MOZ, Nummer 47
Dezember
1989
Wiener Arbeiter demonstrieren für Streik- und Versammlungsrecht

Im Schatten bürgerlicher Freiheit

Der Wiener Arbeiterbildungsverein wurde am 15.12.1867 in Schwenders „Colosseum“ gegründet

„Warum hat die Behörde die gestern auf dem Paradeplatz stattgehabte Volksversammlung nicht verhütet, eventuell verhindert?“ lautele eine Interpellation der konservativen Herrenhausmitglieder Falkenhayn, Hoyos, Colloredo-Mannsfeld & gräfliche Genossen an Ministerpräsident Taaffe. Die kaisertreuen Adeligen konnten für die vortägige Arbeiterdemonstration vom 13. Dezember 1869 keinerlei Sympathie aufbringen: im Keim ersticken, dreinschlagen, lautete ihre Devise. Klug genug zu erkennen, daß sich die Forderungen der Arbeiter nach freiem Vereins-, Versammlungs- und Koalitionsrecht nahtlos in ihr eigenes Programm integrieren ließen, schlugen die österreichischen liberalen — konträr zu ihren konservativen Gegenspielern — weit beschwichtigendere Töne an. „Wahrhaftig, wir anerkennen es so gut wie irgendeiner, daß die Aufhebung des Coalitions-Verbotes, die Erweiterung des Wahlrechtes und volle Preßfreiheit zu den unentbehrlichen Attributen einer freien Verfassung gehören“, schrieb „Die Presse“ anläßlich der ersten Massenkundgebung der Arbeiterschaft. Das Unverständnis des Redakteurs galt lediglich der — damals noch gänzlich unüblichen — Protestform sowie dem damit verbundenen Arbeitsausfall: „Die Herren Arbeiter haben eine ganz sonderbare Art, ihre Wünsche vorzubringen. Sie wollen durch ihre Masse imponieren, lassen also die Arbeit im Stiche und marschieren viele Tausend Mann hoch vor dem Abgeordnetenhause auf ... Aber so dringend sind doch diese Angelegenheiten von gestern auf heute nicht geworden, daß darum die Arbeit und die Industrie einer großen Stadt für einen ganzen Tag lahmgelegt werden müßte.“

Militärische Niederlagen sowie die Erfordernisse der wirtschaftlichen Expansion hatten auch den österreichischen Absolutismus im Dezember 1867 einem Staatsgrundgesetz zustimmen lassen, das die Freiheit und Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz festschrieb. Mit der Lebensrealität der Unterklassen hatten diese hehren Grundsätze wenig zu tun. Vom Wahlrecht, das an die Steuerleistung gekoppelt war, blieben sie ausgeschlossen, Vereinsgründungen und Versammlungen wurden beim leisesten Anschein politischer Betätigung untersagt, jede Verabredung zur Aufstellung von Lohnforderungen oder zum Streik war gesetzeswidrig (= Koalitionsverbot).

Die rasche industrielle Gründungstätigkeit in der liberalen Boomphase und das hektisch anwachsende Spekulationsgeschäft hatten die Lebenshaltungskosten rasant in die Höhe getrieben. Teuerung und die nahezu schrankenlose Verfügungsgewalt der Unternehmer über ihre Arbeitskräfte führten bald zur Gründung von Arbeiter- und Fachvereinen, die immer wieder mit Vereinsgesetz und Koalitionsverbot in Konflikt gerieten.

Wiens große Gasthäuser und Vergnügungslokalitäten waren damals regelmäßiger Sammelpunkt beeindruckender, häufig aus allen Nähten platzender Arbeiterversammlungen. 6.000-7.000 Teilnehmer, wohlgemerkt fast durchwegs männlich, im Landstraßer „Universum“, in Zobels Bierhalle oder im nahegelegenen riesigen Fünfhauser „Colosseum“ stellten in diesen Jahren erster Organisationsversuche keine Seltenheit dar. Einen Dachverband der Arbeitervereine zu gründen oder gar sozialdemokratische Propaganda zu betreiben, war strikt untersagt. Dennoch fanden sich zur Wahl der österreichischen Delegierten zum Parteikongreß der deutschen Sozialdemokratie in Eisenach am 25.7.1869 9.000 Menschen beim „Zobel“ ein und sprachen sich für uneingeschränktes Vereins- und Versammlungsrecht, Koalitions- und Pressefreiheit und das allgemeine direkte Wahlrecht aus.

