MOZ, Nummer 51
April
1990

Was tun mit den Flüchtlingen?

Was sich Mitte März im Osten des Bundesgebietes abspielte, gab Anlaß zu vielerei Kommentaren. Erstens wurde die Bundesregierung kritisiert, daß sie nicht in der Lage sei, das, was gemeinhin „Flüchtlingsproblem“ genannt wird, zu managen.

Zweitens wurde die Politik der Regierung, Flüchtlinge in Massenquartieren in peripheren Regionen Österreichs zusammmenzupferchen, als Startschuß zu neuen fremdenfeindlichen Kampagnen benützt. Der Rumäne war nunmehr kein zu bemitleidendes Ceausescu-Opfer mehr, auch kein bewundernswerter Kämpfer für Demokratie und Freiheit, sondern schlicht eine Gefahr für Frau und Kind.

Und drittens standen die „Tschuschen raus“-Rufe in Kaisersteinbruch und Traiskirchen am Pranger. Das Boot sei lange noch nicht voll, meinte das liberale Österreich, schließlich hätten 1956 nach dem Ungarnaufstand über 200.000 Flüchtlinge in Österreich Platz gefunden.

Allerdings sind weder der wieder einmal manifest gewordene Fremdenhaß noch die — eigentlich hilflos wirkenden — Versuche der Gewerkschaften, den Arbeitsmarkt aus lohnpolitischen Überlegungen gegen Zuwanderer abzuschotten, für das Dilemma der Flüchtlingspolitik verantwortlich. Das Problem liegt tiefer.

Die, die heute Einlaß begehren, sind arme Menschen, die ihrer Not entfliehen wollen. Dahingestellt soll bleiben, ob ihre Hoffnung auf ein angenehmeres, wohlhabenderes Leben in den Metropolen Mittel- und Westeuropas jemals in Erfüllung gehen wird — die Geschichte der Wanderungsbewegungen von der Peripherie ins Zentrum jedenfalls läßt eher das Gegenteil vermuten —, Tatsache aber ist, daß sie nicht Schutz vor Folterknechten suchen, sondern eine Gesellschaft, die ihnen eine gewisse materielle Sicherheit ermöglicht.

Flucht vor erbärmlichen Lebensbedingungen ist — ganz ohne Zweifel — legitim.

Mit diesem Wunsch aber haben sie weder in Österreich noch in sonst einem westlichen Land Platz.

Das — heute gerne beschworene — traditionelle Asylland Österreich öffnete seine Tore immer schon nur für politische Flüchtlinge im äußerst engen Sinn der Genfer Konvention — und nicht einmal das. Genaugenommen fühlte sich der rot-weiß-rote Staat nur für Kommunismus-Flüchtlinge verantwortlich.

Jene Bulgar/inn/en, Pol/inn/en und Rumän/inn/en, die sich in den vergangenen Monaten Richtung Österreich bewegten, können dieses Privileg aber nicht mehr für sich in Anspruch nehmen.

Nicht die Zahl der Einwanderer ist es, die dem österreichischen Staat Sorge bereitet. 1956 waren es tatsächlich viel mehr. Der Unterschied liegt darin, daß der damalige Exodus von Ungar/inn/en ein einmaliges Ereignis darstellte. Heute aber wäre bei offenen Grenzen mit einer ununterbrochenen Zuwanderung zu rechnen, und zwar so lange, wie unser Land reicher ist als Rumänien.

Was die Staaten der sogenannten „3. Welt“ betrifft, ist es auch lange schon anerkannte Praxis, die Zuwanderung der Armen mittels Visumspflicht und notwendiger Devisen einzudämmen. Die Hierarchisierung der Welt in arme, mittelarme, wohlhabende und reiche Länder ist nur deshalb möglich, weil ein Austausch zwischen den Staaten nur beschränkt möglich ist. Wären die Grenzen — im bürokratischen wie ökonomischen Sinn — offen, wer würde dann noch in Fernost um fünf Schilling die Stunde arbeiten, wenn einige Tausend Kilometer westwärts das Zehn- oder Zwanzigfache bezahlt wird?

Niemand.

Da es aber auf der Hand liegt, daß nicht alle Menschen in den reichen Ländern leben können, müssen Barrieren errichtet werden. Oder, anders ausgedrückt, die Armen müssen in ihren Staaten eingesperrt werden.

Es darf deshalb auch nicht verwundern, daß die Genfer Konvention enge Maßstäbe anlegt. Die Ungleichheit der Welt, die Existenz von Armen und Reichen, kann durch eine UN-Charta nicht geregelt werden. Würde diese um den Begriff „Wirtschaftsflüchtling“ erweitert werden, dann käme zu den derzeit rund 15 Millionen Flüchtlingen die Bevölkerung der „3. Welt“ — und daß drei Kontinenten nicht Asyl geboten werden kann, ist einsichtlich.

Die Bigotterie der Herrschenden, die noch vor wenigen Monaten nimmermüde die Öffnung der Grenzen verlangten und diese heute zwar nicht mit Stacheldraht und Mauer, dafür aber mit Devisenforderungen und Visumspflicht wieder schließen, ist zum Kotzen, aber von ihrer Warte aus verständlich.

