Streifzüge, Heft 2/1996
Oktober
1996

SOS Mediokratie

Zu aktuellen Begehren und Entbehrungen

Medienpolitik im Breitwand-Format: „Fal­ter“, „Standard“ und „Profil“ treten zum offenen Branchenkampf gegen die „Mediaprint“ an, Journalistengewerkschaft und Grüne sind mit von der Partie. Nebenbei soll eventuell der ORF (1.) vor seiner Umwandlung in eine Aktienge­sellschaft oder (2.) durch seine Umwandlung in eine Aktiengesellschaft gerettet werden.

Auch dafür

Auch ich bin uneingeschränkt für die Zerschla­gung der „Mediaprint“, ferner für die Zerschla­gung regionale und sonstige Märkte beherr­schender Medienkonzentrate, kurzum für die Schaffung eines zweckdienlichen Medienkartell­rechts. Ich bin dafür, daß JournalistInnen sich auf einem einigermaßen freien Arbeitsmarkt bewe­gen können sollen und ich bin ferner dafür, daß der ORF für gute JournalistInnen gelegentlich adäquate Verwendung haben soll.

Weiters dafür

Des weiteren bin ich gemeinsam mit meinen FreundInnen in der Vereinigung alternativer Zei­tungen und Zeitschriften für ein Medienrecht, das die Verletzung der persönlichen Integrität auch und gerade jenen Medien verleidet, die daran am besten verdienen (VAZ-Stellungnahme zu dem Entwurf einer Mediengesetznovelle 1992); für die Hintanhaltung von Kommerz und Konzentration im audiovisuellen Bereich, solange und soferne dazu noch eine Chance besteht (VAZ-Stellungnahme: „Unerträglich“ ist nicht nur ein Wort, 1993); gegen die offizielle Anerkennung und für die offizielle Zurückwei­sung der Diffamierung und Kriminalisierung von Personen, Gruppen, Organisationen, Medien und Denkrichtungen durch im strengen Sinn reaktionäre und als solche gemeingefährliche Strömungen in FPÖ und ÖVP (diverse Stellung­nahmen der VAZ in Sachen „TATblatt“, „FORVM“, „EKG“, „ZAM“, „Die Linke“ und „UNITAT“ 1994 bis 1996); gegen die zu befürchtende wirtschaftliche Bedrohung kleiner Zeitschriften durch erhebliche Verteuerungen und Zugangsbeschränkungen im Postzeitungs­dienst (Schreiben der VAZ an Bundesminister Scholten, 21. März 1996); für eine Medienför­derung im öffentlichen Interesse anstatt des der­zeitigen, vollkommen unsinnigen Verschenkens von hunderten Steuermillionen an Zeitungen, die sie weder verdienen noch brauchen (VAZ-Stel­lungnahme: Zur Notwendigkeit einer Totalre­form der Medienförderung, 1996).

Ceterum censeo

Es geht heute nicht mehr um die Sicherung des­sen, was in einigen Massenmedien gerade noch möglich ist, es geht um die Herstellung und För­derung all dessen, was in diesen nie möglich war und nie möglich sein wird, weil sie dafür nicht gemacht sind. Es geht um die Herstellung und Förderung wirklicher Medien-Alternativen:

1.

Alternative Medien sind gegenüber dem Markt genauso ignorant, wie Marktmedien gegenüber der Öffentlichkeit. Alternative Medien wollen Öffent­lichkeiten herstellen und sich in Öffentlichkeiten bewähren — unwillkürlich stellen sie dabei auch kleine Märkte her und wenn sie geschickt sind, wis­sen sie das werblich zu nützen. Marktmedien wol­len Märkte herstellen und sich auf Märkten bewähren — unwillkürlich stellen sie dabei auch kleine Öffentlichkeiten her und wenn sie geschickt sind, wissen sie das werblich zu nützen.

2.

Alternative Medien fordern ihre LeserInnen her­aus, sie verlangen und bekommen ihre Auf­merksamkeit, ihre Teilnahme und ihren Wider­spruch. Marktmedien reizen ihre KonsumentIn­nen, bis sie gekauft sind — dann haben sie ihre Funktion am Leser- und Anzeigenmarkt erfüllt und werden, so sie von Pappe sind, dem Roh­stoffmarkt zugeführt.

