FORVM, No. 276
Dezember
1976

Fetzenarena

Medienecho auf eine geschäftliche Transaktion
Kulturleistung der Gemeinde Wien:
Der Schlachthof, Schauplatz der Kulturexplosion Arena im Sommer 1976, wird zerstört (10. Oktober)

Das muß ein Ende haben. Wir leben in einem Rechtsstaat.

Leopold Böhm

Wer hätte gedacht, daß ausgerechnet von der braven Akademie am Schillerplatz Gefahr für den Rechtsstaat droht noch dazu von den Studenten eines Architekturprofessors, der sich für die Rechten verdient gemacht hat? Als die Arena im Schlachthof noch Spielort der fashionablen Jugendabteilung der Wiener Festwochen war, machte Professor Gustav Peichl seine Studenten auf die architektonischen Qualitäten des Wiener-Werkstätten-Baus aufmerksam und löste damit eine Lawine aus, welche die Grenzen bürgerlicher Kunstbeflissenheit bald überrollte. Die Arena-Besetzer wollten nicht nur ein Denkmal industrieller Architektur vorm Abbruch retten, sondern darüber hinaus die gute Gelegenheit für ein Jugendzentrum beim Schopfe packen. Was sie hervorzogen, war das Gorgonenhaupt des Staatskapitalismus: Verfilzung politischer und ökonomischer Funktionen, Reprivatisierung von Gemeineigentum, Unterstützung der Konzerne aus öffentlichen Mitteln.

Krankheit Jugend

Auf diesen heißen Sommer in Wien waren die Zeitungen nicht vorbereitet. Kein Wunder! Das aufsässige, kritische Potential der Jugend hatte bisher nur wenig Gelegenheit, sich Luft zu machen. Der klimatische fiel auf den sozialen Siedepunkt und explodierte. Lange schon lastete eine bleierne Bürokratie auf den Jugendzentren, den Häusern der Begegnung. Wohin mit den jungen Leuten? In die Jugendklubs der Gemeinde, wo es bei öder Musik oder Kulturpofel hauptsächlich ums Bravsein geht? Oder in die „Alte Schmiede“, wo Kunst den teuren Fraß der Gemeindeküche verziert?

Die Arena-Besetzung war eine Art verzweifelter Handstreich; es kulminierte darin die lang verschleppte und unterdrückte „Jugendkultur“, die hierzulande unausgelebten Phasen der Linken. Die Geschichte der letzten zehn Jahre auf einen Sitz! Plötzlich standen die Zeitungen vor dem kniffligen Problem, ihren Lesern die Existenz so exotischer Gruppierungen wie Maoisten, Trotzkisten oder Spontis begreiflich zu machen — ein hoffnungsloses Unterfangen: „Ultralinke Chaoten!“ (Volksstimme), „Radikalinskis!“ (Die Presse), „Ideologisierende Weltverbesserer!“ (Kurier), „Politdemonstranten!“ (Arbeiter-Zeitung), „Saustall!“ (Kronen-Zeitung). Zwar hat man keine Mühe gescheut, die ganze Revolution auf Kunst & Kultur zu beschränken: statt Straßenschlachten eine Dichterlesung, statt Massendemonstrationen ein Popkonzert ...; aber in der „Arena-Mischung aus Woodstock und Pariser Mai ’68“ (profil) ließ sich das antikapitalistische Element nicht so leicht vertuschen. Für den journalistischen Sprachschatz sind freilich Begriffe wie Profitwirtschaft, Privatkapital, Selbstverwaltung haarige Obszönitäten. Was tun?

Vor diesen neuen Tönen und mittendrin in der Zwickmühle disparater Abhängigkeiten und Interessen retteten sich die Redaktionen zunächst in eine unverbindliche Schwärmerei, allen voran die Kronen-Zeitung. Die hatte es grade nötig! Wer zählt die Gelder, nennt die Namen, die neben ihrem Chef Hans Dichand (anfangs, er stieg später aus) im Milliardenprojekt des Schöps-Baus mit drinhingen ... Die von den Arena-Leuten immer wieder stolz zitierte Euphorie über die Besetzung in der Berichterstattung, zumindest in den ersten Tagen, ist nichts als Heuchelei. Denn nach dem damals bekannten Stand der Dinge schien der St. Marxer Schlachthof ohnehin verloren, die Sache der Besetzer aussichtslos. Das Areal, hieß es, gehörte nicht mehr der Gemeinde Wien, sondern der WIBAG (Wiener Betriebsansiedlungsgesellschaft), die es wiederum an den Schöps-Konzern verkauft hatte; ein Modegroßhandelszentrum war schon in Planung gegeben, eine Masse Geld investiert. Die Welt ist weggegeben. Da kann man ruhig ein bißchen auf die Drüsen drücken!

