Streifzüge, Heft 32
Oktober
2004

Nachhaltiger Kapitalismus?

4.Teil: Ökologische Alternativen zur ökosozialen Marktwirtschaft

In den ersten drei Teilen unserer Serie haben wir das Konzept der ökosozialen Marktwirtschaft dargestellt und diskutiert. Im vierten und letzten Teil geht es nun um ökologische Alternativen dazu. Wir systematisieren dabei die in der Literatur und im Diskurs der sozialen Bewegungen vorfindlichen Ideen und Praxen zu vier groben Leitbildern. Einer Darstellung dieser Leitbilder anhand ihrer eigenen Ansprüche und Argumentationen folgt jeweils unsere persönliche Einschätzung.

voriger Teil: Nachhaltiger Kapitalismus?

1. Wirtschaft im Steady State

Neben dem Mainstream-Diskurs der „nachhaltigen Entwicklung“ und ihrem Aushängeschild, der „ökosozialen Marktwirtschaft“, erlangte das Konzept einer „Wirtschaft im stationären Zustand“ (Steady State-Economy) eine weiterreichende Bekanntheit. Dabei soll der Ressourcenverbrauch der Wirtschaft langfristig auf einem dauerhaft tragbaren Niveau in einem stationären Zustand (Steady State) verbleiben. Der Begründer dieses Leitbildes, Herman Daly, entstammt dem Umweltdiskurs Anfang der 1970er Jahre, deren wachstumskritische Grundpositionen er nach wie vor vertritt. Insofern unterscheidet er sich deutlich vom Leitbild der ökosozialen Marktwirtschaft, dem er hinsichtlich seiner Vorstellungen zu einer politisch-ökonomischen Umsetzung allerdings sehr nahe steht. Er begründete neben anderen die ökologische Ökonomie (Ecological Economics) und hat einige ihrer wesentlichen Konzepte (etwa den Wohlstandsindikator ISEW [1]) mitentwickelt. Die ökologische Ökonomie war lange Zeit eine in der Nachhaltigkeitsdebatte zentrale Forschungsrichtung und hat wesentliche Impulse für andere Theoriefelder, etwa den „Ökolokalismus“ oder die heute vielfach vorherrschende „Industrial Ecology“, geliefert. [2]

Konzept

Die ökologische Ökonomie grenzt sich in einigen Punkten wesentlich von der dominierenden, neoklassischen Wirtschaftslehre ab. Die Neoklassik sieht die Zirkulation von Tauschwerten zwischen Haushalten und Unternehmungen als Quelle gesellschaftlichen Reichtums. Diese Kreislaufbeziehung wird als geschlossen betrachtet, weder Materie noch Energie treten in das System ein oder verlassen es. Aus diesem Grund kann das neoklassische Wirtschaftssystem in materiell-energetischer Hinsicht beliebig groß sein. Eine stationäre Wirtschaft nach Daly hingegen wird lediglich als Teil eines größeren Ökosystems verstanden, wobei der Durchfluss und die Nutzung von Energie und Stoffströmen langfristig eine absolute Grenze aufweisen, die letztlich vom Ökosystem vorgegeben ist. Somit stößt ein dauerhaftes Wachsen der wirtschaftlichen Material- und Energieflüsse früher oder später zwingend an die Grenzen des umgebenden Ökosystems. In der ökologischen Ökonomie wird das neoklassische Motiv der „effizienten Allokation“ um die Kategorie „Ausmaß“, das ist die in Stoff- und Energieströmen gemessene Größe des Wirtschaftssystems, ergänzt.

Das zentrale Problem einer nachhaltigen Entwicklung besteht laut Daly nicht in technischen und wirtschaftlichen Anforderungen; diesen sei durch eine effiziente Allokation zu entsprechen. Die wesentliche Schwierigkeit sieht er in der Überwindung einer „Sucht nach Wachstum“, die zu einer Überschreitung des zulässigen Ausmaßes der Wirtschaftssysteme führe und vor allem durch moralische Defizite und kulturelle Traditionen bedingt sei. Der Begriff „Wachstum“ ist bei Daly immer als physisches Wachstum von Stoffströmen zu verstehen; seine Kritik am Wirtschaftswachstum betrifft deshalb vorwiegend die stoffliche Komponente des Wirtschaftens. Rein monetäre oder qualitative Größen, die sich nicht in einer Änderung der Stoffströme niederschlagen, firmieren unter dem Begriff der Entwicklung. [3]

Der Marktmechanismus soll in der Steady State-Economy, wie auch in der neoklassischen Konzeption, eine „effiziente Allokation von Ressourcen“ gewährleisten. Als effizient betrachtet Daly eine Allokation, die „der effektiven Nachfrage entspricht, also den relativen Präferenzen der Bürger, gewichtet nach ihrem relativen Einkommen“. [4] Zuvor müssten allerdings auf politischer und individueller Ebene die Durchlaufmengen der wichtigsten Rohstoffe auf ein nachhaltiges Niveau beschränkt und eine relativ gleichmäßige Besitz- und Vermögensverteilung erreicht werden. Dadurch soll das Ausmaß der Wirtschaft politisch verhandelt und festgelegt werden. Als Musterbeispiel für eine Politik der Durchlaufmengen-Beschränkung dient Daly, wie auch der ökosozialen Marktwirtschaft, der Handel mit Emissionszertifikaten. In diesem Politikansatz werden nach Festlegung des Ausmaßes der Wirtschaft Durchlauf, Verteilung und Verwendung von Ressourcen unabhängig voneinander im Zusammenspiel von Staat und Markt reguliert.

Die stoffliche Produktivität des „natürlichen Kapitals“, worunter Daly, wie die ökologische Ökonomie insgesamt, die stoffliche Gesamtheit natürlicher Ressourcen versteht, soll kurzfristig maximiert werden, während langfristig eine Erhöhung des Angebots „natürlichen Kapitals“ erreicht werden soll. Daly hält eine Veränderung von Konsummustern nicht für hinreichend und tritt primär für eine Verringerung des Konsums und somit für eine Verringerung des Ausmaßes der Wirtschaft ein.

