Grundrisse, Nummer 5
März
2003

Wie es uns geht ...

Kommentar zu Anne und Marine Rambach – Les intellos précaires. Paris 2001: Fayard

Wir kennen es. Aufgefordert, zu erzählen, wie es uns geht, wie wir leben, haben wir nur zwei Chancen: entweder – „es geht“ – wir beenden das Gespräch, weil wir keine Hoffnung haben, uns in der gebotenen Zeit verständlich zu machen (Vielleicht kommt unsere GesprächspartnerIn von einem anderen Stern – wir vermeinen das am Alter erkennen zu können und oft irren wir uns nicht). Oder wir beginnen – unsere GesprächspartnerIn stimmt ein – einen vielstimmigen, vielstrophigen Chor: gemeinsam beklagen wir dann unsere Arbeitswirklichkeit als ForscherInnen, JournalistInnen, KünstlerInnen, ArchitektInnen, TrainerInnen. Zugleich verlassen wir uns in unserer Klage auf eine gemeinsame Sicherheit: dass wir das Feld, das uns peinigt, nicht verlassen werden, weil wir unsere Arbeit lieben (wenn es anders geworden sein wird, werden wir darüber kein Wort mehr verlieren).

Die Schriftstellerinnen Anne und Marine Rambach haben diesen Chor – basierend auf mehreren Dutzend Interviews – aufgezeichnet. Roman einer – nein, keiner – Generation, aber die Beschreibung der Lebenswirklichkeit einer großen Gruppe an KulturproduzentInnen (ForscherInnen eingerechnet) „hors statu“ – ohne sozialrechtlich abgesicherte, ausreichend bezahlte, dauerhafte Beschäftigung.

Spott und Ironie können Werkzeuge der Theorie sein: Die Autorinnen nehmen bewusst Partei, zeigen sich selbst als Betroffene, retten damit die analytische Schärfe, die uns zur Verfügung steht, wenn wir miteinander über uns sprechen und die auszulassen droht, wenn wir unsere Situation neutral darstellen und objektivieren sollen. Sie kreieren damit eine Innensicht, nicht von Individuen, sondern eines sozialen Raums, dessen Achsen alle benennen können, die von diesem Raum bestimmt sind, wie wenig sie sonst – die JournalistIn und die TänzerIn, die ÖkologIn und die FilmkritikerIn, die EthnologIn und die ComiczeichnerIn – auch gemein haben.

Die Autorinnen sind keine Sozialwissenschafterinnen und betonen das: Die Vagheit ihrer Definitionen der Personengruppe, die sie „intellos précaires“ nennen wollen, ist aber Teil jener sozialen Wirklichkeit, die sie beschreiben. Weder eine Fremddefinition – keine Gesetzgebung – noch eine Selbstdefinition bestimmt die Gruppe der „prekarisierten Intellektuellen“, ihre Größe und Zusammensetzung.

Jedenfalls sind es kulturelle ProduzentInnen im weitesten Sinn, die arbeiten – sie sind noch nicht „ausgestiegen“ – und deren Produktion nachgefragt wird (gleich, wie die Gegengaben aussehen: ob Geld, ob Prestige oder schlicht: Aufmerksamkeit). Die Autorinnen nennen noch „illustrative“ – keineswegs definitorische - Variablen: die intellos précaires verfügen zumeist über eine universitäre Ausbildung (ob nun mit oder ohne Abschluss) und kommen keineswegs aus „unterprivilegierten“ Familien, im Gegenteil: die intellektuelle Berufung ist Teil des Familienromans. Oftmals sind sie zwischen 25 und 35 Jahre alt (aber es muss eben kein generationelles Phänomen sein). Sollte eine empirische Studie über die geschätzten hundert- bis dreihunderttausend „intellos précaires“ in Frankreich ein präziseres Bild zeichnen, den Autorinnen wäre es nur recht (und aus politischer wie sozialwissenschaftlicher Perspektive wäre es unbedingt notwendig).

