MOZ, Nummer 52
Mai
1990

Hoffnung auf die Straße

Während ich diese Zeilen schreibe, ist mir die endgültige Zusammensetzung der großkoalitionären DDR-Regierung noch nicht bekannt. Doch soviel ist klar: Der kleine Bruder DDR hat sich gleich bei der ersten Generalprobe seines großen Vorbildes würdig erwiesen. Unter den 24 Ministerposten würden sich wahrscheinlich zwei Frauen befinden, kündigte der designierte Ministerpräsident Lothar de Maizière an. Das Familien-, Frauen- und Jugendministerium kann ihnen sicher sein. Von der vom Runden Tisch geforderten ‚unverzüglichen‘ Einrichtung eines Ministeriums für die Gleichstellung von Frauen und Männern ist nichts geblieben als die Erinnerung an wenige Wochen versuchter Demokratie von unten. In die 400-köpfige Volkskammer ziehen 78 Frauen ein, dem Deutschen Bundestag (16 Prozent Frauen) mit 19,5 Prozent immerhin eine Nasenlänge voraus, verglichen zu früher jedoch nahezu halbiert. Der „Unabhängige Frauenverband“ (UFV) wurde von seinem Bündnispartner ausgetrickst, die Grünen haben sich alle acht Mandate unter den Nagel gerissen und ganze zwei eigene Frauen ins Rennen geschickt. Eine machtgierige Vertragsbrüchigkeit, die in dieser Unverhohlenheit an Wiener Verhältnisse erinnert.

Die Diskrepanz zwischen dem ökonomischen Beitrag, den die Frauen in der DDR mit ihrer lückenlosen Berufstätigkeit und der Übernahme des Großteils von Hausarbeit und Kindererziehung leisten, und ihrer politischen Repräsentanz könnte größer nicht sein. Ein trauriges Ergebnis von 40 Jahren aktiver Gleichberechtigunsgpolitik.
Doch es wäre falsch, dies bloß der Bösartigkeit des Ost-Patriarchats anzulasten.
Frauen wurden in der DDR sehr wohl gefördert, ja Frausein war in vielen Fällen sogar ein Vorteil, stets herrschte Mangel an Vorzeigefrauen. „Es hat den Frauen einfach keinen Spaß gemacht“, brachte es die DDR-Schriftstellerin Helga Königsdorf kürzlich in Köln auf den Punkt. Wem würde es schon Spaß machen mit Honecker, Mielke, Mittag und Krenz? Hätte Sozialismus nicht auch Spaß machen sollen?

Lehrreich sollte die DDR für alle sein, die sich mit Quoten begnügen. Die glauben, es reiche aus, da und dort eine Frau einzuführen, und wenn es denn sein muß auch gleich mehrere, ansonsten aber die politischen Strukturen und Prioritäten so zu belassen, wie sie sind. Aber auch Gutwillige sind heute nicht mehr bereit, diesen Gedanken zu Ende zu denken. Auf einer Veranstaltung der „Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen“ (ASF) begegnete mir Verständnislosigkeit, als ich einen Vergleich zwischen der Frauenpolitik der SPD und deren SED-Zuspitzung in der DDR wagte. Und das neue Zauberwort der zu neuen Ufern aufbrechenden DKP-Erneuerer und Erneuerinnen ist „Feminisierung“, was nichts anderes bedeutet als bürokratische Maßnahmen zur sichtbaren Erhöhung der Frauenpräsenz. Auch die Spitzenkandidatin des „Unabhängigen Frauenverbands“, Ina Merkel, deren Blauäugigkeit mit zum Grün-Debakel beigetragen hat („Wir werden uns mit den Grünen schon einigen“), hat nichts anderes im Sinn, als die BRD-Erneuerer mit Gerede vom ‚Menschen‘ zu beglücken. „Links sein nach der Niederlage“, heißt für sie zu fragen: „Wie könnten wir denn Menschen sein und miteinander auch als Menschen umgehen?“ Ein Erbe wohl aus ihrer SED-Zeit, als das Reden über den Geschlechterwiderspruch verboten war, weil damit die Überlegenheit des Sozialismus in Sachen Emanzipation in Frage gestellt worden wäre.

Auf die Gefahr hin, mich dem Vorwurf der Larmoyanz auszusetzen: Positive Thinking angesichts des weltweiten Triumphgeheuls der in die Länder des — aus sehr verschiedenen Gründen — gescheiterten Sozialismus Einmarschierenden können nur jene aufbringen, deren Zynismus sich über die Opfer hinwegsetzt, die nicht sie selbst zu bringen haben. Die Augen vor der Realität zu schließen, ist keine gute Voraussetzung für künftigen Widerstand. Und Widerstand vor allem auf der Straße ist wohl das einzige, worauf zu hoffen ist. Die Hoffnung, daß die ArbeiterInnenschaft in der DDR aus der Hypnose erwacht und ihr erfolgreich erprobtes kämpferisches Potential gegen die neuen Herrscher kehrt. Daß Frauen (und Männer) ihre Kindergärten und Schulhorte vor der Raffgier der alten und neuen Jungunternehmer verteidigen, daß die Arbeiter und Arbeiterinnen sich schützend vor ihr Gewerkschaftsgesetz stellen, das Aussperrungen untersagt, daß Frauen (und Männer) es nicht zulassen, daß die Kirche ihre schmierigen Finger auch nach den Ungeborenen von drüben ausstreckt.

Aber auch hier bin ich skeptisch. 40 Jahre Bevormundung haben wenig Selbstbewußtsein hinterlassen. Die meisten Menschen in der DDR sind fest davon überzeugt, daß individuelle Leistungsbereitschaft allein der BRD den sagenhaft erscheinenden Reichtum gebracht hat. Solidarität konnten sie im Untertanenstaat wohl kaum lernen. Jetzt ist sich jeder selbst der nächste. Das Kapital bleibt unter sich. Auch im Westen braucht es sich vor Linken, Grünen und Feministinnen nicht gerade zu fürchten. „Ich schlage vor“, sagte in Köln die Vorzeigefeministin der Erneuerer, Mechthild Jansen, „uns am Menschen zu orientieren“.

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