Streifzüge, Heft 35
Oktober
2005

Vom Einkommen zum Auskommen

Zu Plausibilität und Kritik des garantierten Grundeinkommens

„I just couldn’t function without money.“

Ray Davis/The Kinks, Preservation Act 2 (1974)

Die Forderung nach dem Grundeinkommen hatte schon einmal Konjunktur. Das war Mitte der Achtziger des vorigen Jahrhunderts. Nun steht es abermals auf der Agenda.

Befürworter des Grundeinkommen gehen schlichtweg von einem Allokationsproblem aus: Leute, die Geld haben sollen, haben keines. Geld für alle, lautet die Devise. Dem gesellschaftlichen Geld-Haben-Müssen setzt man ein entschiedenes „Unbedingt!“ entgegen. Der Menschen Pflicht soll zu einem Menschenrecht werden. Da die Marktwirtschaft nicht Geld für alle zur Verfügung stellt, soll Vater Staat einspringen. Dass er es kann, wird unterstellt und vorausgesetzt. Konstatiert wird ein Verteilungsdefizit, dem über staatliche Alimentierung abgeholfen werden soll.

Konventionelles Mittel

Insoweit ist jedes Grundeinkommensmodell vorerst ein weiteres konventionelles Mittel der Sozialpolitik. Auch bisher stammten ja schon beträchtliche Teile der Haushaltseinskommen aus sozialen Töpfen. Parallelen könnte man etwa in der gängigen Familienbeihilfe sehen, die einem automatisch Geld pro Kind zukommen lässt. Durch einen Basislohn soll die Zuteilung von Geldern nunmehr generell und nicht mehr speziell (nach einem festgelegten Bedarf) geregelt werden. „Ein Grundeinkommen muss einen individuellen Rechtsanspruch darstellen und darf nicht mit Bedarfsgemeinschaften verrechnet werden. Es muss existenzsichernd sein im Sinne einer gesellschaftlichen Teilhabe und ohne Bedürftigkeitsprüfung ausgezahlt werden und darf mit keinem Zwang zur Arbeit verbunden sein.“ (Werner Rätz / Dagmar Paternoga / Werner Steinbach, Grundeinkommen: bedingungslos. Hamburg 2005, S. 12. )

So entfällt beim Grundeinkommen die direkte Koppelung des Einkommens an die Arbeit, nicht jedoch die Koppelung von Geld und Leben, d. h. Geld und Arbeitsprodukte sind weiterhin zu tauschen, auch wenn die Ware Arbeitskraft nicht mehr benötigt wird. Ökonomisch bedeutet das Grundeinkommen nichts anderes als eine Absicherung kaufen zu können ohne verkaufen zu müssen. Äquivalierung wird nach einer Seite hin gemildert, aber nicht insgesamt zurückgewiesen. Die indirekte Verknüpfung über Steuern ist wie bei anderen sozialstaatlichen Leistungen trotzdem gegeben.

Grundeinkommen meint auch nicht Negation der Arbeit. Es bekennt sich ausdrücklich dazu, dass jene, die arbeiten, weiterhin mehr Geld bekommen sollen als jene, die nicht arbeiten. Die Arbeit für den Markt wird in typischer Weise höher veranschlagt als alles andere. „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, wird zwar durchbrochen – und das ist wichtig! –, allerdings hat jetzt bloß zu gelten: Alle sollen was haben, aber wer arbeitet, soll mehr haben. Das Leistungsprinzip, das ja eines des Kommerzes ist und keines allgemeiner Nützlichkeit, wird unbeanstandet gelassen, ihm wird lediglich eine untere Schranke eingezogen nach dem karitativen Motto: Wir können uns auch die Nichtleister leisten. Soziale Abwertung wäre dadurch gegeben, dass das Grundeinkommen die Bevölkerung fortan in zwei Gruppen einteilt: in Geber und Empfänger von Geld, in Financiers und Rentiers. Das birgt Sprengstoff. In einer Gesellschaft, in der Arbeit, Wert und Geld als das Wichtigste gelten, sind Empfänger arbeitslosen Einkommens weiterhin Menschen zweiter Klasse. Daran wird kein Grundeinkommen etwas ändern. Dieses wäre, so etwa der Chef der christdemokratischen Gewerkschaftsfunktionäre in Österreich, Fritz Neugebauer, „ein Schlag ins Gesicht derjenigen, die voll im Arbeitsprozess stehen“. (Der Standard, 22. Oktober 2005)