Obwohl kein Verfechter autoritärer bevölkerungspolitischer Maßnahmen, betont Daly die Notwendigkeit, die Bevölkerungszahl auf einem „nachhaltigen Niveau“ zu stabilisieren. Dieses Niveau soll mit der Fähigkeit der Erde, allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen, in Einklang stehen. Die Beseitigung von Armut soll ohne Wachstum des Ressourcenverbrauchs erfolgen und laut Daly auf „gerechterem Teilen“, stärkerer Bevölkerungskontrolle und qualitativer Entwicklung beruhen.

Umweltkosten und die Unsicherheit bezüglich der Umweltauswirkungen neuer Technologien, denen Daly nicht grundsätzlich ablehnend, allerdings kritisch gegenübersteht, sollten in die Preisgestaltung internalisiert werden, sodass Verschmutzer und Rohstoffabbauer dafür zahlen müssten. Die Steuerbemessungsgrundlage wäre vom Einkommen auf die Durchlaufmenge von Ressourcen zu verschieben. Eine progressive Struktur der Einkommenssteuer soll Umverteilung gewährleisten. In dieser steuerlichen Lastenverschiebung, die der Norden zu beginnen habe, sieht Daly das Kernstück der ökologischen Strukturanpassung. Damit ist auch die radikale Ablehnung des Freihandels verbunden: Die Internalisierung so genannter externer Umwelt- und Sozialkosten auf nationaler Ebene würde die Preise erhöhen, weshalb es keinen freien Handel mit Ländern, die diese Kosten nicht internalisieren, geben könne. Gegen den Standard senkenden Wettbewerb von Wirtschaftsstandorten sieht Daly Schutzzölle vor. Von globaler wirtschaftlicher Integration durch Freihandel, freie Mobilität des Kapitals und exportorientiertes Wachstum wäre abzugehen und im Gegenzug eine vorrangig national orientierte Entwicklung zu favorisieren. Die Produktion sollte primär für inländische und lokale Märkte erfolgen. [5]

Diskussion

Der grundlegenden Terminologie und den theoretischen Grundannahmen nach weist Daly Überschneidungen mit dem neoklassischen Mainstream der ökonomischen Wissenschaft auf, den er parziell kritisiert. Daly adaptiert an manchen Stellen Marxsche Begriffe von Wert und Mehrwert, die er jedoch im Sinne eines Vulgärmarxismus als überhistorisch gültige, ungesellschaftliche Kategorien versteht.

Dalys Überlegungen erkennen dem Staat die zentrale Rolle in der ökologischen Umgestaltung der Gesellschaft zu, lassen aber dessen ungeachtet einen im engeren Sinne theoretischen oder gar kritischen Begriff des Staates und seiner Funktionsweise vermissen.

Dalys Ansatz kommt das Verdienst zu, die ökologischen Grenzen des Ressourcenverbrauchs als zentrales Thema nachhaltiger Entwicklung zu behandeln und das wirtschaftliche Wachstum in Frage zu stellen. Sein Ansatz teilt allerdings die allgemeinen Defizite bürgerlicher Theorie [6]: Ökonomische Kategorien werden in überhistorischem Sinne verstanden, Phänomene werden als empirisch gegeben angesehen, soziales Handeln wird ausgehend von Individuen begriffen und mit anthropologischen Annahmen über das „menschliche Wesen“ begründet.

So nimmt es nicht Wunder, dass Daly von den realen kapitalistischen „Sachzwängen“, etwa der Profitmaximierung und der politisch-ökonomischen Konkurrenz ebenso absieht wie von wirtschaftlichen Krisentendenzen und sozialen Kämpfen. Damit gelangt er zu einer reichlich weltfremden Auffassung von Gesellschaft mit einem starken Hang zur Moralisierung.

2. Der Ökosozialismus von Saral Sarkar

Unter den Versuchen, den traditionellen Marxismus ökologisch zu „modernisieren“, hat der „Ökosozialismus“ von Saral Sarkar gewisse publizistische Bedeutung erlangt. Der ehemalige Aktivist der deutschen Grünen verbindet in seinem Buch „Die nachhaltige Gesellschaft“ eine explizit politisch-praktische Perspektive mit grundsätzlichen theoretischen Überlegungen zur Ökologie des Kapitalismus. [7]

Konzept

Grundlage seines Konzeptes ist eine ausführliche Kritik des Realsozialismus sowie der Industriegesellschaft überhaupt. Seiner Meinung nach scheiterte der Realsozialismus insbesondere am Erreichen der ökologischen Wachstumsschranke infolge von Ressourcenknappheiten, die für die realsozialistischen Länder bedeutend früher eintrat, als er sie für den Privatkapitalismus westlicher Prägung prognostiziert, sowie an einer umfassenden moralischen Degeneration der Menschen. Davon ausgehend beschreibt Saral Sarkar folgendes Modell des Ökosozialismus als gesellschaftliche Alternative: „Wir müssen die absolute ökologische Notwendigkeit dieser Reduzierung (des Ressourcenverbrauchs, Anm. d. A. ) akzeptieren und dann schauen, wie viel Wohlstand für wie viele Menschen mit dem übrig bleibenden Materialdurchsatz noch möglich ist.“ [8] Sarkar hält in Hinblick auf eine ökologische Umgestaltung arbeitsintensive Technologien für erforderlich, die zu einer Absenkung von Lohnniveau und materiellem Wohlstand führen. Analog zu Daly erkennt Sarkar die Notwendigkeit einer Steady State-Ökonomie, hält aber die von Daly vorgeschlagenen Maßnahmen für unzureichend. Im Kapitalismus sei nur eine beschränkte Ökologisierung möglich.

Die Konzeption des Sarkarschen Ökosozialismus beruht auf zwei anthropologischen Annahmen: erstens seien Menschen derzeit durch Eigennutz bestimmt, zweitens könnten und müssten sie diesen durch „moralischen Fortschritt“ überwinden. Eine Grundbedingung seines Modells sieht Sarkar in einer Akzeptanz durch die Mehrheit der Bevölkerung.

