Medienecke
Juni
2001

Vernetzung im Kampf ums Überleben: Alternative Medien

Der vorliegende Artikel befasst sich mit alternativen Medien. Ausgehend von teilweise noch aus den 30er-Jahren stammenden (linken) Theorien zu öffentlicher und allgemeiner Partizipation an Medien (Brecht, Benjamin, Enzensberger, Negt/Kluge) wird versucht, die bereits jahrzehntealten, aber kaum einer Überprüfung an der Realität ausgesetzten Denkensätze einer radikalen, autonomen Medienkritik zu unterziehen. Diese orientiert sich nicht an einer in manchen linken Kreisen gerne dogmatisch formulierten automatischen Gesellschaftsveränderung durch die bloße Veröffentlichung „anderer“ Informationen. Hauptorientierungspunkt dieser Arbeit ist der als „Kommunikationsguerilla-Ansatz“ bekannt gewordene Standpunkt, dass das alleinige Propagieren von in „bürgerliehen“, kommerziellen Medien unterbliebenen Nachrichten noch lange zu keiner Veränderung der Gesellschaft führt. Weiters werden Kriterien für alternative Medien erarbeitet und drei Organisationen, die sich die Vernetzung von alternativen Medien zur Hauptaufgabe gemacht haben, beschrieben und in Bezug auf die entwickelten Kriterien untersucht.

1. Einleitung und Begriffsbestimmung

Alternative Medien entstanden in den 70er-Jahren im Kontext Neuer Sozialer Bewegungen. Die Ausformungen alternativer Medien sind umfangreich. Anfang der 90erJahre definierten die Herausgeberlnnen des „Medienverzeichnis 1992/ 93“ alternative Medien folgendermaßen: „Medien mit nicht-kommerziellen Inhalten, basisorientierte, autonome Medien, die sich an innovativ-zukunftsorientierten, basisdemokratischen, authentischen und partizipatorischen Prinzipien messen und dem herkömmlichen Medienangebot querliegen“ (Dorer/Marschik/Glattau 1992, 9-10).

Dorer (1995, 327) definiert alternative Medien als „Zeitungen, Zeitschriften, Videoinitiativen, Freien Rundfunk, Nachrichtenagenturen sowie internationale Nachrichten, Programm-, Daten- und Computernetzwerke“, die sich „durch gemeinsame Differenzierungsmerkmale von kommerziellen Medien abgrenzen.“

Um eine sinnvolle Unterscheidung treffen zu können, teilt sie Medien in einen kommerziellen und einen nicht-kommerziellen Mediensektor ein, im Bereich des Rundfunks zusätzlich in einen dritten, öffentlich-rechtlichen Sektor. Alternative Medien sind demnach in den nicht-kommerziellen Medienmarkt einzuordnen (Dorer 1995, 327), wobei die Autorin die Begriffe „nicht-kommerziell“ und „alternativ“ synonym verwendet.

Für die gegenseitige Abgrenzung der beiden Medienmärkte sind für Dorer (1995, 328) die „Konstituierung von Gegenöffentlichkeit“ und „neue soziale Bewegungen“ zentrale Begriffe. Nicht-kommerzielle Medien hätten als Prämissen die „Herstellung von Gegenöffentlichkeit, die Wahrung von Authentizität und Autonomie in der Berichterstattung sowie die Ablehnung einer ökonomischen Zweckrationalität.“

Dorer (1995, 330) bestimmt alternative Medien durch:

  1. ihnen zugrunde liegende progressiv-subkulturelle Basis- bzw. Protestbewegungen,
  2. gesellschaftliche Positionen zwischen Vereinnahmung und Ausgrenzung,
  3. inhaltliche Positionen, die auf Herstellung von Gegenöffentlichkeit und Gegenmacht abzielen, sowie
  4. den für alternative Medien charakteristischen Widerspruch zwischen Identität/Zweck und Ökonomie.

Dieser Widerspruch entsteht durch den für alternative Medien charakteristischen Gegensatz zwischen der propagierten Überwindung des politischen Systems (was eine antikapitalistische Grundhaltung voraussetzt) und der Notwendigkeit, im Produktionsprozess auf Erfordernisse einer kapitalistischen Ökonomie Rücksicht nehmen zu müssen.

Gerhard Kettler setzt in seiner Studie „Die alternative Tageszeitung in Österreich“ Dorers Zentralbegriffe für alternative Medien („Gegenöffentlichkeit“ sowie „neue Soziale Bewegungen“) mit den Begriffen „alternative Öffentlichkeit“ und „Alternativbewegungen“ gleich (Kettler 1997, 41) und definiert Alternativmedien wie folgt:

Alternativmedien sind nicht-kommerzielle, also nicht der Lukrierung von Profiten dienende Produkte alternativer Öffentlichkeit, d.h. von alternativen Gruppen herausgegebene, grundlegend antikapitalistisch/antirassistisch/antipatriarchal orientierte Medien (ebd., 41).

Der Autor schreibt alternativen Medien hauptsächlich „Binnenfunktionen“ innerhalb alternativer Bewegungen zu, wie „das Austragen von Diskussionen, die Reflexion gemeinsamer Lebensumstände, gemeinsamer Anliegen und gemeinsamen Handelns“ (Kettler 1997, 41). Alternative Medien haben deshalb innerhalb alternativer Öffentlichkeiten ähnliche Funktionen wie kommerzielle Medien in bürgerlichen Öffentlichkeiten. Als Trägerlnnen und Sprachrohre von progressiven Subkulturen integrieren, informieren, kommunizieren sie, und tragen Konflikte aus.

Das „TATblatt“ führte in einer Diskussion innerhalb der Alternativszene weiters aus:

Unter Alternativmedien verstehen wir (...) nicht primär irgendwelche Ergänzungen, Korrektive oder schlichtweg Alternativen zu anderen Medien, sondern Waffen oder Instrumente in ,alternativen‘ — hier verstanden als antipatriarchalen, antikapitalistischen, antirassistischen und daraus abgeleiteten — politischen und sozialen Kämpfen, die wie auch Demonstrationen, Streiks, Verweigerungen, persönliche Gespräche, (...) eingesetzt werden. (TATblatt 1995, 1)

Johanna Dorer weist alternativen Medien zusätzlich wichtige gesellschaftliche Funktionen zu: „In ihrer Funktion, Korrektiv zu etabliertem Medienangebot zu sein, gesellschaftliche Aufklärung zu leisten sowie einen Teil der Journalistlnnenausbildung zu übernehmen, ist sie [alternative Basispublizistik, Anm. des Verfassers] unverzichtbarer Bestandteil komplexer Risikogesellschaften geworden, die in hohem Maße auf dieses gesellschaftliche Frühwarnsystem angewiesen sind“ (Dorer 1992, 38). Somit haben alternative Medien auch eine gesellschaftsstabilisierende Funktion.

1.1 Gegenöffentlichkeit

Die primäre Aufgabe der Konstituierung von Gegenöffentlichkeit liege in der Wahrnehmung einer „Korrektiv-, Kritik- und Mobilisierungsfunktion“ (Dorer 1992, 38). Gerhard Kettler kritisiert fehlende Definitionen des Begriffs der „Gegenöffentlichkeit“ sowie die Unklarheit, welcher Öffentlichkeit Gegenöffentlichkeit entgegengerichet sei (Kettler 1997, 31). Grundlegender Bestandteil der Debatte um alternative Medien ist die sogenannte „Gegenöffentlichkeitsdebatte“: Gegenöffentlichkeit müsse demnach der bürgerlichen Öffentlichkeit jene Inhalte entgegenhalten, die in bürgerlichen Medien verschwiegen werden: „Seit Jahren müssen sich die bürgerlichen Massenblätter von linker Seite den Vorwurf gefallen lassen, dass sie Minderheiten ausgrenzen, Ereignisse gar nicht oder verfälscht darstellen und ihre Leserschaft im Kapitalinteresse manipulieren“ (Weichler 1983, 88). Zehn Jahre später kommt Drobil (1993, 22) zum Schluss, Gegenöffentlichkeit habe die Funktion, über „gesellschaftliche Minderheiten und Randgruppen“ zu berichten und für sie Partei zu ergreifen. Auf die primäre Bedeutung medialer Gegenöffentlichkeit, die „Wahrnehmung einer Korrektiv-, Kritik- und Mobilisierungsfunktion“, weist Dorer (1992, 38) hin.

Die zentralen Punkte von Gegenöffentlichkeit, die von Dorer, Drobil, Kettler, Weichler und anderen genannt wurden, seien hier verkürzt und vereinfacht zusammengefasst:

  • Parteinahme statt Objektivität.
  • Medien sind Bildungs-, Kultur-, und politische Meinungsbildungsmittel statt Waren,
  • Verzicht auf Gewinnstreben, dafür aber Arbeit in Form von Selbstausbeutung.
  • Produktions- und Entscheidungs?ndungsprozesse sollen gemeinschaftlich statt hierarchisch ablaufen, um autoritäre Strukturen zu verhindern.
  • Verwendung einfacher Techniken statt Großtechniken: wegen ungenügender Kapitalausstattung muss(te) etwa im alternativen Printbereich vielfach auf einfache, oft veraltete technische Geräte zurückgegriffen werden — im Internet hingegen kann mit sehr geringem finanziellem Aufwand publiziert werden.
  • Gegenöffentliche Produktionsprozesse zeichnen sich durch Autonomie, Unabhängigkeit und Selbstbestimmung aus, innerhalb dieser Autonomie kommen jedoch informelle (Macht-) Strukturen zum Tragen: diese sind aufgrund der komplexen Produktionsprozesse und der dafür notwendigen organisatorischen und inhaltlichen Erfahrungen der einzelnen beteiligten MitarbeiterInnen hierarchisch organisiert, auch wenn dies nicht auf den ersten Blick so zu sein scheint.

