FORVM, WWW-Ausgabe
Mai
2019

Misstrauensantrag Kurz

Das unredigierte Redemanuskript des Abgeordneten zum Nationalrat der Liste „Jetzt“. Das Video ist auf Youtube erschienen — es ist sehens- und hörenswert, aber eben auch wert, gelesen zu werden, weil Noll hier Maßstäbe setzt, die niemandem fremd sein sollen.

Bild: Waldo

Herr Bundeskanzler,

Sie haben Ende Jänner 2017 ein Regierungsprogramm unterschrieben.

Sie haben damit bezeugt, dass Sie sich an dieses Programm halten werden.

Sie haben sich dem Ziel einer gemeinsamen Regierungsarbeit verpflichtet.

Ungeachtet Ihrer Selbstverpflichtung haben sie dann die Koalition mit der SPÖ aufgekündigt und so vorgezogene Neuwahlen 2017 erzwungen.

Nüchtern betrachtet: Ihre Unterschrift war nichts wert.

Sie haben Ihren Partner in die Irre geführt, sie haben ihn vielleicht sogar politisch betrogen.

Mitte Dezember 2017 haben Sie sich mit der FPÖ auf ein Regierungsübereinkommen geeinigt.

Wiederum haben Sie damit bezeugt, dass Sie sich an dieses gemeinsame Programm halten werden.

Sie haben versprochen, dass Sie sich dem Ziel einer gemeinsamen Arbeit verpflichtet fühlen.

Ungeachtet Ihrer Selbstverpflichtung haben Sie dann vor nicht einmal zwei Wochen die Koalition mit der FPÖ aufgekündigt und so erneut vorgezogene Neuwahlen 2019 erzwungen.

Nüchtern betrachtet: Schon wieder war Ihre Unterschrift nichts wert.

Ein Bundeskanzler der Republik Österreich, dessen Unterschrift sich binnen zwei Jahren zweimal als völlig wertlos erweist, der ist vertrauensunwürdig.

Er provoziert bei wohlwollender Betrachtung entweder den Verdacht, generell politisch geschäftsunfähig zu sein, oder es im Bereich politischer Gewerbsmäßigkeit darauf abzusehen, seinen jeweiligen Partner durch seine Unterschrift täuschen bzw. betrügen zu wollen.

Das empfinde ich als schändlich.

Das widerspricht allen Vorstellungen von Treu und Glauben.

Das ist entweder Zeugnis eines überaus zweifelhaften Charakters oder es ist Ausdruck eines ausschließlich auf eigene Machterweiterung zielenden politischen Raubrittertums.

Die von der „Neuen Zürcher Zeitung“ dieses Wochenende für Sie gefundene Bezeichnung eines „Sprengmeisters“ ist sachlich berechtigt.

Diese treffende Bezeichnung zielt aber nur auf die Tatsächlichkeit Ihres Handelns.

Lässt man Revue passieren, was Sie in den letzten beiden Jahren staatspolitisch gemacht haben, dann sind sie ein gegenüber sich selbst unkritischer Verräter an den von Ihnen selbst eingegangenen Verpflichtungen und Überzeugungen.

Sie haben damit den Beweis erbracht, dass Ihre Unterschriften nichts wert sind.

Sie haben gezeigt, dass Ihre Zusagen unglaubwürdig sind.

Sie haben demonstriert, dass Ihre bezeugten Selbstverpflichtungen nur taktische Sprossen auf Ihrer egozentrischen Karriereleiter sind.

Damit darf ein österreichischer Bundeskanzler nicht durchkommen, wenn die Rede von politischem Anstand, persönlichem Charakter und staatsrelevanter Vertragstreue in Zukunft noch irgendeine Bedeutung haben soll.

Aus diesen Gründen stellen die unterfertigenden Abgeordneten von JETZT den folgenden

Entschließungsantrag:

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Dem Bundeskanzler wird im Sinne des Art. 74 Abs. 1 B-VG durch ausdrückliche Entschließung des Nationalrates das Vertrauen versagt.“

So.

Und jetzt wird’s etwas holprig, weil’s wirklich kompliziert ist:

Was ich von der FPÖ politisch halte, muss ich dem Hohen Haus nicht weiter darlegen.

Sie alle wissen es: Für mich ist der vormalige FPÖ-Chef ein rechtsradikaler, ein xenophober, ein politisch-genetisch seit jeher korruptionsanfälliger und deshalb mit allen demokratisch-rechtlichen Mitteln zu bekämpfender politischer Gegner.

Aber Strache & Gudenus haben uns durch das Ibizza-Video die Evidenz für etwas geliefert, was alle, auch die ÖVP, seit jeher über Strache & Gudenus wussten.

Bis hinein in die abstrusen „Gedankenspiele“ ihres vormals höchsten Funktionärs zeigt sich hier eine antidemokratische, realitätsuntüchtige und regierungsuntaugliche Gesinnung.

Dennoch: Auch gegenüber der FPÖ muss gelten, was gegenüber allen andern gelten muss: Ein Handschlag verpflichtet.

Und die Vertreter der FPÖ hier im Haus werden mir wohl beipflichten, dass ich selbst ungeachtet politischer Abgründe, die uns trennen, stets das Gespräch gesucht und nach persönlicher Verbindlichkeit getrachtet habe.