Die ökologisch zentrale Schrumpfung des Ressourcenverbrauchs könne (in einer Übergangsphase zum Steady State) nur durch einen starken Staat umgesetzt werden, da dies im derzeitigen System zu wirtschaftlichen Krisenerscheinungen und massivem Widerstand der Unternehmer führen würde. Dezentralisierte, regionale oder lokale Staatsorgane müssten die Betriebe übernehmen. Die dann notwendige Wirtschaftsplanung wäre in einer ökosozialistischen Gesellschaft einfacher zu bewerkstelligen als im privatkapitalistischen Rahmen, weil Produktionsvolumen und Warenvielfalt zurückgingen. Da es dabei dennoch zu Schwierigkeiten kommen könnte, wären in einigen Bereichen private Unternehmen erlaubt. Diese würden auf kleinfamiliärer Basis oder in Form von Kooperativen mit gleichen Rechten und Pflichten für alle Mitglieder geführt. Zukauf von Lohnarbeit wäre verboten, kein Unternehmen dürfte expandieren. Rohstoffe, Zwischenprodukte und Ausrüstungsgegenstände würden durch Planungsbehörden zugeteilt.

Da es unmöglich sei, die Arbeits- und die Ressourcenproduktivität gleichzeitig zu steigern, würden im Ökosozialismus arbeitsintensive, kostengünstige und mittlere Technologien mit niedriger Kapazität zum Einsatz kommen. Dadurch ließe sich der Ressourceneinsatz reduzieren. In Kombination mit der Stabilisierung und Reduktion der Bevölkerungszahl sowie der weiter bestehenden „notwendigen Arbeit“ für Nahrungsmittel, Kleidung, Wohnraum, Gesundheits- und Bildungsdienstleistungen gäbe es einen hohen Bedarf an Arbeitskraft. Technologien, die eine große Menge an Ressourcen erfordern und „zu kompliziert für Durchschnittsmenschen“ [9] seien, hätten im Ökosozialismus Sarkarscher Prägung keine Zukunft.

Diese ökosozialistische Gesellschaft wäre in Sarkars Vorstellung keine Massengesellschaft, die Arbeitsteilung wäre geringer und die Auswahl an Warensorten stark begrenzt. Da die Befriedigung lebensnotwendiger Bedürfnisse einfach zu bewerkstelligen sei, würde ein verminderter materieller Lebensstandard nicht zwangsläufig mit einer Verminderung des Lebensglücks einhergehen. Eine Kultur der langlebigen Produkte, ihrer Wiederverwendung und Reparatur würde etwaige Schwierigkeiten der materiellen Versorgung mildern.

Sarkar führt einen großen Teil der sozialen Probleme auf Arbeitslosigkeit zurück und sieht in der Garantie einer bezahlten und „gesellschaftlich nützlichen“ Arbeit dementsprechend eine angemessene Form sozialer Sicherheit. Eine schrumpfende oder Steady State-Wirtschaft auf niedrigem Niveau von Ressourcendurchsatz und Arbeitsproduktivität würde keine Überschussproduktion erlauben, womit Sozialhilfe Kindern, Kranken, Alten und Gebrechlichen vorbehalten bliebe. Sarkar vertritt ein spezifisches Arbeitsethos: „Es ist auch nicht ehrenhaft, von der Gesellschaft den eigenen Lebensunterhalt zu verlangen, ohne ihr etwas als Gegenleistung anzubieten. Darum wäre in einer öko-sozialistischen Gesellschaft ein garantiertes Mindesteinkommen ohne Arbeitspflicht nicht wünschenswert.“ [10]

Da die Angst vor Arbeitsplatzverlust, die Konkurrenz und materielle Anreize wegfielen, wären ein „moralisches Wachstum“ und die soziale Kontrolle durch die lokale Gemeinschaft die ausschlaggebenden Motivationsfaktoren.

Kleine und einfach strukturierte politische Einheiten wären die Voraussetzung der ökosozialistischen Demokratie. Die ökonomischen Einheiten wären ebenfalls klein, regionale und lokale Gemeinschaften selbstversorgend-autonom. Fernhandel würde mehr oder weniger auf lebensnotwendige Produkte wie zum Beispiel Salz reduziert. Um einen „gerechten Tausch“ und die ökologisch vernünftige Planung des Ressourceneinsatzes auf globaler Ebene zu gewährleisten, schlägt Sarkar die Bildung eines so genannten Weltwirtschaftsrates vor.

In einer Welt mit begrenzten Ressourcen könnten laut Sarkar nicht alle Menschen beliebig über Eigentum verfügen. Eine Angleichung der Löhne auf einem niedrigen Niveau sei eine Notwendigkeit in der Schrumpfungsphase der Wirtschaft. Lediglich schwere und unangenehme Arbeit sollte monetär entsprechend höher kompensiert werden. Da Sarkar in einer umfassenden – auch die Geldverteilung betreffenden – Gleichheit eines der wichtigsten ökosozialistischen Prinzipien sieht, gäbe es keine „Klassenkonflikte“. Aufgrund der geringeren Nachfrage nach knappen Ressourcen und verminderter Konkurrenz auf dem Weltmarkt wäre die Neigung zur Kriegsführung stark verringert.

Diskussion

Sarkar bewegt sich theoretisch durchgehend auf vulgärmarxistischem Boden, wobei eine stark moralisierende Komponente hervorsticht, die Arbeit, Verzicht und enge Bindungen ans Kollektiv affirmiert. Insofern steht er dem Subsistenzansatz nahe, in dessen publizistischem Rahmen Sarkar auch zuweilen auftritt, [11] von dem er sich allerdings durch seine explizit politische, an den Staat gebundene Perspektive unterscheidet. Sein Versuch, die ökologischen Grenzen des Ressourcenverbrauchs als zentrales Thema gesellschaftlicher Umgestaltung zu begreifen, koppelt sich mit einem Arbeitsfetischismus, der bereits in offen autoritäre Vorstellungen hineinreicht. Das Plädoyer für einen starken Staat in der „Übergangsphase“ zur ökosozialistischen Gesellschaft gleicht der realsozialistischen Ideologie und Praxis weitgehend. Eine Abgrenzung von explizit autoritären Staatskonzeptionen leistet Sarkar nur unzureichend, seine Ideen zur Bevölkerungspolitik tragen starken Zwangscharakter (unter anderem tritt er für die Sterilisation von Männern ein). Unklar bleibt, inwiefern die ökosozialistischen Planungseinrichtungen die bekannten Defizite ihrer realsozialistischen Vorgänger, [12] die Sarkar in der Hauptsache auf „moralische Degeneration“ zurückführt, vermeiden können. Ein kritisches und differenziertes Verständnis der Grundkategorien kapitalistischer Vergesellschaftung, also von Warenproduktion, Wert, Arbeit, Geld, Kapital und Staat, fehlt in Sarkars Denken in weiten Teilen.