Lieben, Leben, Leiden

Prekarisierte Intellektuelle lieben ihre Arbeit, die Identifikation mit dem, was sie tun, ist hoch, zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, freiwilliger und erzwungener Tätigkeit wird selten unterschieden: noch jene Jobs, die nur das Überleben sichern sollen, erscheinen passabel, weil sie eben die eigene Position verteidigen, für die gewünschte Tätigkeit Grundlagen schaffen helfen. Sie lieben, was sie tun und wissen, was sie tun wollen. Von periodischen Krisen abgesehen gibt die Besetzung der intellektuellen Tätigkeit die Ziele vor: wir wissen, was es heißt, ein gutes Projekt zum Thema x, einen schneidenden Kommentar zum Thema y zu produzieren. Unter prekären Intellektuellen ist das know how, sind die Erfahrungen und die Ressourcen zur Kreativität im selben Maß vorhanden wie bei jenen KollegInnen, die unter besseren Bedingungen beschäftigt sind.

Das Leben prekärer Intellektueller ist durch Ressourcenknappheit bestimmt: nicht nur in Paris ist Wohnen teuer und das Essensbudget knapp. Der äußere wie innere Zwang zur Selbstproduktivierung macht Zeit zur knappsten Ressource – das schmälert den Vorteil, über ein hohes Maß an Zeitautonomie zu verfügen. Viele Konsumgüter sind außer Reichweite – gehen aber auch nicht ab. Das Einkommen schwankt stark und es gibt Monate, in denen fast Scham aufkommt, weil so viel Geld da ist. Zugleich sind es die Phasen unmittelbarer existentieller Bedrohung - Konto gesperrt und drei Monatsmieten fällig, FreundInnen anschnorren um Geld für Brot und Milch und hoffen, dass das Talent zum Ladendiebstahl noch nicht eingerostet ist - die das Lebensgefühl wesentlich mitprägen. Ultima ratio: Bücher verkaufen.

C’est l’histoire d’une jeune femme qui n’a pas travaillé depuis trois mois, qui est à bout de ressources, et même au bout de son découvert, qui a dû rendre sa carte bleue à sa banque sous peine de se retrouver en « interdit bancaire », qui a épuisé les dernières pièces jaunes qu’elle conservait dans un pot à crayons, qui n’a plus de quoi s’acheter un timbre, qui doit prendre le métro pour déposer de droite et de gauche CV et lettres de motivation, et qui se résout à ce qu’elle n’avait encore jamais fait jusqu’ici : vendre ses livres. Ultime solution pour pouvoir acheter une collection de sachets de pâtes et de boîtes de riz. Elle fait le tri, se débarrasse des livres qu’elle a naguère acquis durant ses études : des analyses des Pensées de Pascal, le dictionnaire d’ancien francais, la grammaire du XVIIIe siècle, plus cette kyrielle de bouquins qu’elle n’aimait pas particulièrement mais dont elle se disait qu’ils pourraient lui servir un jour. Elle les rassemble dans un Caddie qu’elle traîne jusqu’au comptoir de chez Gibert. La file d’attente dessine d’interminables serpentins. Alors elle regarde autour d’elle. Et là … Il y a ce petit panneau pervers qui annonce : « Si paiement en bons d’achats, 20 % supplémentaires. » C’est ridicule : elle est venue parce qu’elle a besoin d’argent. Si elle avait pu manger des livres, elle aurait mangé les siens ! Le type qui la précède porte un cabas rempli d’ouvrages sur la Légion et les porte-avions. Arrive enfin son tour. « Les trieurs te traitent comme de la merde. À peine bonjour, pas un regard : on te balance les livres rejetés sans un mot, on te traite comme un pauvre. À la fin, on te remet un décompte. Pour l’argent, il faut ressortir et aller au guichet suivant. » 56/57