1.2 Kritik an Gegenöffentlichkeitskonzepten

Die „autonome a.f.r.i.k.a-gruppe“, eine linke KommunikationstheoretikerInnengruppe aus Deutschland, kritisiert in ihrem Standardwerk „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ an den Gegenöffentlichkeitskonzepten die „überzogenen Vorstellungen von den Möglichkeiten einer medialen linken Intervention“ (autonome a.f.r.i.k.a-gruppe 1998, 189). In der linken Szene wäre man, zugespitzt formuliert, davon ausgegangen, dass nur genug AktivistInnen an möglichst vielen Stellen Gegenöffentlichkeit herstellen müssten, wodurch dann irgendwann eine gesellschaftsverändernde Kettenreaktion ausgelöst werde: „Eine Vielzahl linker Medienprojekte stellte sich aus dieser Logik heraus die Aufgabe, die in den bürgerlichen Medien unterbliebenen Nachrichten zu verbreiten“ (ebd., 189).

„Alternative” und „eigene” Medien

Die autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe geht davon aus, dass es Sinn macht, die Medien der linken Gegenöffentlichkeit (also jene, die umgangssprachlich als „alternative Medien“ bezeichnet werden) hinsichtlich ihrer Funktion idealtypisch in alternative und eigene Medien zu unterscheiden: Alternative Medien orientierten sich demnach in dieser Sichtweise vornehmlich an den bürgerlichen Medien, indem sie beständig die Aufgabe wahrnehmen würden, das bestehende Informationsspektrum inhaltlich zu korrigieren und zu ergänzen. Dabei komme den alternativen Medien in den 70er- und 80er-Jahren vor allem für die Bereitstellung abweichender Interpretationen sozialer und politischer Widersprüche „eine wichtige Funktion für die Konstitution einer ‚liberalen‘ Öffentlichkeit zu“ (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 1998, 188).

Von den sogenannten alternativen Medien grenzt die von der autonomen a.f.r.i.k.a-gruppe als „Kommunikationsguerilla“ (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 1998, 14) bezeichnete theoretische Strömung die Herausbildung eigener Medien ab, die nicht auf eine direkte Beeinflussung der allgemeinen öffentlichen Meinung setzen. Der eigentliche Unterschied zu den alternativen Medien besteht dabei in der Art und Weise der Selbstpositionierung auf politischem Terrain, die sich nicht nur inhaltlich in der Berichterstattung über die links-alternative Szene, Stellungnahmen und Diskussionen äußert, sondern im Aufgreifen subkultureller Themen und Codes. Auf politische Szenen und subkulturelle Orte bezogen, stellen diese eigenen Medien gewissermaßen Orientierungspunkte für deren soziale Praxis bereit. Dabei kommt ihnen primär eine „szeneintern“ stabilisierende Funktion zu. Denn die eigenen Medien bewegen sich in einem durch ihre Sprache, besonders die Verwendung von nur „szeneintern“ verständlichen Codes, sehr begrenztem Raum: dieser steht zumindest in Österreich aufgrund politischer Umstände am Rande der Kriminalisierung [1] und ist deswegen schwer zu überblicken. Ein Beispiel dafür ist etwa eine politische Zeitschrift, die von BewohnerInnen eines besetzten Hauses für ihre Gäste herausgegeben wird.

2. Theoretische Grundlagen

Die Grundlagen, auf denen die theoretischen Fundamente alternativer Medien fußen, stammen teilweise aus den 30er-Jahren und wurden im deutschsprachigen Raum von verschiedenen anderen Theoretikern in den 60er- und 70er-Jahren erweitert. Allerdings fand kaum eine systematische Aufarbeitung jener theoretischen Ansätze statt, die zu einer umfassenden Theorie alternativer Medien führen hätte können. Der Diskurs über derartige Theorien beruht großteils auf Ansätzen von Brecht (1932), Benjamin (1934), Enzensberger (1970) sowie Negt/Kluge (1972) und wurde erst in den späten 90er-Jahren um längst fällige Kritik erweitert. Brecht formulierte in seiner berühmten Rede „Der Rundfunk als Kommunikationsapparat“ die Forderung nach Verwandlung des Distributionsapparates in einen Kommunikationsapparat: Brecht wollte damit den uneingeschränkten Zugang zum und die Mitgestaltung am Medium Radio für die Arbeiterlnnenklasse erreichen, da sich das Radio in der Hand der Kapitalistenklasse befand. Der Antifaschist Walter Benjamin baute Brechts Position angesichts Hitlers Machtergreifung zu radikal-kommunistischen Ansätzen aus, wonach Intellektuelle und Schriftsteller als „Zulieferer des bürgerlichen Publikations- und Produktionsapparates“ die Zugehörigkeit zur Bourgeoisie — der sie aufgrund ihrer Bildung angehörten — über Bord werfen und ihr Tun in „den Dienst der proletarischen Revolution“ stellen sollten (zit. nach Weichler 1987, 25). Enzensberger (1970) entwickelte seinen ebenso bekannten „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ und die Marxisten Oskar Negt und Alexander Kluge begründeten ihre Medientheorie mit dem etwa 500seitigen Werk „Öffentlichkeit und Erfahrung“ (Negt/Kluge 1972).

Für Benjamin, Brecht und Enzensberger waren Medien hauptsächlich Manipulationsapparate, die von den Herrschenden als Unterdrückungsmittel und zur Stabilisierung des herrschenden kapitalistischen Gesellschaftssystems benutzt wurden. Die genannten Autoren regten eine Vergesellschaftung des Gebrauchs der Medien an: Das bedeutete, dass der Zugang zu den Medien nicht einer kleinen, herrschenden Kapitalistenklasse vorbehalten sein sollte, sondern alle Mitglieder der Gesellschaft Zugang zu den Medien (und damit zu politischer Macht und politischem Einfluss) haben sollten. Brecht hatte mit einer Verwandlung des Rundfunkapparates von einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat jedoch keine radikaldemokratischen Visionen im Sinn, sondern sah den Kommunikationsapparat lediglich als Werkzeug der (kommunistischen) Partei. Enzensbergers Forderung in seinem „Baukasten zu einer Theorie der Medien“ lautet verkürzt sinngemäß: „Alle sollen sich an einem Programm für alle beteiligen (können).“ Dadurch verändere sich die passive Konsum- und Erwartungshaltung des Medienpublikums in einen aktiven Umgang mit Medien. Das Publikum erzeuge und kontrolliere die Medieninhalte selbst, und durch sein kollektives Handeln sei es auch möglich, Meinungsmonopole zu kontrollieren und zu verhindern.

Ähnlich formuliert sind auch die Ansätze von Negt und Kluge, aus deren umfangreichem Werk „Öffentlichkeit und Erfahrung“ jedoch nur „einige wenige kurze Passagen Eingang in die Theoriediskussion der 70er- und 80er-Jahre gefunden haben“ (Weichler 1987, 29). Negt und Kluge versuchten, eine Synthese zwischen bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit herzustellen. Der bürgerlichen Öffentlichkeit stehe eine unterdrückte proletarische Öffentlichkeit gegenüber (Negt/Kluge 1972, 36, 39). Die beiden Autoren gehen davon aus, dass eine bürgerliche Öffentlichkeit, die nach Enzensbergers Schema eines repressiven Mediengebrauchs funktioniert, auch eine nicht-bürgerliche, proletarische Gegenöffentlichkeit brauche. In der bürgerlichen Öffentlichkeit setzten sich die Interessen der Herrschenden durch, indem sie von den Medien in einen Gemeinwillen gekleidet würden. Dies praktizierten die bürgerlichen Massenmedien so geschickt, dass die Arbeiterklasse nicht mehr ihr Interesse erkenne, das kapitalistische System zu beseitigen (Negt/Kluge 1972, 41).

Kurt Weichler (1987) erweiterte die Theoriediskussion in seinem auch heute noch interessanten Standardwerk „Die anderen Medien. Theorie und Praxis alternativer Kommunikation“ um einen dreiteiligen Baukasten, dessen drei Bausteine die wesentlichen Elemente alternativer Kommunikation enthalten (Weichler 1987, 15-17):

  1. die „Aufhebung der Trennung von Kommunikator und Rezipient“,
  2. die „Herstellung von Authentizität“ sowie
  3. die „Verbindung von Kommunikation und Aktion“.