In seiner Kritik der vorherrschenden Strömungen des Nachhaltigkeitsdiskurses ist Sarkar jedoch großteils zuzustimmen. Durch seine Berücksichtigung grundlegender Eigenschaften der kapitalistischen Produktionsweise, von Profitmaximierung, Konkurrenz, wachsendem Ressourcenverbrauch und Krisenhaftigkeit, in Verbindung mit seinem klaren Blick auf die Begrenztheit natürlicher Ressourcen kommt Sarkar – ungeachtet aller theoretischen Mängel und anti-emanzipatorischen Aspekte – zu einem weit realistischeren Bild der ökologischen Umgestaltung, als dies dem Mainstream der Nachhaltigkeitsdebatte gelingt.

3. Zurück zum einfachen Leben: Die Subsistenzperspektive

Eine als Subsistenzansatz, Subsistenzperspektive oder auch „Bielefelder Ansatz“ bekannte Theorie wurde vor allem während der 1980er Jahre von einer Gruppe von Soziologinnen an der Universität Bielefeld entwickelt. Verbunden ist dieser Ansatz besonders mit den Namen Maria Mies, Veronika Bennholdt-Thomsen und Claudia von Werlhof (den „Bielefelderinnen“). Im Rahmen der Subsistenzperspektive geht es nicht primär um die Durchsetzung einer Selbstversorgung in allen Angelegenheiten des Daseins, wie der Begriff der Subsistenz nahelegen würde, sondern vielmehr um eine an moralischen Grundsätzen orientierte, die Gewinnmaximierung ablehnende Wirtschaftsform. Die Menschen sollen sich dabei jener Dinge und Strukturen bemächtigen, die ihr Leben beeinflussen und gestalten. Patriarchat, Unterdrückung, Ausbeutung und Kapitalismus werden in einem unauflöslichen Zusammenhang gesehen, der in der so genannten „neoliberalen Globalisierung“ seine bislang mächtigste Ausformung erhalten habe.

Konzept

Nach Vorstellung der Bielefelderinnen wird die sichtbare Ökonomie, ausgedrückt durch das BIP (Bruttoinlandsprodukt), von einem riesigen, wirtschaftlich unsichtbaren Fundament aus Hausarbeit, Subsistenzarbeit und Natur getragen, das im BIP nicht abgebildet wird. Die wirtschaftlich unbewertete und deshalb unentgeltliche Nutzung dieses Fundaments durch die sichtbare Ökonomie wird unter den Begriff der Kolonisierung subsumiert. Zwischen Kolonist und Kolonie gebe es eine Abhängigkeit, die durch personale oder strukturelle Gewalt begründet und aufrechterhalten werde. Zu diesen kolonistischen Gewaltverhältnissen zähle die Ausbeutung der Natur sowie jene der Dritten Welt und der Frauen.

Soweit – in aller Knappheit – die Kernanalyse. Als Lösungsansatz dieser problematischen Entwicklung wird der derzeitigen technologiefixierten, „männlichen“, auf Expansion, Eroberung der Märkte und Konkurrenz ausgerichteten Wirtschaft eine „weibliche“, auf Subsistenz ausgerichtete und von Fürsorge getragene Wirtschaftsweise gegenübergestellt.

Angestrebt wird eine „Kreislaufwirtschaft in (… ) kleineren, regionalen, dezentral strukturierten Wirtschaftsräumen.“ [13] Dort sei ein direkter Kontakt zwischen Produzierenden und Konsumierenden möglich und die Produktion könne dadurch an die wirklichen Bedürfnisse der Menschen angepasst werden. Würden Markt und Handel von Frauen dominiert, welche kein Interesse an Expansion der Märkte und Konkurrenz hätten, bliebe er überdies lokal begrenzt, so die Argumentation.

Auf den Tausch als solchen wird, solange er lokal bleibt, positiv Bezug genommen. Tauschen wird als „wichtiger sozialer Akt“, [14] Markt und Handel werden als „Wege und Weisen der menschlichen Begegnung“ [15] bezeichnet. Teil dieser Alternativ-Ökonomie ist auch eine Erweiterung des Arbeitsbegriffs: „(… ) alle Arbeiten, die zur Erhaltung des Lebens und zur Selbstversorgung notwendig sind, müssten als Arbeit zählen.“ [16] Die Subsistenzperspektive wird gar als eine „Perspektive der Arbeit“ [17] bezeichnet.

Die Kategorie der Arbeit wird im Subsistenzansatz nicht kritisiert, stattdessen wird der Begriff der Arbeit weiter als üblich gefasst. Zentral soll künftig jene Arbeit sein, die „zur Erhaltung des Lebens und zur Selbstversorgung“ notwendig ist und bisher vornehmlich von Frauen verrichtet wurde. Lohnarbeit bliebe zwar weiter bestehen, wäre aber eher eine Ergänzung zur (nicht bezahlten) Subsistenzarbeit. Wichtig ist in dieser Konzeption die Fähigkeit zur Selbstversorgung durch Zugang zu Agrarland, wodurch die persönliche Abhängigkeit von der Lohnarbeit vermindert würde: „Nur wenn die Subsistenzfähigkeit der Menschen zerstört ist, sind sie dem Kapital bedingungslos ausgeliefert.“ [18] Über staatliche Organisationen laufende Veränderungsansätze werden abgelehnt.

Diskussion

Das gesamte Modell der Bielefelderinnen hängt untrennbar von einer zentralen Prämisse ab: es gebe genuine, unabänderlich festgelegte Verhaltensweisen von Männern und Frauen. Nur so kann argumentiert werden, dass Handel in Frauenhand ganz andere Konsequenzen hätte als der momentan von Männern dominierte Markt. Eine von dieser Vorstellung ausgehende Perspektive würde eine geschlechtsspezifische Aufteilung der Tätigkeiten zementieren, wenn auch nicht in der heute vorherrschenden Form. [19] Die entscheidende Fehleinschätzung liegt unserer Meinung jedoch woanders: Es wird davon ausgegangen, dass es die falsche Gruppe von Menschen am falschen Ort ist, die der Gesellschaft ihre jetzige Form aufprägt. Entsprechend genüge es, die richtige Gruppe an den richtigen Ort zu setzen, also den Handel den Frauen zu überlassen. Wenn wir hingegen erkennen, dass die den Männern beziehungsweise Frauen zugeschriebenen Eigenschaften erst durch ein gesellschaftliches System konstruiert werden, das die Trennung in einen an der Front kämpfenden, Wert schaffenden Mann und eine im Hintergrund treu sorgende Frau strukturell erfordert, [20] so wird deutlich, dass der Ökofeminismus des Subsistenzansatzes ins Leere greifen muss.