Dies ist die Geschichte einer jungen Frau, die seit drei Monaten nicht mehr gearbeitet hat, der das Geld ausgegangen ist und die auch bereits ihren Überziehungsrahmen ausgeschöpft hat, die ihre Bankomatkarte der Bank zurückgeben musste, um nicht auf die „Schwarze Liste“ unerwünschter KundInnen zu geraten, die die letzten Groschen, die sie im Bleistiftständer aufbewahrte, aufgebraucht hat, die kein Geld mehr für Briefmarken hat, die deshalb mit der Métro herumfahren muss, um da und dort ihre Lebensläufe und Motivationsschreiben abzugeben und die sich letztlich dazu entschließt etwas zu tun, was sie noch nie getan hat: ihre Bücher verkaufen. Allerletzte Möglichkeit um ein paar Päckchen Nudeln und Reis einkaufen zu können. Sie trifft eine Auswahl, entledigt sich jener Bücher, die sie damals für ihr Studium gekauft hat: Analysen der „Pensées“ von Pascal, ein Altfranzösisch-Wörterbuch, die Grammatik des 18. Jh. und auch noch der Sammlung von Büchern, die sie nicht besonders mochte, aber von denen sie sich dachte, dass sie vielleicht noch mal nützlich sein könnten. Sie räumt sie alle in einen Einkaufskorb, den sie bis zur Einkaufsstelle von „Gibert“ schleppt. Die Warteschlange krümmt sich in unendlichen Serpentinen. Also schaut sie rund um sich und, siehe da, ... da ist dieses zynische Schildchen mit der Aufschrift: „Bei Bezahlung in Einkaufsgutscheinen, 20% Zuschlag“. Das ist lächerlich: Sie ist hergekommen, weil sie Geld braucht. Wenn sie Bücher essen könnte, hätte sie das mit ihren schon gemacht! Der Typ vor ihr trägt einen Korb voll mit Werken über die Fremdenlegion und über Flugzeugträger. Endlich kommt sie an die Reihe. „Die Angestellten dort behandeln dich wie Scheiße. Kaum eine Begrüßung, kein Blick, man wirft dir die nicht angenommenen Bücher ohne ein Wort zurück, man behandelt dich wie einen Habenichts. Am Schluss bekommst du einen Beleg. Um das Geld zu kriegen, musst du noch zu einem anderen Schalter.“[i]

Trotzdem bleibt für das Leben der prekären Intellektuellen bestimmend, was sie gegen den Mangel an Zeit und Geld mit allen Mitteln verteidigen: die Bücher, die sie kaufen und lesen, die Filme, Ausstellungen und Performances, die sie ansehen, die politischen Diskussionen und Demonstrationen, an denen sie sich beteiligen, die Orte, an denen sie essen und trinken, die Feste, die sie feiern, die FreundInnen, mit denen sie sich verabreden und mit denen sie ihr Leben und ihre Arbeit teilen (niemand heiratet). Noch haben die intellos précaires nicht aufgegeben und werden sie depressiv, dann wissen sie noch, was ihnen fehlt (z.B. Geld für eine Urlaubsreise). Beides – die Liebe zur Arbeit und zur Lebensform – macht es so schwer, sich mit gutem Gewissen zu beklagen, die eigene Situation als „précaire“ zu bezeichnen. Schließlich fehlt es nur an etwas Geld, etwas Sicherheit, etwas mehr Anerkennung.

Selbstbehauptung als Produzentin

Intellektuelle Berufe sind durch ihre Produktion definiert: prekäre Intellektuelle definieren sich über das, was sie hervorbringen, ihre Bücher und Studien, ihre Artikel und Radiosendungen, ihre Kunstwerke und Aufführungen. In kulturellen Feldern sind Praktiken der Bezugnahme – darunter ist Konkurrenz nur ein Modus – essentiell. Kein Werk hat Bedeutung, wenn es nicht Bezug nimmt auf die Produktion insgesamt (der Gestus des Bruchs ist dabei nur die Bekannteste aller Spielarten). Prekären Intellektuellen gelingt die Teilnahme am sozialen Prozess ihres Feldes: Sie positionieren ihre Produkte, werden rezipiert und erhalten Anerkennung (oftmals von Personen, die nicht ahnen können, dass sie eine Prekarisierte loben). Prekäre Intellektuelle sind manchmal AnfängerInnen, aber sie lernen schnell dazu, entwickeln sich rasch weiter, werden – sind – vollwertige, innovative AkteurInnen ihrer Felder, von denen inhaltlich nicht mehr und nicht weniger zu erwarten ist als von ihren fix angestellten KollegInnen.

