Heft 7-8/2001 — 1/2002
Februar
2002

Politische Orientierungen der Studierenden an hessischen Hochschulen

Die im folgenden vorgestellte Untersuchung wurde 1996 abgeschlossen. Die Ergebnisse könnten deswegen veraltet erscheinen. Doch handelt es sich um breit erhobene Daten, die auf grundlegende Muster der Meinungsmilieus unter Studierenden hinweisen. Insbesondere neuere, allerdings nicht so intensive Befragungen der Konstanzer Arbeitsgruppe Hochschulforschung bestätigen diese Vermutung und lassen erkennen, dass es weiterhin und sogar zunehmend in der Studierendenschaft in Deutschland eine relativ starke Gruppe von rechts orientierten Studierenden mit nationalistischen und rassistischen Tendenzen gibt. Nach wie vor gilt, dass diese Gruppe nicht, wie manche erwarten könnten, rechtsradikal organisiert ist und als solche auftritt. Das aber macht den Sachverhalt als solchen keineswegs harmloser. Es gilt immer noch die Überlegung von Adorno aus den fünfziger Jahren, dass gefährlicher als die Feinde gegen die Demokratie die Feinde in der Demokratie sind. Das gilt auch für diese Kategorie rechter Studierender. Sie stellen ein Potential demokratieablehnenden Verhaltens dar, das mit um so besserem Gewissen auftritt, als es für sich in aller Patzigkeit und Großsprecherei in Anspruch nimmt, demokratisch zu sein und mit demokratischem Recht auch das einer freien und selbstbestimmten Praxis Entgegenstehende, die Zensur, die Repression, das Vorurteil, die Dumpfheit, die Heuchlerei, die Korruption und die Manipulation, auszuüben.

Die fremdenfeindlichen Attacken und Mordanschläge, die Pogromstimmung und die Hetzmeuten in der Bundesrepublik seit 1991 bestimmten und bestimmen immer noch die politische, publizistische und politische Diskussion über das Phänomen des Rechtsextremismus. Das öffentliche Bild war und ist geprägt von den aktuell etwa 6.000 gewaltbereiten Neonazis und Skins, die durch ihre spezifischen Symbole, die Glatze, die Reichskriegsflagge, den „deutschen Gruß“ und ihre brutalen Handlungsweisen die mediale Aufmerksamkeit fesseln. Es schien zunächst so, als handelte es sich um Jugendliche, die aufgrund ihrer miserablen sozialen Situation und Perspektive sich in die Gewalt flüchteten, aber alles nicht so meinten. Doch vieles von dem, was hier brutal und in kurzen Parolen gebrüllt wurde und wird, findet sich in feineren Formulierungen und subtileren Umgangsformen in allen sozialen Schichten. Der nuanciert auftretende Antisemitismus und die abwägende, sich mutig als freie Meinungsäußerung gerierende Fremdenfeindlichkeit lässt sich in großen meinungsbestimmenden Zeitungen wie in lokalen Anzeigenblättchen lesen, in akademischen Schriften finden oder dient in der Politik der autoritär-populistischen Stimmungsmache. Die Rechtsextremismusforschung weist deswegen darauf hin, dass sich der Blick auf die Konfiguration von materiellen Bedingungen und politischen Konstellationen, Einstellungen und Deutungsmustern in der Bevölkerung, auf Wähler- und Politikerverhalten, Organisationsnetzwerke und den Bereich zivilgesellschaftlicher Zusammenhänge, also die Zirkel von rechten Intellektuellen und ihre Praxis, die Zeitschriften und Verlage, die Musikszene und die Sportclubs richten muss. Denn es ist die gesellschaftliche Normalität, in der sich die rechtsextremen Orientierungen ausbilden.

Solche Überlegungen legen es nahe, auch die Hochschulen und die Studierenden näher zu betrachten. Auf den ersten Blick mag dies abwegig erscheinen. Denn seit der Protestbewegung der späten sechziger Jahre kann die Mehrheit der Studierenden an den deutschen Hochschulen als demokratisch und linksorientiert gelten. In jener damaligen demokratischen Aufbruchstimmung wie in den darauf folgenden neuen sozialen Bewegungen waren die Studierenden eine treibende Kraft, unkonventionelle politische Beteiligungsformen waren unter ihnen sehr verbreitet, der Campus wurde als ein Forum des gemeinsamen Experimentierens mit alternativen Lebensentwürfen und neuen, emanzipatorischen Lebens- und Verkehrsformen betrachtet.

