.stiftung-sozialgeschichte.de verwiesen. Einen Tag später, am 11.9. gibt es die Möglichkeit, das programmatische Selbstverständnis der HerausgeberInnen in kleinerem Kreise zu diskutieren.

Auch die Auseinandersetzung mit Rassismus/Antirassismus und Kapitalismuskritik soll — voraussichtlich im November — mit der Veranstaltung: „Welche Theorie brauch Antirassismus“ mit Manuela Bojadzijev, Jost Müller und Vassilis Tsianos fortgesetzt werden. Im diesem Rahmen soll einerseits das Buch von Alex Demirovic und Manuel Bojadzijev, „Konjunkturen des Rassismus“, vorgestellt werden. Diese Veranstaltung wird von grundrisse, BUM/Open up, Malmoe organisiert und von der Grünen Bildungswerkstatt Wien, AUGE und ÖH-Fakultätsvertetung GEWI unterstützt.

Die Veranstaltung mit John Holloway konnte bis dato leider noch nicht fixiert werden. Informationen dazu gibt’s auf unserer Webseite und durch unsere Mailing-Liste.

Nähere Informationen zu den grundrissen und ihren Veranstaltungen, sowie die Möglichkeit, sich in die grundrisse-Mailingliste einzutragen gibt´s unter www.grundrisse.net (Im übrigen hat sich auch unsere Webseite über den Sommer verändert — und nicht zum Schlechteren.)

So, viel Spaß beim Lesen und auf Wiedersehen bei den grundrisse — Veranstaltungen,

die grundrisse-Redaktion
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