Heft 2-3/2004
März
2004

Im Schatten

Sowjetische Widerstandskämpferinnen gegen den Nationalsozialismus

Das Beispiel einer Par­tisanin aus Smolensk.

Bereits im November 1941 hielt die deutsche Armee ein Gebiet besetzt, in dem vor dem Krieg 40 Prozent der sowjetischen Bevölkerung, das heißt un­gefähr 70 Millionen Men­schen gelebt hatten. Nach offiziellen sowjetischen Quellen erreichte die Zahl der aktiven Partisanen und Partisaninnen im Sommer 1944 mit 280.000 ihren Höhepunkt. Der offizielle Frauenanteil unter ihnen lag bei knapp 10 Prozent bzw. zwischen 26.000 und 28.000. Es wird geschätzt, dass es insgesamt zwischen 700.000 und 1,3 Millionen Personen gab, die in ir­gendeiner Weise (etwa auch durch verschiedene Hilfsleis­tungen) am Widerstand teil­genommen haben. Unter ih­nen waren mindestens 50.000 Frauen.

Im sowjetischen Kontext sollte man auch an die Tat­sache erinnern, dass (abge­sehen von der starken Zu­nahme der weiblichen Ar­beitskräfte während des Krieges) etwa 800.000 so­wjetische Frauen in der Ro­ten Armee dienten: als Köchinnen oder Wäsche­rinnen, als Chirurginnen, Sanitäterinnen, Kranken­schwestern, Schreibkräfte und Telefonistinnen, aber auch als Scharfschützinnen, Fliegerinnen, Fallschirmspringerinnen, Frontsolda­tinnen und Spioninnen. Die Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch — eine der er­sten, die diese kämpfenden Frauen untersucht hat — konstatiert: „Nie zuvor in der Geschichte der Mensch­heit hatten so viele Frauen an einem Krieg (aktiv) teil­genommen.“

Eine Erklärung für die­sen Umstand wurde von der weißrussischen Partisanin und Historikerin Wera Da­wydowa geliefert: „Ich habe mich viel mit dem Krieg auseinander gesetzt, unter anderem selbstverständlich auch mit der Frage: Was bewog Frauen, in den Krieg zu gehen. Ich glaube, das ist ein nationaler Charakterzug. Die Sowjetfrau kann doch nicht unbekümmert ihr Kind baden, am Herd ste­hen, wenn sie sieht, dass ihrem Land, ihrem Volk der Untergang droht. Abgesehen davon hatte sich schon zu Beginn des Krieges die Emanzipation, unsere Gleich­berechtigung mit den Män­nern bemerkbar gemacht.“

„Tanja“ aus Smolensk

Smolensk ist eine Provinz­hauptstadt im westlichen Russland nahe der weißrus­sischen Grenze, etwa auf halbem Weg zwischen Minsk und Moskau. Sie wur­de im Juli 1941 von der deutschen Armee erobert und blieb bis September 1943 besetzt. Während der Besatzung gab es schät­zungsweise hundert Partisa­nen unter den 30.000 Zivilisten. Der Anteil der Frauen unter ihnen ist nach wie vor unbekannt, ebenso wie auch die Zahl anderer Wider­standskämpferinnen und -kämpfer, die unter hohem persönlichen Risiko gehol­fen haben, sowjetischen Kriegsgefangenen, Juden, Partisanen und Zivilisten in der Umgebung das Leben zu retten.

Am 3. Juli 1941 hielt Sta­lin seine erste öffentliche Kriegsrede. Der Krieg hatte bereits elf Tage zuvor be­gonnen. Er rief zu einem um­fassenden Volkskrieg gegen die Eroberer auf: „In den vom Feind besetzten Gebie­ten müssen Partisanenein­heiten gebildet werden (...) um gegen die feindlichen Truppen zu kämpfen (...), Brücken und Straßen in die Luft zu jagen, Telefon- und Telegrafenverbindungen un­brauchbar zu machen, und an Wälder, Lagerhäuser, Transportmittel usw. Feuer zu legen.“