„Brav warn s’!“

Der schwülstige Artikel in der Kronen-Zeitung vom 29. Juni, dem Tag der Arena-Besetzung, hebt an: „Die Spitzhacke kreist überm alten Gemäuer der Arena.“ — Wie Pleitegeier, und „altes Gemäuer“ aus der Routine des Zeitungsjargons suggeriert eine morsche, baufällige Ruine — wo bleibt dann aber der Witz an der Arena? In Wirklichkeit waren doch alle Gebäude in ausgezeichnetem Zustand; in den zwanziger Jahren wurde, scheint’s, besser für die Tiere gebaut als heute für die Menschen. „Die praktisch feuersichere Stahlbeton-Ziegel-Bauweise ist nach statischen Gesichtspunkten in Ordnung und entspricht theater-, feuer- und baupolizeilichen Anforderungen“, urteilte ein Architekt unter den Besetzern.

Die Schilderung der „langen Nacht von St. Marx“ in der Kronen-Zeitung schließt mit den Worten: „Und während die Sonne die Simmeringer Gasometer freundlich strahlen läßt, holt jemand Brot und Schinken. Progressive schwatzen freundlich mit der Polizei in den schönen Morgen ... Wiens Jugend braucht und verdient ‚ihre‘ permanente Arena!“ Schön brav sind s’ gwesen. In diesem Tenor jubeln fortschrittliche Journalisten die Arena in den folgenden Wochen hoch: „vorbildlich ruhig“ besetzen, „in Ruhe und Ordnung“ den Platz wieder räumen; wenn die Jugend nicht randaliert, kriegt sie auch ihr Kommunikationszentrum. „Und wenn schon nicht in Simmering, vielleicht im Ronacher?“ (Krone, 29.6.). Prophetische Worte!

Ein paar Tage später: „Sicher warten irgendwo die Bagger und Caterpillar. Und ich wünsche mir, daß dann genauso ruhig und besonnen gehandelt wird, genausowenig radikal wie bisher ... Echte Alternativen!“ (3.7.)

Die Kronen-Zeitung ist jedenfalls vom ersten Tag an für ein Ausweichlokal zum Schlachthof und drängt stets auf den Kompromiß. Der Krone Wunsch ist der Gemeinde Befehl — und umgekehrt. Arena: Im allgemeinen sehr gut, im allgemeinen sehr schön! Die Idee eines selbstverwalteten Jugendzentrums kommt unseren eigenen Intentionen gradezu entgegen, ja könnte sogar von uns selber stammen; nur muß es doch wohl nicht ausgerechnet in St. Marx sein, denn ... Finanzgeschäfte hindern uns daran!

Klar und nüchtern stellten die Arena-Besetzer dem Politiker- und Zeitungsschwulst ihre vier Forderungen entgegen: Keine Abbrucharbeiten; ganzjähriges Kulturprogramm; Selbstverwaltung; die Gemeinde zahlt die Betriebskosten.

Ein Schöps frißt Blumenkinder

Die Kronen-Zeitung brachte geschwind, schon am 6. Juli, das Simmeringer Renaissanceschloß „Neugebäude“ aufs Tapet. Unter der Schlagzeile „Ideale Alternative für Schlachthof“ heißt es: „Das ist ganz sicher keine Geschichte, hinter der irgendwelche fremde Interessen stecken. Nur etwas Vernunft ...“ Von einer harten Eskalation der „schönen und friedlichen Besetzung“ habe niemand was: „Die Gemeinde hat nichts davon, denn es ist sicher kein gutes Image, wenn ‚Mutter‘ Stadt, in der Person der ‚Stadtmutter‘ Fröhlich-Sandner, ‚ihre‘ Kinder davonjagt ...“ Das haben inzwischen alle begriffen. Aber auch die Besetzer hätten von der „Möglichkeit einer gewaltsamen Konfrontation mit den Baggern herzlich wenig, denn die Sympathie weiter Kreise der Bevölkerung gilt der heiteren, friedlichen Gelassenheit dieser wahren ‚Blumenfeste‘ im alten Schlachthof — sicher nicht trotziger Gewalt“ (6.7.). Reigentanz der Blumenkinder — nur werden die Blumen leider von den Schöpsen gefressen ... „Realistische und besonnene Besetzer fragten uns immer wieder: ‚Wißt ihr echte Alternativen?‘“ (Krone, 6.7.). Das Kapital findet vielleicht eine: Großmutter Weltmulti frißt Schöps ...

