FŒHN, Heft 23+24
 
1997

Pressefeilheit

(Foto: Standard, 7.12.1995)

Öffentlich an den Pranger gestellt hat der Bundespräsident mehr als zwanzig Journalisten „in Würdigung Ihres großen Engagements und der besonderen Qualität Ihrer Arbeit“ im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt Österreichs. Von Hubertus Czernin (Profil) bis Wolfgang Fellner (News), von Erhard Stackl (Standard) bis Andreas Unterberger (Presse), und von Paul Schulmeister (ORF) bis zu Hans Rauscher (Kurier) laufen sie jetzt für immer gebrandmarkt unter uns herum, allen kenntlich gemacht mit Goldenen und Silbernen Regierungsplaketten. Und damit dem ewigen Gespött preisgegeben durch das, was sie geschrieben haben, und mehr noch durch das, was sie nicht geschrieben haben. Über den Gelben Journalismus in Österreich ist das Wesentliche bereits in Heft 17 („Drucken wie gelogen“) gesagt. Beim Beitritts-Manöver ist auch noch das, was dort zwischen den Zeilen gestanden ist, tausendfach bestätigt worden. Jedes Wort, das hier noch gesagt würde, täte von dem, wie es vor der Volksabstimmung war, etwas weg. Weil die Worte, die das Deutsche hat, dafür zu klein sind, würden sie das Verbrechen verkleinern. Und nur umso mehr, je mehr man davon verwendete. Etwa wenn News 1993 in einem News Spezial mit dem Titel „Streitfall EG“ den damaligen Landwirtschaftsminister und heutigen EU-Kommissar Franz Fischler als vehementen Befürworter ein „News-Streitgespräch“ über den Beitritt mit dem damaligen EG-Botschafter in Wien, C. Pirzio-Biroli, als ebenso vehementen Befürworter führen läßt, der seit 1994 Fischlers Kabinett-Chef in Brüssel ist. Oder wenn im Kurier auch noch auf der Psycho-Seite in der Beziehungs-Ecke der EG-Anschluß eingeflüstert (z.B. 22.1.93 und 23.1.93) und auf der Leichter Leben-Seite in der Gourmet-Spalte (z.B. 19.2.92 und 11.1.93) eingeflößt wird. „Die Leser des Kurier“, schreibt Chefredakteur Rauscher nach seinen 279 Leit-Artikeln, „waren ursprünglich keineswegs mehrheitlich pro EU-Beitritt, wurden dann aber im Laufe der Zeit durch die redaktionelle Linie überzeugt.“ (14.6.94) „Rund 75 Prozent stimmten mit ‚Ja‘“ (15.6.94). Was soll man dazu sagen? Hoch Ceausescu! Lang lebe der Conducator! Dabei waren ursprünglich nicht einmal die Redakteure des Kurier mehrheitlich dafür, wurden dann aber im Laufe der Zeit ‘überzeugt’. Motto: Wie man sich bettet, so lügt man. Der Herausgeber von „Der Österreichische Journalist“ (3/1994) kommentiert es so: „Man kann zur EU stehen, wie man will. Wie die Berichterstattung zu diesem Thema vor der Volksabstimmung gelaufen ist, muß uns aufschrecken. Wie sich allen voran der Kurier angebiedert hat, nein: in schlimmster Form prostituiert hat, läßt mich grausen.“

Weil eine jede ans Licht gezerrte schauderhafte Kronenzeitungs-Geschichte („Neutrales Österreich willkommen!“, 9.6.94) ablenken würde von den hunderten nicht ans Licht gezerrten schauderhaften Kronenzeitungs-Geschichten, fangen wir uns das gar nicht an. Wenn der Herausgeber der Kronenzeitung selbst sagt: „Durch die Greuelmärchen der EU-Gegner waren wir gezwungen, in den letzten zwei Wochen vor der Abstimmung den Boden der Objektivität zeitweise zu verlassen.“ (Ö 1 - Medien-Journal, 17.6.94), dann - - - nix dann! Wir wollen uns hüten, daraus eine Sensation zu machen. Es ist nichts als pure Normalität! Z.B. wenn Wolf Martin, der Ende 1993 noch reimt: „Mich macht Europa bange / wir einen uns zum Untergange“, schon Anfang 1994, seinem Herausgeber, der am 1.1.1994 die Richtung gewechselt hat, mit seinen Versen wie immer dicht auf den Fersen, dann in Bezug auf die EU doch aufatmen kann: „und daß zum ‘Ja’ für sie man finde, / gibt es so manche guten Gründe“.

Einen nennt das deutsche Handelsblatt: „Bundeskanzler Vranitzky hat dem weltgrößten Boulevard-Blatt Kronen-Zeitung dessen EU-Opposition mit dem Zugeständnis einer Privat-Fernsehstation ‘abgekauft’“ (3.3.94). Diese Geschichte vom TV-Kanal wird zu oft dementiert, um nicht wahr zu sein. Aber sie wird auch zu oft herumerzählt, um schon die ganze Wahrheit zu sein. Ich denke, man muß sich den Handel viel schmutziger vorstellen. Was wird es da erst alles hinterrücks gegeben haben, wenn Dichand seit der gelungenen Volksabstimmung offen schon ein eigenes Kolporteurs-Gesetz (Lex Dichand) und eine GSM-Netz-Beteiligung und drei Privatradio-Beteiligungen zum Geschenk gemacht wurden!