Damit ging unverhofft etwas in Erfüllung, was in der hochschulpolitischen Diskussion der fünfziger Jahre von vielen Seiten gewünscht worden war. So bat der damalige Rektor der Universität Frankfurt, Max Horkheimer, in einer zum Wintersemester 1952/53 gehaltenen Immatrikulationsrede die Studierenden, mit kompromisslosem Willen an „einer besseren Einrichtung der Welt“ mitzuarbeiten und sich an der studentischen Selbstverwaltung in Fachschaften, StudentInnenparlament und Asta zu beteiligen [Horkheimer 1988, S. 418f]. Der Hintergrund für diese Aufforderung war, dass unter den StudentInnen und in vielen Studentenverbindungen in den zwanziger Jahren völkische, antisemitische und antidemokratische Orientierungen sehr weit verbreitet waren. Der zu Beginn der fünfziger Jahre beobachtete Mangel an politischem Engagement und der Zulauf zu den häufig nationalistisch orientierten und autoritär organisierten Burschenschaften ließ erneut, so wurde befürchtet, auf eine enorme Distanz gegenüber den demokratisch verfassten politischen Institutionen erkennen. Es bestand die Sorge, dass eine bedeutende Teilgruppe der Studierenden, aus denen sich die zukünftigen Eliten der Bundesrepublik rekrutierten, die Demokratie nur so lange akzeptieren würde, wie diese von wirtschaftlichem Erfolg getragen war. Ansonsten schienen jene Studierenden aber durchaus disponiert, eine schleichende Unterhöhlung demokratischer Spielregeln hinzunehmen und eine Diktatur zu unterstützen. Eine Ende der fünfziger Jahre durchgeführte Befragung kam zu dem Ergebnis, dass 66 Prozent der Befragten politisch nicht festgelegt seien und diejenigen, die auch im Fall einer Krise demokratisch handeln würden, eine Minderheit von 9 Prozent war, der eine Gruppe von 16 Prozent gegenüberstand, die als definitiv autoritär betrachtet werden konnte [vgl. Habermas u.a. 1961, S. 232].

Im Vergleich nun zu einer verbreiteten und intensiven studentischen Politisierung und Partizipation seit den Protesten der sechziger Jahre, in der die kritische Auseinandersetzung mit den autoritär-etatistischen Traditionen und den Fortwirkungen des Nationalsozialismus in der deutschen Gesellschaft eine entscheidende Rolle spielte, wird in den vergangenen fünfzehn Jahren ein deutlicher Rückgang des politischen und hochschulpolitischen Interesses und Engagements sowie eine allmähliche Veränderung der politischen Orientierung festgestellt.

Tino Bargel [1994] von der Konstanzer Arbeitsgruppe Hochschulforschung, die seit 1982/83 regelmäßige StudentInnensurveys durchführt, bezeichnet die Studierenden des ersten Drittels der neunziger Jahre als im Vergleich zu früheren StudentInnengenerationen konventioneller und pragmatischer, politisch apathischer und abstinenter, desinteressierter und gleichgültiger. Diese verbreitete Haltung gründe jedoch keineswegs in Zufriedenheit, sondern in Resignation. Ähnlich beobachtet auch Rainer Brämer eine Entpolitisierung der Studierenden und stellt einen Rückzug aus der institutionalisierten Politik auf allen Ebenen fest [vgl. Brämer 1993, S. 195]. Er betont allerdings, dass es sich nicht um das in Deutschland traditionell anzutreffende Muster des Unpolitischen handele, der letztlich antidemokratisch und rechtsorientiert sei. Ein nennenswerter Trend nach rechts sei nicht auszumachen. Ein Rückgang des politischen Interesses wird zwar von der 1995 im Auftrag der Zeit durchgeführten StudentInnenstudie bestritten. Doch bestätigt auch sie die abnehmende Bereitschaft, sich im Rahmen etablierter (hochschul-)politischer oder gesellschaftlicher Institutionen zu engagieren. Darüber hinaus aber stellt sie fest, dass ein gutes Viertel der Befragten sich in einer autoritären und antidemokratischen Gedankenwelt bewege [vgl. Infratest Burke 1995, S. 33f].