Weichler forderte die Öffnung des Kommunikationsprozesses in beide Richtungen. Rezipientlnnen sollten „gleichberechtigte Partner und aktiv handelnde Subjekte“ (ebda., 15) werden, da prinzipiell jede/r das gleiche Recht habe, ihre/seine Meinung per Medium in den Kommunikationszusammenhang einzuspeisen. Kettler findet, dass eine Aufhebung der Kommunikation in eine Richtung („Einrichtungsbeziehung„ [2]), nämlich von einem Medium hin zu vielen Empfängerlnnen, bei der Entscheidungskompetenz der Redaktion über die Veröffentlichung solcher Beiträge an ihre Grenzen stoße (Kettler 1997, 44). Der Zugang zur bzw. Einfluss auf die Programmgestaltung ist dann nämlich für die Rezipientlnnen kaum möglich, abgesehen von LeserInnenbriefen, HörerInnenanrufen und einer gewissen Offenheit für externe Beiträge. Weiters argumentierte Weichler, dass alternative Medien „Authentizität durch Erfahrung“ widerspiegeln: Für ihn greifen alternative Medien „jene Bereiche auf, die das Leben der Bevölkerungsmehrheit beherrschen und schalten jene Bevölkerungsgruppen ein, die als Minderheit weitgehend von der gesellschaftlichen Kommunikation ausgeschlossen bleiben“ (Weichler 1987, 16-17).

Ein weiterer Baustein Weichlers besteht darin, dass alternative Medien „nicht nur über gesellschaftliche Konflikte und politische Auseinandersetzungen berichten, sondern sich darüber hinaus als agierender Faktor an diesen Handlungen beteiligen“ (ebd., 17). Alternative Kommunikation ziele daher auf Systemveränderung ab. Alternative Medien müssen demnach, unabhängig von einer (un-)realistischen Durchführbarkeit, zumindest die Notwendigkeit einer Systemüberwindung erkennen. Sonst könnten sie nur als systemerhaltend oder gar rückschrittlich (regressiv) eingestuft werden.

Kettler merkt dazu an, dass diese Elemente aus verschiedenen Gründen „auf einen Großteil der heute existierenden Alternativmedien nicht oder nicht mehr zutreffen, aber trotzdem wert sind, reflektiert zu werden“ (Kettler 1997, 43). Der Trend zur Professionalisierung von Alternativmedien sei nämlich „zumeist die Suche nach einem Mittelweg zwischen dem Festhalten an den klassischen Merkmalen alternativer Kommunikation und Unterwerfung unter die Prinzipien kommerzieller Massenmedien“.

Kettler meint damit die „Abkehr vom LaiInnenjournalismus, größere Ansprüche an Sprache und Grafik“, den Versuch, „die Arbeitskraft der AlternativmedienmacherInnen wenigstens teilweise zu bezahlen und dergleichen“ (ebd., 46).

2.1 Kritik an den theoretischen Grundlagen

Bis vor kurzem wurden die in diesem Artikel genannten theoretischen Grundlagen im deutschen Sprachraum in der etablierten Kommunikationswissenschaft kaum kritisiert oder erweitert, obwohl einzelne Theorieelemente, vor allem die radikal-marxistischen Ansätze von Benjamin und auch von Negt/Kluge, augenscheinlich schon lange nicht mehr der politischen und gesellschaftlichen Realität in Europa angemessen sind. Die erste ernst zu nehmende Kritik an diesen Theorieansätzen kommt aus der links-autonomen Szene. Hauptkritikpunkt bleibt dabei die nahezu völlige Wirkungslosigkeit einer Umsetzung der beschriebenen Theorien in die Praxis alternativer Medien. Hier sei wieder auf die autonome a.f.r.i.k.a-gruppe und ihre Kritik im „Handbuch der Kommunikationsguerilla“ verwiesen.

Die theoretischen Vorstellungen von Brecht und Enzensberger setzen voraus, dass sich Massenmedien — einmal im Besitz der „richtigen“ Menschen (d.h. nicht in den Händen des Monopolkapitals) — als ein Instrument zur demokratischen Willensbildung einsetzen lassen. Das sei jedoch „Mystifikation, denn Massenmedien sind nicht demokratisch“ (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 1998, 189). Enzensberger und Brecht, so die Kritik, nährten im Glauben an die Wirkung von richtigen Informationen die Überzeugung, dass es genüge, wenn die Linke die Sendezentralen der Massenmedien übernähme bzw. über ausreichend starke eigene Medien verfüge, um ihren Ideen Plausibilität und Durchschlagskraft zu verleihen: „Ein derartiges medientheoretisches Konzept, das darauf abzielt, Handeln durch Information zu bewirken, versteht die Medien letzten Endes als Manipulationsinstrument“ (ebd.).

Die autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe kritisiert die Tendenz der Konzepte Brechts und Enzensbergers, sich für die Durchsetzung ihrer gesellschaftsverändernden Ziele ausschließlich auf die Kraft der Medien zu verlassen. Sie bemängelt also die Wirkungslosigkeit alternativer Kommunikation in ihren traditionellen Konzepten. Negt und Kluge nahmen als Marxisten an, dass ein gegenöffentliches Konzept erst wirksam wird, wenn die „Subjekte“, also die Unterdrückten/Ausgebeuteten ihre Verhältnisse ändern. Die Kritik der a.f.r.i.k.a.-gruppe an Brecht und Enzensberger will damit sichtbar machen, dass sich bestehende Verhältnisse erst dann verändern, wenn Medienpraxis in einem „umfassenderen Kontext von sozialem, politischem und kulturellem Handeln gesehen wird“ (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 1998, 189).

Wichtig ist daher also nicht, was in der Zeitung steht, sondern dass und wie die Menschen Sachverhalte sehen. Mediale Strategien zur Etablierung einer emanzipatorischen Gesellschaft seien allein unzureichend, denn: „Die Vorstellung, dass die herkömmlichen Massenmedien sich — einmal im Besitz der richtigen Leute — als ein Instrument der demokratischen Willensbildung einsetzen lassen, ist grundsätzlich fragwürdig“ (autonome a.f.r.i.k.a-gruppe 1998, 190). Viele „linke“ oder „alternative“ gesellschaftliche Forderungen in den vergangenen Jahrzehnten seien nicht wegen der alternativ-medialen Vermittlung durchgesetzt worden, sondern eher „machte die Stärke der sozialen Bewegungen Unzulänglichkeiten der medialen Vermittlung sichtbar: Wo man glaubte, durch Aufklärung weitergekommen zu sein, war es in Wirklichkeit gar nicht die schlagende Brillianz der Argumente aus der Gegenöffentlichkeit, die bei vielen Leuten ein Interesse für bestimmte Themen und Sichtweisen und ein Bedürfnis nach entsprechenden Informationen hervorrief. Vielmehr war dieses Interesse Ausdruck von Veränderungen der eigenen Lebenszusammenhänge vor dem Hintergrund jener gesellschaftlicher Entwicklung, in deren Zuge auch die neuen sozialen Bewegungen ihre Bedeutung gewannen“ (ebd., 189).

Das bedeutet vereinfacht dargestellt, dass nicht die alternativen Medien Motor zur Veränderung der Gesellschaft waren, sondern wegen der Stärke der alternativen Bewegungen alternative Medien verstärkt erscheinen konnten. Vor dem Hintergrund sich verändernder gesellschaftlicher Interessen konnten sie besonderer Aufmerksamkeit sicher sein. Das Problem, dass mediale Informationen ohne Handlungsmöglichkeiten für eine gesellschaftliche Praxis zumeist wirkungslos bleiben, fiel daher gar nicht weiter auf. Dies förderte die Vorstellung, Medieninformation führe per se zu politischem Handeln. Die autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe (1998, 190—191) wies darauf hin, dass bereits Negt und Kluge 1972 postuliert hätten, dass Information „per se nichts bringt, wenn nicht eine soziale Praxis damit verbunden ist.“

2.2 Netzwerktheorie

Die aus den Wirtschaftswissenschaften stammende Netzwerktheorie nähert sich an gewisse Grundvoraussetzungen und Denklogiken alternativer Medien an. „Netzwerke sind (...) Koordinationsformen von (ökonomischen) Aktivitäten. Netzwerke können einen qualitativ anderen Typus von Sozialstruktur repräsentieren, der durch eine Kombination von Elementen der beiden vorherrschenden Organisationsformen (autonom handelnde und Hierarchien) gekennzeichnet ist“ (Mayntz 1992, 23). Von Netzwerkorganisationen im engeren Sinn ist die Rede, wenn ein gewisses Maß an Gemeinsamkeiten für einen relativ hohen Integrationsgrad zwischen den Netzwerkknoten sorgt. In weiterem Sinne sind Netzwerke dadurch definiert, dass Abhängigkeiten zwischen mehreren Organisationseinheiten bestehen (z.B. durch Austauschbeziehungen in „Internet-Communities“).

