FORVM, No. 495
März
1995

Gruß aus der Heimat

Liebe Freunde! Häufig werde ich seit der Machtergreifung gefragt, »wieso wandern Sie nicht aus? « Meine Antwort: Der Bedarf an 70jährigen deutschsprachigen Journalisten im Ausland ist gedeckt.

Seit der letzten Abwertung des Schilling ist meine Pension nur mehr halb so viel wert wie während der »Systemzeit« — und wir merken das ständig. Unlängst äußerte ein Wähler der »Bewegung« in der U-Bahn seinen Unmut. Er sagte nur die Worte »Unterm Vranitzky hätt’s das nicht gegeben«, und schon erhielt er von einem aufgebrachten Arbeitsdienstler mit kurzer Frisur eine Watschen.

Habe ich schon früher geahnt, daß die »Bewegung« die Macht übernehmen wird? Daß die Sache der Demokratie in Österreich für eine Weile verloren ist, wurde mir so richtig bewußt, als ich den Ausfall des sozialdemokratischen Ministers Hesoun im Fernsehen hörte. Damals fragte ich ihn per Telefax: »Sie meinen, Claus Peymann wäre ‚ein selbsternannter Intellektueller‘. Laut Duden ist Intellektueller ‚jemand, der wissenschaftlich (oder künstlerisch) gebildet ist und geistig arbeitet‘.

Wer, bitte, ernennt wen in Österreich zu einem Intellektuellen? Meinen Sie, daß Intellektuelle vom Staat oder von einer Behörde, zum Beispiel vom Sozialministerium zum Intellektuellen ernannt werden müßten? Ihrer Meinung nach hat Claus Peymann ‚für das Gesamtwohl Österreichs keinen Handgriff geleistet‘. Bedeutet dies, daß Sie nur körperliche Arbeit als Arbeit anerkennen?«

Meine letzte Frage bezog sich auf einen Kommentar, den ich im »Standard« (17. 5. 1993) veröffentlicht hatte: »Ich beanstandete, daß ein Oberst im österreichischen Generalstab einen Kriegsverbrecher und Judenmörder wie Generalmajor Löhr und einen Massenmörder wie den ‚General der Waffen-SS‘ Phleps in einer Zeitung lobt und einem amtierenden Minister der Republik zu einem Akt der ‚Schäbigkeit‘ gratuliert.« Damals hatte nur Minister Scholten reagiert. Weiter:

Es stellt sich die Frage, wieso die Republik Österreich mit Apologeten der Massenmörder so pfleglich umgeht, und warum ein scharfer Kritiker unserer Mißstände und unserer Politiker - wie Claus Peymann - mit derartiger Häme angegriffen wird?

Hesoun antwortete: »Ihre kritische Stellungnahme zu meinen Aussagen habe ich aufmerksam gelesen.« Um dann auf keine meiner Fragen einzugehen und nur seine Stehsätze zu wiederholen wie diesen:

Es stellt sich daher insgesamt die Frage, ob Peymann für dieses Land noch tragbar ist. Es wären jedenfalls nur wenige wirklich böse, wenn sich der Burgtheater-Direktor einem attraktiven Angebot aus dem Ausland zuwenden sollte. Am besten wäre es, Peymann versuchte sich einmal als Macher eines Privattheaters, das ohne Subventionen auszukommen hat und vom Publikumszuspruch abhängig ist.

Soweit so schlecht. Heute wird das Burgtheater so geführt, daß Hesoun und die Theaterkritiker der NKZ, die jetzt — nachdem die »Wiener Zeitung« liquidiert wurde — auch das Amtsblatt der Republik Österreich ist, zufrieden sein können. Im Repertoire einige Klassiker und natürlich die völkischen Autoren. Die Zeitungen sind ein Kapitel für sich. Im »Standard« schreibt P. M. Lingens seitenlange Artikel über die großen Schwänze der Schwarzen. Das hat er — wenn auch nicht in diesem Umfang — auch während der »Systemzeit« getan. Diese Zeitung ist, was die »Frankfurter Zeitung« unter den Nazis war, ein Alibiblatt. Viele ihrer Mitarbeiter haben das Land verlassen.