Leim des Geldes

Ansonsten bleibt alles wie gehabt: die Produktion, die Zirkulation, die Konsumtion und selbstverständlich auch die Reproduktion. Die Produkte bleiben gleich, die Märkte bleiben gleich, Kauf und Verkauf bleiben gleich. Das Einzige, was nicht gleich bleibt, sind Käufer, die nun alle über ein Mindestmaß an Garantiescheinen verfügen, um Marktteilnehmer sein zu können. Womit freilich schon Grundsätzliches über das Grundeinkommen ausgesagt ist. Es ist ein absolut beschränktes Ziel. Das Problem wird an seiner oberflächlichsten Ebene behandelt. Es regiert der trotzige Standpunkt: Wer kein Geld hat, soll gefälligst welches bekommen, damit er oder sie existieren kann. Das ist zwar besser als das (marktliberale) Gegenteil, doch ebenso wie dieses klebt es am Leim des Geldes. Der gesellschaftliche Kreislauf wird damit überhaupt nicht tangiert. Im Gegenteil, man will dessen Ablauf garantieren.

Denn dass der Kapitalismus läuft, daran glauben die meisten. Er erscheint als die gesunde Kuh, die von den Falschen gemolken wird. Suggeriert wird, dass Geld genug vorhanden wäre, ja dass Geld eigentlich kein Problem wäre, hätten nur alle genug davon. Kritisiert wird das fehlende Quantum, nicht die irre Qualität des Geldes. Geld wird verstanden als neutrales Kaufmittel. Dass es an Arbeit und Wert gebunden ist und ein Resultat des gesellschaftlichen Gewaltverhältnisses darstellt, ist ausgeblendet.

Irgendwie beschleicht einen das Gefühl, dass das schwarze Loch der völligen Orientierungslosigkeit durch eine neue Zauberformel gestopft werden soll. Einmal mehr agiert die Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners, der im Sinne eines kurzfristigen Ziels alle inhaltlichen Bezüge und radikalen Implikationen als dem Bündnis abträglich draußen haben will. Es handelt sich um eine Kampagne der obligaten Sorte. In praktizistischer Manier verkündet man die ganze Gemeinheit des Kapitals: „Wir wollen Geld!“ Was keine Bürgerseele (also niemand! ) abstreiten kann, wird hier zum Programm erhoben.

Dass das Leben über Geld geregelt werden soll, ist den Grundeinkommensbefürwortern keinen kritischen Einwand wert. Es würde auch ablenken von der allzu schillernden Idee. Ware und Wert sind nicht Gegenstand, und wenn schon, dann nur in der kruden Absicht, dass man sie haben will. Nicht das ökonomische Zwangsmittel wird beanstandet, sondern primär, dass nicht alle in den Genuss kommen, genügend Zwangsmittel einsetzen zu können. Die unmittelbare Notwendigkeit erhält Applaus, den sie in keiner Weise verdient. Der sozialen Ausgrenzung stellt man eine soziale Eingemeindung gegenüber. Der Grenzbalken ist weiterhin das Geld, dessen Besitz entscheidend ist und bleibt. Positives Denken regiert: Geld ist nur schlecht, wenn man es nicht hat.

Alles Markt? Alles Arbeit?

Der Markt ist eine Größe, die sich reell alles unterwirft, doch heißt das noch lange nicht, dass alle Bereiche auch nach dessen Gesetzen funktionieren. Die Macht des Marktes beruht auf der Aneignung der Resultate, nicht auf der Normierung aller Abläufe. Der Markt konsumiert diverse Gratis„arbeiten“ in hohem Ausmaß. Sie sind Bestandteil der organischen Zusammensetzung des Kapitals ohne in dessen Wertzusammensetzung aufzuscheinen. Diese Geschicke und Vermögen gehen ein, ohne dass formelle Rechts- und Tauschakte gesetzt werden, sie sind quasi die informelle Seite des Kapitals. Jene sind wertrelevant, aber nicht unmittelbar wertbildend. Was die Sache nicht einfacher macht, auch nicht in der Analyse. Aber das wäre schon ein anderes spannendes Thema.