Netzwerke sind besonders geeignet für Situationen, die effiziente, verlässliche Informationen erfordern. In Netzwerken freigegebene Informationen sind „dichter“ als Informationen im freien Markt, und „freier“ als Kommunikation in Hierarchien. Netzwerke sind also besonders brauchbar für Austauschbeziehungen, deren Wert nicht so einfach zu bemessen ist: „Es ist kaum möglich, qualitative Angelegenheiten wie Innovations- und Experimentierfreude, einen besonderen Produktionsstil und/oder -ansatz, technologische Kapazität, Know-How, oder eine Null-Fehler-Philosophie mit einem Preisschild zu versehen. Offene, relationale Merkmale eines Netzwerkes, mit relativer Abwesenheit eines auf Gegenleistung beruhenden Verhaltens, erhöhen und verstärken die Fähigkeit zur Vermittlung und zum Lernen von neuem Wissen und neuen Fertigkeiten“ (Powell 1990, 226).

2.3 Vernetzung von alternativen Medien

Da Vernetzungen relativ einfach zu organisierende Formen der Zusammenarbeit darstellen, greifen auch alternative Medien darauf zurück. Viel mehr noch als „herkömmlich“ arbeitende, kommerzielle Wirtschaftsbetriebe, müssen alternative Medien Vernetzungen betreiben, um überhaupt überleben zu können. Dabei geht es im formalen Sinn meist um Vertriebs- und Finanzierungszusammenarbeit, um überlebensfähig zu bleiben. Denn auf Profit sind alternative Medien nicht aus, und sie würden so leicht auch keinen erwirtschaften. Eine weitere Form der Vernetzung ist die politische Zusammenarbeit zwischen ähnlich gesinnten Vereinigungen und Medien, die über öffentlichen Druck politische Forderungen artikulieren können.

In Österreich erfolgte nach mehreren gescheiterten Versuchen auf der Linzer Medienkonferenz im Mai 1999 ein erneuter Anlauf, um neue, professionalisierte Ansätze zur Vernetzung alternativer Medien zu diskutieren. Bereits in den 80er- und 90er-Jahren waren viele Versuche gescheitert (etwa das alternative Medienzentrum der Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften/VAZ), die Zusammenarbeit zwischen Medien— und Kulturinitiativen sowohl auf wissenschaftlicher als auch politischer Ebene zu verbessern. In diesem Zusammenhang sind auch der „legendäre“ F.E.R.L-Kongress 1991 [3] in Wien oder die medienpolitischen Aktivitäten der „RadiopiratInnen“, also der jahrelang illegal sendenden politischen Aktivistlnnen zu erwähnen. Aus diesem Kreis gingen die Betreiberlnnen des heute aktiven Radios Orange 94,0 hervor.

Auf der Linzer Medienkonferenz diskutierten alternative Kultur- und Medieninitativen Ansätze, um die Situation autonomer Medien- und Kunstprojekte zu verbessern. Medien- und Kulturarbeit wurde als „dritter Sektor“ definiert, „der durch die Ermöglichung von Kritik, Information und Kreativität abseits des wirtschaftlichen und staatlichen Mainstreams einen Beitrag zur gesellschaftlichen Integration und Innovation“ (Linzer Erklärung 1999, 174) biete. Medienpolitik galt als Kulturpolitik und Gestaltungspolitik, mit dem Ziel, dass der Staat die Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen habe, unter denen „eine pluralistische Informationsgesellschaft“ (Linzer Erklärung 1999, 175) entstehen könne, die abseits von Marktgesetzen funktioniere. Der Staat solle weiters die mediale Vielfalt erhalten und durch neue Förderungen neue Medien schaffen. Allerdings blieben herzeigbare Fortschritte — wohl aufgrund des politischen Klimas in Österreich — aus.

Die Neigung, zusammenzuarbeiten und sich zu vernetzen, ist allerdings auch bei alternativen Medien nicht besonders stark. Es ist nämlich davon auszugehen, dass die zusätzliche Arbeit, die zur Vernetzung der Medien untereinander geleistet werden muss, ebenso unbezahlt bleibt wie die meiste andere Arbeit in Alternativmedien. Deshalb gibt es auch nur wenige Organisationen, die als Plattform für Vernetzungen alternativer Medien auftreten bzw. sogar Dachorganisationen bilden. Dazu zählt in Österreich der Verband freier Radios samt seinem Aushängeschild Orange 94,0, dem freien Radio in Wien. Im Bereich der österreichischen alternativen Printmedien ist die Vereinigung Alternativer Zeitungen und Zeitschriften (VAZ) Hauptansprechpartnerin für alternative Printprodukte. Das digitale Informationssystem nadir (www.nadir.org) aus Hamburg bietet alternativen Medien und linken Gruppen aus ganz Europa Platz, um ihre Publikationen und Nachrichten elektronisch zu veröffentlichen.

3. Kriterienkatalog für alternative Medien

In Anlehnung an die bisher diskutierten theoretischen Inputs und die auf breiterer Basis geführte Diskussion um alternative Medien lässt sich für eine praxisnahe Umsetzung der theoretischen Konzepte folgender Kriterienkatalog für alternative Medien und Medienpolitik erarbeiten. Natürlich ist dieser Kriterienkatalog nur ein Grobraster und könnte in vielen Bereichen noch erweitert und verfeinert werden. Als Kriterien alternativen Medienschaffens können demnach nach Ansicht des Verfassers folgende Punkte gelten, die im folgenden Kapitel für ausgewählte alternative Medien überprüft werden:

  • Politisch-inhaltliche Interessen als Triebfeder des Schaffens: Die Motivation, sich in alternativen Medien zu engagieren, erfolgt nicht aus wirtschaftlichen Gründen (Lohnarbeit), sondern weil das Engagement in alternativen Medien eine (oppositionelle) politische Betätigung bedeutet, die gegen das etablierte politische und ökonomische System gerichtet ist.
  • Wahrheit und Sorgfalt als einziges Erfolgskriterium: Der Umgang mit Informationen sollte im Gegensatz zur kritisierten kommerziellen Medienlandschaft alleine dem Kriterium der Wahrheit verpflichtet sein und nicht den Prinzipien der Vermarktungslogik folgen. Wahrheit im Sinne des Aufzeigens von Missständen, Sorgfalt bei der Vermittlung von Tatsachen.
  • Keine Instrumentalisierung durch Vermarktungsinteressen: Kritische politische Inhalte haben aufgrund des Wahrheitsprinzips Vorrang vor Inhalten, die der (kapitalistischen) Vermarktung und damit der massenhaften Verbreitung des Mediums dienen.
  • Inhaltliche Auseinandersetzung mit LeserInnen statt hoher Auflage: Entgegen dem Prinzip der Auflagensteigerung durch Senkung des inhaltlichen Niveaus werden die Leserlnnen alternativer Medien als den MedienmacherInnen intellektuell gleichwertig betrachtet, im Idealfall treten LeserInnen/RezipientInnen in Interaktion mit der Redaktion. Zumindest in Ansätzen sollte das Prinzip der für alle LeserInnen offenen Redaktion verwirklicht werden. Intellektuell anspruchsvolles Denk— und Sprachverhalten schafft Räume für eigenständiges Denken, geistige Freiheit und kulturelle Eigenständigkeit, was wiederum in Interaktion mit LeserInnen neue, gleich gesinnte Schichten ansprechen und politisch mobilisieren soll.
  • Selbstausbeutung: Aufgrund der zumindest in Österreich nur äußerst spärlich vorhandenen öffentlichen Förderungen müssen alle alternativen Medien den Großteil ihrer Tätigkeit im äußerst demotivierenden Prozess der Selbstausbeutung verrichten. Selbstausbeutung verhindert zwar einseitige Machtausübung durch institutionalisierte (bezahlte, professionelle) MedienarbeiterInnen gegenüber unbezahlten MitarbeiterInnen, hemmt jedoch in der Praxis eine erfolgreiche Entfaltung alternativer Medienproduktion.
  • Versuch zum Aufbau einer alternativen Öffentlichkeit: Alternative Medien versuchen mit Hilfe ihrer bescheidenen Mittel, Öffentlichkeit herzustellen. Hier können Meinungsfreiheit, Kreativität und politische Handlungsweisen unabhängig von kapitalistischen Marktmechanismen realisiert werden.
  • Vernetzung: Um das wichtigste Ziel alternativer Medien, den Aufbau einer alternativen Öffentlichkeit, aufrecht erhalten zu können, tendieren alternative Medien zu einer verstärkten Vernetzung und Zusammenarbeit untereinander und in thematisch und politisch verwandten Gebieten. Die Vernetzungen dienen einerseits der Aufrechterhaltung einer Infrastruktur, andererseits der Interessenvertretung alternativer Medien gegenüber der Politik der Regierung und der medialen Öffentlichkeit. Derartige Vernetzungen beruhen auf einer inhaltlichen Basis, sie sind informell und auf einem niedrigen Niveau, weil professionelle Vernetzungen für alternative Medien sehr kostenintensiv sind. Starke Fluktuationen bei den MitarbeiterInnen alternativer Medien machen kontinuierliche Vernetzungen untereinander schwierig. Da MitarbeiterInnen alternativer Medien kaum bezahlt werden können, trifft dies auch für Vernetzungsarbeiten zu.

