Heft 6/1999
Dezember
1999
Pakistan

Military rules politics

Der neuerliche Militärputsch in Pakistan im Oktober dieses Jahres macht es notwendig, die Rolle des Militärs in der pakistanischen Innenpolitik näher zu beleuchten.

Am 14. August 1947 erhielt Pakistan von Großbritannien seine Unabhängigkeit. Der Staatsgründer von Pakistan, Muhammad Ali Jinnah, der ein sehr bekannter und anerkannter Rechtsanwalt war, starb bald nach der Erlangung der Unabhängigkeit. Sein Nachfolger Liaqat Ali Khan, der außerdem der erste pakistanische Premierminister war, wurde während einer öffentlichen Versammlung von einem afghanischen Staatsbürger ermordet. Dieser wurde daraufhin von der Polizei erschossen. Es gab gleich nach der Unabhängigkeit Pakistans eine Verschwörung gegen die demokratische Regierung durch die Bürokratie. Denn die beiden Spitzenpolitiker waren den autoritären Kräften in der Administration, der Exekutive und dem Militär ein Dorn im Auge.

Bis 1956 gab es eine Übergangsregierung, die nicht demokratisch gewählt worden war, an der aber die meisten Parteien beteiligt waren. Am 7. Oktober 1956 schaltete sich das Militär direkt in die Regierungsgeschäfte ein. Der Militärchef General Ayub Khan putschte mit der Hilfe von Sikander Mirza, ebenfalls ein hoher Militär. Sikander Mirza wurde danach zum Präsidenten von Pakistan erklärt. Aber nach nur zwanzig Tagen putschte der General Ayub Khan nochmals, diesmal gegen den von ihm ernannten Präsidenten Sikander Mirza! Der Ex-Präsident wurde vom General ins lebenslange Exil nach Großbritannien geschickt. General Khan hob die pakistanische Verfassung auf und ernannte sich selbst zum Feldmarschall. 1959 erließ er ein Gesetz, das als „Elected Bodies Disqualification Order 1959“ bekannt wurde. Dadurch wurden 100 pakistanische Spitzenpolitiker für sechs Jahre von der Teilnahme an Wahlen ausgeschlossen. Diese Politiker traten für die Freiheit und die Unabhängigkeit Pakistans ein und riskierten dafür ihr Leben. Mit einem Schlag standen sie im Abseits des politischen Geschäftes. General Khan beendete mit diesem Gesetz die Demokratie in Pakistan, obwohl er den Politikern in Aussicht stellte, sich nach sechs Jahren wieder als Kandidat für politische Ämter aufstellen lassen zu können. Die Voraussetzung dafür war, daß sie nicht gegen dieses Gesetz Berufung einlegen durften, sonst würden sie für immer gesperrt werden. Nur 28 der Politiker unterschrieben eine Petition gegen dieses Gesetz und gewannen den Fall sogar vor dem Obersten Gerichtshof, die anderen 72 fochten das Disqualifikationsgesetz nicht an. General Ayub Khan führte auch an außenpolitischen Fronten Krieg. Er wollte Kashmir von Indien mit Gewalt erobern. Der „17-Tage-Krieg“ begann am 6. September 1965 und endete am 23. September ohne eine Lösung des Konfliktes. Doch General Khan erklärte Pakistan zum politischen Sieger. Sein Nachfolger General Agha Muhammad Yahya Khan übernahm am 25. März 1969 die Macht, auch er versuchte das Land mittels Gewalt zu regieren. Er konnte sich allerdings nicht gegen seine politischen Gegner durchsetzen, da er zuwenig Unterstützung innerhalb des Militärapparates genoß. Folglich rief er für den Oktober 1970 allgemeine Wahlen aus.

Im damaligen Ostpakistan (das heutige Bangladesh) gewann die Awami League, die auch derzeit in Bangladesh an der Regierung ist, 162 Sitze der Nationalversammlung. In Westpakistan (die heutige Islamische Republik Pakistan) erreichte die Pakistan People’s Party 138 Sitze der Nationalversammlung. Anstatt die Awami League als stärkste Partei zur Siegerin der Wahl zu erklären und sie mit der Bildung der Regierung zu beauftragen, denunzierte General Yahya Khan diese als anti-pakistanische Partei. General Khan ließ den Anführer der Awami League, Sheikh Mujib ur Rehman, verhaften und blieb an der Macht. Daraus resultierte, daß nun die Awami League eine starke anti-pakistanische Bewegung startete. Im Dezember 1971 begann Indien einen Krieg gegen Pakistan auf die Bitte der Bengali hin, um die Befreiung von Pakistan zu ermöglichen. Am Ende dieses Krieges hatte Indien den östlichen Teil von Pakistan besetzt und die Awami League erklärte mit der Unterstützung Indiens die Unabhängigkeit von Pakistan.

