Streifzüge, Heft 3/2001
Oktober
2001

The road to nowhere

Enduring freedom betitelt die US-Administration ihren aktuellen Kreuzzug. Zweifellos, sie meint das so. Es ist kein Witz, keine Persiflage, kein schlechter Film. Es ist bitterer Ernst. Todernst.

Andauernde Freiheit kann es ebenso wie infinite justice nur im Tod geben. Andauernd ist bloß der Tod, nichts anderes, nur er meint die endgültige Befreiung, und zwar vom Leben. Enduring freedom ist der Deckname für endless death. Die Nekrophilie eines Systems offenbart sich in seinen Predigten und Parolen. Auch wenn ihre Exponenten es nicht verstehen, da sie ihren eigenen Horizont nicht begriffen haben. Der war nie Gegenstand ihrer Reflexion. Was strahlt, ist die Ignoranz. Das Weisse Haus denkt seine Freiheit wie die ewigen Jagdgründe. Als unendlich, als immerwährend. Freedom – here, there and everywhere.

Als der Philosoph Ludwig Feuerbach, Autor von „Das Wesen des Christentums“, von der neuamerikanischen Kriegsterminologie hörte, drehte er sich in seinem Grab um und raunte: „Wer sich scheut, endlich zu sein, scheut sich zu existieren“. Diese ideelle Nichtexistenz wollen die Kreuzzügler nun den Feinden als reelle Größe bringen. Todesengel sind nicht bloß ihre fanatischen Gegner, Todesengel sind sie auch selber. Und auch immer gewesen.

„Culture is to die for!“, ist übrigens kein Wahlspruch Osama Bin Ladens – obwohl er durchaus zu ihm passen würde -, sondern stammt von Samuel P. Huntington. Diesen Western spulen fast alle Medien gegenwärtig ab. Es ist wie ein ideologisches Flächenbombardement. Unsere Vision hat sich von der Televison nicht zu unterscheiden. Der Feldzug des Todes und der Werbefeldzug der Freiheit sind eins. Das eine wäre ohne dem anderen nicht denkbar. Denn Denken ist überhaupt nicht denkbar in Zeiten des globalen Irrsinns, der doch seine marktwirtschaftlichen Rationalitäten kennt. Die kulturindustriell hergestellten Subjekte sind gierig, nicht neugierig. Sie wollen gar nicht wissen, was sie kriegen und bekriegen. Hauptsache Rache!

Kapitale Freiheit soll nun also verewigt werden durch eine Aktion, die mit Freiheit primär den Tod meint, den sie nicht erst bringen wird, sondern schon im Vorfeld gebracht hat. Die humanitäre Katastrophe in Afghanistan hatte bereits begonnen, ohne dass die Militäraktion in Gang gewesen wäre. Das Ensemble aus Angst und Hunger, aus Flucht, Elend und Krankheit tut das seine. Nicht nur Schweigeminuten werden diesbezüglich für die Opfer abgehalten, nein sogar Schweigetage werden hierzulande solchen Nebensächlichkeiten gewidmet. Dafür gibt es einfach keinen Trost. Das Wort Trostlosigkeit offenbart seine ganze Dimension.

Wenn Kinder und Narren die Wahrheit sprechen, dann sind Bush jr. und seine Gotteskrieger mitinbegriffen. Sie sind wahrlich die Ajatollahs der Freiheit. Das ultimative Gepolter demonstriert den Charakter seines Personals. Der religiöse Wahn in Talibanistan und in Amerikanistan ist von einer sehr ähnlichen Struktur. Beide sind extremistisch modern, nicht mittelalterlich oder zurückgeblieben. Nicht eine düstere Vergangenheit lässt drohen, sondern eine finstere Zukunft.

To endure bedeutet freilich auch „aushalten“, „durchmachen“, „ertragen“, „erdulden“. Genau das hat die westliche Macht mit anderen vor. Das verunsicherte Imperium impft sich mit starken Worten. Je dümmer die Begrifflichkeit, desto mehr verrät sie ihre Träger. „Daß die Vergeltung man an mir erkennt! “ (Dante), wäre Gebot der Stunde. Doch das autistische Geschwätz von Freiheit provoziert nicht befreiendes Gelächter, sondern es produziert noch immer Verständnis und Zustimmung, manchmal gar frenetischen Applaus. In dieser Beharrlichkeit stecken viele Tonnen Starrsinn, aber kein Gramm Erkenntnis. Das Terrain der Unvernunft ist schier unendlich. Seine Ausweitung, so scheint’s, ist die Mutter aller Pflichten. Im Orient wie im Okzident.

Die Strafaktion mag man sich ungefähr so vorstellen: Vorne dröhnen Maschinengewehre, schlagen Granaten ein, explodieren Bomben, metzeln sich Truppen; hinten aus den Boxen hört man die Talking Heads: „Well we know where we’re goin’/But we don’t know where we’ve been/And we know what we’re knowin’/ But we can’t say what we’ve seen.“ So die Strophe. „We’re on the road to nowhere/Come on inside.“ So der Refrain.

Bush und Bin Laden wollen gegeneinander aber doch gemeinsam dem Planeten ein Barbarisierungsprogramm aufzwingen. Ihrer Kollision liegt vielmehr eine Kollusion zugrunde, d. h. ein geheimes Einverständnis, wenn auch wider Willen. Aufgabe aller emanzipatorischen Kräfte müsste es sein, dieses Szenario des Schreckens ganz energisch zu durchkreuzen, ohne dabei allerdings Anleihen beim Antiislamismus und Antiamerikanismus zu nehmen. Der Widerstand ist frei von kulturalistischem Ressentiment zu halten. Man soll sich jetzt nicht irre machen lassen, Irre gibt es mehr als genug. Weder Begleitorchester noch Panikorchester darf die Linke sein.

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