Journalisten kann man einkaufen wie Fußballer. Die Bundeswirtschaftskammer hat für ihre Beitrittskampagne von Profil dessen stellvertretenden Chefredakteur Voska gekauft, von der Furche deren Chefredakteur Feichtlbauer und von der Wirtschaftswoche dessen Chefredakteur Freihofner. Peter Stöger, der vorher im Spiel Innsbruck gegen Rapid in die eine Richtung gelaufen ist, läuft jetzt bei Innsbruck gegen Rapid für ein bißchen mehr Geld in die andere Richtung. Wenn wir etwas, was ganz normal ist, zum Außergewöhnlichen aufbauschen, weiß unser Verstand nichts mehr damit anzufangen. Es ist ja auch ganz normal, daß z.B. beim Europa-Forum der Vranitzky-Sekretär Krammer im ORF-Übertragungswagen gesessen ist. Und daß, wie ein Fernseh-Journalist erzählt, Franz Hlavac (Goldenes Verdienstzeichen der Republik) und Waltraud Langer (Goldenes Verdienstzeichen der Republik) dort eine „von Intendant Kunz eingerichtete Zensur-Stelle in Sachen EU“ waren, über deren Tisch jeder Beitrag zum Thema EU zu gehen hatte.

Brauchen wir eine Pressevielfalt? Für große Wohnungen die Presse, für kleine die Kronenzeitung, zu rustikaler Einrichtung die Tiroler Tageszeitung und zu IKEA-Möbeln den Standard? Wenn es nicht diese vom Staat hochsubventionierte Pressevielfalt gäbe, gäbe es womöglich Meinungsvielfalt. Daher muß es unbedingt diese vom Staat hochsubventionierte Pressevielfalt geben (EU-Einheiz-Presse im Bild v.l.n.r.: Presse, Standard, Kurier, TT, SN vom 12.11.94)! Früher, so geht die Rede, habe man für den Souverän, Kaiser Franz Joseph, eigene Zeitungen drucken lassen, damit dieser nicht erfahre, was wirklich vorgeht. Heute, das ist die Realität, läßt man für den Souverän, das Volk, ...

Was vor dem 12. Juni in den österreichischen Tageszeitungen gestanden ist? Antwort: Hinter ihnen standen 1993 wie 1994 jeweils 240 Millionen S allein an direkter Presseförderung. Wieviel die Zeitungen an der vielleicht 1-Milliarde-teuren Beitrittskampagne mitgeschnitten haben, hat uns noch keine berichten wollen. Aber wie sich die Gelben seit 1991 die Finger wundgetippt haben für die Erhöhung des Werbebudgets, das zu einem guten Teil in Zeitungsanzeigen, Rundfunkspots und Fernsehwerbung verjubelt wurde, haben wir selber gesehen. Man mag sich die Medien so gerne als Kontrollore der Mächtigen vorstellen. Aber sie sind nichts anderes als deren übers ganze Land verstreute Lautsprecher.

Wozu Summen nennen? Wozu Namen anführen? Wozu Episoden erzählen? Als wäre das, was geschieht, von einer Zahl, von einer Person, von einer Begebenheit abhängig! Gestern hießen die Rauscher und Kunz und Dichand, von denen wir reden, nicht Rauscher und nicht Kunz und nicht Dichand, und morgen werden sie wieder nicht Rauscher, Kunz, Dichand heißen. Aber es wird immer noch Rauscher und Kunz und Dichand geben, und jede Menge Schiejok und Bronner und Fellner und Rabl und Nagiller obendrein. Wenn wir das, was diese und andere Figuren für die rücksichtslose Abwicklung des beschlossenen EU-Anschlusses getan haben, als Charakterfehler von Menschen ansehen, dann verdammen wir uns selbst dazu, daß das, was bei dieser Abstimmung mit uns passiert ist, noch oft mit uns passieren kann.

Man kann sich ein Land vorstellen, das zum Beispiel keine ÖVP hat, keine VÖI, keine ÖGfE, kein News und keinen ORF, keinen Kienzl und keinen Krejci, kurz, alles das nicht, was in diesem Heft mit seinem Namen so groß herausgestrichen ist. Und wo trotz alledem das Volk perfekt abgestimmt wird. Dort heißen Kronenzeitung, Presse, Kurier und Standard Ekstra Bladet, Politiken, Berlingske Tidende und Jyllands-Posten. Der Franz Hlavac ist dort der Hans Lambsvik und die Conny Bischofsberger wird dort von der Kate Bluhme gegeben. Dort sind 44 der 45 Tageszeitungen - ganz ohne Ceska, Verzetnitsch, Vranitzky, Mock auf dem von Industrie, Gewerkschaften und Großparteien vorgegeben Ja-Kurs. Das Land heißt Dänemark. Und die Zustimmung, die dort am 18. Mai 1993 von der eigenen Bevölkerung erpreßt wurde, war die zum Maastricht-Diktat der EG. Mit Personen hat das ganze hier wie dort nichts zu tun. Nur mit dem System, das hier wie dort hinter ihnen steht.

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