Anderntags stößt ein weiterer Artikel nach: „Es bleibt für die Arena-Besetzer zu überlegen: Ist das Gelände St. Marx wirklich so wichtig? Oder haben nicht doch andere Probleme Vorrang? Zum Beispiel die Selbstverwaltung eines Kulturzentrums?“ (Krone, 7.7.). Wunderbarerweise kam am gleichen Tag auch von der Frau Vizebürgermeister ein Alternativvorschlag für die Arena: das „Baujuwel“ Schloß Neugebäude. Wer hatte was von wem?

Die Besetzer lehnten freilich ab, und zwar mit der programmatischen Begründung: „Die räumliche Lage des Schlachthofs besitzt einen Symbolwert, der nicht unterschätzt werden darf. An der Grenze von Erdberg nach Simmering, Arbeiterquartiere und Industriegebiet, setzt der Ort einen bewußten Gegensatz zur bourgeoisen Hochkultur des Citybereiches ... Wir wollen nicht raus aus den Arbeiterbezirken, aus den Industriegebieten“ (Arena-Wespennest). Dabei hatte es die Kronen-Zeitung doch so gut gemeint! „Was vor 407 Jahren zum Fest der Kaiser und Könige gebaut, soll wieder zum Fest für alle genützt werden — wäre das nicht eine ideale, permanente Arena in Selbstverwaltung?“ (Krone, 6.7.).

Zwei Seiten einer Krone

Auch die gealterten Scharfmacher der Kronen-Zeitung Staberl und Hübl, wurden aufs Thema angesetzt, und sie wahrten dabei unmißverständlich die Interessen ihrer diversen Chefs. Staberl ist ganz besonders in seinem Element — hat er doch seine drei Liebingsfliegen auf einmal vor der Klatsche: das Fernsehen, die „Marschierer und Protestierer“ und Übergriffe gegen Privatbesitz. „Ein paar Dutzend Millionen“ stehen auf dem Spiel! Vertragsbruch! Widerrecht! „Der Saustall ist ja bereits rechtsgültig zusammen mit einem beträchtlich großen Areal, in dessen Mitte er liegt, verkauft worden“ (Krone, 2.7.). Das sollte sich bald als ein Irrtum herausstellen — aber nicht aufgrund von Zeitungsrecherchen, sondern durch Initiative der Besetzer.

Staberls Substitut Hübl rückt die Anrainer der Arena ins Zentrum seiner menschlichen Betrachtungsweise; er verfaßt einen herzzerreißenden Bericht über Schlafstörungen: „Das kann man sich ja vorstellen: Ganze Nächte hindurch Veranstaltungen, ganze Nächte hindurch Krawall.“ Die Polizei wird zitiert: „Wir haben schon drei Funkwagen hingeschickt, unsere Beamten wurden, als sie um Ruhe baten, glatt ausgelacht ...“ Auch der Bezirksvorsteher kommt um seinen Schlaf: „Die Bürger aus der Umgebung rufen ihn nachts an und flehen um Hilfe ... Das geht doch alles nicht. Das ist doch nicht mehr menschlich. Entweder absolute Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr früh oder Schluß mit dem Ganzen!“ (Krone, 15.8.). Wie haben die sensiblen Anrainer bloß jahrzehntelang das Gebrüll todgeweihter Tiere ausgehalten ?

Ausgewogen durch diese zwei Staatsträger darf sich der progressive Flügel der Kronen-Zeitung beharrlich am technologischen und technokratischen Aspekt der Arena berauschen, diesem „Labor einer Stadt“, diesem „Lebenslabor“: „Die vieldiskutierte Sonnenheizung könnte auf den günstigen Hallendächern erprobt werden. Windgeneratoren auf der Simmeringer Heide könnten helfen, neue Energiequellen zu perfektionieren ...“ (Krone, 15.8.)

Überblickt man den gesamten Zeitraum, die dreieinhalb Monate der Arena von der Besetzung am 29. Juni bis zu Räumung und Beginn des Abbruchs am 11. Oktober, so kann man in groben Zügen sagen: Die Zeitungen heuchelten an der Oberfläche Zustimmung, ja Begeisterung, als die Sache der Besetzer aussichtslos schien; als die Geschäfte des Konzerns ins Zwielicht gerieten — kein Kaufvertrag WIBAG/Schöps vorhanden, Gemeinderatsbeschluß noch ausständig usw. — und die Chancen der Arena-Leute stiegen, den Schlachthof zu behalten, begannen sie umzuschwenken. Die liberalen Journalisten wurden aus der Frontlinie genommen, über die Arena berichteten von nun ab die Fußtruppen des Lokalressorts im Stil von Sex & Crime.

Müssen Fetzenjuden sterben?

