Grundrisse, Nummer 43
September
2012

Richard Müllers Geschichte der Deutschen Revolution

Die Novemberrevolution — Der Bürgerkrieg in Deutschland Berlin: Die Buchmacherei, 756 Seiten, Euro 24,85.

Editorische Notiz

Als vor vielen Jahren einige Gruppen in München der Revolution in Bayern gedachten, hatten mich einige Zuhörer diverser Veranstaltungen gefragt, welches Buch ich denn über die Deutsche Revolution nach dem 1. Weltkrieg empfehlen könne, da fiel mir ohne zu Zögern Richard Müllers dreibändiges Werk ein. Aber bereits damals war die 1979 bei Olle & Wolters erschienene Auflage vergriffen und die Bücher nur antiquarisch oder in Bibliotheken zu bekommen. Um so erfreulicher ist es, daß sie wieder neu aufgelegt und in einem Band vereinigt wurden.

Richard Müller war in der Weimarer Republik bei KommunistInnen und SozialistInnen kein Unbekannter. Als Vorsitzender des Vollzugsrats der Arbeiter und Soldatenräte, der nach dem Rücktritt des Kaisers Anfang November 1918 die höchste Legitimität des Deutsches Reiches bis zum Zusammentritt des Reichsrätekongresses in der dritten Dezemberwoche für sich in Anspruch nahm, war er aktiv an der Gestaltung der deutschen Geschichte beteiligt. 1924 schrieb er seine Aufzeichnungen nieder, obwohl noch in lebendiger Erinnerung an die bewegende Zeit, schreibt und analysiert er die geschichtlichen Ereignisse und verfaßt keine Rechtfertigung der eigenen Rolle, wie viele seiner Zeitgenossen wie z. B. Emil Barth, Curt Geyer oder Ernst Toller. Richard Müller macht keinen Hehl daraus, daß er die Seite des Proletariats ergreift, und von dieser Sicht aus versucht, eine objektive Darstellung ihrer Geschichte und Kämpfe zu geben. Erhard Lucas wird diese Herangehensweise viele Jahre später objektive Parteilichkeit nennen.

Das Buch selbst bestand ursprünglich aus drei Teilen. Band 1 behandelt die Vorgeschichte, bzw. die Frage, wie es überhaupt zu einer Revolution kommen konnte und kam und erinnert u.a. an die großen Streiks im Gefolge der Brester Verhandlungen im Januar 1918, die so unterschiedliche Sozialisten wie Karl Liebknecht und Kurt Eisner (der spätere Ministerpräsident Bayerns) gerne zu einem revolutionären Umstand fortentwickelt gesehen hätten. Im zweiten Band erzählt er die Geschichte vom Umsturz, d.h. der Vertreibung des Kaisers, der Bildung des Vollzugsrats und des Rat der Volksbeauftragten bis zum 1. Reichsrätekongresses. So gehört es zu den spannendsten Dingen, von Arbeiter- und Soldatenräten zu hören, von Organen, worin die arbeitenden Menschen beginnen, sich selbst zu organisieren und ihre eigenen Interessen zu formulieren, ja zu erfahren, daß das Auf und Ab der revolutionären Bewegung in unmittelbaren Zusammenhang mit der Ausbreitung und dem Zurückdrängen der Räte in Zusammenhang steht. Diesem zweiten Band gab Müller den Untertitel „Die Novemberrevolution„, wobei er keinen Zweifel daran läßt, daß die Revolution einen längeren Zeitraum umfaßt. Dies wird im dritten Band deutlich, den er in Anlehnung an Marx „Bürgerkrieg in Deutschland„ betitelt. Hierein zählt der sogenannte Januaraufstand 1919, die großen Streikbewegungen im Mitteldeutschland und im Ruhrgebiet sowie die Räterepubliken in Bremen und München der ersten Hälfte des Jahres 1919. Nicht unerwähnt bleiben darf Müllers klare Darstellung der Zusammenarbeit führender VertreterInnen der Sozialdemokratie mit Großindustriellen und der Reichswehr, dessen Führungsoffiziere sich wie das Who is Who der späteren Nazigranden liest.

Auch fehlt es ihm nicht an kritischer Distanz zur Revolution, das Proletariat sei dem Irrtum erlegen, im Besitz des Staates zu sein und habe dabei versäumt, die politische Macht an sich zu reißen, den Staatsapparat zu zerschlagen und ein wirkliches, weil demokratisch von unten nach oben errichtetes Rätesystem an dessen Stelle zu etablieren.

