Wurzelwerk, Wurzelwerk 6
Dezember
1981

Manifest/II

Univ.-Doz. Dr. B. Lötsch für den Österreichischen Naturschutzbund

Fortsetzung aus Wurzelwerk Nr. 5

Wohnqualität und ein Leben ohne umweltbedingte psychische Defekte hängen zum größten Teil von der Struktur und der Dichte menschlicher Siedlungen ab. Bei näherer Betrachtung unserer Kulturlandschaft erkennt man, daß zwei der menschlichen Natur und der Wirtschaftlichkeit zuwiderlaufende Extreme dominieren: Nämlich einerseits ausgedehnte Bungalowrudel mit verheerendem Landschaftsverbrauch, und andererseits unpersönliche Hochhäuser — Batterien für den Nutzmenschen, wie Konrad Lorenz sie nennt. Die Schwächen dieser Bauformen sind leicht zu erklären. Die Zweitwohnungs- und Cottageviertel finanzkräftiger Schichten, die sich dann als „Benzinhunnen“ zwischen Stadt und Peripherie hin und herwälzen, zersiedeln durch enormen Landschaftsverbrauch — fünf- bis siebenmal größerer Platzbedarf als urbane Siedlungsformen — die stadtnahen Grüngürtel. Der Grund für diese Entwicklung ist vor allem in der Unwirtlichkeit unseres Stadtbildes zu suchen, das von Verkehr, Beton und Wohnklötzen geprägt ist.

Um die Sinnlosigkeit und tiefere Dimension unserer Hochhausarchitektur zu verstehen, bedarf es folgender Erläuterungen: Mathematische Berechnungen widerlegen den Myınos der Platzersparnis durch Hochhäuser, denn das zwei- bis dreigeschoßige Haus ist die beste Lösung, um eine gegebene Fläche mit hoher Wohndichte und bester Grünflächenzuordnung zu bebauen. Je höher der Baukörper, desto größer die Abstände, die mit sterilgrünen Gemeindewiesen und als Erholungs- und Spielraum mit nicht nutzbarem Abstandgrün gefüllt werden. Die durch Unpersönlichkeit und Unüberschaubarkeit gestörten Sozialstrukturen moderner Reißbrettarchitektur führen zur Vereinsamung (Masseneremit) und Ansteigen der Kriminalität. Daran ist aber nicht die Dichte an sich schuld, denn nicht die Dichte ist das Problem des Nachkriegsstädtebaus, sondern die Unfähigkeit zur menschengerechten Bewältigung der Dichte. So hemmt persönliche Bekanntschaft auch bei großer Dichte Aggressionen, erst das Leben in der anonymen Masse von Fremden bewirkt derartige Fehlentwicklungen. Dazu K. Lorenz: „Dem Bewohner der Nutzmenschenbatterie steht nur ein Weg zur Aufrechterhaltung seiner Selbstachtung offen. Er besteht darin, die Existenz der vielen gleichartigen Leidensgenossen aus dem Bewußtsein zu verdrängen und sich vom Nächsten abzukapseln. Auch auf diesem Weg führt Vermassung zur Vereinsamung und zur Teilnahmslosigkeit am Nächsten.“ — Besonders anschaulich wird die Gefährlichkeit unserer Wohntürme, wenn man die Entwicklung der Stadtkinder betrachtet. Einerseits kommen kleine Kinder kaum ins Freie (Kinder dürfen nicht den Aufzug benutzen, es fehlt der Sicht- und Rufkontakt mit der Mutter) und andererseits fehlt es in einer Stadt voll Beton und gefährlichen Verkehrsflächen an naturbelassenem Erlebnisraum, wo das Kind Formbares, Veränderbares und Lebendiges vorfindet. Ein Kind braucht nicht große Landschaften und Ferienziele, in die es an Feiertagen von seinen Eltern am Rücksitz festgeschnallt verfrachtet wird, Kinder brauchen halbwilde Zustände, die „G’stettn“. Kinder zwischen monotonen Betonfassaden großzuziehen und ihnen dann auch ihre Spielwelt zu verbetonieren und ihnen mit kinderpsychologischen Stahlrohrgestellen einen Ersatz zu verschaffen, das bedeutet eine erschütternde Wohlstandsverarmung, eine Fehlprägung mit gefährlichen Langzeitfolgen.

Nun, was bieten sich für städteplanerische Maßnahmen gegen diese oben genannten Bausünden an? Für weitere Verbauung müßte das Planungsprinzip dörflich-kleinstädtisch verdichteter Strukturen gelten. Diese gewachsenen Strukturen verbinden hohe Wohndichten mit reizvoller Urbanität und der Intimität privaten Grüns. Das Geheimnis dabei ist die Hofkultur, die auch bei bestehenden Stadtstrukturen forçiert werden kann. Der Hof wird durch Begrünung zur „mikroklimatischen Frischzelle“, lärmgeschützt und mit echter Sozialfunktion für alle Mieter. Der Baum im Hof — ein grüner Freund: Der Baum, eine nach außen gestülpte Lunge, bietet Sichtschutz, Schatten, Luftbefeuchtung und Staubbindung und ist somit eine effiziente und wartungsfreie Klimaanlage. In diesem Zusammenhang läßt sich sagen, daß das Grün in der Stadt nicht nur Verschönerung, sondern auch als Klimaregler von eminenter Wichtigkeit ist (Stainer-Au). Denn die Stadt von heute ist durch ihre Asphalt- und Betonmassen zu einer künstlichen, wasserabweisenden Felslandschaft geworden, deren Klima immer wüstenähnlicher wird (Backofeneffekt).

wohnHAFT in: .................

Weiters gibt Dr. Lötsch der kommunalen Politik für Stadtplanung nach ökologischen Prinzipien eine ökonomische Basis, die von vielen militant geleugnet wird. Denn Autobahnen und technomorphe Fertigteilbauten hochmechanisierter Großunternehmen können langfristig die Arbeitsplätze weniger sichern als Stadtbildpflege und Altstadtsanierung, die als die große Chance der Bauwirtschaft bezeichnet werden können. Stadtbildpflege und Altstadtsanierung benötigt weniger technische Energie und wenig Rohstoffe, braucht aber hochqualifizierte Handwerker und Bauleute, und sie macht Stadtviertel wieder attraktiv und lebenswert.

Auf die Verzweiflung an großtechnisch Machbarem folgt die Hinwendung zum organisch Gewachsenen.

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