Die Besitzverhältnisse waren von Anfang an verworren, die Rechtslage ungeklärt, und die Zeitungen taten nichts, um sie aufzuhellen. Durch die spezifische Symbiose Gemeinde Wien/Großkapital mußten sie sich wohl oder übel als deren Vasallen verdingen. Eine Ausnahme war der Kurier: er vertrat die Interessen der Gegenseite, die sogenannten „Fetzenjuden“ vom Salzgries, dem traditionellen Textilviertel im Zentrum Wiens. Für diese kleinen Händler bedeutet das Modegroßhandelszentrum des Schöps-Konzerns draußen in St. Marx höchstwahrscheinlich den Ruin. Der Besitzer des Schöps-Konzerns, Leopold Böhm, kommt selber vom Salzgries her, den er unter anderm dadurch niederkonkurrenzieren und ausradieren will, daß er „durch Importe den starren halbjährlichenr Produktionsrhythmus der heimischen Textilindustrie unterläuft“ (Ö3-Musicbox, 12.7.).

In einer Titelstory des Wirtschaftsmagazins trend über den „Textilrebellen Schöps“, die noch vor der Arena-Besetzung erschien und der wie üblich den Großindustriellen als positiven Helden feiert, werden immerhin auch dessen brutale Geschäftspraktiken gestreift: „An der Verhaßtwerdung Böhms hatten auch eine rücksichtsiose Ausnützung von Struktur- und Managementschwächen der Konkurrenz beträchtlichen Anteil. Die schöpserne Faust bekamen in den letzten Jahren alle — Industrielle, Gewerbler und Händler — zu spüren“ (trend, Juli 1976). Dem Tüchtigen gehört die Welt. Da hatten sich die Arena-Leute den Richtigen ausgesucht!

Leopold Böhm hatte es außerdem verstanden, sich mit SPÖ-Regierung und Gemeinde zu arrangieren. Die haben ihm seinen Willen zur „Erhaltung von Arbeitsplätzen“ durch die Übernahme bankrotter Textilfirmen mit „billigen Überbrückungshilfen des Sozialministeriums, Entgegenkommen der Kreditbanken und massive Verhandlungshilfe durch den Betriebsrat“ (trend) gedankt (,Textillösung Südost‘). Sehr hilfreich war dabei Böhms Manager Kurt Heindl, eine zentrale Figur der Arena-Geschichte. Er war früher Sekretär des Handelsministers und ist jetzt Abgeordneter der SPÖ zum Nationalrat.

Die Kurven des „Kurier“

Gegen die Errichtung des Modezentrums auf dem Schlachthof hatten sich die Textilgrossisten vom Salzgries, aber auch andere kleine Geschäftsleute, zum Beispiel von der Landstraßer Hauptstraße, durch verschiedene Initiativen zur Wehr gesetzt, kräftig unterstützt von ÖVP und Wirtschaftskammer. Den Kommanditisten des Kurier kam daher die Besetzung des Schlachthofs wie gerufen; die Arena-Leute kämpften nicht nur für sich, sondern auch für die Interessen der kleinen Unternehmer vom ersten und dritten Bezirk. Das hätte eine Volksfront werden können — aber so kritisierten die einen die rote Filzokratie von links und die anderen von rechts.

Immerhin war fürs erste Grund genug für den Kurier, um zu jubeln. Schlagzeile: „Arena soll Wienern erhalten bleiben — Sitzstreik in St. Marx! Die Hallen sollen gerettet werden! 400 junge Künstler!“ (Kurier, 29.6.). Da nahm man in Gottes Namen auch die KPÖ-nahen „Schmetterlinge“ samt „Keif“-Kabarett in Kauf. Bedingt durch seine besondern Interessen, schwafelte der Kurier als einzige Zeitung nicht nur ständig von der Kultur, wie etwa die Volksstimme, sondern war recht materialistisch beim Informieren: „Auf dem 70.000 Quadratmeter großen Grundstück ... Investitionen von rund 80 Millionen Schilling ... Zynisch bietet der WIBAG-Direktor den Arena-Besetzern den Kauf des Grundstückes an: der Quadratmeterpreis liegt bei 600 Schilling“ (30.6.).

Am gleichen Tag erscheint auf der Wirtschaftsseite, die schon seit längerer Zeit hauptsächlich Produkte der Kurier-Kommanditisten anpreist, ein dickes „Ja zum Wiener Textilviertel“: „Im Vergleich zum geplanten Modezentrum St. Marx biete das Textilviertel den Vorzug niedriger Mieten (12 bis 30 S pro m2 bei Altobjekten, im Gegensatz zu 100 S pro m2 in St. Marx), eine ideale Massenverkehrssituation und ein harmonisch gewachsenes Gebilde von Fabriksniederlassungen, Großhandelsbetrieben, Dienstleistungen, Speditionen und Banken ...“ (Kurier, 30.6.). Und weiter gehts im Chronikteil: „1.500 Leute ... Der Magistrat bietet den Illegalen den Kauf der Wasserzuleitung (15.000 Schilling) an ...“ Als Ausdruck der besondern Volksverbundenheit sind dazwischen ganze Passagen im Wiener Dialekt eingestreut.