Wichtig ist allerdings festzuhalten, dass mit der Forderung nach einem Grundeinkommen ein Programm weiterer Kommodifizierung vertreten wird, was meint, dass die informelle Seite des Kapitals auch via monetärer Anerkennung formalisiert werden soll (als Beispiel sei hier die Debatte über die Entlohnung für Hausarbeit genannt). Eingeklagt wird also, dass bestimmte Tätigkeiten deswegen nichts wert sind, weil sie nicht als Arbeit gelten. Zu betonen ist jedenfalls, dass zahlreiche und vor allem sinnvolle und unumgängliche Tätigkeiten nicht via Markt geregelt sind: Erziehung, Betreuung, Nachbarschaftshilfe, Sich-Bilden, Alltagskommunikation, Nachdenken, Üben, Lernen, Vereinstätigkeiten, der ganze emotionale Bereich von Liebe, Freundschaft, Bekanntschaft. Problematisch ist zweifelsfrei ihre Geringschätzung, nicht aber, dass sie nicht als Arbeit anerkannt werden.

Der Arbeitsbegriff der Arbeitsgesellschaft kommt von der Lohnarbeit her und von ihr auch nicht los. Diese Kategorie stellt schon in seinem Gebrauch ein inakzeptables Dogma dar. Nicht, dass alles als Arbeit gelten soll, ist das Ziel, sondern dass sich die Gesellschaft von der Arbeit und dem hinterhältigen Arbeitsbegriff emanzipiert. Wer hingegen die emphatische Ausweitung des Arbeitsbegriffs propagiert, gibt damit zu verstehen, dass er den Leitwert der Arbeitsgesellschaft teilt, ja folglich diesen sogar umfassend angewandt sehen will.

Was viele Grundeinkommensbefürworter verbindet, ist denn auch die saloppe Ausweitung des Arbeitsbegriffs. Auch diverse Beiträge auf dem Anfang Oktober 2005 in Wien abgehaltenen „Grundeinkommen-Kongress“ weisen in diese Richtung (siehe: http://www.grundeinkommen2005.org/): Hausarbeit, Eigenarbeit, freiwillige Arbeit, alles soll unter die selbe Kategorie subsumiert und geadelt werden. Dieser Arbeitsbegriff ist ein positiver, er beklagt, dass gewisse Tätigkeiten in ihm nicht berücksichtigt werden, anstatt den Arbeitsbegriff selbst als regressive Realabstraktion zu deklarieren. Nicht die Substanz der Kriterien ist ihnen das Problem, sondern die Exklusivität. Daher geht es ihnen auch darum, den Arbeitsbegriff zu erweitern, die Demokratie auszubauen, das Einkommen zu erhöhen, mehr Rechte durchzusetzen…

Defensive Maßnahme

Trotzdem wollen wir vorerst unsere Einwände zügeln und andere Aspekte ins Zentrum rücken. Immanent betrachtet ist dem bedingungslosen garantierten Grundeinkommen eine gewisse Plausibilität nämlich nicht abzusprechen. Solange Menschen kaufen müssen, sind ihnen die Mittel dafür zur Verfügung zu stellen. Die Alternativen dazu wären ja Obdachlosigkeit, Hunger und Verelendung. Also genau das, was sich heute abzeichnet, auch in den Zentren, und zunehmend nicht mehr bloß an deren Rändern. Dass die Leute am Markt nicht vor die Hunde gehen sollen, ist dabei ebenso wichtig wie, dass sie durch den Staat oder quasistaatliche Instanzen (Arbeitsmarktservice, Sozialamt etc. –) nicht Repressionen und Demütigungen ausgesetzt werden.