Wie weiter oben gezeigt, bezieht sich der Subsistenzansatz grundsätzlich positiv auf den Tausch. Solange dieser in Frauenhand sei, bliebe er – entsprechend der behaupteten Trennung zwischen „männlichem“ und „weiblichem“ Wirtschaften – automatisch lokal begrenzt: „Wo der Handel in Frauenhand ist (Juchitan, West-Afrika, Maipur u. a. ), hat er nie zu einer Zerstörung von Umwelt und Subsistenz geführt.“ [21] Wenn nun in einigen Regionen der Handel tatsächlich noch lokal begrenzt ist, so allerdings wohl allein deshalb, weil das Kapital dort noch keine Verwertungsmöglichkeit gefunden hat.

Lob des Handels bei gleichzeitiger Verurteilung der Verwertung von Wert, hat man das überdies nicht schon von anderer Seite gehört? Tatsächlich zeigt sich, dass zumindest Teile der Subsistenzbewegten der – unter anderem aufgrund ihres Anschlusses an den antisemitischen Diskurs höchst problematischen – Freiwirtschaftslehre [22] positiv gegenüberstehen. So geißelt eine der Hauptvertreterinnen des Subsistenzansatzes, Claudia von Werlhof, in einem Vortrag den Zins als „nur scheinbar natürlich“ und als „Obszönität“ und fordert, ganz der Freiwirtschaftslehre entsprechend, die „Abschaffung des Zinses“ und „Geld nur noch als Schmiermittel oder gar , Schwundgeld‘.“ [23] Man darf gespannt sein, zu welchem ungenießbaren Amalgam sich Teile von Freiwirtschaftslehre und Subsistenzansatz zukünftig noch verschmelzen werden.

Innerhalb des Subsistenzansatzes wird der Einsatz produktivitätssteigernder Technologien weitgehend abgelehnt, da sie untrennbar mit einem patriarchalen System verbunden seien. [24] Technologischer Fortschritt wird vielfach als „lebens-, natur- und frauenverachtend“ [25] bezeichnet. Sicher muss die heutige Technologie, die ja in der Matrix des kapitalistischen Systems entstand, einer grundsätzlichen und weitgehenden Kritik unterzogen werden. Doch eine pauschale Ablehnung jeglicher High-Tech hieße, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Denn erstens wären ohne den Einsatz moderner Technologien für uns wichtig und selbstverständlich gewordene Dinge, zum Beispiel viele Medikamente, nicht mehr herstellbar. Und zweitens könnten Städte und die damit verbundene Lebensweise und Kultur nicht mehr existieren. Eine agrarische Produktion, die auf Handarbeit basiert, kann nicht den Überschuss produzieren, dessen es für die Entwicklung von Städten bedarf. Entsprechend schlecht kommen diese denn auch in der Subsistenzperspektive weg. In einer Abschnittsüberschrift heißt es gar: „Die Stadt – Ein Parasit“. [26]

Bei aller Kritik am theoretischen Ansatz gibt es doch Anknüpfungspunkte, wenn es um die Einschätzung konkreter Projekte und Praxen vor Ort geht. Dies zeigen manche der Beispiele, die als positive Veränderungsansätze in „Eine Kuh für Hillary“ präsentiert werden, so etwa der Fall jener Widerstandsgemeinden in Guatemala, bei denen die landwirtschaftlichen Tätigkeiten gemeinsam organisiert und die erzeugte Nahrung je nach Bedürfnissen unter den Familien aufgeteilt, die Überschüsse dagegen in Festen kollektiv konsumiert werden; oder auch die Geschichte kommunaler „Arbeit“ in einem Dorf in der Eifel: dort wurden noch bis vor 50 Jahren viele anfallende Tätigkeiten, vom Instandhalten der Straßen und Wege bis zum Schlagen von Holz im Gemeindewald, auf kommunaler Ebene organisiert. Inzwischen wurden diese Tätigkeiten durch Lohnarbeit ersetzt. Deutlich wird allerdings auch eine wesentliche Gemeinsamkeit dieser beiden Beispiele: sie beruhen auf gegenseitiger Hilfe beziehungsweise gemeinschaftlicher Absprache und eben nicht auf Tausch.

4. Die mikroelektronische Naturalwirtschaft

Der Zusammenbruch des Realsozialismus Ende der 1980er Jahre ging mit einer schweren diskursiven Niederlage des Marxismus einher. Im Zuge des Bemühens um eine Überwindung der Krise radikaler Gesellschaftskritik entwickelte sich ein Theoriefeld, innerhalb dessen sich auch die bisherigen Beiträge unserer Serie bewegen und das im Folgenden als „wertkritisch“ bezeichnet werden soll.

Theoriegeschichte

Die im weiteren Sinne wertkritische Marx-Rezeption nahm mit den Publikationen von Hans-Georg Backhaus [27] Ende der 1960er Jahre ihren unmittelbaren Anfang und wurde etwa in den Arbeiten von Moishe Postone, [28] Michael Heinrich, [29] Nadja Rakowitz, [30] John Holloway [31] und der Gruppe krisis [32] entwickelt. Die für den traditionellen Marxismus zentrale Stellung einer Kritik der Reichtumsverteilung und der Machtverhältnisse nimmt eine Kritik der zugrundegelegten Reichtums- und Machtform ein. Die Analyse sozialen Wandels und der Möglichkeiten emanzipatorischer Gesellschaftsveränderung wird an ein kritisches Verständnis der grundlegenden sozialen Formen von Wert und Ware, den bestimmenden Faktoren der systemimmanenten Handlungsrationalitäten, rückgebunden. Ein staatskritischer Zugang ist diesen Strömungen generell gemein. In unterschiedlicher Reichweite findet sich innerhalb des wertkritischen Theoriefeldes auch eine Kritik der sozialen Formen Arbeit, Recht, Politik und Demokratie.