Doch schon ein paar Tage später reagiert der Kurier eher pessimistisch — Spitzmarke: „Ist die Niederlage programmiert?“ Zwar dominieren nach wie vor die Interessen des Salzgries: „Eigene Expertengruppen, denen auch unabhängige Fachleute angehören, prüfen, ob die Industriewidmung des Arena-Geländes städtebaulich richtig ist, ob die Absiedlung des ‚Fetzenviertels‘ in ein Modegroßhandelszentrum notwendig ist“ (Kurier, 4.7.). Aber der vorsichtige Rückzug beginnt, „frißt“ doch bereits die „saure Diskussion zwischen Pragmatikern — denen der Sieg über die Gemeinde und die Schaffung des Kulturzentrums wichtiger sind — und den ideologisierenden Weltverbesserern am einheitlichen Klima“ (4.7.). Die Stimmung ist also mulmig. Ob da ein Wink mit dem Zaunpfahl von der Bauwirtschaft gewirkt hat? Auch solche Gewerbetreibende sind bekanntlich unter den Teilhabern des Kurier; schließlich geht’s bei dem Schöps-Projekt um eine Bausumme von 400 Millionen Schilling.

„Schön, aber sinnlos“

Von nun an heißt es für den Kurier Lavieren, um es allen Kommanditisten recht zu machen. (Ein Alptraum: Bei über 200 Mitbesitzern Chefredakteur sein ... wenn jeder nur einmal in der Woche anruft, macht das 30 Anrufe im Tag oder fünf Stunden Befehlsempfang!) Daß die Arena-Leute auf der roten Gemeinde herumhacken, ist ja gut und schön aber daß sie „VP-Mediensprecher und Arena-Befürworter“ Heribert Steinbauer so „vorschnell und unqualifiziert“ abtaten, kränkt. Als er auf dem Schlachthof aufkreuzte, „stänkerte ein Jugendlicher: ‚Hauts eam auße ...‘“ (Kurier, 5.7.).

Quasi als Revanche wendet der Kurier den hinterfotzigsten aller journalistischen Kniffe an, anderen Leuten, tunlichst Autoritäten, das in den Mund zu legen, was man sich selber nicht zu sagen getraut. So kann man wie beiläufig dunkle Anspielungen, Warnungen und Mahnungen einfließen lassen. Im Kurier spielten diese Rolle zwei Popstars, der „ehrliche Danzer“ („Es ist schön, aber sinnlos. Bald wird es das hier nicht mehr geben“) und der „bereits leicht angeschlagene Ambros“: „Eigentlich is ollas Oarsch“ ... Hugh, am 5. Juli, kaum eine Woche nach der Besetzung.

Voll bangem Schrecken mußte der Kurier den Alternativvorschlag Schloß Neugebäude aus dem Konkurrenzblatt zur Kenntnis nehmen, konnte aber am 7.7. doch freudig melden: „Abbruch ist verschoben!“ — und zwar auf unbestimmte Zeit. Als Draufgabe dies: „Die polemisierenden Weltverbesserer wurden von den Besetzern in ihre Schranken verwiesen.“

Café Schweinestall geschlachtet

Ein steuersparender Kauf

Von da an wird es zum Thema Arena merkwürdig still im Kurier. Gegen Mitte Juli kommt der große Rückschlag: die Zeitungen geben die Arena auf, zu einem Zeitpunkt, da so manches Neue über die Transaktionen im Dreieck Gemeinde Wien/WIBAG/Schöps OHG bekannt wird.

Was die Arena-Besetzer bis dato der Gemeinde Wien teils durch Aussprachen, teils durch Interviews an Informationen über die Besitzverhältnisse entlocken konnten, war folgendes: Früher war der Auslandsschlachthof im Eigentum der Gemeinde; 1971 verkaufte sie das Areal um 25 Millionen Schilling an die WIBAG. Die WIBAG ist ein Tochterunternehmen der Gemeindeholding, Gesellschafter der GmbH sind zu 95 Prozent die Gemeinde Wien und zu fünf Prozent die Wiener Städtische Versicherung; sie wird wie ein Privatunternehmen geführt und soll Industrie nach Wien locken — die „Wiener Wirtschaft in ihrer Struktur verbessern“. Seit ihrer Gründung im Jahr 1969, auf Antrag von Finanzstadtrat Mayr, haben sich 130 Unternehmen hier angesiedelt, darunter die Konzerne ITT, Hoechst, Kelly’s, Tungsram ... lauter Multis. „Für Wien sprechen: qualifiziertes Arbeitskräftepotential, Baukostenzuschüsse von 10% sowie die Lage als Drehkreuz des Ost-West-Handels ...“ (Aus einem WIBAG-Inserat im NEUEN FORVM, Juli/August 1976).