Selbstverständlich sind manche Äußerungen auf dem Hintergrund heutiger Geschichtsforschung so nicht mehr aufrecht zu erhalten, aber als packende Gesamtschau der revolutionären Prozesse dieser Zeit wird das Werk Müllers seinen festen Platz in der Geschichtsschreibung behalten.

Richard Müller: Eine Geschichte der Novemberrevolution vom Kaierreich zur Republik

Kommentar von Peter Haumer

In den frühen zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderst im Malik-Verlag [1] bzw. im Eigenverlag erschienen, in den siebziger Jahren von dem westberliner Verlag Olle&Wolter wiederverlegt, nahm sich jetzt die kleine „Buchmacherei“ in Berlin dieses vergessenen historischen Textes an und brachte ihn als Neuauflage im Oktober 2011 wieder auf den Büchermarkt. Damit ist eines der wichtigsten Werke zur deutschen Novemberrevolution 1918, wenn auch nur in bescheidener Auflage, wieder erhältlich. Wichtig vor allem deshalb, weil es von dem „Mann hinter der Novemberrevolution“ [2] geschrieben worden ist, was auch den besonderen Reiz dieses Buches ausmacht. Der folgende Beitrag ist daher keine herkömmliche Buchbesprechung; aber er beabsichtigt lautstark die Werbetrommel für das Buch zu schlagen. Es wurde von Richard Müller so geschrieben, als ob er zu diesem revolutionären Prozess keine persönliche und damit enge Bindung gehabt hätte (so spricht er zum Beispiel von sich konsequent in der dritten Person), obwohl er tatsächlich davon nicht zu trennen ist. Daher soll im folgenden über „Eine Geschichte der Novemberrevolution“ geschrieben werden, indem über Richard Müller und sein nächstes politisches Umfeld geschrieben wird, um aufzuzeigen, welch hohen Stellenwert es hat, dass genau dieser Mann „Eine Geschichte der Novemberrevolution“ geschrieben hat.

Wer war nun dieser „Mann hinter der Novemberrevolution“, der ein mehr als 700 Seiten umfassendes Opus darüber hinterlassen hat? Richard Müllers Geschichte der Novemberrevolution beschäftigt sich ausführlich mit ihrer Vorgeschichte, dem Antikriegswiderstand gegen den Ersten Weltkrieg, ausgehend von der USPD, der Spartakusgruppe und Müllers eigener Organisation – den Revolutionären Obleuten.

Die Revolutionären Obleute entstanden vor allem in Berlin als Teil der Opposition im Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) gegen die Burgfriedenspolitik der Gewerkschaftsführung während des 1. Weltkrieges (1914-1918) aus den Betrieben und Gewerkschaftsversammlungen heraus. Ab 1916 konnte der Vorstand des DMV die Opposition innerhalb der Gewerkschaft nicht mehr ignorieren und unterdrücken, denn auch außerhalb Berlins entstanden Oppositionsgruppen. Nach der Bildung der USPD 1917 [3] schlossen sich die Revolutionären Obleute der USPD an, ohne jedoch ihre politische Selbständigkeit aufzugeben. Sie bezogen ihre Stärke aus den Betriebsbelegschaften, aus denen sie hervorgegangen waren, in ihnen waren sie verankert, ihnen alleine waren sie verpflichtet. Durch diese Verankerung in der Basis der ArbeiterInnenklasse gelang es den Obleuten in ihren Aktionen und Losungen die Stimmungen und Wünsche der Massen im Betrieb wiederzugeben. Aus dieser engen Beziehung mit den Betriebsbelegschaften entstanden im Verlauf der revolutionären Aueinandersetzung immer wieder Differenzen mit der USPD und der Spartakusgruppe um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, die in geringerem Maße mit der ArbeiterInnenschaft verbunden waren als die Obleute.

Ausgegangen war die Obleutebewegung von 50 bis 80 Vertrauensleuten von Berliner Großbetrieben. Um diesen Kern bildete sich ein loser Zusammenschluss von Vertrauensleuten aus weiteren Betrieben. In der Zeit um die Novemberrevolution umfasste die Obleutebewegung einige tausend Vertrauensleute. Richard Müller war einer der zentralen Sprecher der Obleute und er beschreibt den Organisationsaufbau auf Seite 134 seines Buches: „Das Gebilde der Revolutionären Obleute, wie es am Vorabend der Revolution bestand, ist nicht als fertiges Produkt dem Geist irgendeines klugen Führers entsprungen, sondern entwickelte sich während des Krieges aus den sozialen, politischen und militärischen Verhältnissen heraus. Es entstand auf einer organisatorischen Basis, die sich an die Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung anlehnte.“