Aus diesen groben Anforderungen ergeben sich Leitlinien für eine alternative Medienpolitik. Diese Anforderungen stehen sowohl im Widerspruch zu den Leitlinien und Programmen der derzeitigen österreichischen Regierungsparteien bzw. der ihnen nahe stehenden Interessenorganisationen als auch im Widerspruch zu den Interessen der meisten WählerInnen der Regierungsparteien und der SPÖ. Alternative Medien benötigen für ihre erfolgreiche Ausbreitung eine alternative Medien- und Kulturpolitik mit dem Ziel einer nicht-kommerziellen, pluralistischen Informationsgesellschaft. Diese Politik ist allerdings im derzeit herrschenden politischen Klima kaum durchzusetzen. Deshalb sind die folgenden politischen Maßnahmen zur Förderung nicht-kommerzieller Medien, die auf der Linzer Medienkonferenz im Mai 1999 diskutiert wurden, zwar theoretisch relevant, praktisch aber derzeit nicht umsetzbar. Längerfristig kann dies zum Ende der alternativen Medien in Österreich führen.

Die Forderungen lauten:

  • Änderung der Förderungspolitik im Printbereich: Nicht die Auflage, sondern die redaktionelle Gestaltung soll gefördert werden.
  • Gesetzliche Verankerung freier Radios, die auf Werbeeinnahmen zugunsten offener Programmstrukturen verzichten, sowie eine Grundförderung für den Aufbau und dauerhaften Betrieb.
  • Uneingeschränkter Zugang zu digitalen Netzwerken. Gezielte inhaltliche („Content“-) sowie Infrastrukturförderung im Bereich Medienkunst und Netzkultur. Produktionsplattformen sind dezentral [4] zu errichten. Freier Zugang zu Ausbildungs- und Ausübungsstätten der Medienproduktion.

Da mit der Erfüllung dieser politischen Forderungen nicht gerechnet werden kann, fehlen in Österreich die wesentlichen Voraussetzungen für die Entfaltung eines für alternative Medien günstigen bzw. offenen Informationsklimas.

Anhand der oben skizzierten Kriterien für alternative Medien sollen drei Organisationen und Organisationsformen von alternativen Medien vorgestellt und auf die Erfüllung der Kriterien überprüft werden. Die Auswahlkriterien für die drei Medien (Internet, Printbereich und Radio) erfolgte aufgrund der für die Medien-RezipientInnen möglichen Nutzbarkeit der drei Organisationen. Es handelt sich dabei um die Internet-Plattform nadir-InfoSystem (www.nadir.org), um die Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften (VAZ) sowie um den Verband freier Radios in Österreich.

4. Fallbeispiele für Vernetzung alternativer Medien

 

4.1 nadir-lnfoSystem: Ein Informationssystem zu linker Politik und sozialen Bewegungen im Internet

Mit nadir wollen wir an der Erarbeitung neuer Grundlagen der Linken durch die Bereitstellung eines Ortes zur Kommunikation und Information mitarbeiten. Wir wollen einen Beitrag zur Entwicklung einer emanzipativen Perspektive leisten, die international und internationalistisch allen Widerständen und Kämpfen eine gemeinsame Richtung gibt, um die herrschenden Verhältnisse grundlegend zu verändern — you’ll never walk alone. (Selbstdarstellung und Leitmotiv des nadir-InfoSystems, zit. nach: www.nadir.org)

Das nadir-InfoSystem ist ein seit dem Jahr 1995 bestehender Zusammenschluss von links-alternativen und autonomen Gruppen aus dem Raum Hamburg, die für die versehiedenen Strömungen links-alternativer Gruppen eine Plattform im Internet bildet und umfangreiche Informationen, ein Archiv sowie die Möglichkeit der Partizipation von außen bietet. Das nadir-InfoSystem ist mit der virtuellen Version eines Infoladens vergleichbar: Es stellt E-mails und Newsgroups zur Verfügung, publiziert politische Aufrufe und findet sich mit der Domain „www.nadir.org“ im Internet.

Nadir versteht das Internet als einen Ort neuer sozialer Praxen, in dem Kommunikation und Information nicht nur vermittelt werden, sondern auch zu konkreten Handlungen führen können. Tatsächlich nehmen virtuelle Publikationen und Aktivitäten von links-alternativen Gruppen im Netz rapide zu. Nadir will über Wissensverbreitung via Internet konkrete Handlungen bewirken. Die Beteiligung vieler verschiedener politisch aktiver Gruppen an nadir ist Voraussetzung für den angestrebten entschiedeneren Widerstand gegen staatliche Überwachungs- und Zensurbestrebungen im Bereich der neuen Medien. Tatsächlich sind immer wieder staatliche Versuche einer Zensur missliebiger Inhalte im Internet zu vermerken. Die mediale Kritik an (vermeintlichen) Kinderporno- oder Neonaziseiten im Internet dient auch dazu, Strategien zu entwickeln, das Internet besser kontrollieren zu können.

Das nadir-InfoSystem ist in die sechs Bereiche „aktuell“, „archiv“, „initiativ“, „Periodika“, „Adressbuch alternativer und linker Projekte“ sowie „Kampagnen“ gegliedert. Zusätzlich ist eine Direktsuche über eine Suchmaschine möglich, in der alle in nadir vorhandenen Stichworte und Seiten indexiert sind. Der Bereich „aktuell“ umfasst (tages-)aktuelle politische Meldungen und Informationen zu linken Themenbereichen mit Schwerpunkt Rechtsextremismus/Rassismus.

Den Schwerpunkt des nadir-InfoSystems bildet das „archiv“. Nadir hat den Anspruch, zu allen für die „Weiterentwicklung der Linken“ wichtigen Themen zumindest grundlegende Informationen zu bieten. Aktuelle Diskussionen und Ereignisse sollen in ihren historischen und politischen Kontext gestellt werden. Das „archiv“ soll vor allem Material für theoretische und praktische Arbeit von linken und alternativen Gruppen bereitstellen. Für den Zugriff auf die Daten im Internet gelten dieselben Grundsätze wie für die bisherige politische Arbeit der Infogruppe, die über Computer-Netzwerke organisiert wurde: Informationen müssen für alle frei und für alle zugänglich sein. Das Archiv bietet Textsammlungen zu linker Theorie und Praxis, die nach folgenden Überbegriffen geordnet sind: Antifaschismus, Antimilitarismus, Antirassismus, Feminismus, Häuserkampf, Internationalismus, Kultur, Medien, Netzkritik, Ökologiebewegung, Politische Strömungen, Repression, Sexismus, Technologiekritik.

Der Initiativbereich dient als Raum zur Selbstdarstellung für jene vielfältigen Gruppen und Organisationen, die das nadir-Projekt unterstützen und/oder daran mitarbeiten.

Der Bereich „Periodika“ bildet die Internet-Plattform für 22 links-alternative Medien und Medienprojekte, wie etwa für Jungle World oder für das Wiener TATblatt: Nadir stellt den Speicherplatz für die elektronischen Ausgaben der Medien zur Verfügung, die Herstellung der Internetseiten bleibt den Herausgeberlnnen vorbehalten.

Das „Adressbuch alternativer und linker Projekte“ listet über 900 links-alternative Projekte (Stand April 2001) auf, die nach Themenbereichen geordnet sind. Das nadir-Adressbuch beschränkt sich nicht auf Internetadressen und wird nach Angaben der BetreiberInnen regelmäßig aktualisiert, wobei die Web-Adressen zusätzlich beschlagwortet werden. Ziel ist es, das „umfassendste und übersichtlichste linke Adressenverzeichnis“ zu erstellen, und sich „auf die freiwillige Beteiligung von vielen“ stützen zu können (www.nadir.org/nadir/adressbuch/adress.html). Der Bereich „Kampagnen“ listet 16 politische Kampagnen auf und ist bis zum Jahr 2000 aktualisiert.

Sowohl die Benutzung von nadir durch das politisch interessierte Zielpublikum als auch die Arbeit der Aktivistlnnen bei nadir ist kostenlos, d.h. für diese Selbstausbeutung.