Vor dem 3. Juli war Smo­lensk schon mehrmals bom­bardiert worden. Den mei­sten der rund 160.000 Ein­wohner gelang es, vor der Einnahme der Stadt durch die deutsche Armee zu flie­hen. Unter den ungefähr 30.000 Menschen, die nach dem Einmarsch der NS-Truppen noch in Smolensk blieben, fanden sich über­wiegend die sozial Schwäche­ren, die Armen und die Al­ten. Für sie war es aus Geldmangel, auf Grund fehlender Partei-Verbindungen oder auch, weil sie keine Ver­wandten auf dem Land hat­ten, unmöglich gewesen, rechtzeitig zu flüchten. Im Sommer 2000 interviewte ich in Smolensk eine ehemalige russische Widerstandskämp­ferin, die zu einer Partisa­nengruppe gehört hatte. Ich werde sie „Tanja“ nennen. Sie erinnerte sich: „Die Deutschen kamen sehr schnell bis Smolensk, weil al­le geflohen waren. Die ge­samte Führung war geflohen. Niemand war zurückgeblie­ben. Die einzigen Leute, die geblieben waren, waren die, die nirgendwohin fliehen konnten.“

In einem Umfeld, das von systematischer Vernich­tungspolitik, allgegenwärti­gem und willkürlichem Ter­ror gekennzeichnet war, konnten die meisten Zivilis­ten nicht viel mehr tun als sich, so gut es gerade ging, persönlich durchzuschlagen. Sich den Partisanen anzu­schließen beziehungsweise aktiven politischen Wider­stand zu leisten, wurde von vielen als fast automatischer Selbstmord angesehen. Tan­ja, damals erst 17 Jahre alt, war insofern eine Ausnah­me. Sie schloss sich bald nach der Invasion einer Par­tisanenzelle an. Sie habe sich eigentlich nicht für Politik interessiert, aber der Leiter der Zelle sei ein ehrlicher Freund ihres Großvaters ge­wesen. Sie kämpfte, „um das Mutterland (Rodina) zu ret­ten“. Wie sie betonte, hegte sie keinerlei pauschalen Hass gegen „die Deutschen“ als Volk. Auch nicht, nach­dem NS-Soldaten versucht hatten, ihre Großmutter zu verhaften, weil sie sie irr­tümlich für eine Jüdin hiel­ten.

Als Partisanin hatte Tan­ja die Aufgabe, an ihrem Ar­beitsplatz Informationen zu beschaffen. Sie arbeitete im örtlichen Hauptquartier der deutschen Armee, wurde aber enttarnt und verhaftet. Während der Verhöre, denen sie im Gestapo-Gefängnis un­terworfen wurde, waren es russische Kollaborationspo­lizisten, die dazu abkommandiert waren, sie zu prü­geln und zu foltern, wobei ihr das gesamte Gebiss heraus­geschlagen wurde. In der Folge wurde sie zuerst nach Krakau und daraufhin nach Buchenwald deportiert. Als die amerikanische Armee das KZ Buchenwald befreite, war sie bereits seit langem in ei­nem Zustand, in dem sie sich dem Tod näher fühlte als dem Leben.

Ich habe bei meinen Ar­chiv-Recherchen ein Doku­ment der deutschen Besatzungsmacht entdeckt, in dem für einen Tag im Sommer 1942 die Gefangennahme ei­ner jungen Partisanin in Smo­lensk, die im örtlichen Haup­tquartier der deutschen Ar­mee gearbeitet hat, berichtet wird. In diesem Zusammen­hang wurde die Tatsache her­vorgehoben, dass es den Be­satzern durch diesen „Fang“ gelang, gleich 80 weitere „Banditen“ zu identifizieren und festzunehmen, was in der kalten bürokratischen Sprache des Berichts mit der Formulierung wiedergegeben wurde: „Der erfolgreiche An­satz ging von der Festnahme eines Mädchens aus.“
Dieses Mädchen war mit hoher Wahrscheinlichkeit meine Interviewpartnerin. Die brutalen Foltermetho­den, derer sich dieser „erfolgreiche Ansatz“ be­diente, finden in dem Bericht natürlich keine Erwähnung. Ob ihre Peiniger Tanja auch vergewaltigt haben, konnte ich nicht feststellen. In der Regel waren aber eine oder mehrere Vergewaltigungen Teil der Folter von Partisa­ninnen und Widerstands­kämpferinnen.
Nach dem Krieg kehrte Tanja nach Smolensk zurück und ergriff den Beruf einer Deutsch-Russisch-Übersetzerin. Das Trauma, das sie erlebt hat, ist auch 60 Jah­ren später noch sichtbar. Nach wie vor hat sie keine Zähne mehr. Gemeinsam mit ihrer Tochter und En­keltochter lebt sie in einer sehr kleinen Wohnung. Im Gespräch, das sie mit mir über die Zeit der nazideut­schen Besatzung geführt hat, war sie nicht bereit, ehema­lige Mitbürger von Smo­lensk namentlich zu erwäh­nen.