Besondere Bedeutung für unsere Fragestellung kommt dabei der außeruniversitären Theorieproduktion im Rahmen der Zeitschrift krisis zu. Im krisis-Zusammenhang, auf den – im Unterschied zu unserem Begriffsverständnis – das Label „Wertkritik“ meist reduziert wird, finden sich seit den späten 1980ern nicht nur kritische Auseinandersetzungen mit der Marxschen Theorie und Ansätze zu ihrer Weiterentwicklung, sondern auch eine allgemeine ökologische Kritik des Kapitalismus [33] und Überlegungen zu einer emanzipatorischen Alternative.

Theoretische Grundlagen

Der wertkritische Zugang war schon für die bisher angestellten Überlegungen bestimmend. Doch wollen wir zentrale Ergebnisse wertkritischer Analyse kurz zusammenfassen: die kapitalistische Produktionsweise ist als diejenige zu charakterisieren, „die auf dem Wert beruht“ (Marx). Abstrakter und objektivierter Wert ist die allgemeine Form kapitalistischen Reichtums und drückt sich im Geld aus. Stofflicher Träger des Werts ist die Ware, die einerseits qualitativ-konkreten, sinnlich erfahrbaren Gebrauchswert, andererseits quantitativ-abstrakten, unsinnlichen Tauschwert darstellt. Die Ware, also das für den Verkauf Produzierte, ist die „Elementarform des Reichtums“ (Marx) im Kapitalismus, verallgemeinerte Produktion und systematischer Tausch von Waren, worunter auch die menschliche Arbeitskraft fällt, sein Charakteristikum. Zweck der Warenproduktion ist der abstrakte Wert, genauer gesagt: Mehrwert, nicht der konkrete Nutzen der Ware. Weil die abstrakte Wertproduktion als solche nicht an konkrete menschliche Bedürfnisse und ökologische Bedingungen rückgekoppelt, sondern – als Verwertung des Werts – allein auf sich selbst bezogen ist, ergibt sich ein tendenziell maßloser Wachstumszwang der Wertproduktion: aus Geld muss immer mehr Geld werden. Nachdem Wertproduktion dauerhaft nur als Warenproduktion möglich ist, resultiert daraus steigender Ressourcenverbrauch. Die Wertverwertung abstrahiert von konkreten menschlichen Bedürfnissen und ihrem ökologischen Kontext. Doch diese Abstraktion ist Schein, in Wirklichkeit bleibt die Verwertung des Werts an die Produktion von Gebrauchswerten, ein Minimum an Bedürfnisbefriedigung und ökologische Rahmenbedingungen gebunden: Das macht ihren zerbrechlichen und zerstörerischen Charakter aus. Die Verwertungsbewegung ignoriert ihre gesellschaftliche und ökologische Einbettung.

Die Sphäre der „Wirtschaft“, also des Werts, unterliegt verselbstständigten Gesetzen, die zwar auf (herrschaftsförmige) soziale Beziehungen zurückzuführen sind, uns aber als schein-natürliche „Sachzwänge“ gegenübertreten. Beim Wert handelt es sich um eine Fetischform, denn in ihm erscheint das Soziale paradoxerweise in der Form von Dingen, nämlich Waren als Wertgegenständen. Ökologisch vernünftige Zwecksetzungen und Limitierungen menschlichen Handelns werden dadurch in großem Stil verunmöglicht: erstens durch den gegen stofflich-konkrete Inhalte und Kontexte gleichgültigen ökonomischen Wert und zweitens durch die selbstzweckhafte Verwertungslogik. Der Staat – ebenfalls eine fetischisierte Form sozialer Beziehungen – ist für seine Politik auf Steuern in Geldform angewiesen und damit auch ihren „Sachzwängen“ unterworfen. Er dient primär der Sicherung der allgemeinen Verwertungsbedingungen, agiert folglich als „ideeller Gesamtkapitalist“ und kann nicht als Instrument einer grundlegenden Ökologisierung, die in einer Überwindung kapitalistischer Produktion bestünde, wirken.

Ein alternativer Entwicklungspfad

Welche Aussagen lassen sich nun für eine post-kapitalistische Vergesellschaftung treffen? Wie kann ein Entwicklungsweg in diese Richtung aussehen? Grundsätzlich muss die post-kapitalistische Kooperationsweise ohne Warentausch, Wert, Geld und Kapital auskommen und mit einer Auflösung des Staates in die Gesellschaft einhergehen. Diese Perspektive umfasst sowohl den Aufbau neuer Weisen materieller und immaterieller Produktion als auch eine grundlegende Veränderung der patriarchalen Psycho- und Sozialstruktur, womit ein tiefreichender Gesellschaftswandel – von der Technologie-Entwicklung bis hin zum individuellen und kulturell-symbolischen Naturbezug – verbunden wäre.

Anstelle des Regulativs von Wert (Markt) und Recht (Staat) hätte die bewusste und direkte Verständigung der Gesellschaft über ihre Produktion zu treten. Einige Konkretisierungen dieser Einsicht gibt Norbert Trenkle im 1996 publizierten Text „Weltgesellschaft ohne Geld“. [34] Direkte Aushandlungsprozesse müssten demnach in subsidiären und funktionell-hierarchischen Strukturen der Entscheidungsdelegation erfolgen. Planungsabsprachen wären auf der jeweils kleinstmöglichen Hierarchiestufe zu treffen: Nahrungsmittelerzeugung müsste im unmittelbaren Umkreis der Siedlungszentren erfolgen, während die High-Tech-Produktion eine letztlich globale Koordination der Stoff-Flüsse erfordere.

Der Einsatz hochentwickelter Technologie bei gleichzeitiger ökonomischer „Wertlosigkeit“ der Produktion ließe sich so als „mikroelektronische Naturalwirtschaft“ charakterisieren.

