Heft 7/2002
Dezember
2002

Short Cuts

Christoph Burgmer: Das negative Potential. Gespräche mit Johannes Agnoli. Freiburg, ca ira-Verlag, 80 Seiten, 9,50 Euro

Agnoli führt aus, warum der Staat notwendigerweise ein Zwangsverhältnis darstellt, das für allerlei Dinge zu gebrauchen ist, aber ganz sicher nicht für die Emanzipation der Menschen von Herrschaft und Ausbeutung. In den vorliegenden Gesprächen, die als Nebenprodukt bei Arbeiten zu einem Film über Agnoli entstanden sind, wiederholt der emeritierte Professor für Politikwissenschaft ebenso geduldig wie unnachgiebig, “daß es nicht um die Humanisierung der Kapitalverhältnisse geht, sondern um deren Überwindung”. Gegen die heimtückische Frage, wo denn das Positive bleibe, favorisiert Agnoli die Kraft der Negation und der Subversion. In vier Interviews spekuliert er über eine mögliche “Modernisierung des Staates in Richtung eines autoritären Rechtsstaates”, erklärt, warum das Kapital über die Einführung einer Tobin-Steuer nur lachen würde, und erläutert, warum die biblische Eva die erste Verkörperung der Subversion war.

Sein Optimismus hinsichtlich der Widerständigkeit der abhängigen Massen, der zeitweilig an Realitätsverweigerung grenzt, findet sich auch in dem vorliegenden Band. Dass Menschen vorherrschende Ideologien “mitmachen”, wenn sie doch gar keinen Vorteil davon haben und nicht mal den Namen dieser Ideologie kennen, hält er für “unmöglich”. Das liegt in erster Linie daran, dass Agnoli auch schon in früheren Schriften jene grundlegende Gemütslage der nationalstaatlichen Warenmonaden, die sich permanent betrogen und übervorteilt fühlen, aber von einer Kritik der Ökonomie nichts wissen wollen, die einen diffusen Hass gegen “die da oben” hegen, aber der Kritik der Politik und des Staates nichts abgewinnen können, bei Agnoli nicht Gegenstand der Kritik ist, sondern ganz im Gegenteil immer wieder als Beleg für die grundsätzliche Widerständigkeit der zum Dasein als variables Kapital Verdammten herhalten muss.

Initiative Sozialistisches Forum: Furchtbare Antisemiten, ehrbare Antizionisten. Über Israel und die linksdeutsche Ideologie. 2., erweiterte Auflage, Freiburg, ca ira-Verlag, 200 Seiten, 13,50 Euro

Die Erstauflage dieser Textsammlung wurde in Context XXI bereits vorgestellt (2/01). Die nun vorliegende zweite Auflage wurde um drei Texte ergänzt. Die ISF dechiffriert den Hass auf Israel und auf den Zionismus als Resultat der allgemeinen Unzulänglichkeiten der diversen Fraktionen der Linken. Sie klärt über das geschichtsphilosophische Wesen des Zionismus und über das Verhältnis von zionistischer Praxis und kommunistischer Kritik auf. Während der Parteikommunismus selbst noch nach dem Nationalsozialismus an seinem grenzenlos optimistischen und positiven Geschichtsverständnis festhielt, konstruiert sich Geschichte im Zionismus nicht “als Zu-sich-selbst-Kommen des Wesens, sondern als der historische Zusammenhang der Katastrophen und als Abwehr der kommenden. Die Zionisten handeln, als hätten sie sich der Bewahrheitung der Geschichtsphilosophischen Thesen Walter Benjamins verschrieben. In dieser negativen Geschichtsphilosophie ist der Materialismus dem Zionismus verwandt, wenn er auch so kontrafaktisch wie kategorisch, gegen alle Erfahrung und jeden Begriff, sich weigert, dessen These vom ‚ewigen Antisemitismus’ sich zuzueignen.”

Die Aktualität der von der ISF entwickelten Thesen zur Kritik der antizionistischen Linken werden von Andreas Kühne und Andrea Woeldike anhand des Antisemitismusstreits beim Freien Senderkombinat, dem freien Radio in Hamburg, dargestellt. In der abschließenden Erklärung der Bahamas-Redaktion wird nochmals der Versuch unternommen, die kommunistische Intention der Israel-Solidarität theoretisch zu begründen und auf einige der gängigen Kritiken an einer linksradikalen Solidarität mit dem Staat der Shoah-Überlebenden zu antworten: “Wenn in der Bahamas von den Palästinensern als von dem ‚derzeit wohl aggressivsten antisemitischen Kollektiv’ gesprochen wurde, dann ist dies, genauso wie die Rede von ‚den Deutschen’ oder der ‚deutschen Volksgemeinschaft’, mitnichten eine positive, klassifizierende Eigenschaftszuschreibung oder gar, wie einem in böswilligem Unverstand vorgehalten wird, eine ‚rassistische’ Qualifikation. Es handelt sich dabei vielmehr darum, einen kritischen Begriff von Verlaufsform und Resultat völkischer Mobilmachung zu gewinnen, bei der nur noch das bedingungslose Mitmachen zählt und die schließlich eine Gesellschaft hervorbringt, die sich nicht mehr nach einander entgegengesetzten Partikularinteressen, Klassen und Fraktionen sortiert (…). So ist es also vielmehr die emphatische Rede vom ‚unterdrückten’ und ‚kämpfenden’ ‚Volk’, die diesen barbarischen Mechanismus geistig verdoppelt.” Leider ist kaum anzunehmen, dass solche Ausführungen irgendeinen oder irgendeine der auf Antirassismus machenden Antizionisten oder Antizionistinnen überzeugen wird.

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