In der Politik der Revolutionären Obleute verwirklichte sich die vorhandene Spontanität der ArbeiterInnenschaft sowohl in einer eigenen Organisation, wie in der selbstorganisierten und selbstbestimmten betrieblichen und politischen Aktion. Hinzu kam, dass die Obleutebewegung, obwohl die meisten der Obleute der USPD angehörten, ohne den leitenden Einfluss einer Partei bestand. Adolf Brock beschreibt in dem Buch „Die Betriebsräte in der Weimarer Republik“ [4] die Obleutebewegung:

Die Basis des Zusammenschlusses der Obleute oder der selbstgesetzte Organisationsrahmen war die Betriebsbelegschaft, die durch den Arbeits- und Produktionszusammenhang bestimmt war. Die gewählten Vertreter der Arbeiter waren so immer ihrer Basis präsent. Durch diesen dauernden Kontakt mit den Kollegen konnten die Entfremdungserscheinungen und Verselbständigungstendenzen, denen die Partei- und Gewerkschaftsführungen weithin erlegen waren, erst gar nicht aufkommen. Gestützt auf das Vertrauen ihrer Wähler, gleichzeitig bereit, jederzeit abgewählt zu werden, immer ausgehend von der Praxis und mit den Arbeitern aufgrund ihrer Funktion als Vorkämpfer und Sprecher bei der Durchsetzung der gewerkschaftlichen und politischen Forderungen der Kollegen, stellten die Revolutionären Obleute als Organe demokratischer Willensbildung zugleich die geeignete Plattform der Opposition gegen Krieg und Burgfrieden und für die Durchsetzung des Sozialismus dar.

Die Revolutionären Obleute sind bis heute das einzige Beispiel in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung geblieben, deren Bewegung sich direkt aus dem Proletariat ohne intellektuelle bürgerliche Führung herausbildete, entfaltete und als proletarische oder Arbeiterorganisation politisch wirksam geworden ist.

Diesem Herkommen aus der Arbeiterschaft und ihrer Einbindung in die Arbeiterschaft ist es zuzuschreiben, dass die Obleutebewegung als reine Arbeiterbewegung sich zunächst auf die Kampfmethoden beschränkte, die sie kannte und erprobt hatte: Streiks, Demonstrationen und Massenstreiks.

Aber als sie erkannten, dass mit Massenstreiks alleine kein Kriegsende erzwungen werden kann, weil dieses den Sturz des kaiserlichen Regimes zur Voraussetzung hat, schreckten sie nicht davor zurück die Revolution als Mindestforderung anzuerkennen und an deren Realisierung mitzuwirken – mit dem Ergebnis der Novemberrevolution.

Richard Müller war bis 1920, als er sich mit dem linken Flügel innerhalb der USPD der KPD [5] anschloss, Mitglied der USPD. In derselben USPD war Eduard Bernstein [6] bis März 1919 ebenfalls Mitglied. Danach kehrte dieser, nachdem er bereits im Dezember 1918 wieder der MSPD beigetreten war und damit eine provokante Doppelmitgliedschaft hatte, der USPD endgültig den Rücken. Bernstein war ein Gegner des Rätegedankens und er vertrat die Notwendigkeit die deutsche Novemberrevolution in ein bürgerliches Fahrwasser überzuleiten. Bernstein schrieb ebenfalls ein Buch über „die deutsche Revolution von 1918/19“. [7] Es ist 1921 erschienen und wurde 1998 nach mehr als einen dreiviertel Jahrhundert als kommentierte Neuausgabe wieder vorgelegt. Als Bernstein in diesem Buch den ersten Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands (16.12.1918 – 21.12.1918) in Berlin beschreibt, verliert er einige Worte über die Person des Richard Müller: „Müller, der lange Jahre Führer der Opposition in der Ortsgruppe Berlin des Deutschen Metallarbeiter-Verbands gegen dessen Leitung gewesen war, entwickelte in der Revolution einen Zug zum Fanatiker. In einer Sitzung des Vollzugsrates (der am 10.November vom Groß-Berliner Arbeiter- und Soldaten-Räte gewählt worden war, Anm. des Verf.) hatte er ausgerufen, nur über seine Leiche gehe der Weg zur Nationalversammlung, was ihm bei seinen Widersachern den Spottnamen Leichenmüller eintrug. Sein Referat, das er mit den Worten einleitete, es sei ihm unmöglich, den Bericht objektiv zu geben, war eine leidenschaftliche Anklage gegen den Rat der Beauftragten. [8] Er beschuldigte diesen, dem Bestreben des Vollzugsrates, die Errungenschaften der Revolution sicherzustellen und in die Praxis zu überführen, bei jeder Gelegenheit Widerstand entgegengesetzt zu haben, und klagte ihn an, dass er nichts getan habe, das reaktionäre Element in den Reichs- usw. Ämtern durch auf dem Boden des Neuen stehende Personen zu ersetzen. Ebenso stehe es mit der Heeresleitung und Heeresverwaltung. Die zurückgekehrten Frontsoldaten habe man nicht auf die sozialistische Republik, sondern nur auf die Republik schlechthin, nicht auf den Vollzugsrat, der doch die Souveränität des Volks durch die Arbeiter- und Soldatenräte darstelle, sondern auf den Rat der Volksbeauftragten vereidigt.“ [9]