Insbesondere im 1997 erschienenen Artikel „Antiökonomie und Antipolitik“ [35] entwirft Robert Kurz eine wertkritische Perspektive des Übergangs zur post-kapitalistischen Gesellschaft. Seine Konzeption unterscheidet sich von den Versuchen einer „nachholenden Modernisierung“ im Realsozialismus sowohl dem Inhalt als auch der Form nach. Zuvorderst ginge es laut Kurz darum, den Bereich der so genannten Dienstleistungen unter gesellschaftliche Kontrolle zu bringen, um danach zur Aneignung und Neuorganisation (Stillegung, Restrukturierung, Umgruppierung, Weiterentwicklung) der stofflichen Produktionskapazitäten (Fabriken, Maschinen, Infrastruktur) überzugehen. Dabei gäbe es Anknüpfungspunkte bei früheren Versuchen genossenschaftlicher Kooperation (z. B. vielen Einrichtungen der Arbeiterbewegung), die allerdings nun mit dem erklärten Ziel eines schrittweisen Ausstiegs aus der Verwertung aufzugreifen wären. Der Aufbau einer solchen produktiven Gegenstruktur zum Wert könnte Hand in Hand mit Strategien zur Förderung des Dritten Sektors (Non-Profit-Bereich), systemimmanenten Forderungen, subversiven Aktionen und verschiedenen Formen direkter Aneignung (Besetzungen) gehen.

Der von der übrigen Gesellschaft und der Natur abgespaltene und verselbstständigte Tätigkeitsbereich der „Wirtschaft“ wäre im Verlauf dieser Auseinandersetzungen in die Gesellschaft zurückzunehmen. Die Vielfalt produktiver Tätigkeiten wäre an den stofflich-konkreten „Eigenlogiken“ der verschiedenen Produktionen, Lebensbereiche und Aufgabenstellungen auszurichten. So erst wäre die Grundlage für eine Lösung der ökologischen Krise gegeben.

Resümee

Zweifellos kann eine Überwindung des Kapitalismus keinem Master-Plan folgen. Emanzipation bedeutet in ihrem Kern die Selbstveränderung der Beteiligten, was nur als vielschichtiger, langwieriger und selbstbestimmter Prozess vorstellbar ist. Höchste Vorsicht ist daher geboten, wenn Phasen und „notwendige Entwicklungsschritte“ im Übergang zu einer post-kapitalistischen Vergesellschaftung konkret bestimmt werden sollen! Sozialtechnologien und Entwicklungsvorstellungen, die „Selbstbestimmung“ nach vorgefertigten Mustern quasi verordnen sollen, sind mit einer wahrhaften Emanzipation von kapitalistischen Verhältnissen unvereinbar. In der Begründung solcher Konzeptionen kommen geschichtsphilosophische Konstruktionen und deterministische Auffassungen zum Tragen, die vom nicht vorhersagbaren Verlauf gesellschaftlicher Entwicklungen im Allgemeinen und sozialer Kämpfe im Besonderen ebenso absehen wie vom nicht-determinierten Vermittlungsprozess zwischen kritischer Theorie und Praxis. Aus diesem Grund sind ausformulierte und am Reissbrett entworfene „Modelle einer zukünftigen Gesellschaft“ rundweg abzulehnen. Die tatsächliche Funktionsweise einer post-kapitalistischen Gesellschaft ist nicht theoretisch vorwegzunehmen (schon gar nicht in der Unzahl denkbarer Detailfragen), sondern vielmehr praktisch zu entwickeln.

Eine theoretische Kritik des Kapitalismus kann allerdings etwas Wesentliches leisten: Sieerlaubt Aussagen darüber, wie eine post-kapitalistische und damit ökologisch verträgliche Lebensweise nicht aussehen kann. Auf dieser Grundlage sind allgemeine Rahmenbedingungen einer post-kapitalistischen Lebensweise sicherlich auch theoretisch diskutierbar. Ein solcher Diskussionsprozess kann der emanzipatorischen Praxis Anregungen geben und Szenarien der sozialen Veränderung – freilich mit offenem Ausgang – entwerfen.

[1ISEW – Index of Sustainable Economic Welfare. Ein Indikator, der neben dem BIP (Bruttoinlandsprodukt) auch Faktoren wie Schattenwirtschaft, Veränderung nicht monetär bewerteter ökologischer Zustandsindikatoren etc. in die Wohlstandsberechnung mit einbezieht. Wie sich empirisch zeigt, stagniert bzw. sinkt der ISEW ab einer gewissen Höhe des BIP.

[2Eine Systematisierung unterschiedlicher Positionen im Diskurs der Nachhaltigkeit und eine Darstellung seiner Vorläufer gibt Reinhard Steurer (2001): Paradigmen der Nachhaltigkeit, in: Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht, 4/2001, 537-566; für einen umfassenden Überblick zu Umweltdiskursen siehe auch John Dryzek (1997): The Politics of the Earth. Environmental Discourses. Oxford University Press.

[3Siehe z. B. Herman Daly (1999): Wirtschaft jenseits von Wachstum. Die Volkswirtschaftslehre nachhaltiger Entwicklung. Verlag Anton Pustet; Herman Daly (1992): Vom Wirtschaften in einer leeren Welt zum Wirtschaften in einer vollen Welt. Wir haben einen historischen Wendepunkt in der Wirtschaftsentwicklung erreicht, in: Robert Goodland, Herman Daly, Salah El Serafy, Bernd von Droste (Hrsg. ): Nach dem Brundtland-Bericht: Umweltverträgliche wirtschaftliche Entwicklung.

[4Herman Daly (1999): a. a. O. , S. 216.

[5Zum Verhältnis zwischen ökologischer Ökonomie und Freihandel siehe insbesondere Herman Daly (1994): Die Gefahren des freien Handels, in: Spektrum der Wissenschaft, 1/1994, 40-46.

[6Michael Heinrich (2001): Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition. Westfälisches Dampfboot.

[7Saral Sarkar (1999): Die nachhaltige Gesellschaft. Eine kritische Analyse der Systemalternativen. Rotpunktverlag.

[8A. a. O. , S. 217.

[9A. a. O. , S. 402.

[10A. a. O. , S. 330.

[11Saral Sarkar (2003): Nachhaltige Entwicklung. Der vergebliche Rettungsversuch für eine sterbende Illusion, in: Claudia von Werlhof, Veronika Bennholdt-Thomsen, Nicholas Faraclas (Hrsg. ): Subsistenz und Widerstand. Alternativen zur Globalisierung. Promedia Verlag.