4.2 Die Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften (VAZ)

Die Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften (VAZ) in Österreich soll laut Eigendefinition das Instrument sein, mit dem „alternative Öffentlichkeiten aufgebaut“ (VAZ 1990, 2) und für alternative Medien neue LeserInnen gewonnen werden können. Die VAZ kämpft für das, was sie „verantwortungsvollen Journalismus“ nennt. In ihrer Gründungserklärung sieht sich die VAZ als jene „politische Interessensvertretung (...), die der geistigen und kulturellen Bedeutung der Alternativpresse angemessen ist“ (VAZ 1990, 2). Sie begründete ihr Handeln schon vor mehr als zehn Jahren mit einer — gewagten — Aussage, die heute im Lichte der Regierungsbeteiligung der FPÖ ein wenig wie die Erfüllung einer Prophezeihung wirkt, wenngleich die Situation auch nicht ganz so dramatisch scheint, wie sie damals geschildert wurde: „Womit wir zu rechnen haben, das ist die vollständige Vernichtung eines politischen Raumes, in den ,Themen von allgemeinem Interesse‘ immerhin noch gelangen konnten, die zunehmende Ausschaltung der BürgerInnen aus allen sie betreffenden gesellschaftlichen Abläufen, eine rasant anwachsende Bedrohung der geistigen und kulturellen Integrität der Menschen in diesem Land “ (VAZ 1990, 1). [5]

Die VAZ wollte für alternative Printmedien organisatorische und technische Infrastrukturen aufbauen, die den alternativen Medien im Lande bisher kaum oder gar nicht zur Verfügung standen. Eine gemeinsame Vertriebsorganisation vieler Alternativzeitschriften könnte mit einer Gesamtauflage arbeiten, die den Aufbau einer alternativen Vertriebsstruktur auch ökonomisch möglich und sinnvoll macht. Die OrganisatorInnen verbanden mit diesem Projekt aber auch die Hoffnung, dem Vertrieb alternativer Zeitschriften eine neue Qualität zu verleihen. Bisher unerschlossene Zielgruppen könnten durch gemeinsame Werbung bzw. Unterstützung der einzelnen Beteiligten bei ihren Werbeaktivitäten hinzugewonnen werden. Die VAZ sah sich bei ihrer Gründung als die Interessenvertretung der alternativen Presse und wollte sich für eine angemessene Presseförderung für alternative Medien einsetzen. Die Gleichstellung von nicht-(voll-) beruflichen JournalistInnen (die den Großteil der MitarbeiterInnen alternativer Medien ausmachen) mit den vollberuflichen KollegInnen der etablierten Presse sowie die Aufnahme von MitarbeiterInnen alternativer Medien in medienpolitische Institutionen (Dorer 1992, 41) war ein weiteres Ziel der VAZ. Die VAZ plante auch, Maßnahmen gegen eine weiter fortschreitende Pressekonzentration und für die Zusammenarbeit mit anderen Medieninitiativen zu setzen. Weiters strebte sie journalistische und technische Fortbildungsaktivitäten für MitarbeiterInnen im alternativen Medienbereich an.

Um die Bedeutung der alternativen Publizistik zu würdigen und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde an die Ausschreibung eines „Alternativpublizistikpreises“ gedacht. Doch der gemeinsame Vertrieb, der ursprünglich nicht mehr war als die Zusammenarbeit verschiedener „HandverkäuferInnen“, scheiterte rasch und konnte nicht realisiert werden. Der Traum von einem durch die öffentliche Hand finanzierten Medienbüro zum Vertrieb nicht-kommerzieller, alternativer Medien war aufgrund der Unwilligkeit der politischen Entscheidungsträger, entsprechende Einrichtungen zu finanzieren, sehr schnell vorbei.

Als in den Jahren 1995 und 1996 die ÖVP die Publizistikförderung für mehrere Mitgliedszeitschriften der VAZ entgegen den Empfehlungen des Publizistikbeirates streichen wollte, startete die Vereinigung eine Kampagne gegen die Medienpolitik der ÖVP. Ähnliches geschah im Jahr 2000 anlässlich der ab 1. Jänner 2001 wirksam gewordenen Erhöhung des Postzeitungstarifs. Die Vorbereitung der bereits erwähnten Linzer Medienkonferenz 1999 war ein weiterer Tätigkeitsschwerpunkt. Doch die hochgesteckten Ziele, bessere Bedingungen für alternative Medien zu erreichen, konnten nicht erreicht werden. Ihr Büro teilt sich die VAZ heute mit einigen ähnlich gesinnten politischen und kulturellen Vereinigungen.

Derzeit sind folgende Zeitschriften Mitglieder der VAZ:

  • ad hoc: Literaturzeitschrift
  • akin: Aktuelle information, links-alternative Wochenzeitschrift
  • an.schläge: Feministisches Magazin für Arbeit, Kultur, Politik und Wissenschaft
  • Bedrohte Völker: Zeitschrift der Gesellschaft für bedrohte Völker
  • Context XXI: Zeitschrift für Kritik mit dem Themenschwerpunkt Gewalt- und Herrschaftskritik (ehemals ZOOM)
  • Die Alternative: Zeitschrift der Alternativen und Unabhängigen GewerkschafterInnen
  • El Salvador Info: Informationen aus El Salvador
  • Frauensolidarität: Feministische Zeitschrift mit Schwerpunkt auf Frauenthemen in Entwicklungs- und Trikontländern
  • Friedens-Forum: Zeitschrift zur Förderung internationalen wissenschaftlichen und politischen Dialoges zwischen Friedenspolitik und Friedensbewegung
  • hock’nstad: Zeitschrift für Erwerbslose
  • Juridikum: Beiträge zu Recht, Staat und Politik
  • KANAL-Zeitung: Zeitschrift des Kulturvereins KANAL in Schwertberg, allgemeine emanzipatorische Anliegen
  • Lambda Nachrichten: Zeitschrift der Homosexuellenlnitiative
  • Lateinamerika anders: Informationen aus Lateinamerika
  • Monochrom — Zeitschrift für kunst und literatur
  • rapidité: Informationsblatt des EKH
  • sic! Forum für Feministische Gangarten: Feministisches, wissenschaftliches Magazin
  • TATblatt: Linke, 14-tägig erscheinende Zeitschrift
  • Ulenspiegel: Ost-West-Informationen
  • Weg und Ziel: Marxistische Zeitschrift
  • Zivinfo: Zeitschrift für Zivilgesellschaft (Zivildienstthemen)

4.3 Verband freier Radios

 

4.3.1 Die Situation der freien Radios im Überblick

Während sich nicht-kommerzielle Radios in den 80er- und 90er-Jahren praktisch weltweit etablierten und auch relativ schlagkräftige Interessenvertretungen aufbauten (etwa die auf europäischer Ebene agierende F.E.R.L, Europäische Förderation Freier Radios oder die AMARC, Association Mondiale des Radios Communitaires/World Association of Community Radios), blieb es diesbezüglich in Österreich im Äther zunächst ruhig — abgesehen von den Störungen der RadiopiratInnen als den PionierInnen der freien Radios. Die weltweite nicht-kommerzielle Radio-Szene reichte von den „radios libres“ in Frankreich (aus denen die F.E.R.L. hervorging) über staatlich konzessionierte Lokalradios in Nordeuropa bis zu den Community Radios in Nordamerika, Aboriginal-Radios in Australien sowie Radios verschiedenster emanzipatorischer Befreiungsbewegungen in Afrika und Lateinamerika (Dorer/Marschik 1990, 23 2). Die direkte Nähe dieser Radios zu den HörerInnen und die emanzipatorisch motivierte politische Berichterstattung bilden den gemeinsamen Nenner. Beispiele für Community Radios: Multi-ethnisches Radio, Frauenradio, Radio von Befreiungsbewegungen, partizipatorisches Radio, Radio marginalisierter Bevölkerungsgruppen, Radio für indigene Völker etc. ...

In Österreich verfolgten die Behörden aufgrund des ORF-Rundfunkmonopols die sehr aktiven RadiopiratInnen ziemlich intensiv, konnten aber ein Aufblühen der RadioaktivistInnenszene Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre nicht verhindern. Die meist an den Universitäten „lagernden PiratInnen“ waren äußerst „radio-aktiv“, sowohl, was das Senden, als auch Versuche betrifft, die Sendetätigkeit zu legalisieren.

Der Verband freier Radios konstituierte sich 1995 in Graz als Sammelbecken der in ganz Österreich aktiven RadiopiratInnen, um die legale Etablierung nicht-kommerzieller, freier Radios voranzutreiben: „Freie Radios sind unabhängige, gemeinnützige, nicht-kommerzielle und nicht auf Profit ausgerichtete Organisationen, die einen allgemeinen und freien Zugang zu Sendeflächen für Rundfunkverstaltungen garantieren und bereitstellen, um die freie Meinungsäußerung zu fördern. Als drittes Standbein in der Medienlandschaft neben öffentlich-rechtlichen und kommerziell privaten Rundfunkveranstalterinnen erweitern Freie Radios die Meinungsvielfalt. Freie Radios geben allen Personen und Gruppen innerhalb des gesetzlichen Rahmens die Möglichkeit zur unzensierten Meinungsäußerung und Informationsvermittlung. Vorrang haben dabei ethnische Minderheiten und solche Personen und Gruppen, die wegen ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung oder sexistischen und rassistischen Diskriminierung in den Medien kaum oder nicht zu Wort kommen.“ Soweit die Selbstdefinition des Verbandes freier Radios Österreichs (zit. nach: http://www.freirad.at/_info/charta.html [mittlerweile unter https://freie-radios.at/charta.html]). Heute ist der Verband praktisch ident mit Orange 94,0, das als erstes freies Radio in Österreich legal erst am 17. August 1998 auf Sendung ging.