„Eine mächtige wohldisziplinierte Armee“

Zur Eröffnung der nächsten Reichsratssession wollten die Arbeiter, so war es beim „Zobel“ beschlossen worden, ihren Forderungen durch eine eindrucksvolle Kundgebung vor dem Abgeordnetenhaus Nachdruck verleihen. „Brüder, wir zählen darauf, daß Ihr nicht fehlen werdet!“ Am Morgen des 13. Dezember verließen die Arbeiter Werkstätten, Fabriken und Bauplätze und strömten scharenweise auf den Paradeplatz vor dem Glacis. Ruhig, ernst, feierlich und in fast lautloser Stille leisteten sie den Ordnern des Arbeiterbildungsvereins Folge und bildeten, um 11 Uhr auf stattliche 20.000 Menschen angewachsen, ein mächliges Karree, in dessen Mitte sie ihre Führer und Sprecher einschlossen.

Während eine zehnköpfige Delegation Ministerpräsident Taaffe eine Petition mit den bekannten Forderungen der Arbeiterbewegung überbrachte, wartete die Menge geduldig und setzte sich anschließend in nicht endenwollenden geordneten Achterreihen über Ring und Mariahilfer Straße zu Zobels Bierhalle in Bewegung. Die Arbeiter waren von einer Woge der Euphorie erfaßt.

Tückische Erfolge

Bereits am nächsten Tag legte Justizminister Herbst dem Reichsrat das lang ersehnte Gesetz zur Regelung des Koalitionsrechtes vor. „Verabredungen von Arbeitgebern, welche bezwecken, mittels Einstellung des Betriebes oder Entlassung von Arbeitern diesen eine Lohnverringerung oder ungünstigere Arbeitsbedingungen aufzuerlegen, sowie Verabredungen von Arbeitnehmern, welche bezwecken, mittels gemeinschaftlicher Einstellung der Arbeit von den Arbeitgebern höheren Lohn oder günstigere Arbeitsbedingungen zu erzwingen“, waren in Hinkunft gestattet. Jedem seine Freiheit: Streikrecht für die Arbeiter — Aussperrungsrecht für die Unternehmer. Ganz im Sinne des liberalen Zeitgeistes stellle der Ausschuß, dem das Gesetz zur Begutachtung vorgelegt wurde, fest: „Die Beschränkung der freien Verwertung der Arbeitskraft, insbesondere der Verweigerung des Rechts des Arbeiters, seine Arbeit so teuer als möglich zu verwerten, wird vom wissenschaftlichen sowie praktischen Standpunkt mißbilligt ... Denn die Arbeit ist eine Ware, die ihren Wert und ihren Preis hat. Über den jeweiligen Preis dieser Ware hat ihr Eigentümer — der Arbeiter — unbestreitbar das freie Verfügungsrecht.“ Eine zentrale Forderung der jungen Arbeiterbewegung war damit erfüllt.

Als das Parlament über das Streikrecht debattierte, befanden sich seine Initiatoren längst — hinter Gefängnismauern. Wenige Tage nach der so imposanten Dezemberdemonstration wurden alle Mitglieder der von Taaffe empfangenen Delegation verhaftet. „Gewaltsamer Umsturz des Bestehenden“ wurde ihnen im Zusammenhang mit der Demonstration vom 13. Dezember vorgeworfen. 5-6 Jahre Kerker für die Anführer, mehrere Monate für die Delegationsteilnehmer, lauteten die Urteile des großangelegten Hochverratsprozesses vom Juli 1870, der zu einem Schlag gegen die Organisationsstrukturen der Arbeiterbewegung ausholte. Noch im selben Monat wurden der Wiener Arbeiterbildungsverein sowie sämlliche Wiener Fachvereine behördlich aufgelöst.

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