ZOOM 1/1999
Januar
1999

NATO neutral

Anmerkungen zu Christian Helbocks NOTO Channel

Vor geraumer Zeit prägte ein Politiker die Formel „Neutral in die NATO“. Diese wurde seitdem vielfach abgewandelt. Etwa so: Als EU-Mitglied solle Österreich sich der NATO zugehörig fühlen, bei Konfikten außerhalb derselben aber neutral bleiben. Was aber, wenn sich die EU außerhalb ihres Territoriums militärisch engagiert, sind doch Einsätze „out of area“ der wesentlichste Unterschied für das österreichische Militär zwischen NATO-Zugehörigkeit und Neutralität? Oder auch: Die Neutralität solle dahingehend neu definiert werden, daß von Fall zu Fall abzuwägen sei, ob sich Österreich neutral verhält oder für eine Konfliktpartei Partei ergreift. Überfällt den Vegetarier der Gusto nach einem Schweinsbraten, hilft ihm die Neudefinition desselben als Gemüsestrudel aus der Misere. Da er sich dabei aber gehörig lächerlich macht, hinkt der Vergleich, denn der politische und mediale Diskurs über die österreichische Militär-, pardon: Sicherheitspolitik wird, wo immer man hinschaut, von Konstruktionen der erwähnten Art bestimmt. Ein Begriff von „Neutralität“, der, soferne nicht als „Mythos“ denunziert, um alles denkbar Konträre und selbst seine eigene Kontradiktion erweitert wird, taugt natürlich nichts. Der Schluß von der Untauglichkeit der definitorischen Deformation auf die Sache selbst ist dann nur mehr der letzte Schritt, um die Sache zu Ende zu bringen. Ein Begräbnis zweiter Klasse.

Dem gegenüberzustellen wäre eine Auseinandersetzung, die sich, etwa unter Rückblick auf die letzten fünfzig Jahre, zunächst die Frage nach dem realen Bestand der Begriffe „Neutralität“ und „NATO“ zu stellen hätte. Doch die geistigen Doppelsalti sind derart allgegenwärtig, daß mir das Bemühen schon gescheitert erscheint, bevor es noch begonnen wurde. So wird erwähnte Frage umgehend mit dem Hinweis als irrelevant eingestuft, die Neutralität sei ein Erbe des Kalten Krieges und daher heute hinfällig, ohne daß dieses daher auch nur im Ansatz argumentiert wird.

Wenn ich diese nun schon länger anhaltende Hilflosigkeit hier eingestehe, dann deswegen, um zu verdeutlichen, warum ich Christian Helbocks Unterfangen, sich einfach mit Kamera, Mikrofon und der einfachen Frage „NATO-Beitritt, ja oder nein?“auf die Straße zu stellen, sogleich als Versuch verstanden habe, diese Situation der Nichtauseinandersetzung hinten herum aufzubrechen – im sinne einer subversiven politischen Aktionsform.

NOTO Channel unterläuft das Gerede über Neutralität und NATO, wie wir es alle kennen. Wer bereit ist, zuzuhören, mehr noch den ausführlicheren Rohfassungen als den fertig geschnittenen Bändern, die oder der wird bald Bourdieu zustimmen, wie ihn Helbock in seinem Konzept zu NOTO zitiert (für alle Konzeptzitate siehe: http://www.t0.or.at/ noto/noto1.html):

Wenn man will, daß jemand, der nicht zu den Wortgewaltigen gehört, es schafft, etwas zu sagen (und oft sagt er dann ganz außerordentliche Dinge, Dinge, die diejenigen, die ständig das Wort führen, nicht einmal denken können), muß man ihn beim Sprechen unterstützen;

und hier vor allem dem in der Klammer Gesagten. Außerordentlich sind die Dinge nicht, weil sie so überzeugend sind, dies manchmal auch, außerordentlich sind sie, weil sie direkt sind und die Interessen hinter ihnen noch erkennbar. Was in den kurzen Interviews präsent wird, deckt sich oft so gar nicht mit dem medial Verlautbarten:

  • Da wird zB NATO vielfach mit Militär gleichgesetzt: NATO, das sind Soldaten, Neutralität hingegen jede nichtmilitärische Politik. So einfach scheint das. Ist es das vielleicht nicht?
  • Mulmig hingegen wird mir bei Stimmen pro Neutralität, die allzu sehr nach Abschottung, nach „mir san mir“ klingen. Vor allem bei älteren NATO-GegenerInnen tritt oft ein national geprägter Antiamerikanismus zum Vorschein, in dem die USA nicht als Befreier, sondern als Besatzungsmacht erinnert werden: „Irgendwann hat ein Staat alles in der Hand. Momentan ist das Amerika.“
  • Manche Argumente haben mich schlicht überrascht: Im Burgenland, da, wo österreichische Rekruten ihre Feldstecher und Sturmgewehre auf sogenannnte illegale Grenzgänger richten, war NATO gleich EU, EU gleich Osterweiterung, daher NATO schlecht. Noch schützt unser Heer uns vor den Fremden, aber wenn wir erst mal in der NATO sind ...