Die Entwicklung der Orientierungen der Studierenden ist also uneindeutig, Anlass zur Beunruhigung gibt es durchaus. Dies bestätigen auch einzelne Vorgänge. In einem an der Universität Münster durchgeführten Experiment wurde beobachtet, dass zahlreiche Studierende bereit waren, der Aufforderung Folge zu leisten, für „Ausländer“ und „Deutsche“ getrennte Eingänge in die Mensa zu benützen [vgl. FR vom 21.4.1994]. In Hochschulgebäuden ließen sich zahlreiche antisemitische und fremdenfeindliche Wandschmierereien feststellen. An der Universität Duisburg machte im November 1993 ein Nationaler Studentenbund Deutschlands — Kampfgruppe Duisburg mit einer schwarzen Liste von sich reden, die „volksschädliche Elemente“ und solche „Emanzen“ erfasste, die abgetrieben hatten. Von Mitarbeitern der Zeitschrift Junge Freiheit wurde an den Universitäten München und Mannheim eine studentische Liste LUST gegründet, die dem Kulturbolschewismus den Kampf ansagte. Aus dem Umfeld der Zeitschrift und in Zusammenarbeit mit großdeutsch orientierten Burschenschaften wird auch versucht, Lesezirkel, Diskussionsgruppen und jungkonservative Arbeitskreise zu organisieren. Die Junge Freiheit — die mit „Jedes Abo eine konservative Revolution“ für sich warb — ist Teil eines Netzwerks von rechtskonservativen Kreisen, Zirkeln und Zeitschriften, die das Projekt einer nationalen Revolution verfolgen [vgl. auch Greß 1993]. Innerhalb dieses Netzwerks hat sie ausdrücklich die Funktion, die Studierenden als Mitglieder der zukünftigen Eliten der Bundesrepublik für dieses Ziel zu gewinnen.

Es geht den Jungkonservativen darum, die von ihnen kritisierte linke Hegemonie an den Universitäten zu brechen, so dass die im Geiste der westlichen Demokratie und der Alliierten umerzogenen Studierenden wie frühere StudentInnengenerationen wieder national denken. In einem an der Frankfurter Universität verteilten Flugblatt eines Jungkonservativen Arbeitskreises hieß es zur Emeritierung von Jürgen Habermas: „Jahrzehntelang hast Du versucht, die reine Lehre der Umerziehung zu bewahren. Kein Wunder bei Deinem Faible für die amerikanische Krüppelphilosophie der Nachkriegszeit. Nation hast Du zum Unwort des Jahrhunderts gemacht.“ Gedroht wird mit einer tiefgreifenden Veränderung der Universitäten durch die Rechten. Wie sie erreicht werden soll, sagt ein anderes Flugblatt: Widerstand gegen die Diskriminierung von Eliten, gegen den Terror der 68er Opas, gegen die Linksextremisten und gegen die „AntiFa“.