Dem Kapitalismus die eigene Melodie vorspielen, heißt doch auch, dass, wenn eine Gesellschaft ihre Mitglieder zwingt mit Geld zu verkehren, umgekehrt die Mitglieder die Gesellschaft zwingen müssen ihnen Geld zu geben. Das mag illusorisch sein als Ziel, aber keineswegs als Vorstellung, auch wenn man sich der überaffirmativen Note bewusst sein soll. Solche Forderungen sind nicht schräger und auf keinen Fall impertinenter als der Kapitalismus selbst.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre zumindest eine Sozialleistung, der man nicht nachlaufen müsste, die keine bürokratischen Hürden kennt und die Rechte nicht an Pflichten (Arbeitspflicht oder Versicherungspflicht) bindet. Es mag zweifelhaft sein, ob es den kapitalistischen Staaten abgerungen werden kann, aber es ist ein Ansinnen, das, wenn es nicht isoliert auftritt, Sinn macht. Das Grundeinkommen wäre weiters entlastend für die lädierte Psyche vieler Menschen, es hätte entängstigenden Charakter, weil die Bittstellerei und Ansucherei sich doch erheblich minimierte. Das Grundeinkommen wäre zwar kein Schritt aus der Misere, zweifellos aber eine Art Schutzschild in der Misere. Somit soll es nicht verachtet werden.

Unsere Sympathie gilt einem sehr pragmatischen Zugang. Die Leute leben hic et nunc, und deswegen sind ihre unmittelbaren Interessen ernst zu nehmen. Freilich wiederum nicht so ernst, dass sie zur alleinigen Richtschnur des Verhaltens werden. Das soziale Interesse ist uns nicht positiver Bezugspunkt, sondern negativer Zwang. Das Grundeinkommen ist tauglich als eine defensive Maßnahme. Falsch wird die Losung, wenn sie sich als Perspektive darstellt. Es als großen Wurf, als Übergangsforderung oder gar als Ziel zu sehen, ist abwegig.

Kosten und Leisten

Es ist allerdings zu fürchten, dass am Schluss ein Armengeld rauskommt, eine Abspeisung in monetärer Form. Dass das Grundeinkommen erstens nicht nur schmal ausfällt, sondern zweitens eine bedarfsorientierte Variante mit Pflichten sein wird, und drittens mithilfe der allseits propagierten Entbürokratisierung andere Leistungen gekürzt oder gestrichen werden. Zu hoch wird es schon deshalb nicht sein, damit die Lohnarbeiter und vor allem die Lohnarbeiterinnen sich nicht aus den Billigbranchen verabschieden. Es wird also kaum zweckdienlich sein für jene, die aus der Beschäftigung raus wollen, aber gerade mal ausreichen mehr schlecht als recht über die Runden zu kommen.

Spielen wir es in einem Fall durch: Was sollte eine Textilarbeiterin in ihrem Beruf halten, wenn die Differenz zum Grundeinkommen gering ist? Und jetzt sage niemand, dann soll man sie halt ordentlich bezahlen. Die , ordentliche Bezahlung‘ würde nichts anderes bewirken als ihren Arbeitsplatz in Windeseile wegzurationalisieren. Die Wertschöpfungspotenz dieser Lohnarbeit ist nicht größer, als sie ist. Wenn Brötchen am Markt 30 Cent kosten, dann verdient ja derjenige, der sie um 90 Cent verkaufen möchte, nicht nur nicht das Dreifache, sondern im Normalfall nichts. Lukrativ könnte das Grundeinkommen aber nur für Niedriglohnbezieher sein.

Womit nicht gesagt werden soll, dass das Grundeinkommen nicht finanzierbar ist, das ist wahrhaftig nicht unser Kriterium, wohl aber gehen wir davon aus, dass der Staat und alle seine realpolitischen Vertreter diesen Aspekt absolut setzen. Auch die realistischen Vertreter des Grundeinkommens rechnen, was sich ausgeht und was nicht, wo der Staat sparen kann, welche Sozialleistungen ersetzt werden könnten etc. – Man ist einmal mehr in der Kostenfalle gelandet. „Was können wir uns leisten?“, übersetzt das bürgerliche Subjekt sofort in „Wie viel Geld brauchen wir?“, „Woher nehmen wir die finanziellen Mittel?“ Folgen der Kommodifzierung sollen durch weitere Kommodifzierung gelöst werden.

Extraordinäres Geld?