In Westpakistan beauftragte das Militär die Pakistan People’s Party mit der Restrukturierung des Landes, die nach dem Verlust des heutigen Bangladesh notwendig geworden war, und übergab ihr die Regierung. Der Präsident der Pakistan People’s Party, Zulfiqar Ali Bhutto, wurde zum Präsidenten von Pakistan ernannt. Er begann sofort mit der Ausarbeitung einer Verfassung mit Hilfe der Oppositionsführer. 1973, also 26 Jahre nach der Erlangung der Unabhängigkeit, erhielt Pakistan wieder eine eigene Verfassung.

Doch am 5. Mai 1977 putschte die Armee wieder. Die Pakistan People’s Party von Bhutto gewann die zuvor abgehaltenen Wahlen haushoch. Doch die Opposition zweifelte deren Rechtmäßigkeit an und es kam zu Unruhen. Die Armee sah die Sicherheit und die innere Stabilität gefährdet und schritt ein. Die Militärs verhafteten Bhutto und erhängten ihn etwa zwei Jahre später am 4. April 1979, nachdem ihm Mord angedichtet worden war. Die westlichen Medien und NGO’s nannten das unfaire Gerichtsverfahren und die daraus resultierende Verurteilung zum Tod einen „Justizmord“. Bis 1985 hielt General Zia ul Haque das Kriegsrecht aufrecht und erließ einen achten Zusatz zur Verfassung. Dieser gab dem Präsidenten das Recht, die Regierung aufzulösen, den Premierminister und die Regierung zu entlassen sowie Neuwahlen auszurufen. Dieser Zusatz war sehr umstritten und gab dem Präsidenten ein sehr bedeutendesMachtinstrument in die Hand. Erst dann gab es wieder allgemeine Wahlen, bei der jedoch keine Parteien zugelassen waren. Paradoxerweise erklärte er die Pakistan Muslim League zur Gewinnerin der Wahl. Dann berief er ausgewählte Mitglieder in die Nationalversammlung und ernannte Muhammad Khan Jonejo zum Premierminister. Er selbst übernahm die Ämter des Präsidenten und den des „Chief Martial Law Administrator“. (Die wörtliche Übersetzung „Oberster Verwalter des Kriegsrechts“ sagt über die reale Auswirkung wenig aus. Durch die Kombination dieser beiden Ämter war sein Wort praktisch Gesetz, Widerspruch und Opposition konnten leicht das Leben kosten.) Damit hatte er weiterhin die totale Macht und dieKontrolle über das Land in seinen Händen.

Im Juli 1987 löste er die Nationalversammlung auf und entließ den Premierminister, weil ihn dieser in den Ruhestand versetzen wollte. Muhammad Khan Jonejo war der Ansicht, daß der Präsident von Pakistan nicht gleichzeitig der oberste Militärchef sein dürfte. Zia ul Haque warf der Regierung Inkompetenz, Korruption und Versagen bei der Islamisierung des Landes vor. Plötzlich starb General Zia ul Haque bei einem Flugzeugabsturz in der Nähe der Stadt Bahwalpur zusammen mit anderen Generälen und Inhabern hoher politischer Ämter. Damit war Pakistan ohne Präsident, ohne Premierminister und ohne Nationalversammlung.

Sein Nachfolger General Aslam Baig putschte ausnahmsweise nicht, sondern übertrug dem Vorsitzenden des Senates, Ghulam Ishaq Khan, die Leitung des Landes und der Regierungsgeschäfte. Außerdem wies er ihn an, freie und faire Wahlen abzuhalten. General Aslam Baig führte Pakistan auf den demokratischen Weg zurück.