Mit der Hypostasierung der Produkte ist jedoch die Tabuisierung der Produktionsbedingungen verknüpft: Es gibt keine Anerkennung dafür, dass für das Manuskript gehungert wurde, die Erschöpfung muss vollständig aus dem Werk getilgt sein, wenn es etwas gelten soll. Zugleich sind zahllose Verfahren in der kulturellen Produktion – von Antragsverfahren um staatliche Förderungen bis zum lektorInnenlosen Verlagswesen – auf fix angestellte Personen, deren Arbeitszeit bereits bezahlt ist, zugeschnitten. Nur fix Bezahlte können sich frei für die Übernahme „unbezahlter“ Dienstleistungen entscheiden, können „ihre Zeit widmen“.

Gegen die Funktionalisierung des Desinteresses an den Produktionsbedingungen gilt es kollektiv nach Strategien zu suchen – oder sich Bestehende zu eigenen zu machen. Ziel der Thematisierung ist die Veränderung der Produktionsbedingungen - Rambach & Rambach fordern deshalb das Siegel „Made in précarité“.

Zugleich finden sich prekarisierte Intellektuelle in verschärften Abhängigkeits- und Unterwerfungsverhältnissen zu ihren AuftraggeberInnen. Ob UniversitätsprofessorIn oder ChefredakteurIn: zu den üblichen Leiden an starker Hierarchisierung kommt hinzu, dass für die „Randbelegschaft“ die Spielräume kleiner, die solidarische Unterstützung durch die KollegInnenschaft unwahrscheinlicher, die Folgen eines Konflikts unmittelbarer sind. Während schon hierarchisch untergeordnete, aber fix angestellte „MitarbeiterInnen“ fürchten müssen, symbolisch enteignet zu werden, drohen prekarisiert Arbeitende jeder Form der Repräsentation beraubt zu werden: nicht nur werden ihre Namen von den Titelblättern der Studien, Bücher und Artike oder dem „Abspann“ getilgt: die durch alle Prekären erbrachten Leistungen werden auch nicht von den typischen Praktiken administrativer Aufzeichnungen – Grundlage von Herrschaft und politischer Gegenstrategien – erfasst. Ihre Leistungen werden damit den Institutionen, für die sie – wie vermittelt auch immer – arbeiten zugerechnet, nicht den prekarisierten Intellektuellen als Gruppe. Diese drohen damit als soziales Problem zu erscheinen, als Gruppe unproduktiver und unterversorgter Personen, die besser „umgeschult“ denn „integriert“ werden sollten. Ihr Beitrag zur symbolischen und ökonomischen Produktivität bleibt unsichtbar. Was bleibt, ist der tägliche individuelle Kampf gegen die Demütigungen, denen wir als „institutionelles Nichts“ ausgesetzt sind.

Politische Ökonomie

Die Arbeit prekärer Intellektueller ist fix eingeplant. Sie trägt zum wirtschaftlichen Erfolg bei, ermöglicht ihn erst (die „freien“ MitarbeiterInnen finanzieren dabei nicht die „fixen“ – das tun diese selbst, wenn sie nicht gekündigt werden wollen: aber sie verbessern das Betriebsergebnis, tragen zum Gewinn bei ). In Teilen der cultural industries sind doppelte Regime, die Mischung einer gemäßigten Ausbeutung der fix Beschäftigten, der maßlosen Ausbeutung der Randbeschäftigten, so alt wie die Felder selbst (insbes. im Journalismus und am Theater). – Zugleich ist die Intensivierung der Nutzung von Arbeitskraft unter prekären Bedingungen unbestritten: Nicht nur das Wachstum vieler Felder wird auf Basis prekärer Arbeitsverhältnisse bestritten, sondern es ist auch ein teils massiver Umbau, eine Reduktion der Kernbeschäftigung zugunsten der Randbeschäftigung, zu beobachten.