Im Deutschland der Novemberrevolution wurde der Konflikt zwischen dem Lager der proletarischen Machtübernahme in Form der Rätedemokratie und dem Lager der bürgerlichen Konterrevolution, die sich rund um die Losung nach der Nationalversammlung scharte, zur alles entscheidenden Frage. Richard Müller war einer der vehementesten Vertreter des Rätegedankens. Für Eduard Bernstein, dem Anhänger der schnellstmöglichen Wahl zur Nationalversammlung , daher ein Fanatiker. Doch er war alles andere als ein Fanatiker, sondern er konnte – aufrund seiner sozialen und politischen Stellung – wahrnehmen, wie der Inhalt und die Form des proletarischen Massenkampfes in Folge der Entwicklungen im Zusammenhang mit dem Weltkriege sich verändern sollten. Und er wurde zum Sprachroht dieser Entwicklung! In dem 1921 erschienen Sammelband „Die Befreiung der Menschheit – Freiheitsideen in Vergangenheit und Gegenwart“ beschreibt Richard Müller das Werden des Rätegedankens in Deutschland:

Als sich im November 1918 in Deutschland die neue proletarische Kampforganisation in den Arbeiterräten bildete, da bezeichnete man diese als die Nachahmung „bolschewistischer Methoden“. Diese neuen Kampforganisationen bildeten sich aber nicht erst als Folgewirkung der Novemberereignisse, sondern wurden bereits früher, während des Krieges, geschaffen, als der Novemberzusammenbruch noch nicht bevorstand. Sie ergaben sich aus den ökonomischen Auswirkungen des Krieges, aus der Unterdrückung jeder freien Regung der Arbeiterschaft durch die Handhabung des Belagerungszustandes und aus dem vollständigen Versagen der Gewerkschaften wie auch der politischen Parteien. Die Gewerkschaften waren in ihrer Tätigkeit gehemmt durch den Belagerungszustand und wurden außerdem von der Gewerkschaftsbürokratie der Kriegspolitik dienstbar gemacht. Die politische Partei der Arbeiterklasse war gespalten. Während ein Teil sich rückhaltlos für die Kriegspolitik der Regierung einsetzte, war der andere Teil zu schwach, um einen Widerstand zu leisten. Der politisch gereifte und revolutionär gesinnte Teil der Arbeiterschaft suchte nach neuen Formen des proletarischen Klassenkampfes, suchte sich dazu neue Kampforganisationen. Diese Bestrebungen zeigten sich zuerst in den Großbetrieben und fanden hier auch festere Formen.

Als im Juli 1916 ganz plötzlich 55.000 Berliner Arbeiter in den Streik traten, nicht um ihre wirtschaftliche Lage zu verbessern, sondern aus politischen Gründen, da konnte die bürgerliche Gesellschaft, aber noch mehr die Führer der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften diese unerhörte Tatsache gar nicht begreifen. Diese Tatsache stellte alle bisher in der Arbeiterbewegung gemachten Erfahrungen einfach auf den Kopf. Wo lagen die Ursachen? Wer hatte diesen Streik vorbereitet und geleitet? (...) Es waren Arbeiter, die sich zu „Fabrikkomitees“ zusammengeschlossen hatten, die wirkten, wie die Fabrikkomitees der Petersburger Großbetriebe im Jahre 1905, ohne deren Tätigkeit gekannt zu haben. (...) Diese „Fabrikkomitees“ – die Bezeichnung ist nicht ganz zutreffend – kann man als die Vorboten der heutigen revolutionären Arbeiterräte in Deutschland bezeichnen. Der Rätegedanken schlug damals, aus den Verhältnissen geboren, in Deutschalnd seine ersten Wurzeln. [10]

Richard Müller, gelernter Dreher, der sich die politischen und historischen Kenntnisse als Auoditakt selbst aneignen mußte, spielte in der Novemberrevolution eine zentrale Rolle. Er war als Leiter der „Revolutionären Obleute“ wesentlich an der Vorbreitung des 9.November beteiligt. In der darauf folgenden Revolutionsregierung war er Vorsitzender des „Vollzugsrates der Arbeiter- und Soldatenräte“. Schon alleine aufgrund dieser Umstände ist Richard Müllers „Geschichte der Novemberrevolution“ eines der beeindruckensten Bücher, welches zu diesem Thema geschrieben worden ist.