[12Für kritische Analysen siehe etwa Johanna W. Stahlmann (1990): Die Quadratur des Kreises. Funktionsmechanismus und Zusammenbruch der sowjetischen Planökonomie, in: krisis 8-9/1990, im Netz unter: http://www.giga.or.at/others/krisis/j-stahlmann_quadratur-des-kreise_krisis8-9_1990.html;

Robert Kurz (1991): Der Kollaps der Modernisierung. Vom Zusammenbruch des Kasernensozialismus zur Krise der Weltökonomie. Eichborn Verlag;

Ernst Lohoff (1996): Der dritte Weg in den Bürgerkrieg. Jugoslawien und das Ende der nachholenden Modernisierung. Horlemann Verlag;

vgl. auch Elmar Altvater (1997): Die Zukunft des Marktes. Ein Essay über die Regulation von Geld und Natur nach dem Scheitern des „real existierenden Sozialismus“. Westfälisches Dampfboot.

[13Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies (1997): Eine Kuh für Hillary. Frauenoffensive Verlag, S. 62.

[14A. a. O. , S. 310.

[15A. a. O. , S. 134.

[16A. a. O. , S. 82.

[17A. a. O. , S. 102.

[18A. a. O. , S. 24.

[19A. a. O. , S. 134: „Wenn wir Markt und Handel unter dem Gesichtspunkt betrachten, dass es sich dabei um Wege und Weisen der menschlichen Begegnung handelt: Wer anders als die Frauen sind in einer sinnvollen geschlechtlichen Arbeitsteilung dafür zuständig?“

[20Für eine ausführlichere Diskussion des so genannten Wert-Abspaltungs-Theorems siehe z. B. Roswitha Scholz (1999): Wert und Geschlechterverhältnis, in: Streifzüge 2/1999. Im Netz unter: https://www.streifzuege.org/str_99-2_scholz_geschlechter.html.

[21Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies (1997): a. a. O. , S. 68.

[22Vgl. Andreas Exner, Stephanie Grohmann (2004): Bye bye Zinskritik. Über die Grenzen der Tauschkreise und den Unsinn der Freiwirtschaft. Erscheint in der nächsten Ausgabe der Streifzüge (33/2005).

[23Claudia von Werlhof: „Geld ist nichts Neues, nur sein Charakter als Kapital, als , Geld gebärendes Geld‘ mit Zins und Zinseszins ist neu. Schulden- und Zinsabhängigkeit entsteht, weil dieses Gebären nur scheinbar natürlich, in Wahrheit aber durch Ausbeutung abgepresst ist. Das müssen wir als Obszönität von uns weisen. Also Abschaffung des Zinses (nachzulesen bei Margrit Kennedy), Geld nur noch als Schmiermittel oder gar , Schwundgeld‘.“ Zitiert aus Claudia von Werlhof (1993): Leben ist unwirtschaftlich. Subsistenz – Abschied vom ökonomischen Kalkül. Nach dem Vortrag „Subsistenz: Abschied vom ökonomischen Kalkül“ an der Humboldt-Universität Berlin, 25.1.1993. Im Netz unter: http://www.grueneliga-berlin.de/informieren/rabe_ralf/serien.html

[24Wie weit diese Ablehnung geht, bleibt aber offen. In einem Interview auf die Problematik einer grundsätzlichen Ablehnung von Technologie angesprochen, meint Bennholdt-Thomsen: „Weder die Stadt nochMaschinen sind in meinen Augen ein Unsegen, sondern es sind diese Städte und diese Maschinen.“ Zitiert aus: Veronika Bennholdt-Thomsen (2004): Ich kann die gegenseitigen Schuldzuweisungen von Stadt und Land nicht mehr hören! In: Aurora-Magazin, 15.9.2004. Im Netz unter: http://www.aurora-magazin.at/gesellschaft/land_bennholdt_frm.htm. Wie auch an manch anderem Aspekt zeigt sich hier eine grundsätzliche theoretische Schwäche des Subsistenzansatzes: Es wird teilweise sehr unscharf argumentiert.

[25Veronika Bennholdt-Thomsen, Maria Mies (1997): a. a. O. , S. 208.

[26A. a. O. , S. 139. Dennoch wurden im Rahmen des Subsistenzansatzes auch Überlegungen angestellt, wie die grundlegenden Postulate der Subsistenz – vor allem die Aneignung von Dingen und Strukturen, die für das Leben notwendig sind – auch auf Städte angewendet werden können. Vgl. dazu Veronika Bennholdt-Thomsen (2003): Wovon leben unsere Städte wirklich? Subsistenzorientierung statt Geldorientierung, in: Claudia von Werlhof, Veronika Bennholdt-Thomsen, Nicolas Faraclas (Hrsg. ): Subsistenz und Widerstand. Alternativen zur Globalisierung. Promedia Verlag.

[27Siehe Hans-Georg Backhaus (1997): Dialektik der Wertform. Untersuchungen zur Marxschen Ökonomiekritik. ça ira Verlag.

[28Siehe Moishe Postone (2003): Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft. Eine neue Interpretation der kritischen Theorie von Marx. ça ira Verlag.

[29Michael Heinrich (2001): Die Wissenschaft vom Wert. Die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie zwischen wissenschaftlicher Revolution und klassischer Tradition. Westfälisches Dampfboot; Michael Heinrich (2004): Kritik der politischen Ökonomie. Eine Einführung. Schmetterling Verlag.

[30Nadja Rakowitz (2000): Einfache Warenproduktion. Ideal und Ideologie. ça ira Verlag.

[31Siehe John Holloway (2003): Die Welt verändern ohne die Macht zu übernehmen. Westfälisches Dampfboot.

[32Siehe im Netz unter: http://www.krisis.org.

[33Vgl. in diesem Zusammenhang auch die detaillierteren Untersuchungen von Elmar Altvater (1997): Die Zukunft des Marktes. Ein Essay über die Regulation von Geld und Natur nach dem Scheitern des „real existierenden Sozialismus“. Westfälisches Dampfboot; sowie von Athanasios Karathanassis (2003): Naturzerstörung und kapitalistisches Wachstum. Ökosysteme im Kontext ökonomischer Entwicklungen. VSA Verlag.

[34Norbert Trenkle (1996): Weltgesellschaft ohne Geld. Überlegungen zu einer Perspektive jenseits der Warenform; in: krisis 18/1996. Im Netz unter: http://www.giga.or.at/others/krisis/n-trenkle_weltgesellschaft-ohne-geld_krisis18_1996.html

[35Robert Kurz (1997): Antiökonomie und Antipolitik. Zur Reformulierung der sozialen Emanzipation nach dem Ende des , Marxismus‘, in: krisis 19/1997. Im Netz unter: http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_antioekonomie-und-antipolitik_krisis19_1997.html.

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