Dans les maisons d’édition, on ne peut plus ouvrir la porte d’un bureau sans qu’un volée de stagiaires s’en échappe. Vous abandonnez votre fauteuil un quart d’heure, vous en retrouvez dix poses sur vos accoudoirs ! Ne jamais pousser la porte trop violemment : il y en a certainement un ou une cachés derrière ! Dès qu’on dégage cinquante centimètres entre l’étragère et l’imprimante, il s’en installe un nouveau (une nouvelle, devrait-on dire par honnêteté statistique). Certains restent si longtemps qu’on finit par avoir l’impression qu’il ont une raision d’être là : peut-être qu’on les paie ? Mais non, ils sont là pour apprendre, pour faire leurs preuves, pour nouer des contacts. Quoi d’autre ?

Les stagiaires : catégorie bénie ! Si soumis, si disciplinés, de bonne volonté, pas fiers, travailleurs, et qui ne coûtent rien. Besoin d’une assistante ? C’est fait. Bac +5, bilingue, connaît déjà le boulot, pour environ 13 francs de l’heure, sans charges sociales. Qui dit mieux !

In den Verlagshäusern kann man keine Bürotüre öffnen, ohne dass einem ein Schwarm an PraktikantInnen entgegenkommt. Du verlässt für eine Viertelstunde deinen Bürostuhl; wenn du wiederkommst, sitzen 10 PraktikantInnen auf den Armlehnen. Öffnen Sie nie eine Türe zu heftig: es ist sicher eine oder einer dahinter versteckt. Sobald man 50 cm Platz zwischen Regal und Drucker lässt, macht sich ein Neuer breit (eine müsste man sagen, um der Statistik genüge zu tun). Manche bleiben so lange, dass man das Gefühl bekommt, dass sie einen Grund haben, hier zu sein: Vielleicht bezahlt man sie? Aber nein, sie sind da, um zu lernen, um sich zu bewiesen, um Kontakte zu knüpfen. Was denn sonst?

Die PraktikantIn: gesegnete Einrichtung! So unterwürfig, so diszipliniert, so gutwillig, bescheiden, arbeitsam, zweisprachig und kostengünstig. Assistentin gesucht? Das geht alles. Matura plus fünf Jahre Studium, bereits arbeitserfahren, für ungefähr 13 Francs die Stunde, ohne Sozialabgaben. Wer bietet mehr!

„Médaille d’or“ – die Goldmedaille – in Sachen geplanter Nutzung prekarisierter Arbeitskraft verleihen die Autorinnen – zurecht – dem Staat. Wann immer staatliche Institutionen Bedarf an Arbeitskraft haben, ohne Stellen zu schaffen und die dafür nötigen Budgetmittel bereitzustellen, werden Wege gefunden, kostenlose Arbeit zu mobilisieren. Staatliche Institutionen – insbesondere Universitäten und Forschungsinstitutionen werden dabei von den Autorinnen als Musterbeispiele angeführt – haben einen Trumpf: Sie regeln den Zugang in reguläre Beschäftigungsverhältnisse in Bereichen, in denen wenig Alternativen bestehen. Und wenn es auch nicht um Stellen geht: Symbolisch sind staatliche Institutionen oft so mächtig, dass ohne die Anerkennung ihrer VertreterInnen die Arbeit – wie immer sie finanziert wird – kaum denkbar erscheint.

Die Herrschaft über die symbolische Anerkennung und die Reproduktion der Institutionen ermöglicht es, einer großen Anzahl von Personen über Jahre Arbeitsleistungen nahezu unbezahlt abzuringen. Individuell wird niemandem etwas versprochen, die Hoffnung aller lebt davon, dass der biographische Zufall für einige eintritt, eine Statuspassage – wie spät auch immer – erfolgt. Die große Zahl an Prekarisierten verdankt sich keiner temporärer Funktionsstörung – nicht der vielzitierten Nachwuchskrise - sondern ist Teil einer Ökonomie, die offen mit der unbezahlten Arbeitsleitung der – aus Sicht der Institution – in Warteposition Gehaltenen rechnet.