Aber nicht alle Vertreter des Grundeinkommens lassen sich die Kostenfrage aufoktroyieren. Obwohl Stichwortgeber für so manches, kommt einer in eigenartiger Weise kaum vor in den gegenwärtigen Diskussionen: André Gorz. Vielleicht auch deswegen, weil er nicht ganz ins allgemeine Bild passt. Auch in das von uns gezeichnete nicht. Gorz schreibt bereits in seinem 1997 in Frankreich erschienenen Buch „Arbeit zwischen Misere und Utopie“: „Ein allen garantiertes, ausreichendes soziales Grundeinkommen untersteht einer umgekehrten Logik: Es soll nicht mehr diejenigen, die es beziehen, zu jeder beliebigen Arbeit unter allen Umständen zwingen, sondern es zielt auf deren Befreiung von den Zwängen des Arbeitsmarktes ab. Es soll ihnen ermöglichen, ,unwürdige‘ Arbeit und Arbeitsbedingungen abzulehnen, und es soll darüber hinaus einem sozialen Umfeld zugehören, das jedem Einzelnen erlaubt, jederzeit zwischen dem Nutzwert seiner Zeit und ihrem Tauschwert zu entscheiden, das heißt zwischen den ,Gebrauchswerten‘, die er durch den Verkauf seiner Arbeitszeit erwerben, und den Nutzwerten, die er durch eigenständige Verwendung dieser Zeit schaffen kann.“ (André Gorz, Arbeit zwischen Misere und Utopie. Frankfurt am Main 2000, S. 115-116) „Denn nur die Bedingungslosigkeit kann die Unbedingtheit der Aktivitäten wahren“. (Ebenda, S. 126)

Er präsentiert zweifellos eine äußerst radikale Variante dieser Forderung, distanziert sich auch von Bürgergeld-Debatten (ebenda, S. 124f. ) und weist Vorschläge Richtung „pflichtmäßiger wohltätiger Arbeit zurück“ (ebenda, S. 122). Er stellt sich dezidiert gegen das Wertgesetz (ebenda, S. 129) und verwirft in geradezu kühner Manier die Finanzierungsfrage. „Dass folglich Existenzgeld kein ordinäres Geld sein kann und nicht durch die steuerliche Abschöpfung eines Teils des betrieblich ausgepressten Mehrwerts finanzierbar ist, ist ganz offensichtlich. Eine Ökonomie, die immer mehr Waren in immer weniger kapitalproduktiver Arbeit erzeugt, eine Ökonomie also, die dank Produktivitätssteigerungen, selbst bei steigender Produktion immer weniger Zahlungsmittel ausschüttet, kann nicht steigende Transferleistungen durch die Besteuerung von Löhnen und Mehrwert finanzieren. Arbeitslöhne, variables Kapital können folglich nicht länger das entscheidende Verteilungsmedium des produzierten Reichtums bleiben. Geld in seiner herkömmlichen Form muss von anderen Verteilungsmedien komplementiert oder ersetzt werden. Sein mystischer Schleier zerreißt. Die Existenzgeldforderung verweist im Grunde auf die Notwendigkeit einer anderen Wirtschaft, auf das Ende des Geldfetischismus und der Marktgesellschaft.“ (André Gorz, Wissen, Wert und Kapital. Zur Kritik der Wissensökonomie. Zürich 2004, S. 80)

D’accord. Hier ist zweifellos eine Richtung vorgezeichnet, die nicht allen Befürwortern des Grundeinkommens schmeckt. Der traditionelle sozialstaatliche Umverteilungsmechanismus ist in diesem Modell jedenfalls nicht die Anrufungsbehörde, bleibt aber die Auszahlungsinstanz. Da der Kapitalismus immer weniger Zahlungsmittel ausschütten kann, will Gorz immer mehr Zahlungsmittel ausschütten. An einer Stelle deutet er sogar die Sprengung des monetären Charakters an, ohne sie allerdings konsequent auszuführen: „Die Distribution der Zahlungsmittel wird keine Entlohnung mehr sein, sondern das, was Duboin bereits ein ,soziales Grundeinkommen‘ nannte.“ (André Gorz, Arbeit zwischen Misere und Utopie, S. 131) Allerdings stellt sich die Frage, warum Gorz dann die soziale Sicherung weiterhin über Geld bewerkstelligen möchte. Das suggeriert zumindest, dass sich dieses auch substanziell von Arbeit und Wert loslösen ließe. Dieser Charakterwechsel ist äußerst fragwürdig. Unter gegebenen Rahmenbedingungen kann dies wohl nur zu weiterer Staatsverschuldung und Inflation führen.