„Man kann doch nicht alles hereinlassen, auf einmal sind gar die Neger in der Überzahl bei uns herinnen“, meint der Linzer Freiheitliche Wimmer über die Rumän/inn/en — und trifft damit das Problem auf den Kopf: Die ehemaligen Kommunismus-Flüchtlinge sind zu ganz normalen „3. Welt“-Flüchtlingen herabgesunken. Für sie gilt nun auch, was für die Dunkelhäutigen Regel ist. Wer Geld hat, ist erwünscht, wer nicht, bleibt draußen.

Es ist nicht zu erwarten, daß das ökonomische West-Ost-Gefälle in absehbarer Zeit geringer werden wird. Im Gegenteil: der Druck auf die Ökonomien des ehemaligen Ostblocks wird zunehmen, viele werden vom erhofften und versprochenen Wohlstand nichts abbekommen. Der Zustrom nach Westeuropa wird ebenso andauern wie der Versuch, die Zuwanderungswilligen ab- und zurückzuweisen.

Was sich in Hegyeshalom, Kaisersteinbruch und Traiskirchen abspielte, war wohl nur ein Vorspiel für zukünftige Spannungen. An jener Grenze, an der die Erste und die Dritte Welt am direktesten aufeinanderprallen, an der zwischen Mexiko und den USA, wird geschossen. Regelmäßig. Wohl nicht ganz zufällig wählte der „Inlandsreport“ in seinem Beitrag über die Situation an der österreichischungarischen Grenze die Formulierung: „Seit acht Uhr früh wird zurückgesch...ickt.“

Ebenso kein Zufall ist das parallel zum rumänischen „Ansturm“ oder gar „Anmarsch“ abgehaltene Bundesheermanöver im Osten Österreichs. Übungsziel: die Internierung von Flüchtlingen, „eventuell auch bewaffneten“, wie der Einsatzleiter dem ORF-Reporter mitteilte. Daß das Bundesheer damit endlich wieder eine Chance sieht, eine von der österreichischen Bevölkerung anerkannte Funktion zu bekommen — nämlich Grenzschutz —, ist die eine Sache, daß in der Bevölkerung aber tatsächlich ein Bedrohungsgefühl geweckt werden konnte, die andere. Die Sprecherin der Bürgerinitiative in Traiskirchen verlangte Mitte März von Innenminister Löschnak, daß die Exekutive darüber wache, „daß diese Nacht nicht ein Rumäne unsere Stadt betritt“.

Was aber tun mit den Flüchtlingen auf der einen, einer Bevölkerung in Abwehrhaltung auf der anderen Seite? Sich mit dem Fremdenhaß der Landsleute auseinanderzusetzen, ist notwendig, und zwar tagtäglich. Moralische Appelle aber nützen nie, schon gar nicht, wenn sie sich an den falschen Adressaten richten. Und den Bewohner/inne/n von Traiskirchen und Kaisersteinbruch nun Ausländerfeindlichkeit vorzuwerfen, ist in dieser Situation wenig angebracht.
Denn bei aller Kritik an den schmutzigen Unterstellungen und am offenen Haß gegen „die Fremden“ — ihr Aufstand wurde durch die Vorgangsweise der Regierung provoziert und diente nur als medial inszeniertes Vorspiel für die Einführung der Visumspflicht für Rumän/inn/en.

Die Rücknahme der Visumspflicht zu verlangen und offene Grenzen zu propagieren, ist zwar richtig, aber bei näherem Hinsehen entweder oberflächlich gedacht oder aber — rassistisch.

Oberflächlich dann, wenn geglaubt wird, daß mit einer Integrationspolitik — an Stelle der derzeitigen Isolation — das Flüchtlingsproblem einigermaßen gemildert werden könnte. Übersehen wird dabei, daß das geschilderte Ungleichgewicht der Welt nicht durch Integration der Armen in die reichen Länder aufgehoben werden kann.

Rassistisch aber ist die Forderung dann, wenn bewußt in Kauf genommen oder vertreten wird, daß die Grenzen nur für manche offen sein sollten. Rumän/inn/en rein, Türk/inn/en, Sudanes/inn/en oder Mexikaner/innen raus?

Eine auch nur halbwegs befriedigende Antwort zu geben, fällt nicht leicht. Eine emanzipatorische Flüchtlingspolitik kann aber nur davon ausgehen, daß Menschen weder durch ökonomische noch durch politische Strukturen gezwungen werden, ihre Heimat zu verlassen. Für wen Flüchtlingsproblematik erst an der Grenze beginnt, der kommt zu spät. Die Forderung kann nicht lauten: die Menschen sollen dort leben können, wo sie wollen, sondern: sie sollen dort leben können, wo sie leben.

Ich weiß, Helmut Kohl und Franz Vranitzky sagen das gleiche. Sie meinen es aber — natürlich — nicht ernst.

Denn wem tatsächlich daran liegt, daß auch in Afrika, Asien, Lateinamerika und Osteuropa menschenwürdiges Leben möglich ist, der müßte zuallererst deren Ausplünderung durch die kapitalistischen Zentren beenden.

P.S. Ab sofort finden Sie eine neue Rubrik in der MONATSZEITUNG: „Kommentar zur Weltlage.“ Namhafte Ökonom/inn/en und Politolog/inn/en werden ihre Einschätzung der Umbrüche in Osteuropa darlegen. Den Beginn macht Ernest Mandel.

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