Die Pakistan People’s Party unter Benazir Bhutto, der Tochter von Zulfiqar Ali Bhutto, gewann die Wahlen mit einer einfachen Mehrheit in der Nationalversammlung. Sie besaß allerdings nur in einer der vier Provinzen die Mehrheit, Konflikte mit der Opposition waren vorprogrammiert, besonders mit ihrem größten Kontrahenten, Nawaz Sharif von der Islami Jamhoori Ittehad (eine Allianz unter der Führung der Pakistan Muslim League). Anfangs genoß Benazir Bhutto, die derzeit im britischen Exil lebt, große Unterstützung durch das Militär. Doch schon nach achtzehn Monaten putschte die Armee mit Hilfe des Präsidenten Ghulam Ishaq Khan, nachdem ein Streik in der Stadt Karachi Chaos und tödliche Auseinandersetzungen forderte. Benazir Bhutto hatte außerdem mit Korruptionsvorwürfen zu kämpfen, außenpolitisch war Pakistan in den Afghanistankrieg verwickelt und es gab wieder einen Konflikt mit Indien wegen der Kashmir-Region. Die Armeeführung rechtfertigte den Putsch mit der Aufrechterhaltung der Stabilität der inneren und äußeren Sicherheit des Landes, die Regierung sei dazu außerstande gewesen.

1990 fanden die nächsten Wahlen statt. Diesmal erreichte die Pakistan Muslim League die einfache Mehrheit und regierte bis 1993. Wieder putschte das Militär mit Hilfe des Präsidenten, wieder wurden Neuwahlen angekündigt, wieder wurden dem Premierminister, diesmal Nawaz Sharif, und der Regierung Inkompetenz, Machtmißbrauch und Mißmanagement vorgeworfen. Die Wahl wurde zur Abwechslung von der Pakistan People’s Party gewonnen und Benazir Bhutto übernahm die Regierungsgeschäfte. Im Jahr 1996 — welch Überraschung — putschte die Armee abermals. Die Gründe? Siehe oben! The winner is: Pakistan Muslim League! Premierminister wurde abermals Nawaz Sharif. Im Oktober 1999 wurde Premierminister Nawaz Sharif vom obersten General Pervaiz Musharaf verhaftet und unter Hausarrest gestellt. Der Premier wollte seinen General absetzen und ihn durch den Chef des militärischen Geheimdienstes, Colonel Rashid Qurashi, ersetzen. Die Armee stand hinter ihrem General und ließ sich nicht spalten. Die Folge war wieder einmal ein Militärputsch. Das Ende ist noch nicht abzusehen. Irgendwann wird es wieder Neuwahlen geben, vielleicht kommt sogar Benazir Bhutto nach Pakistan zurück.

Die ganzen Jahre hindurch verhielten sich viele Pakistani wie unbeteiligte Zuschauer. Laut Berichten pakistanischer Medien nützen nur 24% der pakistanischen Bevölkerung ihr Wahlrecht, ausländische Medien sprechen gar nur von 18-20%. Es ist also auch kein Wunder, wenn sogar ausländische Medien konstatieren, daß der Großteil der pakistanischen Bevölkerung den letzten Putsch überaus gelassen hinnimmt. Die Zeit war wieder gekommen (seit 1988 wurde schließlich noch jede Regierungsperiode vorzeitig beendet). Das Militär wurde langsam unruhig, besonders nach den letzten Kämpfen in Kashmir. Premierminister Sharif pfiff die Armee aufgrund des internationalen Druckes zurück, noch dazu fühlten sich die Militärs den Indern überlegen. Es scheint wie ein ewiger Kreislauf: Das Militär putscht aufgrund des Vorwandes der politischen Instabilität, eine Übergangsregierung ruft Neuwahlen aus, das Militär geht gegen politisch exponierte Personen vor und versucht, das Land durch starke Ausübung von Zwangsgewalt unter Kontrolle zu bringen und zu stabilisieren. Entweder die Pakistan Muslim League oder die Pakistan People’s Party gewinnt die Neuwahl, entweder Benazir Bhutto oder Nawaz Sharif übernimmt das Amt des Premierministers, Putsch etc.

Das Militär und die militärischen Eliten spielen in der pakistanischen Politik eine bedeutsame Rolle. Sie bestimmen, wie lange eine Regierungsperiode dauert, sie bestimmen den Rhythmus des politischen Lebens und das Überleben der Akteure in der Politik. Ohne das Wohlwollen der militärischen Eliten geht nichts, wer auf Konfrontationskurs mit ihnen geht, kann seine politische Karriere praktisch als beendet ansehen. Hat das Militär die pakistanische Spielart der Demokratie wieder satt, beendet es genau diese mit dem Vorwand, daß die Demokratie in Gefahr sei mittels Putsch und übt sich wieder in Repression und Autokratie — nur um zu zeigen, daß das Militär weiterhin der bedeutendste Faktor der pakistanischen Politik ist.

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