Die Autoren der Jungen Freiheit — häufig Akademiker und Studierende — nehmen für sich in Anspruch, demokratische Rechte zu sein. Sie distanzieren sich von „Bierhallen-Chauvinisten“, rechtsextremen Kadern sowie kurzhaarigen Gewalttätern und versuchen, ein Lebensgefühl zu vermitteln, das sich auszeichnen soll durch die Bereitschaft zu nonkonformem, wagemutigem Denken, das aus dem Mainstream ausschert [vgl. dazu die Selbstdarstellungen in Bubik 1995]. Wenn sie von den Ideen der konservativen Revolution sprechen, meinen sie — ohne es so zu sagen — das faschistische Denken der zwanziger und dreißiger Jahre. Sie beziehen sich auf Schriften der Neuen Rechten und vor allem auf die Schriften Carl Schmitts, der mittlerweile den Ruf genießt, ein bedeutsamer Klassiker des politischen Denkens zu sein, obwohl er entschieden für eine völkische Staats- und Rechtsauffassung, die Beseitigung der Gewerkschaften und die Vernichtung der als Feinde des deutschen Volkes betrachteten jüdischen Deutschen und für eine imperiale Expansionspolitik Deutschlands eintrat sowie die diktatorische Willkür des Führers als Rechtssetzungspraxis verteidigte. Da die junge rechte Intelligenz aus den Universitäten kommt und auf die Studierenden einwirken will, stellt sich die Frage, ob die von ihr vertretene Mischung von oberflächlich-taktischen demokratischen Bekenntnissen und jungkonservativer Ideologie mit den für den Rechtsextremismus charakteristischen Elementen des Antidemokratismus, der elitären Haltung, des Nationalismus und des Rassismus unter den Studierenden verbreitet oder zustimmungsfähig ist? Auf alle Fälle kann nicht angenommen werden, dass sie nur von außen durch Propaganda an die Studierenden herangetragen wird.

In einer empirischen Untersuchung, die das Institut für Sozialforschung 1994/95 an den fünf hessischen Hochschulen durchgeführt hat, sollte diese Frage weiter geklärt werden. Einige der Ergebnisse dieser Studie möchte ich im folgenden darstellen [vgl. ausführlich Demirovic/Paul 1996].

Das Interesse der Studierenden an studentischer Politik ist gering. Etwa ein Viertel bekunden Interesse. Dem entspricht, dass die Beteiligungsquote an den Wahlen zu StudentInnenparlamenten an hessischen Hochschulen bei etwa 20 Prozent liegt und wohl noch weiter sinkt. Die Mitarbeit an den Gremien der studentischen Selbstverwaltung ist gering. Etwa zwei Prozent der Studierenden in Hessen sind in politischen StudentInnengruppen engagiert, knapp vier Prozent arbeiten in Fachschaften mit. Nur zwei Fünftel der Befragten äußern ein starkes politisches Interesse, das damit etwas weniger ausgeprägt ist als in der Bevölkerung im allgemeinen. Drei Viertel der Studierenden halten sich für teilweise oder sehr politikverdrossen. Die Politikverdrossenen befürworten häufiger als der Durchschnitt der Befragten das Ziel einer selbstorganisierten Gesellschaft und die Vorgabe, dass Demokratisierung nicht nur Mitbestimmung, sondern auch selbstbestimmtes Handeln meint. Es handelt sich bei der Politikverdrossenheit also nicht um Apathie, sondern eher um politische Politikdistanz und vor allem um eine Ablehnung der Parteien und des politischen Personals. Die grün-alternative Politikpräferenz schwächt diese Vorbehalte nicht, im Gegenteil neigen diejenigen, die sie haben, zu einem lockeren Engagement in Bürgerinitiativen und selbstorganisierten Gruppen. Die verfassungsmäßigen politischen Institutionen werden von der großen Mehrheit der Befragten (78 Prozent) bejaht.

Doch angesichts einer verbreiteten düsteren Zukunftserwartung vor allem hinsichtlich der Umweltzerstörung und einer zunehmenden sozialen Polarisierung aufgrund des Abbaus des Sozialstaats besteht vielfach eine Enttäuschung über die mangelnde Bereitschaft der Politik, Veränderungen herbeizuführen. Entsprechend groß ist die Zustimmung zu Reformen, die auf eine Erweiterung der Beteiligung an den politischen Entscheidungen zielen. Unter der Mehrheit der Befragten lässt sich eine Bereitschaft zur Förderung von Minderheiten, die Zustimmung zu sozialstaatlichen Maßnahmen für sozial Schwache sowie die Sympathie für gesellschaftliche Oppositionsgruppen wie Kernkraftgegner, Kriegsdienstverweigerer und Frauengruppen feststellen.