Ich könnte diese Aufzählung noch lange fortsetzen. Was mir an dieser Stelle wichtig erscheint, sind nicht die Argumente der Interviewten pro oder contra NATO, sondern, daß sie überhaupt argumentieren, eine Diskussion somit erst ermöglichen. Christian Helbock:

Einen breiten öffentlichen Diskurs, jenen zum Thema NATO, der weit und breit nicht geführt wird, zu führen, jene Abwesenheit anzusprechen, die aus diesem Gespräch bislang Abwesenden zum Sprechen zu bringen, diese ungestellte Frage jetzt zu stellen und die Stellungnahmen jenen vorzustellen, die nicht zur Stelle sind, ist mit Aufgabe dieses Projekts.

In einem Wortspiel setzt Helbock NOTO in Beziehung zu O-TON, FOTON usw. So, wie elektromagnetische Strahlung aus Lichtquanten zusammengesetzt ist, erhofft er sich eine „soziale Strahlung“, zu der sich die von ihm eingeholten Aussagen bündeln. Deswegen sind auch die fertigen NOTO-Bänder (bislang: Wien, Graz, Salzburg, Langenlois, Linz, Bregenz, Schlaining, Gmunden) zum Selbstkostenpreis zu beziehen:

Für die Sendung des NOTO-Programms ist ein Videorecorder und ein Monitor notwendig sowie ein mehr oder weniger öffentlicher Ort als Übertragungsraum. Gedacht ist z.B. an Büro-, Veranstaltungs- und Versammlungsräume von diversen Gruppen, ebenso an Installationen und Informationstische im Fußgängerbereich, an Geschäftsauslagen (mit Außenlautsprecher), an Kunstvereine, Galerien, Kultur- und Jugendzentren u.ä.

Darüber hinaus ist denkbar, daß Gruppen, Initiativen oder Einzelpersonen selbst auf die Straße gehen und NOTO-Bänder produzieren (siehe Kontaktadresse).

NOTO Channel ist ein work in progress. Wozu die ausgestrahlten Statements sich schlußendlich zusammenfügen werden, ist nicht absehbar. Den NATO-Beitritt Österreichs wird das Projekt nicht verhindern (das ist als Ziel zwar nicht formuliert, aber warum sonst hieße der Sender NOTO?). Wohl eine naive Vorstellung. Politische Bewegungen sind tot. Durch Medien ersetzt, die diese nicht tragen können, sind sie durch diese auch nicht wiederzubeleben. Doch ist es genau dieser Charakter als Medium, welchen NOTO Channel wirksam werden läßt. Als virtueller, von keinem Sendemasten ausgestrahlter Fernsehkanal bringt er, auch hierin wiederum subversiv, eine von eben jenen zugedeckte Wirklichkeitsebene zum Vorschein:

Günther Anders: „Wenn die Welt uns anspricht, ohne daß wir sie ansprechen können, sind wir dazu verurteilt, mundtot, also unfrei zu sein (...) Wenn sie uns vernehmbar ist, aber nur das, also nicht behandelbar, sind wir in Lauscher und Voyeurs verwandelt“. In NOTO wird der Versuch unternommen, Mundtote und Voyeure, in diesem medienkritischen Sinn, zu Sprechenden, also Akteuren zu machen. Fernseh-Konsumenten werden durch ihre Meinungsäußerung zu Produzenten von Inhalt.

Seine stärkste Wirkung entfaltete NOTO für mich, als ich zwei Tage lang selbst in die Rolle des Interviewers geschlüpft bin. In Schlaining, einem kleinen Ort im Burgenland, bekam ich von einem Arbeiter als Antwort: „Wozu brauche ich die NATO? Sag Du mir zuerst, warum ich dafür sein sollte. Ich brauche kein Militär.“ Eine simple Antwort, der ich weder etwas entgegnen konnte noch brauchte. So wird vielleicht, wenn NOTO seinen Sendebetrieb wieder eingestellt haben wird, vor allem dies bleiben: die Dokumentation von im Medienstrom verschütteten Stimmen, Stimmen derer, die durch das Medium NOTO für kurze Zeit von Voyeuren zu Akteuren wurden.

nächster Teil: NOTO KOSOWAR

NOTO Videoverleih
Christian Helbock
Hernalser Hauptstraße 36/26
1170 Wien
Telefon: ++43-1-403 81 00
Email: noto@t0.or.at
WWW: www.t0.or.at/ noto

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