3.

Alternative Medien sind derweil am erfolgreich­sten, wenn sie sich auf die konstruktiven Aspekte kapitalistischen Fortschritts beziehen: Auf­klärung, sozialer, demokratischer, menschen­rechtlicher, kultureller, allenfalls ökologischer Fortschritt. Marktmedien sind allweil am erfolg­reichsten, wenn sie konstruktive wie destruktive Aspekte kapitalistischen Fortschritts zur Unkenntlichkeit belangloser Mitteilungen und begriffsloser Meinungen zerhäckseln — und sich damit, ohne freilich eine Idee davon haben zu können, unter die destruktiven Kräfte mischen.

4.

Alternative Medien haben eine Aufgabe, Markt­medien haben eine Auflage.

5.

Schwach sinniger Weise erhalten hierzulande jene Medien, die eine Auflage haben, offizielle Beachtung und Förderung; jene, die eine Auf­gabe haben, hingegen nicht. PolitikerInnen, die den Widersinn, der darin liegt, nicht begreifen, mögen sich zur Schärfung des Verstandes und als Motivationsübung überlegen, was von der Poli­tik bleibt, wenn sie vollständig vom Markt absorbiert wird — gerade so wie die Öffentlich­keiten, von denen PolitikerInnen heute so wenig wissen wollen. Sie werden sehen, was sie davon haben und wir werden den Schaden nicht alleine tragen.

6.

Über die Politikvergessenheit von Politikern zu reden, genügt nicht. Man muß auch über die Ignoranz der „alternativen“ Milieus reden, deren Bedarf an täglich allem durch einige Seiten rosa Papiers offenbar leichtlich zu decken ist, die ihre Meinungen durch etwas wöchentliche Profilie­rung für ausreichend façonniert halten und die sich unter Kritik kaum noch etwas anderes vor­stellen können, als jemanden einen Dolm zu heißen. Sie erbauen sich an Meinungshäppchen (Typ: „Gut/Böse“, Begründung: dürftig bis feh­lend), sie verlieren sich in Mitteilungsfetzen (Typ: „In/Out“, Relevanz: vage bis nicht feststellbar) und wähnen sich dabei den anderen täglichen Alleslesern überlegen. Sie beklagen sich gele­gentlich darüber, daß die „herrschenden“ Medien die „herrschende Meinung“ wiederge­ben und wollen dort ihre eigene — nicht herrschende — Meinung gedruckt und gesendet sehen. Sie begreifen nicht, daß in diesen Medien nur gedruckt und gesendet werden kann, was der Herrschaft des Meinungshaften nicht zuwider­läuft. Innerhalb des Genres „Meinung“ wird die im übrigen gerade „herrschende“ in der Regel die auflagenmaximierende, also bevorzugte sein.

Der Stand der Dinge

Öffentlichkeiten wurden in den vergangen Jah­ren vom Markt verdrängt oder absorbiert: Zeit­schriften im alternativen Bereich mußten einge­stellt werden, ihre Erscheinungsweise in Fre­quenz und/oder Umfang reduzieren, ihren redak­tionellen und/oder produktionellen Aufwand zu Lasten des Inhalts und/oder des Erscheinungsbildes verringern. Die augenblickliche Lage ist schlecht bis katastrophal schlecht und gibt zu hochfliegenden Hoffnungen keinen Anlaß: Neben der allgemein schlechten Konjunkturlage (Einsparungen in öffentlichen und privaten Bud­gets) sind die alternativen Zeitschriften auch von der bereits eingangs erwähnten politischen Ver­unglimpfung und von der ausgangs kritisierten „Indifferenz“ der eigenen „Zielgruppen“ bedroht. Dieser Verdrängungsprozeß führt in einigen gesellschaftlichen Bereichen zum ersatz­losen Entfall von Öffentlichkeit. In anderen Bereichen erleben wir eine Art „Renaissance“ von Formen, die bereits als antiquiert gegolten haben mögen: Diskutierklubs, Lesezirkel und zwischen privatem und öffentlichem Gespräch changierende Kaffeehausrunden bilden und/oder etablieren sich da und dort in der mehr oder weniger deklarierten Absicht, abhandengekom­mene Öffentlichkeiten auf irgend eine Weise zu ersetzen oder zu rekonstruieren.

