Café Critique, Jahr 1998
August
1998

Kommunismus oder Deutschland

Antideutscher Antinationalismus

Gerhard Klas schafft es in seinem Beitrag Sektierertum oder Einheitsfront? (Volksstimme 27/98) über die antinationale und antideutsche Linke in der BRD herzuziehen, ohne die deutsche Wiedervereinigung, in deren Zusammenhang jene Gruppen und Zeitungsprojekte, die zu diesem Teil der Linken gezählt werden können, entstanden sind, auch nur zu erwähnen. Nach dem Mauerfall vom 9. November und der daran anschließenden, weit in die Linke hineinreichenden nationalen Euphorie, initiierten jene Linken, die in der bereits absehbaren Wiedervereinigung völlig zu Recht keinerlei Chancen für emanzipative Kräfte, sondern die Realisierung eines völkisch-imperialistischen Projekts und die Aufhebung der letzten sichtbaren Erinnerung an die deutsche Schuld an Krieg und Massenvernichtung sahen, die Kampagne Nie wieder Deutschland. Beteiligt waren daran sehr unterschiedliche Personen, etwa aus dem autonomen Spektrum, der grünen Partei, der DKP, aus ehemaligen oder noch existierenden K-Gruppen oder aus dem Umfeld einzelner Zeitschriften wie beispielsweise dem Hamburger Monatsmagazin Konkret. Von diesem Bündnis, aus dem die kurzlebige Sammelbewegung Radikale Linke hervorgegangen ist, wurden zwei große Demonstrationen in Frankfurt am Main und in Berlin organisiert, die sich dezidiert gegen die Wiedervereinigung richteten. Bald zeigte sich jedoch, daß die gemeinsame Gegnerschaft gegen das erwachende Deutschland auf Dauer nicht die Differenzen innerhalb des Bündnisses kaschieren konnte.

Aus dem Spektrum der Wiedervereinigungsgegner und -gegnerinnen entstanden, nachdem der Versuch einer übergreifenden Organisierung gescheitert war, mehrere Zeitschriftenprojekte wie beispielsweise 17° Celsius und Bahamas. Vor allem in letzterer ist der radikale Antinationalismus in Form einer antideutschen Kritik nach wie vor zu Hause. Der Bahamas, die ihren Namen daher bezog, daß man ihren Initiatoren und Initiatorinnen Anfang der 90er Jahre empfahl, sich mit ihrer „volks- und massenfeindlichen“ Kritik auf die sonnige Karibikinsel zurückzuziehen, ging und geht es neben dem Antinationalismus um einen Bruch mit dem traditionellen Marxismus. Zur Erarbeitung einer antinationalen und antideutschen Kritik gesellte sich daher eine Auseinandersetzung mit der allgemein gängigen moralisierenden und personalisierenden Kapitalismuskritik und linken Organisationsansätzen sowie die Kritik traditioneller linker Imperialismus- und Faschismustheorien. Besonders unbeliebt machten sich die Bahamas und ähnliche Initiativen dadurch, daß sie nicht nur den Nationalismus und Antisemitismus in der Gesellschaft, sondern auch bei den vermeintlichen und tatsächlichen Gegnern und Gegnerinnen dieser Gesellschaft aufzeigten und kritisierten.

Antideutsch = Antideutsch?

Klas suggeriert in seinem Artikel, daß die Antideutschen einen einheitlichen Block bilden würden, daß sie eine homogene Strömung innerhalb der verbliebenen Linken wären. Er blendet dabei aus, daß innerhalb dieses antideutschen Spektrums zahlreiche unterschiedliche Einschätzungen etwa über mögliche Bündnispartner, die Bedingungen praktischen Eingreifens, das Wesen der postfaschistischen BRD, die Stichhaltigkeit der Theorien zum deutschen Sonderweg oder auch über die Möglichkeit und Notwendigkeit des Rückgriffs auf postmoderne Theorien bei der eigenen Gesellschaftskritik existieren. Klas attestiert den Antideutschen mangelnde Fähigkeit zur Differenzierung, ignoriert aber sämtliche Debatten, die zwischen den unterschiedlichen Vertretern und Vertreterinnen einer antideutschen Kritik stattgefunden haben. Mit Jürgen Elsässer, der keineswegs einer der „Hauptprotagonisten der Antideutschen“ ist, sondern eine Richtung innerhalb des antinationalen Spektrums repräsentiert, hat sich Klas einen Prügelknaben ausgesucht, der es seinen Kritikern und Kritikerinnen durch seine provokatorische und polemische Art und seine Parteinahme für die imperialistischen Konkurrenten der BRD mitunter zwar unnötig einfach macht, der aber mit seinem Programm der Abschaffung von Staat, Geld und Nation tatsächlich einer der wenigen Linken in Deutschland ist, die wissen, was Emanzipation und emanzipative Kritik tatsächlich bedeuten.