Ihrem Selbstverständnis nach nehmen die Studierenden, wenn sie sich auf der Links-rechts-Achse mit der Bevölkerung vergleichen, mehrheitlich (61 Prozent) eine Position links von der Mitte ein. Weder diese politische Positionsbestimmung noch die deutliche Wahrnehmung von sozialen und ökologischen Problemlagen führen allerdings zu eigenem Engagement. Wie in ausführlichen Interviews zum Ausdruck gebracht wird, stehen dem der Zeitmangel und die erwartete Einflusslosigkeit entgegen. Auch wird — realistisch oder nicht, für eine Demokratie ist es kein gutes Zeichen — befürchtet, dass politisches Engagement berufliche Nachteile mit sich bringen könnte. Viele setzen ihre Hoffnung auf einen staatlich herbeigeführten ökologischen Umbau der Industriegesellschaft und vor allem auf eine Verstärkung der „Kompetenz von Experten“ (64 Prozent). Die Konsequenzen für die demokratische Willensbildung und Kontrolle werden dabei nicht immer mitbedacht, ein dezisionistisches Moment lässt sich feststellen. Immerhin 30 Prozent der Befragten bejahen die Ansicht, dass eine starke politische Führung und/oder ein starker Staat zur Lösung politischer Probleme notwendig sei.

Die demokratische Orientierung eines Teils der Befragten ist also durchaus brüchig. Werden die Studierenden nach ihrem Verhältnis zu grundlegenden demokratischen Prinzipien befragt und die Zustimmungen auf vier Vorgaben zusammengefasst, so kann ein Viertel der Antworten als antidemokratisch, weitere 40 Prozent können als labil demokratisch bewertet werden. Nach ihren politischen Präferenzen beurteilt, antworten häufiger diejenigen antidemokratisch, die sich konservativen Richtungen zurechnen.

Für eine Einschätzung der antidemokratischen Orientierung unter Studierenden und der möglichen Erfolge der jungkonservativen Strategie ist auch von Bedeutung, dass etwa ein Viertel der Befragtengruppe der Notwendigkeit einer starken Führungselite zustimmt, häufig verbunden mit naturalisierenden Argumenten: die Individuen werden als passive Masse und kopflose Herde betrachtet, die von Führern geleitet werden muß. Festzustellen ist auch in diesem thematischen Zusammenhang eine von den in Einzelinterviews Befragten betonte Haltung, die beansprucht, sich mutig über gesellschaftliche Tabus hinwegzusetzen. Früher nämlich sei es nicht möglich gewesen, sich positiv über die Notwendigkeit einer starken Führung zu äußern — sei es wegen des Einflusses der ’68er-Revolution, sei es wegen der negativen Assoziationen, die der Elitebegriff mit dem NS-Regime verbinde. Nun sei es wieder möglich, etwas Neues zu denken. Demokratietheoretische Einsicht in die Problematik erscheint nun plötzlich als Manipulation, als Trick, während die Anpassung in die Macht als Erkenntnis und Eigenständigkeit des Denkens präsentiert wird.

Eine solche historisierende Neubewertung von gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen könnte sich mit einem Revisionismus der deutschen Vergangenheit insgesamt verbinden. Denn die Wiederbelebung eines positiven deutschen Nationenverständnisses und eine daraus folgende großdeutsche Politik wird nach Auffassung der Rechten — und wie die jüngsten Debatten nach der Rede Martin Walsers gezeigt haben, einer deutlich nach rechts verschobenen deutschen Öffentlichkeit, die selbst noch den Massenmord an den europäischen Juden noch instrumentalisiert, um das nationale Kollektiv herzustellen — blockiert durch ein schlechtes Gewissen, einen „nationalen Selbsthass“, der den Deutschen mit Hinweis auf NS-Verbrechen von den alliierten Siegern, ihren linken Helfern, dem Ausland und den Israelis eingeredet wurde. Deswegen halten sowohl die alten Rechten wie die Jungkonservativen es für geboten — wenn sie nicht ohnehin offen damit sympathisieren —, das NS-Regime nicht als die Konsequenz einer langen und in Teilen noch fortbestehenden gesellschaftlichen Dynamik in Deutschland zu verstehen, sondern als eine kurze Periode zu relativieren, die nicht weiterhin als negative Folie der deutschen Politik betrachtet werden dürfe. Es müsse vielmehr auf der einen Seite auf die geschichtliche Kraft des volkhaften Instinkts der deutschen Stämme zurückgegriffen werden, um die deutsche Einheit herzustellen, auf der anderen die selbstquälerische Vergangenheitsbewältigung beendet werden. Der Vorgabe „Unter die deutsche Vergangenheit gehört ein Schlussstrich“ stimmten 28 Prozent der Befragten zu. Interviews bestätigen, dass auch unter Studierenden eine Vielzahl der revisionistischen Argumente verbreitet sind, die in der rechten Ideologiebildung eine zentrale Bedeutung haben: die Rede davon, dass auch andere Völker und Nationen ihre Leichen im Keller haben oder dass sie nicht mehr bereit seien, sich vom Ausland ein schlechtes Gewissen einreden zu lassen.

