FORVM, No. 496-498
Juni
1995

Gruß ans Exil aus dem Untergrund

Im vorigen Heft, das am 22. März 1998 im Amsterdamer Exil erschienen ist, baten die Redakteurinnen Evelyn Kunschitz und Maria Windhager einige teure Verschollene, deren Schicksal ungewiß war, sich mit dem FORVM in Verbindung zu setzen. Von der vormaligen Präsidentschaftskandidatin (1992) der FPÖ sowie ehemaligen Parteichefin des Liberalen Forums erreicht uns der nachstehende Gruß — Sie lebt! Wir freuen uns und grüßen zurück.

Sehr geehrte Redaktion!

Ich habe gehört, daß das FORVM im Exil eine Nummer herausbringt, in der einige von jenen zu Wort kommen, die unser Land verlassen haben oder verlassen mußten, ein Aufschrei der Verletzten und Betroffenen, um Hilfe für jene aufzurufen, die sich selbst nicht mehr helfen können, vor allem aber, um das Unfaßbare faßbar zu machen und damit das Äußerste zu verhindern.

Ich habe diese Nachricht über verschlungene Wege erhalten, denn ich bin in Österreich geblieben. Selbstverständlich nicht mit meinem Namen, nicht an meiner Adresse, nicht in meinem Beruf. Ich mußte auch mein Aussehen verändern — ich bin untergetaucht. Aber ich lebe noch in diesem Land, wenn auch nicht in Freiheit, denn die gibt es nicht mehr. Jetzt gibt es die Freiheit, »die er meint«. Ich hoffe, daß mein Brief Sie rechtzeitig erreicht, denn derartiges könnte bei uns nicht einmal verschlüsselt veröffentlicht werden — er hat wahr gemacht, was er damals angekündigt hatte: in den Redaktionsstuben wird nunmehr »die Wahrheit« geschrieben; es ist »seine Wahrheit«, auch wenn er noch immer »wir« sagt. Er hat gehalten, was er versprochen hat: er sagt, was »wir« denken, und er weiß es, ohne fragen zu müssen, denn es ist ja eins, »er« und »wir«. Wie er überhaupt »einfach ehrlich, einfach Jörg« ist. Denn er hat uns fast alles rechtzeitig gesagt oder gezeigt und nun hält er, was er versprochen hat.

Ich erinnere mich noch gut, als er begann, uns die 3. Republik, in der ich nun im Untergrund lebe, vorzustellen. Das Amt des Bundeskanzlers und Bundespräsidenten in einer Hand, daneben sieben Fachminister, möglichst keiner Partei angehörend. Er hatte es gut aufgebaut damals. Die Volkswahl einer Funktion zu fordern, ist immer gut, das erweckt den Eindruck einer maximalen Mitbestimmung. Es war auch findig, die Parteilosigkeit der Minister just zu jenem Zeitpunkt zu verlangen, als das Image der Politik allgemein und das der Parteien im besonderen auf einem Tiefpunkt angelangt war. Unpolitische Fachleute sind angenehme Minister. Sie vollziehen, was möglich ist, und sind nicht von der Abwägung belastet, was richtig ist. Aber das ist auch nicht notwendig, denn das weiß sowieso »er« — er sagt, wo’s langgeht.

Ich hätte nicht gedacht, daß es so schnell funktionieren würde, aber ich hätte es wissen müssen. Damals, als er sagte, »da müssen wir durch«, egal, ob dabei »etwas passiert« oder nicht, hätte ich wissen müssen, was er vorhat. Denn eines seiner Herrschaftsmittel in der Partei war die Dankbarkeit und sie funktionierte ausgezeichnet. »Ohne den Jörg seid Ihr nichts«, »Dein Mandat verdankst Du dem Jörg« — kaum einer, der das nicht zu hören bekam, selbst jener Mautner-Markhof, der zuvor, eben weil er »etwas war«, inständig gebeten worden war, ein Mandat zu übernehmen. Aber die Botschaft war klar: Wenn selbst Mautner-Markhof ohne den Jörg nichts war, wie sehr mußte das dann für alle anderen gelten. Daß Mautner die Konsequenz zog, das Präsidium der FPÖ zu verlassen, war nicht mehr wichtig. Und der Jörg verdiente sich die Dankbarkeit. Er war es, der die Hiebe für die gesamte Partei einstecken mußte und sich den Angriffen stellte. Der Respekt vor dem Stehvermögen deckte die Tatsache zu, daß die Angriffe bewußt provoziert wurden. Wie sonst sollte er seine Heldenhaftigkeit demonstrieren? Er machte sich einen Namen als Schützer und Anwalt der Massen, so war es nur logisch, daß die Dankbarkeit schnell über die Reihen der Partei hinauswuchs: Die Österreicherinnen und Österreicher verehrten ihn, wie sie Berühmtheit verehren, wie ihnen schneidige Angriffslust imponiert, wie sie schlagfertige Rhetorik bewundern, denn sie hat in unserem Land Seltenheitswert.

Und so ist es geschehen, daß die Dritte Republik wahr werden konnte. Ordnung und Wahrheit sind eingekehrt, der Geist der Aufklärung erstickt. Wir haben das seit 1948 geforderte Ministerium für Wahrheit; Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei, Unwissenheit ist Stärke. Und die Kunst ist wieder schön. Dafür ist eine Liste der Künstler notwendig, die arbeiten dürfen und deren Werke verboten sind. Von der Kriminalität hört man immer weniger, die strengen Strafen bis zu endlich wiedereingeführten Todesstrafe schrecken ab, sagen die — seine — Fachleute, die Neuordnung des Strafprozeßrechtes und Strafvollzugs entlasten das Budget beträchtlich. Davon und von den neuen Steuern der Alleinstehenden und Kinderlosen lassen sich hochspezialisierte Eliteschulen finanzieren, in die die Kinder ab dem 10. Lebensjahr gehen können. Es gibt auch keine Ausländer mehr, denn wie er seinerzeit schon gesagt hat, »haben wir nichts zu verschenken«, aber dafür wurden eigene Truppen eingesetzt, um ihnen in ihren Ländern »das Arbeiten beizubringen«.

Primo Levi hat gesagt: »Es ist geschehen und es kann daher wieder geschehen. «

Es wird an uns gelegen sein.

Heide Schmidt

Aber was tun wir wirksam dagegen? G.O.

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