Klas begeistert sich für die antifaschistische Bündnisarbeit und kritisiert an den Antideutschen ihre Praxisfeindlichkeit. Er verschweigt dabei, daß es auch aus dem Umkreis beispielsweise der Bahamas immer wieder Initiativen zu einer praktischen Umsetzung der konsequenten antinationalen Kritik gegeben hat. Das Problem besteht eben nicht darin, daß die Bewegungslinke die Praxis für sich gepachtet hat, während die antideutschen Linksradikalen sich auf die theoretische Kritik beschränken, sondern die Konflikte entstehen daraus, daß die Antideutschen eine Praxis betreiben, mit der eine inhaltliche Kritik verbunden ist, die die Bewegungslinke in ihrer Volksverliebtheit nicht teilen will und kann. Man denke beispielsweise nur an die Vorfälle in Gollwitz. Nachdem sich in dem ostdeutschen Ort das rassistische und antisemitische Bewußtsein der deutschen Einwohner und Einwohnerinnen mehr als deutlich artikuliert hatte, mobilisierten Gruppen aus dem antideutschen und antinationalen Spektrum zu einer Demonstration, also einer Form der praktischen Umsetzung theoretischer Kritik, die von fast allen anderen linken Gruppen, die sich um die Aufrechterhaltung ihrer antifaschistischen Einheitsfront sorgten, wenn plötzlich nicht mehr nur die Nazis, sondern die sogenannte normale Bevölkerung mit ihrem mörderischem Alltagsbewußtsein kritisiert und angegriffen werden soll, boykottiert wurde.

Warenproduktion und Bewußtseinsformen

Was Klas, der die Forderung „Arbeit zuerst für Deutsche“ nicht rassistisch, sondern „sozialdemagogisch“ nennt, anstatt einer antinationalen Kritik, die in der BRD ebenin dem Sinne antideutsch sein muß, daß sie die Besonderheiten des historischen und gegenwärtigen deutschen Nationalismus reflektiert, anzubieten hat, ist das klassische Programm der traditionellen Linken: positiver Bezug auf die Arbeit statt Kritik derselben, Internationalismus, der schon begrifflich die Existenz der Nation affirmiert, statt Antinationalismus, der die Nation als bürgerliches Vergesellschaftungsprinzip grundsätzlich ablehnt. Trotz seiner Befürwortung der Verankerung von antirassistischen Inhalten in linken Bündnissen repräsentiert er damit exemplarisch eine Linke, die glaubt auch nach der nationalistischen Massenmobilisierung, wie sie in Deutschland seit Anfang der 90er Jahre, also seit der Wiedervereinigung, zu beobachten ist, an die alten linken Konzepte von Massenorientierung, Bündnispolitik und taktischem Verhalten gegenüber den fetischistischen, also prinzipiell nationalistischen und arbeitsaffirmativen Bewußtseinsformen des umworbenen Volkes anknüpfen zu können.

Die Bewegungslinke will mit den Nazis um die Beantwortung der „sozialen Frage“ konkurrieren. Sie weigert sich beharrlich, anzuerkennen, daß diese Frage — insbesondere in postnationalsozialistischen Ländern wie Deutschland und Österreich — immer auch schon ein Teil der Antwort ist: der positive Bezug auf den Staat als imaginierten kollektiven Garanten des Allgemeinwohls des Volkes. Die Kritiker und Kritikerinnen des Antinationalismus betrachten den Nationalismus ihrer Klientel als aufoktroierte Ideologie. Der antinationalen Kritik hingegen geht es darum, die Bewußtseinsformen als notwendigen Ausdruck der fetischistischen Wertverwertung zu dechiffrieren. Die bürgerliche Subjektivität, die Warentausch und -produktion will und wollen muß, muß auch das organisierte Gewaltmonopol wollen — den Staat. Da dieser in Form des Nationalstaates existiert, ist die Verkörperung der Warenmonade sowohl in ihrer bourgeoisen als auch in ihrer proletarischen Ausprägung nur als aktiver Nationalist oder aktive Nationalistin zu haben. Da die Affirmation vonTausch, Staat und Nation den Subjekten aber keinerlei Garantie ihrer produktiven Vernutzung, die in der kapitalverwertenden Gesellschaft die einzige Möglichkeit individueller Reproduktion bietet, gibt, drängen sie permanent zur Artikulation einer konformistischen Revolte. Ausdruck dieser konformistischen Revolte sind Antisemitismus und Rassismus, die ebenso wie der Sexismus als Basisideologien des warenproduzierenden Systems begriffen werden müssen. Eine derartige antinationale Kritik greift die Nation als Bündelung des wertfetischistischen und damit strukturell antisemitischen, rassistischen und sexistischen Bewußtseins an. Nimmt sich derartige Kritik selber ernst, ist ihr die bewußtlose Fortsetzung des taktierenden Praktizismus versagt.