Richard Müller und mit ihm die „Revolutionären Obleute“ haben am klarsten die Stimmung in den Betrieben, die Wünsche und Sorgen der ArbeiterInnenklasse ausgedrückt. Es ist von daher auch nicht verwunderlich, dass Müllers Einfluss in Berlin bei weitem den von Karl Liebknecht übertraf, dem er immer wieder auch „Revolutionäre Gymnastik“ vorwarf. Richard Müller war kein unfehlbarer Held, er ist lediglich von den Berliner ArbeiterInnen als Sprecher ihrer revolutionären Sehnsüchte und ihres revolutionären Wollens auserwählt worden. Und als diese erloschen waren, mußte auch Richard Müller wieder in die Niederungen des Alltags hinabsteigen und wurde zu einem Bürger, der als Hausbesitzer auf zweifelhafte Art und Weise seine Existenz auch durch überhöhte Mieten sicherte. Diese Widersprüche in der Person des Richard Müllers – und wir können ähnlich Entwicklungen auch in so manchen Arbeitskämpfen der Gegenwart beobachten – verleiht dem Buch noch einen zusätzlichen Reiz. Es ist mehr als ein historischer Bericht einer Person, die eine Schlüsselrolle genau in dieser Berichtszeit eingenommen hat. Es gewährt einen tiefer Einblick in die Dynamik des proletarischen Klassenkampfs auch für die Jetztzeit und regt zur Selbstforschung an, um sich unter anderem auch den Schwächen und Fehlern eines Richard Müllers in der Revolution annähern zu können.

[1Der Malik-Verlag ist einer der bedeutendsten deutschen Verlage des 20. Jahrhunderts. Er existierte von 1916 bis 1947 und war auf politische und ästhetische Avantgardekunst sowie kommunistische Literatur ausgerichtet.

[2Ralf Hoffrogge verfasste 2008 eine sehr interessante Biografie über „Richard Müller – der Mann hinter der Novemberrevolution“ im Karl Dietz Verlag.

[3Die im April 1917 gegründete USPD (Unabhängige sozialdemokratische Partei Deutschlands) knüpfte programmatisch und personell in erster Linie an die ehemalige zentristische Mehrheitsströmung der SPD an, die sich durch die neue Partei organisatorisch verselbständigte. Von 1917 bis 1920 war die USPD Massenpartei und löste in Zentren der Sozialdemokratie wie Berlin und Leipzig die SPD als Mehrheitspartei der ArbeiterInnenbewegung ab. Die vordergründige Ursache für die Gründung der USPD war die Revision zentraler Beschlüsse der Vorkriegs-SPD durch Parteivorstand und Reichstagsfraktion, die im August 1914 begonnen hatte ( Burgfriedenspolitik).

[4„Die Betriebsräte in der Weimarer Republik“, herausgegeben von R.Crusius, G.Schiefelbein, M.Wilke, 1978 Verlag Olle und Wolter, Seite 14/15

[5Richard Müller war von 1920 bis 1922 Mitglied der KPD.

[6Eduard Bernstein ( 6. Januar 1850 – 18. Dezember 1932) war ein sozialdemokratischer Theoretiker und Politiker in der SPD und zeitweilig der USPD. Er gilt als Begründer des theoretischen Revisionismus innerhalb der SPD.

[7Eduard Bernstein: Die deutsche Revolution von 1918/19, 1998, Verlag J.H.W.Dietz Nachf.

[8Der Rat wurde am 10. November 1918 von MSPD und USPD gebildet und bestand zunächst aus drei gemäßigten Mehrheitssozialdemokraten und drei radikaleren Unabhängigen Sozialdemokraten. Letztere traten am 29. Dezember zurück, und zwei weitere Mehrheitssozialdemokraten kamen hinzu.

[9Eduard Bernstein, a.a.O., Seite 129

[10„Die Befreiung der Menschheit – Freiheitsideen in Vergangenheit und Gegenwart“, Berlin 1921. Ebenda: Richard Müller – Das Rätesystem in Deutschland, Seite 168/169

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