LICRA
Juni
2018

SMASHED TO PIECES (IN THE STILL OF THE NIGHT)

über Lawrence Weiners Flakturm-Arbeit

Der Schriftzug SMASHED TO PIECES (IN THE STILL OF THE NIGHT) ist zunächst nüchterne Beschreibung eines Vorgangs. Die beiden Fragen, die sich zuerst aufdrängen, sind die nach Subjekt und Objekt des ersten Teils des Satzes. In der ersten Installation der Arbeit in der Jubiläumsausstellung zum zwanzigjährigen Bestehen der Galerie Winter 1990 erlaubte der Kontext der Galerieausstellung hier jene Ambiguität, die Lawrence Weiner in all seinen Werken sieht, die allerdings der späteren Installation am Feuerleitturm verwehrt bleibt.

Anstatt des Worts „Ambiguität“ würde der Künstler selbst hier wohl den Begriff der „Offenheit“ verwenden, in Abgrenzung zur „Metapher“. Zugleich gesteht er im Rahmen dieser Offenheit sowohl dem einzelnen Rezipierenden wie auch einer größeren Öffentlichkeit diese Metapher zu: „The decision as to condition rests with the receiver upon the occasion of receivership.“ [1] SMASHED TO PIECES (IN THE STILL OF THE NIGHT) nimmt in diesem Sinn eine einzigartige Stellung in Weiners Œuvre ein. Keine andere seiner Arbeiten wurde und wird so eindeutig – nach Weiner metaphorisch – gelesen. Oft wurde Weiner in Interviews darauf angesprochen und in der Regel wischte er diese Anmerkung mit dem Verweis darauf weg, dass er durch die Arbeit aufzeigen wollte, wie das Zertrümmern eines Objekts in der Nacht – und er wählt hier abwechselnd Whiskyflaschen oder Kokosnüsse als Beispiel – einen anderen Klangeindruck hinterlässt als tags. In einem Interview mit Benjamin Buchloh, einem der intimsten Kenner seiner Arbeit, aber gibt er ihm zu, die Arbeit „found an immediate metaphor when it was placed within that structure.“ [2] Und sagt mit Blick auf den Feuerleitturm: „I chose that piece to put on it. I knew damn well it had a metaphor. […] If I put [the work] in another context, which I often do as you know, it has a totally different metaphor.“ [3]

Durch den Kontext der Arbeit, i.e. durch die Beschreibung des Feuerleitturms selbst, drängen sich zwei unterschiedliche Subjekt/Objekt-Paare und somit Bedeutungen auf: Der Bombenkrieg der Alliierten gegen das Dritte Reich, im Konkreten auch gegen die Stadt Wien, sowie, umgekehrt, das Flakabwehrfeuer der Nazis gegen die Alliierten. Der in Klammern stehende zweite Teil des Satzes, (IN THE STILL OF THE NIGHT), birgt den entscheidenden Hinweis, um den Text zu deuten: Die Unterbrechung der Stille trifft nur die Stadt, nicht aber aber die alliierten Flugzeuge im Kriegseinsatz. Diese Beobachtung führt nicht nur zum verbleibenden Szenario, dem Bombardement Wiens, sondern sie gibt damit auch Aufschluss über die gewählte Perspektive und Empfindung, die nicht die der Piloten noch die der erleichterten Verfolgten ist, sondern jene einer bedauernden Stadtbevölkerung. Ein Bedauern, welches auf persönlicher Ebene nachvollziehbar ist, auf gesellschaftlicher Ebene aber revisionistisch. Sollte diese Arbeit als Denkmal gegen den Krieg gelesen werden, so muss es eindeutig eines gegen den Angriffskrieg der Nazis, nicht eines gegen den Befreiungskrieg der Alliierten sein.

Schließlich gibt es noch eine dritte mögliche Lesart, die sich auf die Reichspogromnacht bezieht. Nicht zuletzt durch die Wortwahl SMASHED TO PIECES und deren Lokalisierung in der NIGHT scheint diese für viele gar die nächstliegende. Die metonymische Assoziation zwischen Porajmos und Shoa einerseits und dem Krieg andererseits, die bei einer solchen Deutung und gleichzeitiger Lokalisierung auf dem Feuerleitturm hergestellt wird, ist allerdings problematisch, da hier nur bedingt geschichtliche und schon gar nicht intrinsische Kausalität vorliegt. Eine Verschärfung dieses Problems ist die Betrachtung der Arbeit unter beiden Gesichtspunkten, also „gegen Krieg und Faschismus“ [4], die unfähig ist eine Unterscheidung zwischen Shoa und Porajmos einerseits und Kriegsleid andererseits zu ziehen.

Die avisierte Entfernung der Arbeit vom Feuerleitturm ist nicht kulturpolitisches Debakel sondern geschichtspolitische Chance: Möglichkeit, durch ihre zweite Translozierung jene Ambiguitäten welche die Installation am Feuerleitturm brachte auszuräumen, jeder revisionistischen Interpretation auszuweichen und klar Position zu beziehen durch die örtliche Verankerung in einem Bedeutungszusammenhang der stattdessen die Interpretation als Mahnmal wider den Faschismus stützt. Ein solcher Ort mag etwa ein Tatort der Reichspogromnacht sein.

[1Lawrence Weiner: Statement of Intent. 1968/1969.

[2Alberro/Zimmerman/Buchloh/Batchelor (Hrsg.): Lawrence Weiner. London 1998. S. 26.

[3Ibid, S. 27.

[4Marietheres Potucek: Das Faschismus-Mahnmal am Flakturm muss bleiben! Wien 2018. mein.aufstehn.at/petitions/lawrence-weiners-kunstwerk-auf-dem-flakturm-muss-bleiben