Medienecke
April
1991
In Bewegung:

Eigenartige Medienszene

Als sich BOILER vor etwas mehr als einem Jahr gründete, geschah das einerseits als unmittelbare Reaktion auf die geplante Abschaffung einer der ganz wenigen erträglichen ORF-Sendungen, der Musikbox (die dann bekanntlich auf einen miserablen Sendeplatz verlegt wurde). Andererseits waren die paar Leute, die sich da zusammentaten, grundsätzlich ziemlich wütend über die Art, wie einige Dinge in Österreich gehandhabt werden, und ganz besonders über das allen demokratischen Grundsätzen widersprechende Rundfunkmonopol. Wir begannen, Konzerte zu veranstalten, um damit Geld zur Unterstützung einer, wie wir es ausdrücken, eigenartigen Medienszene, zu verdienen, worunter wir folgendes verstehen: unabhängige Zeitungen, wie Fanzines, die nicht bereit sind, sich nach einem breiten Publikumsgeschmack zu richten; Musikproduktionen abseits von Austropop und großen Plattenkonzernen und — das Wichtigste — die Schaffung unabhängiger, unkommerzieller Radios.

How to be a Radio Pirate

Wir haben Ö3 gewaltig satt. Wir wollen andere Musik hören und über andere Sachen informiert werden, wir wollen ein intelligentes Radio. Da die herrschende Rechtslage die Installierung eines freien Senders absolut nicht vorsieht, sahen wir uns gezwungen, uns mit den Möglichkeiten illegalen Sendens auseinanderzusetzen. Wir beschlossen, Geld für einen Piratsender zu verdienen, wir taten das allgemein kund, und die Resonanzen waren fast durchwegs positiv. Wir begannen, uns zu informieren, technisch, rechtlich und politisch. Wir beschäftigten uns mit technischen Anleitungen, mit Büchern über Antennenbau, mit der Rechtslage und unbrauchbaren Entwürfen für ein Rundfunkgesetz, mit den Erfahrungen von Piraten anderer Länder und wir fanden österreichıische Gruppen und Initiativen, die gleiche oder ähnliche Ziele verfolgten oder verfolgen wie wir.

103,3: Listen to this!

Mit der Zeit kannten wir uns ganz gut aus: Am Ostersonntag schließlich kam Wien für eine dreiviertel Stunde lang in den Genuß freier Radios. Die Frequenz 103,3 wurde von mehreren Piratengruppen vorübergehend besetzt. Daß es bei einer dreiviertel Stunde nicht bleiben wird, ist logo. Weitere Aktivitäten — auch in den Bundesländern — werden demnächst folgen.

Um auch andere Initiativen in Richtung Radio-Piraterie zu animieren, übersetzten wir eine englische Broschüre, die ausführlich und für jeden verständlich über alle Aspekte (technische, rechtliche, politische und vor allem praktische) des Themas Radio-Piraterie informiert. Wir haben die Broschüre auf österreichische Verhältnisse adaptiert und ergänzt; „How to be a Radio-Pirate“ ist für 26 Schilling (inkl. Porto) über das unten angegebene Postfach zu bestellen. Auch alle weiteren Informationen über Boiler-Aktivitäten können über dieses Postfach angefordert werden.

Boiler Live Pool

Eine dieser Aktivitäten ist es, wöchentlich ein Konzert mit einer österreichischen Band zu veranstalten. Die ursprüngliche Intention war es, einen Sampler mit österreichischen Underground (was immer das ist)-Bands zu produzieren, und weil so etwas finanziell und auch technisch ziemlich aufwendig sein kann, beschlossen wir, einfach jeden Mittwoch eine dieser Bands ins Lokal FLEX einzuladen und dort im Rahmen eines Konzertes eine Liveaufnahme zu machen. Dabei stellten wir fest, daß einerseits das Interesse des Wiener Publikums an österreichischen Bands erstaunlich groß ist und daß es andererseits viel mehr gute Bands gibt, als wir zuerst glaubten. Das bewog uns den Boiler-Live-Pool auch über die Aufnahmen hinaus weiterzuführen; mittlerweile traten an Boiler-Mittwochen mehr als als 30 Bands im Flex auf und weitere werden folgen: der Live-Pool wird auf jeden Fall in den nächsten Monaten beibehalten werden. Der Sampler wird hoffentlich im Herbst fertig sein.

Die österreichische Independent-Szene

Einige Leute von BOILER und vom Fanzine FLEX’s Digest arbeiten derzeit zusammen an einem Handbuch der unabhängigen österreichischen Musikszene.

Das Buch wird eine Art kommentierter Adressensammlung und soll Bands die Möglichkeit geben, abseits von kommerziellen Agenturen und Veranstaltern sowie den großen Plattenfirmen ihre Musik zu produzieren und zu veröffentlichen. Es enthält auch eine Liste österreichischer Bands. Nennungen werden noch angenommen. Aber schnell muß es gehen, denn das Handbuch erscheint im Juni.

Spaß haben und was weiterbringen

BOILER arbeitet nicht gewinnorientiert, alle Einnahmen werden für Piratenaktionen, für die Produktion von Sampler und für das Handbuch verwendet. Es geht uns nicht ums Geldscheffeln. Wir wollen Leute unterhalten und ihnen dabei noch etwas vermitteln: daß es möglich ist etwas zu verändern und weiterzubringen und dabei auch noch Spaß zu haben.

aus: Juridikum 2/91, Seite 50

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