4.3.2 Gesetzliche Grundlagen freier Radios in Österreich

Nicht-kommerzielles Radio ist in Österreich von Gesetz wegen nicht als eigene Kategorie anerkannt. Damit besteht auch keine finanzielle Förderung auf gesetzlicher Basis. Eine Bundesförderung für freie Radios in Österreich war bisher im Zuge der Volksgruppenförderung erfolgt. So erhielt der Sender Radio AGORA in Kärnten beispielsweise Mittel der Volksgruppenförderung des Bundeskanzleramtes, weil das Programm slowenisch und deutsch in gleichem Ausmaß verwendet. Diese Förderung anerkennt zwar die Leistung von Radio AGORA auf dem Gebiet der Volksgruppenförderung, nimmt aber keinerlei Bezug auf die alternative, nicht-kommerzielle Ausrichtung des Senders. Da für die Subvention weder bindende Richtlinien bestehen, noch eine weitere Finanzierung gesichert ist, muss Radio AGORA im Frühjahr 2001 um seinen Fortbestand zittern. Es ist zu befürchten, dass die ÖVP/FPÖ-Regierung den freien Radios die Förderungen streichen möchte. [6]

Andere freie Sender erhielten geringfügige Subventionen aus dem Topf für unabhängige Kunstinitiativen. Sie traten dort als KonkurrentInnen der förderungswürdigen Kulturinitiativen auf. Eine Lösung wäre hier eine grundlegende Reform der Medienförderung in Österreich. Die Umwandlung der Publizistik- in eine Medienförderung sowie die Einrichtung einer unabhängigen Medienbehörde statt der Regionalradiobehörde sind Forderungen der freien Radios. Eine generelle Medienförderung hätte den Vorteil, dass Publizität umfassender als bisher unterstützt werden könnte. Eine unabhängige Medienbehörde könnte die in Österreich herrschenden monopolähnlichen Zustände im Mediensektor besser kontrollieren oder sogar eher Anweisungen zur Kartellentflechtung geben als eine allein auf den Radiobereich achtende Behörde. Werbefreiheit und offenen Zugang schlagen die freien Radios als förderungswürdige Kategorien vor. Auch die Zahlungen für AutorInnenrechte und die AKM (Allgemeine Kultur- und Musikabgabe) sollen demnach für freie Radios anders geregelt werden als für kommerzielle Anbieter.

Die Kritik von Orange 94.0 und sinngemäß auch der freien Radios an der bestehenden Medienlandschaft und Medienpolitik lautet: „Erwerbsfreiheit steht vor Meinungsäußerungsfreiheit. Wer jedoch Medienfreiheit als eine Freiheit der kommerziellen Tätigkeiten von Medienbetrieben und nicht mehr als publizistischen Wettbewerb zu Herstellung außenpluraler Öffentlichkeiten versteht, der geht weit über die Gestaltungsfreiheit einer Regierung hinaus, und greift Grundrechte in elementarer Weise an“ (www.orange.or.at).

5. Überprüfung der untersuchten Organisationen anhand des erstellten Kriterienkatalogs

Die drei vorgestellten Initiativen wurden anhand des ausgearbeiteten Kriterienkatalogs für alternative Medien überprüft, ob und inwiefern sie diesem gerecht werden.

Politisch-inhaltliche Interessen als Triebfeder des Schaffens

Da sich alle drei untersuchten Vereinigungen selbst als politische Organisationen betrachten und konkrete politische Handlungen setzen und setzten, gilt dieser Grundsatz für alle drei uneingeschränkt.

Wahrheit und Sorgfalt als einziges Erfolgskriterium

„Wahrheit und Sorgfalt“ sind auch inhaltlich-politische Kriterien und können daher nicht ohneweiters überprüft werden. Da alternative Medien zumindest teilweise jene Informationen verbreiten, die in „bürgerlichen“, kommerziellen Medien unterbleiben (vgl. dazu Kap. 2.1 „Kritik an den theoretischen Grundlagen“), darf davon ausgegangen werden, dass jene in bürgerlichen Medien „unterlassenen“ Nachrichten als besonders kritisch bzw. brisant gelten und daher alternative Medien ein besonderes Maß an Sorgfalt anwenden. Da es sich bei solchen Nachrichten häufig um Meldungen handelt, an denen kommerzielle Medien kaum bis gar kein Interesse zeigen, lässt dies nach Meinung des Verfassers den Schluss zu, dass diese Medien v.a. mit Meldungen über Vorkommnisse aus der linken Szene äußerst schlampig und wenig sorgfältig umgehen, was auch mit einigen Beispielen aufgezeigt werden kann. [7]

Keine Instrumentalisierung durch Vermarktungsinteressen

Diese Kategorie trifft auf alle drei untersuchten Vereinigungen zu. Alle drei Medienorganisationen sind definitiv nicht-kommerziell orientiert. Da Nicht-Kommerzialität im direkten Widerspruch zu Vermarktungsinteressen steht, darf auch dieses Kriterium für alle drei untersuchten Organisationen gelten.

Inhaltliche Auseinandersetzung mit LeserInnen statt Auflagensteigerung

Da sowohl die Mitgliedszeitschriften der VAZ als auch die freien Radios offen für Beiträge und Mitarbeit ihrer Hörer- und LeserInnen sind und das nadir-InfoSystem überhaupt nur durch die Beiträge seiner BenützerInnen aktuell bleiben kann, darf auch dieses Kriterium als erfüllt gelten. Die Begründung dafür ist, dass die Einbindung von RezipientInnen in den Produktionsablauf für die großteils in Selbstausbeutung produzierten Medien einen weiteren Mehraufwand bedeutet. Dieser wirkt sich zwar positiv auf die Qualität der Berichterstattung aus, kann aber den erhöhten Aufwand und eine allfällige Auflagensteigerung nicht wettmachen.

Selbstausbeutung

Auch dieses wenig wünschenswerte Kriterium darf für alle drei hier beschriebenen Initiativen als erfüllt gelten, da diese weder bedeutende öffentliche finanzielle oder organisatorische Unterstützungen erhalten, noch kommerziell ausgerichtet sind. Keine der drei untersuchten Organisationen kann ohne Selbstausbeutung der MitarbeiterInnen überleben.

Versuch zum Aufbau einer alternativen Öffentlichkeit

Da der Aufbau alternativer Öffentlichkeit erklärtes Ziel alternativer Medien ist, und alle drei Organisationen in ihrem jeweiligen Bereich dafür massiv Akzente zu setzen versuchen, trifft auch dieses Kriterium zu.

Vernetzung zur Zusammenarbeit und Aufrechterhaltung der Infrastruktur

Bei den drei untersuchten Initiativen handelt es sich um Paradefälle der Vernetzung alternativer Medien. Sowohl die inhaltliche als auch die organisatorische Kooperation zwischen verschiedenen Medien wurde und wird von den drei untersuchten Organisationen immer wieder betrieben, ja ist eine Grundvoraussetzung für ihre eigene Existenz.

6. Bedeutung alternativer Medien und Perspektiven für eine alternative Medienlandschaft

Alternative Medien streben vielfach nach anderen Gesellschaftssystemen, trotzdem sind sie zur Aufrechterhaltung des herrschenden Gesellschaftssystems nötig. Sie bilden quasi die Avantgarde des Journalismus. Da die JournalistInnenausbildung in Österreich nicht eindeutig geregelt ist und bei den traditionellen Medien nur wenige Ausbildungsplätze frei sind, lernen viele NachwuchsjournalistInnen ihr Handwerk im Umgang mit alternativen Medien. Da dieses learning by doing in der Regel dem schon öfters erwähnten Prinzip der Selbstausbeutung folgt, sparen sich traditionelle Medienunternehmen einen Teil der Nachwuchsausbildung. Viele heute etablierte österreichische MedienmacheInnen stammen aus der alternativen Szene. Alternative Medien übernehmen zusätzlich immer öfter die Rolle, die eigentlich Aufgabe öffentlich-rechtlicher Bildungs- und Rundfunkeinrichtungen wäre: für humanitäre Anliegen einzutreten und eine gerechtere Kommunikations- und Gesellschaftsordnung herbeizuführen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die hier analysierten Medienorganisationen typisch für die österreichischen Alternativmedien stehen dürfen, wenn auch das nadir-InfoSystem aus Deutschland stammt. Die österreichische alternative Medienlandschaft umfasst etwa 250 mehr oder weniger unregelmäßig erscheinende, politische und nicht-kommerzielle Zeitschriften und etwa zehn freie, nicht-kommerzielle Radios, von denen aber nicht alle eine Sendeerlaubnis besitzen.

In fast allen Fällen ist aber trotz der Existenz unterstützender Organisationen für alternative Medien in Österreich nicht klar, ob sie längerfristig überleben können. Denn auch die unterstützenden Organisationen sind gegenüber vielen kommerziellen und politischen KonkurrentInnen so gut wie machtlos, vertreten sie doch Anliegen von (politischen) Minderheiten, die nur schwer wahrgenommen werden. Trotzdem haben sie durch hartnäckige Arbeit auch Entscheidungen zu ihren Gunsten beeinflussen können. Vor allem im Bereich der freien Radios ist auch in Österreich in den letzten Jahren vieles geschehen, was Organisationen von Alternativmedien jahrelang eingefordert haben. So ist es mittlerweile möglich, nicht-kommerzielles freies Radio zu machen (und zu hören), ohne dass die RadiomacherInnen Angst vor Postpeilwägen und der Polizei haben müssen, was noch vor wenigen Jahren Normalzustand war. Dies jedoch um einen hohen Preis: Die alternativen, nicht-kommerziellen Medien entlassen den Staat sowie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer mehr aus der Verpflichtung, sich auch mit der Meinung und Rolle von kulturellen, politischen und ethnischen Minderheiten auseinander zu setzen, ohne dass der Staat oder der weitgehend kommerzialisierte (Stichwort: „Taxi Orange“) öffentlich-rechtliche Rundfunk die Leistungen der alternativen Medien entsprechend fördern.