Ohne Geld!

Zurück zum Ausgangspunkt. Konkrete Bedürfnisse artikulieren sich stets in vorgefundenen Konventionen. Man sollte sie daher nicht denunzieren, andererseits aber auch nicht als vorgegeben akzeptieren. Sozialkritik und transvolutionäre Praxis auf der Höhe der Zeit müssten diese Interessen anerkennen, aber permanent auf ihre subjektiven Beschränktheiten als Folge objektiver Beschränkungen verweisen. Es gilt sich solidarisch, aber nicht opportunistisch zu verhalten.

Jeder soziale Kampf ist einer ums Geld. Damit ist seine Formbestimmung als Grundproblem bereits ausgesprochen. Eins kapriziert sich deswegen so auf die monetäre Form, weil die ganze Gesellschaft wie betäubt auf das Geld starrt. Dass man ein Einkommen haben muss, hat Gegenstand der Kritik zu werden, ist nicht länger als Apriori hinzunehmen. Radikal ist nicht die Forderung nach einem Grundeinkommen, sondern nach einem Auskommen für alle, was meint, dass Produkte und Leistungen für alle direkt und frei zugänglich sind. Geld abschaffen? Aber selbstverständlich! Nix kaufen, nix tauschen, nix handeln? Genau das!

Man könnte die Versorgung der Menschen auch ganz anders angehen, indem man etwa die kostenlose Nutzung vorhandener Infrastruktur in den Mittelpunkt stellt: Bäder, Bibliotheken, Spitäler, U-Bahnen und Eisenbahnen, oder auch Universitäten und Fortbildungskurse könnten gratis sein. Möglichst alle öffentlichen Einrichtungen sollten freigegeben werden, auch Theater, Konzerte, Galerien. Und Grundnahrungsmittel. Warum nicht? Was das Leben nährt, ist vornehmlich materieller, geistiger und emotioneller Natur. Das Monetäre erzielt das höchstens auf einem Umweg.

Es geht um die Sozialisierung von Räumen und Zeiten durch die Menschen, nicht um das Weitertreiben der In-Preis-Setzung aller Kommunikationsfelder. Um Dekommodifizierung des Alltags. Das bedeutet auch, dass gerade der unselige Wertbegriff in allen seinen Varianten als negative Kategorie zu denken ist, nicht als positiver Bezugspunkt; als etwas, das uns in Beschlag nimmt, nicht was wir in Beschlag zu nehmen haben. Das ist allerdings schwierig, vor allem, weil der Wert und die Werte in der Alltagssprache eine heilige und somit heillose Funktion erfüllen. Schon ihre sprachliche Verwendung vollzieht sich als Bekenntnis. Wir sollten uns darin üben, unsere Wünsche und Bedürfnisse nicht automatisch in Größen des Geldes zu denken, sondern als unmittelbare Anliegen anzusehen. Geld hat keine befreiende Wirkung, sondern eine einschnürende. Auch wenn man genug hat. Es ist immer bedroht: vom Warenhunger, von Inflation und Spekulation, von anderen ordinären Zu- und Überfällen. Keine Hortung macht es sicher. Geld macht nicht glücklich, nur Glück macht glücklich.

In Kopf und Bauch müsste rein, dass der Zugang zu den Gütern über ein Einkommen eine wahnwitzige und keineswegs unhintergehbare Form der Distribution darstellt. Wenn genug da ist für alle, warum muss es über Geld verhandelt werden? Wozu muss das stoffliche und zeitliche Rechnungswesen mit einem monetären belastet werden? Was ist so unvorstellbar an einer direkten Kommunikation von Gütern? Warum müssen sie als Waren auf den Markt gebracht werden? Die banale Frage zum Schluss kann nur lauten: Was gilt es zu ermöglichen und zu garantieren? Das Leben oder das Kaufen? Und niemand sage, das sei kein Unterschied. Es ist letztlich einer ums Ganze!