Selbsterklärung, Selbstverteidigung

Politische Positionierung beginnt mit einer Objektivierung der Selbstbeschreibung. In unserer Selbstwahrnehmung können wir „faul“ und „unangepasst“, „unambitioniert“ und „kompromisslos“ sein, wir können unsere „Nichtintegration“ als individuelles Versagen, als Mitschuld am Versäumen der richtigen Gelegenheiten deuten. Für unsere Selbstkonstitution brauchen wir diese Beschreibungen notwendig (nicht nur des Rechts auf Faulheit wegen), zugleich müssen wir sie transzendieren, wenn wir eine politische Perspektive entwickeln wollen.

Wovon ich betroffen bin, das betrifft viele. Die, die heute betroffen sind, kann ich auf unsere gemeinsame Erfahrung ansprechen, unsere gemeinsamen Interessen können eine Basis für gemeines Agieren bilden (vielleicht lassen sich Formen entwickeln, das uns Trennende zu überwinden). Wir können ein gemeinsames Label – eine Fahne - für uns finden, die für uns Sichtbarkeit herstellt und Erklärungsnotstand vermeidet (wir drehen den Spieß um: die anderen müssen sich dann informieren, wie es uns geht, z.B unsere Eltern), ohne deshalb unsere Identität vollständig zu determinieren (wer will darf sagen: moi, intello précaire).

Le problème est ce silence, cette gêne, ce tabou qui pèsent sur la présence de précaires dans les entreprises, les labos, les salles de profs. Précarité ! Ce mot effrayant révèle une vérité tout aussi effrayante : les « classes dangereuses » sont dans le murs ! Dans le couloir d’à côté, dans le bureau, dans la salle d’attente. Ils sont pourtant drôlement bien disciplinés, drôlement soumis. Il n’empêche ! Leur présence est l’aveu d’un consensus muet mais bien réel : le métier, le secteur, tous ont accepté le développement massif de la précarité et le recours à des employés de deuxième ou troisième catégorie. De même qu’il se trouve peu de gens pour critiquer l’exploitation des stagiaires ( « après tout, tout le monde y trouve son intérêt », peu de gens s’élèvent contre la situation des précaires sous-payés, parfois sans protection sociales. (284)

Das Problem ist dieses Schweigen, diese Scham, dieses Tabu, das auf den Prekären in den Unternehmen, den Instituten und den LehrerInnenzimmern lastet. Prekarität! Dieses schreckliche Wort enthüllt eine nicht minder schreckliche Wahrheit: die „gefährliche Klasse“ ist im Haus! Im Gang nebenan, im Büro, im Wartesaal. Sie sind zwar erstaunlich diszipliniert, erstaunlich ergeben. Trotzdem! Ihre Präsenz bedeutet das Eingeständnis einer unausgesprochenen, aber nicht minder realen Übereinkunft: die Berufsgruppe, der Beschäftigungssektor, alle haben das massive Ansteigen der Prekarisierung und das Zurückgreifen auf Beschäftigte zweiter, wenn nicht dritter Klasse akzeptiert. So wie sich kaum Leute finden, die die Ausbeutung der PraktikantInnen kritisieren („schließlich haben beide Seiten ein Interesse daran“), so treten auch wenige gegen die Situation der unterbezahlten, oftmals ohne soziale Absicherung beschäftigten Prekarisierten auf.