Im Zuge der Neuvergabe von 23 Privatradiolizenzen ist es zu einer neuen Vernetzung von zehn nicht-kommerziellen freien Radios im sogenannten „Alternativen Medienverbund“ gekommen (Der Standard, 25.4.2001).

Doch die erreichten Fortschritte in Österreich wie auch anderswo stehen auf der Kippe: Der Sparkurs der Regierung und das herrschende, tendenziell intellektuellenfeindliche Klima machen es nicht einfacher, den (aus der Sicht des Autors dringend nötigen) Aufbau einer alternativen Kommunikationskultur zu verwirklichen. Vieles spricht dafür, dass Medienpolitik in Österreich weiterhin bestenfalls nur abgeleitete Politik im Sinne Ulrich Saxers [8] ist. Im schlimmsten Fall findet sie gar nicht statt. Doch genau damit eröffnet sich auch eine Chance für alternative Medien.

aus: SWS-Rundschau (41.Jg.) Heft 2 /2001: S 214-234

Literatur

  • AMARC Europe [ed.] [1993] Info No 2. The Europe of Radios. Sheffield.
  • autonome a.f.r.i.k.a.gruppe [Hgin] [1998] Handbuch der Kommunikationsguerilla. Hamburg.
  • Benjamin, Walter [1969/0rig. 1934] Der Autor als Produzent. In: Raddatz, Fritz [Hg.] Marxismus und Literatur. Bd. 2. Reinbek, 263-277.
  • Brecht, Bert [1972/Orig. 1931] Der Rundfunk als Kommunikationsapparat. In: Prokop, Dieter [Hg.] Massenkommunikationsforschung. Band 1: Produktion. Frankfurt, 32.
  • Dorer, Johanna [1992] Neue soziale Bewegungen und ihre Medien. In: Dorer, Johanna] Marschik, Matthias/Glattau, Robert [1992] [HgInnen] Medienverzeichnis 1992/93. Gegenöffentlichkeit und Medieninitiativen in Österreich. Wien, 36-47.
  • Dorer, Johanna [1995] Struktur und Ökonomie der „Alternativpresse“. Eine Bestandsaufnahme des nichtkommerziellen Zeitschriftenmarktes am Beispiel Österreich. In: Publizistik. Vierteljahreshefte für Kommunikation, Heft 3, Wiesbaden, 327-344.
  • Dorer, Johanna/Baratsits, Alexander [HgInnen] [1995] Radiokultur von morgen. Ansichten, Aussichten, Alternativen. Wien.
  • Dorer, Johanna/Marschik, Matthias [1990] The Right to Communicate. Über den Weltkongress nichtkommerzieller Radios. In: Medien-Journal, Heft 4, 232-233.
  • Dorer, Johanna/Marschik, Matthias/Glattau‚ Robert [1992] [HgInnen] Medienverzeiehnis 1992/93. Gegenöffentlichkeit und Medieninitiativen in Österreich. Wien.
  • Drobil‚ Konstantin (1993) Die Ökonomie der Alternativpresse. Diplomarbeit. Wien.
  • Enzensberger, Hans Magnus [1973] Orig. 1970] Baukasten zu einer Theorie der Medien. In: Prokop, Dieter [Hg.] Massenkommunikationsforschung. Band 2: Konsumtion. Frankfurt, 420-433.
  • Kettler, Gerhard [1997] Die alternative Tageszeitung in Österreich. Empirische Studie. Wien.
  • Ladstätter, Gerhard [1999] Dachverbände und Vernetzung von alternativen Medien. Dipl-Arbeit. Wien.
  • Linzer Erklärung 1999. In: Raunig, Gerald/Wassermair, Martin [Hg.] [1999] sektor3medien99. Kurskorrekturen zur Kultur- und Medienpolitik. Wien, 171-175.
  • Mayntz, Renate [1992] Modernisierung und die Logik von interorganisatorischen Netzwerken. In: Journal für Sozialforschung, Heft 2, 47-59.
  • Negt, Oskar/Kluge, Alexander [1972] Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. Frankfurt.
  • Powell, Walter [1990] Weder Markt noch Hierarchie: Netzwerkartige Organisationsformen. In: Kenis, Patrick/Schneider, Volkmar [Hg.] Organisation und Netzwerk. Institutionelle Steuerung in Wirtschaft und Politik. Wien, 220-271.
  • TATblatt‚ einer vom (1995) Alternativmedien und alternative Öffentlichkeiten. In: TV-NEWS 6/98, Wien, 1-3.
  • Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften (VAZ) (1990) SOS Medienvielfalt. Die Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften. Wien.
  • Weichler, Kurt (1983) Gegendruck. Lust und Frust der alternativen Presse. Frankfurt.
  • Weichler, Kurt (1987) Die anderen Medien. Theorie und Praxis alternativer Kommunikation. Berlin.

Adressen

  • nadir-InfoSystem
    Brigittenstraße 5, D-20359 Hamburg
    Tel: ++49-40-431 89 640
    Email: nadir@mail.nadir.org http://www.nadir.org
  • VAZ — Vereinigung alternativer Zeitungen und Zeitschriften
    Schottengasse 3a/1/59, A-1010 Wien
    Tel: ++43-1-535 11 06
    Email: vaz@mediaweb.at http://vaz.mediaweb.at
  • Verband freier Radios
    Schubertgasse 10, A-1090 Wien
    Tel: ++43-1-315 79 79
    Email: Verband.freier.radios@blackbox.net

[1In Österreich laufen Alternativmedien Gefahr, wegen „Aufforderung zum Ungehorsam gegen Gesetze„, Strafdrohung: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr — oder wegen § 282 StGB „Aufforderung zu einer mit Strafe bedrohten Handlung“, Strafdrohung: Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren — belangt zu werden, wenn aus Berichten im Zusammenhang mit friedenspolitisehen Themen Aufrufe zur Verweigerung des Wehrdienstes oder militärischer Dienstpflichten herausgelesen werden können. Kettler (1997, 56) listet weiters die Verurteilung einer Redakteurin der „akin“ auf, die für die Veröffentlichung eines Aufrufs zum Ungehorsam gegen Militärgesetze verantwortlich gemacht wurde (ebd.). Außerdem erwähnt Kettler Verfahren gegen die Gruppe „Revolutionsbräuhof“, auf deren Plakaten, Drucksehriften etc. laut Untersuchungsrichterin „die in der Bundesverfassung festgelegte Staatsform Österreich lächerlich gemacht worden sei" (ebd.). Mittlerweile wurde dieses Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt.

[2Das Modell der“Einrichtungskommunikation„ist in der neueren Massenkommunikationsforschung durch die Erkenntnisse des bereits zwischen 1930 und 1960 entstandenen, aber erst kürzlich wieder aufgearbeiteten bahnbrechenden Werks“Die unerkannte Kulturmacht„von Otto Groth über die“Vermittlungswirkung" von Medien hinfällig geworden. Dennoch verwenden fast alle Lehrbücher der Kommunikationswissenschaft nach wie vor dieses Modell.

[3Der F.E.R.L.‚ „Féderation Europeenne des Radios Libres„, also der „Europäischen Föderation freier Radios“, gehörten sowohl einzelne Radios als auch Radioföderationen an. Die F.E.R.L. bestand aus den Delegationen von insgesamt 150 Basisradios in sieben Ländern. 1991 veranstaltete die F.E.R.L. in Wien einen Kongress zur Situation freier Radios, der zum Teil live — illegal — gesendet wurde und großes mediales Aufsehen erregte.

[4Als Beispiel einer dezentralen, offenen Content-Plattform im Sinn demokratischer Beteiligung und Kontrolle ist „public netbase t0" in Wien zu erwähnen.

[5Die vollständige Vernichtung des politischen Raumes konnte zwar nicht diagnostiziert werden, im Lichte der Entwicklungen des letzten Jahrzehnts kann allerdings eine stark zunehmende Entpolitisierung der öffentlichen Debatte konstatiert werden, die die geistige und kulturelle Integrität des Landes aber zumindest ähnlich bedroht. Die durch die Proteste gegen die ÖVP/FPÖ-Regierung konstatierte Repolitisierung konnte die öffentliche Debatte zwar zeitweise wieder politisieren, doch scheint die Politisierung punktuell begrenzt zu sein, was sich auch am Desinteresse vieler Menschen an politischem und öffentlichem Widerstand gegen die Bundesregierung manifestiert.

[6Radio AGORA ist nach wie vor von akuten Finanznöten geplagt und erwägt die Kürzung seines Programms.

[7Etwa die Berichterstattung der „Presse“ über die Aktivitäten des „Revolutionsbräuhofs", die mehr mit Wunschdenken des zuständigen „Presse“-Journalisten als mit der Realität zu tun hatte.

[8Ulrich Saxer geht davon aus, dass Medienpolitik Politik der herrschenden Klasse und daher auch ihren Interessen unterworfen ist: Medienpolitik sei daher kein eigenständiges Politikfeld, da sie anderen Interessen nachgelagert sei.

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