Die »Bewegung« braucht — wie die Zweite Republik — Alibijuden. Und bitte das unterscheidet schon die »Bewegung« von den Nazi.

In der Nacht der Machtergreifung, die ja völlig legal war, da die Rumpf-ÖVP und Teile der SPÖ zur »Bewegung« gestoßen waren, kam es zu Ausschreitungen. Zuerst stürmten etwa 200 bis 300 kurzgeschorene Jugendliche und Männer das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, das von keinem Polizisten bewacht wurde, und trugen alle Akten fort bzw. vernichteten die Bibliothek und das Archiv. Dann rannten sie zum jüdischen Tempel und schändeten diesen. Die »Bewegung« unterstellten, die Linken hätten diese Provokation durchgeführt, um das neue völkische Regime zu diskreditieren. Doch diesmal war ein ausländisches Fernsehteam dabei und die Bilder gingen rund um die Welt. Die »Bewegung« war auf ihre Alibijuden angewiesen. So erklärte der Vorsitzende des »Verbandes national-deutscher Juden« zu dieser »Greuelhetze gegen die »Bewegung««, die tatsächlich vorgekommenen Ausschreitungen gegen den Tempel seien eine »Sonderaktion irgendwelcher einzelner Leute, die die Gelegenheit benutzt haben, persönliche Rachegefühle gegen einzelne jüdische Personen, mit denen sie aus irgendeinem Grunde Differenzen hatten, in ihrer Weise zu erledigen. « Die »Bewegung« sprach aber von »linkslinker Provokation«, von »Stasi« und »KGB«, die diese Meute aufgehetzt hätten. Der Vermutung, zu solchen Erklärungen von der »Bewegung« genötigt worden zu sein, entgegentretend, versicherte der Vorsitzende des »Verbandes national-deutscher Juden«: »Wir haben uns schon vor geraumer Zeit mit sehr energischen Protesten gegen die ausländische Greuelpropaganda gewendet und zwar, wie ich ausdrücklich hervorheben möchte, nicht etwa unter irgendeinem Zwang, sondern aus eigenem Antrieb, weil wir überzeugt waren, daß durch diese Hetze unserem Land schwer geschadet wird und geschadet werden soll.« Und er fügte hinzu: »Ferner, weil nebenher - ich hebe ausdrücklich hervor, daß dieser Gesichtspunkt für uns nur sekundärer Natur ist - auch uns hier lebenden Juden durch diese angeblich in unserem Interesse verübte Hetze ein ganz außerordentlich schlechter Dienst erwiesen wird.«

Warum bin ich also trotzdem geblieben? Bereits 1995, nachdem ich meinen »unmißverständlichen« Brief an Hesoun abgesandt hatte, erhielt ich von einem österreichischen Politiker einen netten Brief, der mit folgendem Satz endete: »Vielen Dank für Ihr Engagement und für Ihre Wachsamkeit.«

Ich antwortete u. a.:

Ich aber werde immer wieder gefragt, wieso ich trotzdem hier bleibe. Wenn ich behaupte, »um mitzuhelfen, daß die Demokratie gefestigt werde, daß die Menschenrechte zu ihrem Recht kommen, bleibe ich in diesem Land«, dann ist daran wohl ein Körnchen Wahrheit, doch vor allem treibt mich die Abenteuerlust — zu bleiben; die pure Abenteuerlust. Unter dem Einsatz meiner Lebenskraft, möglicherweise meines Lebens, bin ich bereit, mich dem Abenteuerlichen zu stellen, das ein Land verspricht, wo ein Herr J. H. die KZ- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten als »Straflager« im Parlament verharmlosen kann, und wo kein Abgeordneter spontan einen Zwischenruf macht. Wo man erst Stunden später darauf reagiert.

Also, es ist pure Abenteuerlust, die mich noch hier hält. Ich bin neugierig, ob ich noch die »Vierte Republik« erleben werde.