Etwa die Hälfte derer, die einen Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit befürworten, stimmen auch einer Stärkung der nationalen Identität der Deutschen zu, nicht ganz so viele sind auch fremdenfeindlich orientiert. Insgesamt beträgt der Anteil derjenigen, deren Antworten eine deutliche fremdenfeindliche oder kulturrassistische Tendenz haben, 14 Prozent der von uns Befragten. Eine etwa ähnlich große Gruppe betrachten wir aufgrund ihres Antwortverhaltens als nationalistisch. Insgesamt, so lässt sich zusammenfassen, finden sich bei den Studierenden Orientierungen, die es erlauben, von einer bemerkenswert großen Gruppe zu sprechen, die auf rechte Ideologeme positiv ansprechen. 11 Prozent der Studierenden lassen sich als tendenziell autoritär und weitere vier Prozent als deutlich autoritär charakterisieren. Bei ihnen kommen in unterschiedlich stark ausgeprägter Weise die Ablehnung von Demokratieprinzipien, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit bzw. Rassismus zusammen. Als rechts sollen sie zunächst deswegen nicht bezeichnet werden, weil sie sich, von wenigen Ausnahmen abgesehen, auf der Links-rechts-Skala weitgehend in der rechten Mitte sehen. Dieser Gruppe der Autoritären steht allerdings eine Gruppe von 24 Prozent Demokraten und weiteren 20 Prozent tendenzieller Demokraten gegenüber. Diejenigen, die sich politisch kaum festlegen, besteht aus 25 Prozent. Auch wenn ein Vergleich zu den späten fünfziger Jahren nur mit großen Vorbehalten möglich ist, lässt sich doch festhalten, dass die Zahl der Unprofilierten sich deutlich zur Seite der Demokratie hin orientiert, während die Zahl der Autoritären sich nicht verändert hat.