Seit 1971 suchte die WIBAG einen Käufer für den alten Schlachthof, doch keiner wollte anbeißen. Erst zwei Jahre später trafen sich ihre Verkaufsabsichten mit den Expansionsplänen des Schöps-Konzerns von Leopold („Textil-Napoleon“) Böhm, nicht zuletzt durch die mannigfachen Kanäle der Filzokratie. Im April und Mai 1976 kam es dann zu schriftlichen Vereinbarungen mit einer schwedischen Kühlfirma („Frigo-Scandia“) und dem Schöps-Konzern — zwar keine Verträge, aber „bindende Vereinbarungen mit Vertragscharakter“. Ein Bruch dieser sogenannten Vorverträge würde bedeuten, daß die Firma Schöps an die WIBAG Regreßforderungen für Investitionen und Verluste stellen kann.

Die Arena-Besetzer meinten nun zu Recht: Die Gemeinde Wien könnte das Gebiet ruhig enteignen, dazu hätte sie das Recht. Die Forderungen des bisherigen Besitzers könnten sich dann allenfalls auf Grund ünd Boden beziehen. Weder Schöps noch die schwedische Firma hatten bis dahin etwas vom Kaufpreis (25 bis 30 Millionen) für den Grund bezahlt. Es gäbe also keinerlei gültige Regreßforderungen.

Des Rätsels Lösung ließ nicht lange auf sich warten: „Im Grundbuch steht die Gemeinde und nicht die WIBAG“, erklärte WIBAG-Geschäftsführer Mayerhofer, „weil wir bei einer Umwidmung ein Prozent des Kaufpreises hätten zahlen müssen. Das wollten wir uns ersparen“ (Ö3 Musicbox, 12.7.).

Tresorvoyeure

Auf diesen tiefen Blick in die Usancen des Geschäftslebens reagierten die Zeitungen sauer — ist doch nur der Voyeurismus bei Tresoren wirklich anstößig! Dazu noch die unglückliche Figur, die Böhm & Konsorten in einer ORF-Diskussion (am 8.7.) machten. Sie redeten wirr um den Brei, als die Arena-Vertreter fragten, wer denn nun eigentlich die Hand am Schlachthof draufhalte. In ihrem Verkaufsangebot hatte die WIBAG den Passus stehn, daß sie das Gelände dann verkaufe, „wenn die rechtlichen Voraussetzungen unsererseits vorhanden sind“ (profil, 20.7.). Die gesamte Vorbedingung war ein Verkaufsbeschluß des Wiener Gemeinderats; nach §20 der Stadtverfassung muß bei der Abstimmung über einen Grundstückverkauf mindestens die Hälfte der Gemeinderatsmitglieder anwesend sein. Dieser Beschluß fehlte also und das war der wunde Punkt.

Kein Wunder, daß die Manager von Schöps und Gemeinde nun auf penetrante Weise mit dem Rechtsstaat auftrumpften. Gemeinde-Steininger: „Das halte ich für ein sehr wesentliches Bekenntnis zu unserem demokratischen Rechtsstaat ...“ Böhm: „Aber das muß ein Ende haben. Wir leben in einem Rechtsstaat ...“ (ORF-Diskussion, 8.7.).

Lehrreich ist die „objektive Berichterstattung“ des Fernsehens. Dessen Strategie sah so aus: Für die „Massen“ Negatives über die Arena (Österreichbild, Zeit im Bild 1); für die „Minderheiten“ (ZiB 2, Nachtprogramm, Jugendsendung „Ohne Maulkorb“): Indifferentes bis Positives über die Arena. Eine ähnliche Arbeitsteilung verfolgte übrigens auch die Gemeinde Wien: die niederen Chargen müssen die Schmutzarbeit machen, Bürgermeister Gratz ist die Güte selbst.