Und ich meine dass mit aller republikanischen Inbrunst: Wer sich, wie der Bundeskanzler, gegenüber der FPÖ verpflichtet, ist zur Vertragstreue auch gegenüber der FPÖ verhalten.

Nun: Das Ibizza-Video gäbe durchaus einen sachlichen Anlass, von der einmal eingegangenen Verpflichtung zurücktreten zu wollen.

Die Besonderheit der Sache liegt nun aber darin, dass die FPÖ nach 18 Monaten völlig zurecht davon ausgehen durfte, dass der Rücktritt von Strache & Gudenus die ausreichende Basis dafür abgibt, die Regierungsarbeit fortzusetzen.

Sebastian Kurz hat bei allen sog. „Einzelfällen“ zwar gelegentlich Nöte gehabt, seine Peristaltik zu kontrollieren – er hat aber niemals einen Zweifel daran gelassen, dass er die „erfolgreiche Regierungsarbeit“ mit dieser FPÖ fortsetzen will.

Sebastian Kurz hat geschwiegen, weil ihm diese „Einzelfälle“ eben keine Überraschung waren und weil er immer schon darum wusste, mit wem er es zu tun hat.

Anders gesagt: Kurz darf gegenüber der FPÖ jetzt nicht geltend machen, was er immer schon über die FPÖ wusste oder gewusst haben musste.

Ich vermag dieser mangelnden Fairness gegenüber einem demokratisch gewählten Regierungspartner auch dann nicht die Absolution zu erteilen, wenn es die FPÖ trifft – eine Partei, die ich lieber hinter dem Mond als auf der Regierungsbank sehen würde.

Denn diese Form mangelnder Treue zu einer freiwillig eingegangenen Verpflichtung widerspricht dem höchsten Gebot jeglicher zivilisierten Bürgerlichkeit: pacta sunt servanda.

Was der Bundeskanzler getan hat, das zeugt davon, dass er einen Anlass zum Vorwand genommen hat, um das zu tun, was er immer schon vorhatte: Auch diesen Partner, wie schon zuvor die SPÖ, hineinzulegen und ihn „abzuservieren“.

Den Vertrag, den Regierungspakt mit der FPÖ, einseitig aufzulösen und nur den Vertragspartner durch Abschuss um alle Wohlfahrtseffekte der vertraglichen Übereinkunft (nämlich die Regierungsbeteiligung) zu bringen – das ist unseriös, unredlich und für ein höchstes Organ der Republik Österreich schändlich.

Der Bundeskanzler der Republik zeichnet mit ganz groben Strichen ein Sittenbild der herrschenden Klasse in die Annalen der Republik Österreich. Zusagen gelten nichts. Versprechen werden dem eigenen Vorankommen geopfert. Politische Willkür wird zum Garanten antidemokratischer Instabilität.

Wo stehen wir heute?

Bundeskanzler Kurz hat durch Vertragsbruch eine de-facto-ÖVP-Allein-Regierung geschaffen.

Die von ihm vorgeschlagenen „Experten“-Minister hat er unter ÖVP-Kuratel gestellt.

Sebastian Kurz hat auf diese Art nicht nur die FPÖ betrogen, sondern er setzt sich damit über das Votum der österreichischen Wählerschaft hinweg.

Sebastian hat nicht allein zu regieren.

Er wurde nur von 25 % der Wahlberechtigten gewählt – Sebastian Kurz ist eine Minderheit.

In meiner ersten Rede hier im Hohen Haus habe ich die FPÖ als die „größten Verlierer“ gekennzeichnet.

Heute wissen Sie, meine Damen und Herren von der FPÖ, die mich damals ausgelacht haben, warum ich Sie so gekennzeichnet habe:

Sie haben sich von Sebastian Kurz täuschen und sich für sein egomanisches Ziel unumschränkter Führerschaft instrumentalisieren lassen.

So sehr Kurz Ende 2017 vom eigentlichen Charakter der FPÖ gewusst haben musste, so sehr musste die FPÖ wissen, über welch überreiche Ressourcen Sebastian Kurz verfügt, wenn es um die Erfüllung seines egomanischen Machtplans geht.

Bräuchte es dafür eines Beweises, dann liegt dieser Beweis längst vor: Sebastian Kurz wollte Herbert Kickl als Innenminister entfernen und auch keinem anderen FPÖler das Amt übertragen, weil er dadurch eine unabhängige Ermittlung in Hinsicht auf das Ibizza-Video nicht gewährleistet sah – kaum je ist ein Bundeskanzler mit einem hanebücheneren Argument an die Öffentlichkeit getreten:

Als ob nicht der ÖVP-Justizminister für die Ermittlungen zuständig wäre, und als ob es im „Fall Strasser“ einer Auswechslung des ÖVP-Ministers bedurft hätte, um unabhängige Ermittlungen zu gewährleisten.

Und letztlich: Herbert Kickl hat angeboten, das Amt zu verlassen – das aber konnte Sebastian Kurz nicht reichen, weil es ihm um etwas ganz anderes ging.

Er wollte, aus welchen Gründen auch immer, vereinbarungswidrig ein FPÖ-freies Innenministerium.

Jeder kann sich seinen Teil dazu denken.

Wer Bundeskanzler Kurz noch traut, soll ihm das Vertrauen aussprechen.

Ich kann ihm nicht vertrauen. Ich werde ihm deshalb mein Vertrauen versagen.

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