Die Zahl autoritärer Studierenden entspricht etwa dem, was auch in der Wahlbevölkerung insgesamt beobachtet wird. Es wird angenommen, dass es unter den Wahlberechtigten etwa fünf Prozent „harte“ und 15 Prozent tendenzielle Rechtsextremisten gibt [vgl. Falter 1994]. Offensichtlich immunisiert die akademische Bildung nicht grundsätzlich, wie noch in den sechziger Jahren gehofft wurde, gegen antidemokratische Ideologeme. Bemerkenswert sind die festgestellten Werte für die Studierenden nach drei Hinsichten. Erstens handelt es sich bei den Studierenden mit autoritärer Tendenz in überwiegendem Maße um Männer. Im allgemeinen wird dieser Aspekt in der Diskussion zum Rechtsextremismus kaum in dem Maße beachtet wie er es verdienen würde [vgl. Demirovic 1997], denn sowohl die Ursachenanalyse wie Maßnahmen gegen Fremdenfeindlichkeit könnten hier spezifischer ansetzen. Zweitens sind autoritäre Ideologeme weniger häufig unter den Studierenden der Sozial- und Kulturwissenschaften zu finden — also in den Fächern, die sich seit Mitte der sechziger Jahre und der Hochschulreform in besonderer Weise verändert haben, durch die bildungspolitischen Restriktionen aber auch in besonderem Maße betroffen sind — sondern überdurchschnittlich häufig in den Fachgebieten Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften sowie Jura. Aus diesen Fächern wird in der Bundesrepublik nach wie vor das Führungspersonal der Verwaltungen, der Politik und der Wirtschaft rekrutiert. Es soll nun nicht behauptet werden, dass diese Fächer die Ursache für solche Orientierungen sind, doch immerhin lässt sich festhalten, dass die Fachausbildung auch nicht per se autoritäre Orientierungen neutralisiert, und dies um so weniger, wie sozialwissenschaftliche Komponenten in der Aufbildung keine Rolle mehr spielen. Können diejenigen, die autoritäre Orientierungen aufweisen, sich also aufgrund ihrer Studienwahl durchaus berechtigte Hoffnung darauf machen, zu den zukünftigen Verantwortungsträgern und meinungsbildenden Multiplikatoren der deutschen Gesellschaft zu gehören, so ist diese Hoffnung in ihrem Fall um so berechtigter, wenn drittens berücksichtigt wird, dass die Gruppe der Autoritären auch über ein beachtliches symbolisches Kapital verfügen muss, insofern sie häufiger aus Familien mit der höchsten Statusposition abstammen, ihr Elternhaus also akademisch geprägt ist und über hohe Einkünfte verfügt. Diese Tatsache weist ein weiteres Mal darauf hin, dass eine autoritären Orientierung, die tendenziell zu einer rechten werden kann, keineswegs auf die unteren Schichten der von Anomie Bedrohten begrenzt ist.

Zum Schluss möchte ich noch prüfen, wieweit eine solche autoritäre Orientierung zu einer komplexen rechten Position werden kann. Um dies zu bestimmen, wurde geprüft, wieweit das Antwortverhalten der Befragten spezifische Muster erkennen lässt. Die Antworten auf insgesamt 61 Vorgaben erlaubt es, modellartig acht Meinungsmilieus unter den Studierenden zu unterscheiden: linke Basisdemokraten (14%), linke Pessimisten (10%), unsichere Linke (16%), optimistische Linksliberale (18%), Unpolitische (9%), pluralistische Konservative (7%), Neokonservative (10%) und schließlich Rechte (13%). Das Meinungsklima an den Universitäten ist nach dieser Einteilung deutlich links, linksliberal und grün-alternativ geprägt. Doch gibt es in den linken Meinungsgruppen erhebliche Unsicherheiten in ihren Orientierungen. Bemerkenswert ist auf der anderen Seite, dass die Gruppe der Rechten doch relativ groß ist. In ihr findet sich fast die Hälfte der Autoritären und ein Drittel der tendenziell Autoritären. Als rechts wird diese Meinungsgruppe bezeichnet, weil sie den höchsten Anteil von Befragten versammelt, die sich in der rechten Mitte und rechts sehen. Für die Mitglieder dieser Gruppe haben beruflicher Aufstieg und ein hohes Einkommen überdurchschnittliche Bedeutung, ebenso fällt das Bekenntnis zu Führung und Leistung überdurchschnittlich aus. Dass Wettbewerb die Solidarität unter den Menschen zerstört, wird von ihnen besonders häufig bestritten. Die Unterstützung der Marktwirtschaft fällt bei dieser Gruppe besonders stark aus, die gegen den Sozialstaat gerichtete neoliberale Formel, Leistung müsse sich wieder lohnen, wird von über 90 Prozent dieser Gruppe befürwortet. Findet der Sozialstaat und die Förderung sozial benachteiligter Gruppen nur geringe Unterstützung, ist demgegenüber der Wunsch nach einem starken Staat sehr ausgeprägt, und die innere Sicherheit wird überdurchschnittlich häufig als bedroht empfunden. Wie auch in anderen Untersuchungen zum Rechtsextremismus [vgl. Rippl u.a. 1998] führen diese Beobachtungen zu dem Ergebnis, dass eine starke Marktorientierung mit weiteren Orientierungen wie Durchsetzungswille, der starken Befürwortung von Leistung und Konkurrenzbereitschaft, Ablehnung sozialer Gleichheit und vordemokratischer Befürwortung von Sicherheit und Ordnung und eines starken Staates verbunden ist. Es handelt sich um in die Marktgesellschaft eingelassene selbstdestruktive Tendenzen, die gefährlich werden können, wenn sie sich gerade unter denen, die potentiell zu den Eliten der Gesellschaft gehören, ungehemmt entfalten können. Bemerkenswert an dieser Gruppe der Rechten ist schließlich noch, dass sie sich politisch überdurchschnittlich interessiert zeigt und zu einem starken Engagement in Parteien neigt. Das Handlungspotential ist in dieser Gruppe also erheblich. Dies erklärt möglicherweise auch das während des studentischen Streiks im Herbst 1997 zu beobachtende Phänomen, dass bei einer insgesamt breiten Streikbereitschaft die Streikziele und -formen doch sehr unterschiedlich waren: einem Teil der Studierenden ging es allein um eine Effizienzsteigerung ihres Studiums, die Professoren wurden für ihre zu starke akademische Orientierung kritisiert, die Universitätsleitungen dafür, nicht die relevanten Ausbildungsfächer wie Wirtschaftswissenschaften und Jura zu stärken, es gab — zumindest in Frankfurt — durchaus die Bereitschaft, die Polizei gegen die ebenfalls streikenden Kommilitonen an die Universität zu rufen; ein anderer Teil der Studierenden betonte hingegen eher den Mangel an wissenschaftlichen Inhalten und die resignative und larmoyante Haltung vieler Hochschullehrer, beklagt die Überlastung der Hochschulen und die Ungleichgewichte der öffentlichen Haushalte, die zu einer systematischen Benachteiligung der Bildung geführt hatten. Es zeichnet sich ab, dass sich die Studierenden polarisieren, ohne dass dies ihnen selbst bewusst wird, weil sie aufgrund von Erwerbsarbeit, Studien- und Wohnverhalten sowie sich fremd bleibenden Fachkulturen auf dem Campus kaum in Berührung kommen. Verstärkt wird dies durch den Mangel an öffentlichen Diskussionen, der bedingt ist durch das deutlich gesunkene politische Engagement der Studierenden und verstärkt wird durch starke und juristisch sanktionierte Vorbehalte gegenüber dem politischen Mandat der Studierendenschaften.