Die Linke im Postfaschismus

Die spezifische Form der antideutschen Kritik, welche die von Großdeutschen begangenen Taten nicht einfach in einem allgemein gehaltenen Antinationalismus verschwinden läßt, reflektiert die spezifisch deutsche Antwort auf die soziale Frage: den Nationalsozialismus. Auch wenn die Aufhebung des Widerspruchs von Kapital und Arbeit in der Volksgemeinschaft und die Verlängerung eines wertverwertungsimmanenten antikapitalistischen Ressentiments zum Massenmord an Juden und Jüdinnen, an einem zugleich abstrakten und biologisch konkretisierten inneren wie äußeren Feind, allen bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaften als Möglichkeit innewohnt — in Deutschland ist sie Realität geworden. Nationalismus bedeutet immer ideologische Affirmation von Kapitalproduktivität und Staatsloyalität. Der deutsche Nationalismus impliziert zudem aber Vernichtung von Menschen um der Vernichtung willen: die in Auschwitz und anderswo praktizierte Übersetzung der irrationalen, nahezu pathologischen Rationalität fetischisierter kapitalistischer Warenproduktion und staatlicher Herrschaft in industriell betriebenen und bürokratisch geplanten Massenmord, der Ausdruck des nicht verwirklichbaren Wunsches ist, die abstrakte Seite des Kapitalverhältnisses abzuschaffen, um das Kapitalverhältnis als solches zu retten.

In der Regel tendieren Nationalstaaten zum völkisch-biologistischen Nationalismus, wenn die ursprüngliche, sich meist fortschrittlich gerierende Idee der Nation abgewirtschaftet hat. In Deutschland hingegen stand der völkisch-biologistische Nationalismus schon am Beginn der Konzeption einer deutschen Nation. Heute manifestiert sich die Besonderheit des deutschen demokratischen Nationalismus nicht nur im Blut-und-Boden-Abstammungsrecht, dem ius sanguinis, an dem eine Kritik recht billig zu haben ist, sondern vor allem in der spezifischen Staatskonstruktion der BRD. Horst Pankow hat diese Kontinuität von der Vorstellung der Volksgemeinschaft zum demokratischen Nationalismus treffend zusammengefaßt: „Es sind vor allem seine selbstgesetzten Spielregeln in Form einer ‚freiheitlich-demokratischen Grundordnung‘ und einer a priori behaupteten fundamentalen ‚demokratischen Werteordnung‘, die (in Deutschland) jeder formalen Gesetzgebung und -interpretation vorausgehen, deren Akzeptanz noch jedes partikulare Interesse auf das Wohl des staatlichen Ganzen verpflichtet.“ (Bahamas 18/1995) Sind Nation und allgemeine Emanzipation ohnehin schon ein Widerspruch, so läßt sich das genaue Gegenteil einer freien Assoziation freier Individuen kaum besser ausdrücken als in dem Begriff „Deutschland“.

Aufgabe eines antideutschen Antinationalismus ist es, die deutschen Besonderheiten wertförmiger Vergesellschaftung und die ihnen entsprechenden Modifikationen staatlicher Herrschaft vor dem Hintergrund von Auschwitz zu kritisieren und davon ausgehend die spezifischen Schwierigkeiten eines Linksradikalismus in einem Land mit nationalsozialistischer Vergangenheit zu diskutieren. Gleiches gilt für Österreich, wo zudem die Aufgabe besteht, den auch heute noch als Antifapatriotismus daherkommenden Austropatriotismus vieler Linker in die Ideologiekritik miteinzubeziehen, anstatt ihn den sich fortschrittlich wähnenden Patrioten und Patriotinnen als tolerierbare Alternative zum Deutschnationalismus durchgehen zu lassen.

zuerst erschienen in: Volksstimme 31/1998