Im Anschluß an die ORF-Diskussion vom 8. Juli, in der sich immerhin zum ersten Mal die Widersprüche zwischen Denkmalamt, WIBAG, Stadträten und Managern artikuliert hatten, lieferte Die Presse ein Glanzstück jesuitischer Kleinkunst. Die Enteignung jeglichen Besitzes droht! Unter der Überschrift „Manipulation — ‚ohne Maulkorb‘“ sieht die Presse die Zeit der Finsternis heraufziehn. „St. Marx — der Name ist fast ein Programm!“ Und zack, ein Faustzitat: Mephisto! ... Die Rechtsanarchisten des bürgerlichen Journalismus setzen ihre verdrängten Hoffnungen auf die Linken. Der frischgebackene Chefredakteur der Presse operiert mit seinem Lieblingszitat, Proudhons „Eigentum ist Diebstahl“. Giert er nach einer Villa am See? „... den Eindruck zu erwecken, es sei in der Tat eine mächtige Volksbewegung hinter der Forderung, im Fall der Fälle — Rechtsstaat hin oder her — eben mit Gewalt zum öffentlichen Gut zu machen, was privates ist? Besetzt die Höfe, die Privatgärten, jawohl die Seeufer natürlich auch, es gehört uns ja doch alles gemeinsam, nicht wahr, und Eigentum ist Diebstahl, oder nicht?“ (10.7.).

„Ihr habt ja Krätze!“

Die Hetze gegen Minderheiten gehört zum fixen Repertoire der österreichischen Zeitungen. Ein Stück dieses Abscheus gegenüber Armen, Schwachen, Hilflosen und Ungewaschenen steckte auch in der Argumentation der Arbeiter-Zeitung gegen die Arena-Besetzer. Die aufsässigen Jugendlichen füllten das Vakuum, das die Gastarbeiter in den Medien hinterlassen haben.

Die AZ-Geschichte mit der Krätze ist mittlerweile berühmt. Unter der Schlagzeile „Aus der Arena mit Krätze ins Spital“ meldete das Zentralorgan der SPÖ am 8.7.: „Was der Vernunft nicht gelingt und gutem Zureden — einem mikroskopisch kleinen Lebewesen wird es vielleicht gelingen, den freundlich aufrechterhaltenen Status quo in der Arena zu durchbrechen.“ Anstelle von Polizei und Brachialgewalt das Aufgebot der Hygiene. „Die Hautärzte sagen es schonungslos: Krätze oder Skabies ist eine Schmutzkrankheit. Sie tritt dort auf, wo man nicht sehr reinlich ist oder wo sehr viele Menschen auf engem Raum zusammengepfercht leben ...“ (Eine schonungslose Retourkutsche wäre: Nackte in bis dahin zugeknöpften Zeitungen treten dann auf, wenn das Blatt im Sterben liegt ...)

Es wurden nicht nur die Milben, sondern auch alle anderen Naturgewalten angerufen. Regen und Feuer, Emotionen und Agonie. Der Regen soll rinnen, damit der Schlachthof unter Wasser steht und „Tausende Ratten aus den Kanälen steigen“ (Schöps-Manager Kurt Heindl in profil, 20.8.). Feuer soll lodern und die Arena einäschern: „Nach Streit um ‚Frauenhaus‘ — Brandlegung in der Arena“ (Presse, 18.8.). Die jungen Leute sollen sich gegenseitig ausrotten („Arena: Schweigen nach blutiger Fehde“, AZ, 18.8.) oder auch in Dornröschenschlaf verfallen: „Bulldozer stehen kampfbereit — Agonie einer Arena“ (Presse, 11.9.). Dazu das viele Rauschgift, „ausgesprochene Schlägertypen ... Dauerbesetzer“ in schmutzigen Hosen und mit strähnigem Haar ... Racheakt ... Frauenjäger ... Mordversuch“ (Presse, 19.8.). „In der Arena regnete es Knüppelhiebe“ (Kurier, 12.9.).

Arena — nur ein Gedanke?

Den Revolverjournalismus hat die kommunistische Volksstimme auf eigene Manier konterkariert — mit ihrem Schlachtschwert „Arena-Gedanke“. Dieser müde Gedanke ist nur ein verfeinerter Ausdruck des Dilemmas der Gemeinde Wien, die einerseits freundliche Nasenlöcher zur Arena machen wollte, um die Jugendlichen nicht völlig abzuschrecken, anderseits die getätigten Transaktionen wegen eines lumpigen Jugendzentrums nicht platzen lassen konnte. Auf die Idee kommt’s an! Alles andre wird sich finden.

Alle Zeitungen lagen vor dem Kapital und seiner Logik auf dem Bauch. Die Volksstimme, Organ der KPÖ, war darin keine Ausnahme, obwohl man gerade von ihr einen antikapitalistischen Kurs erwartet hätte. Statt dessen wich sie in die Beschwörung einer Kultur der werktätigen Massen aus, was um so leichter geht, da so etwas bekanntlich nicht existiert. Mit den ewig alten, eingeschliffenen Phrasen bekam auch die Gemeinde Wien Hiebe ab. Aber dort, wo SP und Stadt wirklich zu packen gewesen wären — bei ihren finanziellen Machenschaften, in aller Heimlichkeit und Stille vollzogen bei der Reprivatisierung von Gemeineigentum, bei dubiosen Widmungspraktiken, bei der Verfilzung von Ämtern wie Nationalratsabgeordneter und Konzernmanager —, darüber verlor die Volksstimme kein einzig Wort. Sie übte in allem vornehme Zurückhaltung, was den Schöps-Konzern betrifft; dessen Transaktionen, vergangene und künftige, wurden niemals erwähnt, und der Name Schöps selber kommt im Lauf der vielen Wochen, in denen die Volksstimme über die Arena-Besetzung schrieb, nur zweimal vor, und zwar erst, als die Sache längst ausgestanden war.