„Streicht Euch nicht heraus“

Die Erforschung des Themas „Frauen im Widerstand“ muß lückenhaft bleiben, insbesondere im sowjetischen Kontext. Das liegt zum einen daran, dass viele Quellen ent­weder vernichtet wurden oder nach wie vor unzu­gänglich sind. Zum anderen verhindert das Bild einer ide­alisierten, romantischen Welt von Widerstandskämpfern und Soldaten als exklusiver Männerbund, und die Auf­fassung, dass Krieg eine fast ausschließlich männliche An­gelegenheit sein müsse, eine adäquate Würdigung der Rolle von Frauen im sowjeti­schen Widerstand. In der russischen Sprache spiegelt sich das schon in den etymo­logischen Wurzeln der Wor­te für „Frau“ und für „Mann“ wider: Männer (mužčiny) zeigen Mut (mužestwo) — Frauen (ženšiny) heiraten (ženiat).

Ein weiterer Grund ist, dass bei einem stärker auf weibliche Opfer gerichteten Blickwinkel die Niederlagen eines Widerstandskampfes deutlicher hervortreten und romantisierende Vorstellun­gen von furchtlosem Hel­dentum verblassen oder an Glaubwürdigkeit verlieren. Tatsächlich schätzt man, dass im Zweiten Weltkrieg mehr als ein Viertel der umgekom­menen Bevölkerung der So­wjetunion weiblichen Geschlechts war: Sieben Millio­nen Frauen und Mädchen. Es scheint immer noch starke psychologische Barrieren dagegen zu geben, über ge­fallene oder gefolterte Wi­derstandskämpferinnen zu berichten.

Sowohl in Frauen selbst als auch Frauen gegenüber scheinen Widerstände dage­gen wirksam zu sein, trau­matisches Erleben zur Spra­che zu bringen. Die ehema­lige sowjetische Scharf­schützin Tamara Stepanowa meinte dazu: „Die Männer konnten das alles durchste­hen. Ein Mann ist eben ein Mann. Aber wie wir Frauen es schafften, das weiß ich selber nicht. Wenn ich heu­te auch nur daran denke, packt mich das Grauen, aber damals konnte ich al­les einfach so aushalten: ne­ben Leichen schlafen, schießen. Ich habe Blut ge­sehen, und ich weiß noch sehr gut, dass Blut auf dem Schnee besonders stark riecht. Wenn ich das aber heute erzähle, wird mir schon schlecht.“

In einer im Juli 1945 ge­haltenen großen Rede er­läuterte der sowjetische Staatspräsident Mikhail Ka­linin auf sehr bezeichnende Weise, wie sich die heldenhaften Soldatinnen in der Nachkriegszeit zu verhalten hätten: „Seit dem ersten Tag der Oktoberrevolution hat in unserem Land die Gleich­stellung der Frauen existiert. Nun aber habt Ihr noch in einem weiteren Bereich die Gleichberechtigung für die Frauen gewonnen: mit der Waffe in der Hand in der Verteidigung Eures Landes. Aber erlaubt mir — als ei­nem, der mit den Jahren weise geworden ist — Euch eines zu sagen: Streicht Euch nicht großartig heraus, wenn Ihr in Zukunft Eure praktische Arbeit leistet. Sprecht nicht über den Dienst, den Ihr geleistet habt — überlasst es lieber an­deren, das für Euch zu tun. Das wird Euch besser an­stehen.“ Ganz im Sinne von Kali­nins Forderung wurde ihr Einsatz — besonders auch der Einsatz der Wider­standskämpferinnen — weit­gehend aus dem kollektiven Gedächtnis verbannt. Über ihre Motivationen, ihren Mut, ihre enorme Ausdauer und Findigkeit bleibt noch viel zu erforschen und zu be­richten.

[1] Swetlana Alexijewitsch: Der Krieg hat kein weibliches Ge­
sicht. Hamburg 1989, S. 10
[2] zit. nach ebd.., S. 60
[3] Joseph Stalin: The Great Patriotic War ofthe Soviet Union.
New York 1943, S. 15
[4] Sonderarchiv Moskau, f. 500, op. 1, d. 775, ll. 391-92
[5] zit. nach Alexijewitsch, a. a. O., S. 9
[5] Mikhail Kalinin: Communist education. Selected Speeches and articles. Moskau 1953, S. 428

Leider sind bei diesem Beitrag schon in der Druck-Ausgabe (1.) die Fußnoten-Verweise im Text verloren gegangen und (2.) die Numerierung der Fußnote [5] offensichtlich falsch. Der Authentizität halber wird dies hier vorerst so belassen, bis wir die mißlichen Fehler korrigieren können.

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