Dabei haben wir das doppelte Ziel: Wir arbeiten an unserer Kultur, arbeiten daran, unsere Form, zu arbeiten und zu leben als zu verteidigende zu begreifen und sie für uns – und alle – sichtbar zu machen. Wir sind nicht nur irgendwo hineingeraten, sondern haben unseren Ort gewählt, wie räumen nicht das Feld, bitten nicht um Rettung (nicht um einen Job in der Administration), sondern fordern nur, was uns zusteht und was wir brauchen, um als kulturelle ProduzentInnen weiterarbeiten zu können. Anne und Marine Rambachs Buch stellt für diese Selbstrepräsentation als Gruppe eindrückliche Bilder zur Verfügung: viele davon bleiben sofort im Gedächtnis.

Universalisierung – Politisierung

Trotz des erstaunlichen Erfolgs, den das Buch in Frankreich gehabt hat, ist – und wer hätte das jenseits der rhetorischen Floskel schon erwartet – keine Bewegung der intellos précaires losgebrochen. Die Schwierigkeiten, Interessen der Prekarisierten zu organisieren, werden von den AutorInnen analysiert, die Suche nach Antworten stößt dabei aber auf die Grenzen der gewählten Betroffenen-Perspektive. Und das nicht nur, weil die Autorinnen dabei stehen bleiben, das mangelnde Verständnis und das Verhalten der Internen – zugleich die Vätergeneration (Qu’elle est vache, la génération de papa!) – und ihrer gewerkschaftlichen Vertretung (Syndicats: des organisations de salariés) - anzuprangern.

Aus der Perspektive der Betroffenen ist das Ende der prekären Lebensepisode nicht absehbar; wir Prekarisierten, die wir vielleicht eben erst gelernt haben, dass unser Status nicht eine kurzfristige Übergangsperiode ist, drohen in das andere Extrem zu verfallen: der Fiktion, dass es sich bei den intellos précaires um eine stationäre Personengruppe handelt, dass sich das „wir“ nicht ständig aus Zu- und Abgängen neu zusammensetzt. Genau das ist aber der Fall und durchschnittliche Verweildauern von 10 und mehr Jahren noch kein Grund zu ignorieren, wie sehr das Transitorische das Leben der prekären Intellektuellen prägt.

Prekarität lässt sich geradezu definieren als ein Status, der verlassen werden muss, in dem die Kosten des Verweilens zu irgendeinem Zeitpunkt unerträglich werden: entweder gelingt ein – oft nicht mehr erwarteter – Übertritt in ein gesichertes Verhältnis im Feld oder eine Rollenkonversion wird zu irgendeinem Zeitpunkt unvermeidlich. Dieses Faktum, das in biographischen Interviews mit „Langzeitprekären“ klar ausgesprochen wird, kommt im Buch zu kurz – die Frage, wann es denn genug ist, scheint nicht gestellt. Die Aufgabe des Wunsches, kulturelle ProduzentIn zu sein, macht dann den Weg frei zu anderen – zumindest weniger prekären – Berufsfeldern.

Für unsere Politik ist es wesentlich, dass wir unseren Zusammenhalt nicht von der Aktualität der Betroffenheit abhängig machen: Morgen können wir bereits eine – vergleichen wir es mit heute – ungleich vorteilhaftere Position innehaben. In allen Gruppen, in denen das transitorische Moment große Bedeutung hat, ist es für die politische Mobilisierung essentiell, den Kampf für alternative Strukturen zu betonen, unabhängig ob die einzelne AktivistIn im Augenblick gerade Betroffene ist oder nicht. Nur wenn politische Ziele jenseits des individuellen Status verfolgt werden, besteht für alle – und auch das sind viele – die nach einer Zeit der Prekarisierung eine gut abgesicherte Position besetzen, die Möglichkeit, ihr Engagement weiterzuverfolgen, nicht mit ihren bisherigen Positionen brechen zu müssen. Selbst für die politische Aktivierung der aktuell Prekarisierten ist es unumgänglich, dass sie ihren individuellen Wunsch nach persönlichem Erfolg, der sich auch im Erreichen attraktiver Positionen ausdrücken soll, nicht als Verrat an der gemeinsamen Sache, für alle lebbare Arbeitsbedingungen zu erreichen, erleben müssen.