AZ & Volksstimme Hand in Hand

Zu Anfang schmollt die Volksstimme den „besonders raffinierten ultralinken Chaoten“ (und kommt dabei ins Gedränge mit „Besitzern“ und „Besetzern“), die durch ihre „naive Forderung, die Arena müsse im Schlachthof bleiben“, die „Geschäfte der SPÖ“ besorgten. Damit würden nämlich „Bund und Gemeinde geradezu provoziert, unter Hinweis auf die enormen Kosten, die ein Ausbau dieses (verkehrstechnisch ungünstig gelegenen) Geländes verursachen würde, die Aktion als irreal zu diffamieren“ (Volksstimme, 1.7.). Na, wenn das nicht hilft, die Geschäfte der Gemeinde Wien zu besorgen!

Hatte das KP-Blatt doch nahezu wörtlich wiederholt, was schon einen Tag zuvor in der AZ gestanden hatte: „Die Arena ist ein idealer Spielplatz, aber für das Publikum zu abgelegen ... Für Leute, die mit der Straßenbahn fahren und am nächsten Morgen aus dem Bett müssen, „ist sie eine Zumutung.“ Die Hoffnung wird ausgesprochen, „daß sich in günstigerer Lage etwas ähnliches finden läßt: eine aufgelassene Markt- oder Fabrikshalle. Wenn man sie gefunden hat, müßte man sich dann absichern gegen Verkaufsgelüste der Besitzer“ (AZ, 30.6.). Im Haus des Henkers wird stets nur vom Strick gesprochen! Immerhin war dieses Argument der schlechten Verkehrslage noch ein gutmütiger Trick, obwohl es sich ja genausogut auf die künftigen Angestellten in Schöpsens Modezentrum anwenden ließe ...

Volksstimmes Herzstück war und blieb aber ein Zitat der Frau Vizebürgermeister aus der AZ vom 29. Juni, dem Tag der Besetzung, wo sie erklärte, „daß der Erfolg der Arena vom dort präsentierten Inhalt und nicht von der örtlichen Verpackung abhängig sei!“ (AZ, 29.6.). Den Kernsatz der Arena-Besetzung, „der Schlachthof muß für die Jugend als Kommunikationszentrum erhalten bleiben“ — die wichtigste Forderung überhaupt, weil hier ja das antikapitalistische Moment drinsteckt: der Schlachthof soll uns gehören, nicht dem Konzern! —, hat die Volksstimme von Anbeginn negiert. Im Fünfpunkteprogramm der Kommunisten zur Arena vom 4. Juli hieß es: „Sistierung aller Abbrucharbeiten in St. Marx bis zum vollen Verfügbarwerden zumindest ebenbürtiger anderer Möglichkeiten.“

Dazu paßte auch das Riesenplakat beim Eingang zum Schlachthof mit einem Gedicht des KP-Poeten Heinz R. Unger („Arena der Mauern, Arena der Inhalte“). Die Besetzer hätten es eigentlich herunterreißen müssen, wenn nicht das hohle Pathos dieses Gedichts und seine verwaschene Sprache so schwer zu verstehen gewesen wären. Das Poem versifiziert die goldenen Worte der Frau Vizebürgermeister: Auf den Inhalt, nicht auf die Verpackung komme es an! „Nicht die Mauern interessieren uns / denn das ist käuflich / sondern was innerhalb der Mauern geschieht / denn das ist nicht käuflich / ... Deshalb haben wir nicht nur Gebäude besetzt / wir haben Inhalte von Gebäuden besetzt / Und Inhalte sind unverkäuflich“. Die Volksstimme jubelte am 13. Juli in Prosa: „Die Besetzung gilt neuen Inhalten!“

Was für die SPÖ auf dem Spiel stand, weiß man nun; trieb die KPÖ dagegen nur ein L’art pour l’art? Vielleicht steckt doch mehr dahinter: der Osthandel, den die KPÖ als Kur für alle Übel des österreichischen Kapitalismus so warm empfiehlt. Böhm beteuert immer, er kaufe nichts in Hongkong (— gelbe Gefahr, vor der das Textilviertel und ganz Vorarlberg zittern). Kauft er vielleicht in Osteuropa ?

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