Der Kapitalismus frißt seine Kinder, seine Warenform frißt seine Wissenschaft, seine Poli­tik, seine Kultur. Sie haben ihr historisch Mögli­ches auch an Aufklärung, auch an Gerechtigkeit, auch an sinnlicher Befreiung getan. Wir müssen nun die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß die seit Jahren zu verzeichnende „Geistlosigkeit der Universität“ (Klaus Heinrich) und — jener davoneilend — der Universitätspolitik eine künf­tige Universitätslosigkeit des „Geistes“ ankün­digt; daß die allenthalben zu beklagende gesell­schaftliche Perspektivenlosigkeit der politischen Funktionäre eine künftige Politiklosigkeit gesell­schaftlicher Perspektiven ankündigt; daß die aus allen Kanälen rinnende Sinnlosigkeit der Kultur­betriebe eine künftige Kulturbetriebslosigkeit der Sinne ankündigt.

Wir sollten — um im Rahmen politischer Aktualität zu bleiben — wenigstens die Möglich­keit in Erwägung ziehen, daß die hier zu bekla­gende, mediale Vernichtung von Öffentlichkei­ten die Notwendigkeit der Schaffung künftiger, eventuell nicht „medialer“ oder „transmedialer“ Öffentlichkeiten ankündigt.

Die aktuell spannenden Fragen zum Thema „Medien“ lauten also keineswegs so, wie sie Hr. Peter Pilz in der letzten Ausgabe der „Alternative“ formulierte, [1] sondern etwa folgendermaßen: Wie weit und wie lange ist die Tendenz zu größtmög­licher Zerstreuung für die größtmögliche Zahl erträglich? Wie zerstreut müssen wie viele sein, bis sie an dieser Gesellschaft zerbröseln oder diese Gesellschaft an sich und ihnen zerbröselt? Oder werden sich welche wo und wie wieder sammeln? Wie mögen solche Sammlungen wohl aussehen? Werden sie für unabsehbare Zeit die Rekon­struktion von Öffentlichkeit im traditionellen Sinn anstreben — am institutionellen Gefüge von Staat und Politik, Wissenschaft und Kunst orien­tiert — oder wird ihnen, also uns wesentlich Ande­res in den zu entwickelnden Möglichkeitssinn kommen? Welcher materiellen Mittel werden wir uns bedienen, welche Formen werden sich als annehmbar, welche alten und neuen Technologien werden sich als nutzbar erweisen?

Eine Empfehlung zum Schluß

Inzwischen empfehle ich, wohl auch mit einer etwas anderen „Akzentuierung“ als Hr. Pilz, sich an jene bestehenden oder zu schaffenden Medien zu halten, die sich immerhin und mindestens um die Aufrechterhaltung und Entwicklung von Öffentlichkeiten, so wie wir sie gekannt haben werden, bemühen. Die dafür nötige Zeit und Konzentration kann gewonnen werden durch gezielten Konsumverzicht bei anderen Medien.

Dieser Beitrag wurde ursprünglich verfaßt für „Die Alternative“ Nr. 7/96, erscheint Mitte Juli.

[1In Ausgabe 6/96 der Zeitschrift „Die Alterna­tive“ erschien der Nachdruck eines Artikels von Peter Pilz, Klubobmann der Wiener Grünen, aus der Zeitschrift „Profil“ Nr. 22/96 mit dem Titel „Dichand wackelt“. Hr. Pilz nennt darin „sechs Fragen und ein Prinzip “, um die es in der Medien­politik „im Kern“ gehe: „1. Was wird mit dem ORF?“, „2. Was wird mit Medienkartellen?“, „3. Was wird mit der Kronenzeitung?“, „4. Was wird mit den neuen Netzen?“, „5. Was wird mit dem Privatradio?“, „6. Was wird mit den Journalisten?“ — „Das Prinzip dahinter lautet ganz einfach ‚Vielfalt und freier Zugang‘“.