Literatur:

  • Bargel, Tino, 1994: Student und Politik im vereinten Deutschland, Bonn (hrsg. vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft)
  • Brämer, Rainer, 1993: Studis in Vakuum; in: WSI Mitteilungen 4
  • Bubik, Roland, 1995: Wir ’89er. Wer wir sind und was wir wollen, Berlin
  • Demirovic, Alex/Paul, Gerd, 1996: Demokratisches Selbstverständnis und die Herausforderung von rechts. Student und Politik in den neunziger Jahren, Frankfurt - New York
  • Demirovic, Alex, 1997: Die Kategorie Geschlecht und rechte Ideologeme unter Studierenden; in: Barbara Danckwortt/Claudia Lepp (Hg.), Von Grenzen und Ausgrenzung, Marburg
  • Greß, Franz, 1993: Die Neue Rechte — Zur ideologischen Erneuerung der Rechten in Europa; in: Forschung Frankfurt 1/1993
  • Infratest Burke, 1995: Student ’95. Eine repräsentative Umfrage von Infratest Burke GmbH Berlin im Auftrag der Wochenzeitung Die Zeit, Hamburg, Hamburg/Berlin
  • Falter, Jürgen W., 1994: Wer wählt rechts?, München
  • Habermas, Jürgen/Friedeburg, Ludwig v./Oehler, Christop/Weltz, Friedrich, 1961: Student und Politik, Neuwied
  • Horkheimer, Max, 1988: Begriff der Bildung; in: ders.: Ges. Schriften, Bd. 8, Frankfurt am Main
  • Rippl, Susanne/Boehnke, Klaus/Hefler, Gerd/Hagan, John, 1998: Individualistische Werthaltungen und rechtsextreme Einstellungen; in: Politische Viertelsjahresschrift, Dezember 1998, H. 4
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