Leserbrief von Karl Reitter

Als jahrelanger Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens bemerke ich mit Freude, dass sich der Ton der Kritik doch etwas verändert hat. In manchen früher in den Streifzügen veröffentlichten Artikeln wurde noch suggeriert, die Forderung nach dem Grundeinkommens sei sozusagen das trojanische Pferd des neoliberalen Sozialabbaus. Wer für das Grundeinkommen plädiere, würde einer Art Armengeld Tür und Tor öffnen, also Hände weg von dieser bitteren Pille. Hätten die KritikerInnen bloß ihren Taschenrechner benützt und den Finanzbedarf eines läppischen Grundeinkommens von sagen wir 450 Euro pro Kopf und Nase errechnet und diese Summe mit dem Budgetvolumen des Staates verglichen, so wäre wohl die Einsicht unabweisbar gewesen, dass diese Art von „Sozialabbau“ exakt dem Kalkül gegenwärtig beschlossener oder noch angedrohter Maßnahmen entgegensteht.

Im Gegensatz zu früheren Artikeln, in dem düstere Folgen prophezeit wurden, sollte das Grundeinkommen der Verwirklichung näher rücken, werden nun durchaus auch positive Auswirkungen attestiert. Es hätte „entängstigenden Charakter“, würde als eine Art „Schutzschild“ fungieren und sei damit nicht zu verachten. Exakt, angesichts des insbesondere in den Streifzügen immer wieder beschworenen rücksichtlosen Kampfes um das Dasein, welches uns die kapitalistische Vergesellschaftung (Pardon, die Warenproduktion) aufzwinge, würde das Grundeinkommen ein graduelles Stück an mehr Freiheit und Selbstbestimmung ermöglichen.

Doch der alles entscheidende Einwand lautet: Das Grundeinkommen bleibe am Geldfetisch hängen, überwinde dadurch keineswegs den Kapitalismus, sondern affirmiere ihn vielmehr. Wird hier nicht viel zu viel bewiesen? Wenn das erste und letzte Problem am Grundeinkommen der Geldbezug ist, so gilt dieser selbstredend auch für Löhne, Mindestpensionen, Transfers usw. Aus der im Artikel vertretenen Perspektive unterscheidet sich die Forderung nach, sagen wir, einem Mindestlohn und dem Grundeinkommen nicht. Möglicherweise wird der Autor nun ausrufen: So ist es, endlich hat es auch der E-Mail-Verfasser verstanden! Imagine, weg mit dem Geld! Lassen wir einmal die Tatsache beiseite, dass innerhalb der Wertkritik eine starke Tendenz besteht, die Lektüre des Marxschen Kapitals nach dem ersten Abschnitt abzubrechen und die Kritik an der kapitalistischen Vergesellschaftung auf der Basis von W – G – W aufzubauen. Eine Tendenz, die im vorliegenden Heft ja nett am Beispiel von Schlümpfen und ehrbaren Galliern illustriert wird, wobei die entstehende Geldknappheit zwischen unseren blauen Freunden keineswegs durch Ausbeutung, sondern durch die geldvermittelte Zirkulationsform erklärt wird. Sei´s drum.

Entscheidender ist in diesem Zusammenhang, dass die Forderung „Weg mit dem Geld“ hier und heute selbstredend nicht lebbar und praktizierbar ist. Konnten wir in den zahllosen Aufrufen, die Streifzüge zu abonnieren, nicht immer wieder lesen: Um das Geld abzuschaffen, benötigen wir selbiges? Zugestanden, aber warum darf diese Dialektik nur für Zeitschriftenredaktionen gelten, nicht für uns alle, die im Kapitalismus um Leben und Überleben kämpfen müssen? Letztlich läuft die gesamte wertkritische Argumentation, mit etwas Wenn und Aber verziert, darauf hinaus, den unmittelbaren Sprung in den vollendeten Kommunismus zu propagieren. Bei all meinem Optimismus, aber ich halte es da eher mir Marx: Die Überwindung des Kapitalismus kann nur ein langer, umwegiger Prozess sein. Hier und heute ein geldfreies Schlumpfdorf zu propagieren und mit dieser Perspektive das Grundeinkommen zu kritisieren, verzeiht, aber das überzeugt mich nicht wirklich. Statt Phantasiemalereien haben wir uns auf eine „long, long road“ (Incredible String Band) einzustellen.

Mit solidarischen Grüßen
Karl Reitter
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