Aus der Perspektive der Betroffenen erscheinen Phänomene neu und auf eine bestimmte Personengruppe – jene, die noch sichtbar sind, jene, die wir kennen – begrenzt. Die Teilung der Arbeitsmärkte in der kulturellen Produktion ist jedoch ein dauerhaftes Phänomen, der Raum ist seit Generationen durch die beklagten Strukturen bestimmt. Personen, die im Raum kultureller Produktion Karriere gemacht haben, haben dies unter vergleichsweise ähnlichen Bedingungen (Stichworte: Unsicherheit, Unterwerfung, Konkurrenz) im Feld gemacht wie heute: wir sehen nur das ehemalige Leiden der heutigen AmtsinhaberInnen nicht mehr und wir sehen all jene nicht, die nach langem Verweilen „hors statu“ als intellos précaires untergegangen sind. Eine historische Rekonstruktion, die alle Versprengten, aus dem Feld Flüchtenden, miteinbezieht, wäre hier ein notwendiges Korrektiv (und wie sollte denn sonst die Absenz von Frauen in der für alles verantwortlich gemachten „Vätergeneration“ erklärt werden).

Wenn generationelle Phänomene in kulturellen Produktionsfeldern eine Rolle spielen, dann sind diese „exogen“, verdanken sich den Ergebnissen gesamtgesellschaftlicher Kämpfe: Die Konjunkturen der Ausweitung, der Stagnation und der Reduktion öffentlicher Beschäftigung ist für alle kulturellen Produktionsfelder bestimmender als die interne Reproduktionsordnung. Insbesondere sind die realen Veränderungen im Beschäftigungssystem mit seiner zentralen Variable „öffentliche Beschäftigung“ wichtiger als alle demographischen Phänomene (es zählt zu den ärgerlichen Schwächen das Buchs, dass sich niemand gefunden hat, die Autorinnen darüber aufzuklären, dass nicht die Babyboomers die „Stellen verstopfen“).

So elementar generationelle Bruchlinien auch für die Alltagserfahrung der AkteurInnen sind, so groß die Schwierigkeiten, die sich aus der generationellen Übercodierung hierarchischer Berziehungen ergeben, so wichtig ist es zugleich zu erkennen, dass die gesellschaftlichen Kämpfe entlang anderer Linien verlaufen: Entlang der Verteilung zwischen Erwerbs- und Kapitaleinkünften und in engem Zusammenhang damit entlang der Frage nach dem Umfang der Erbringung öffentlicher Dienstleistungen als eines der zentralen Instrumente staatlicher Umverteilung. Anstellungsverhältnisse mit guten Arbeitsbedingungen, angemessener Bezahlung und sozialer Sicherheit sind keine feststehenden Größen, sondern müssen jeweils neu erkämpft werden: Alle Hoffnungen, eine Generation könnte abtreten, um endlich für Jüngere einen fixen Bestand an lebbaren Positionen freizumachen, geht – gesamtgesellschaftlich gesehen - völlig an den Tatsachen vorbei. Hoffnung – auch was die Situation auf dem Arbeitsmarkt insgesamt betrifft – liegt nicht in der Pensionierung der Babyboomers sondern in einer neuerlichen Ausweitung staatlicher Tätigkeit auf Basis von dauerhaft gesicherten Arbeitsplätzen und einer deutlichen Reduktion der Normalarbeitszeit.

Die Lage prekarisierter Intellektueller kann auch ausschließlich im Rahmen der Veränderungen der Organisation der Arbeit und der Kämpfe um die Verteilung der Vorteile, Nachteile und Risiken geführt werden. Das Berufsleben der intellos précaires - atypisch Beschäftigte par excellence - ist wenig mehr als Exerzierfeld und Nebenschauplatz für allgemeine Veränderungsprozesse.

Politische Strategien können deshalb auch nur dann erfolgsversprechend sein, wenn sie sich in neue Bündnisse einreihen, um elementare soziale Rechte neu oder wiederzuerkämpfen. Viele Rechte, die aus Sicht der Prekarisierten Internen zustehen, drohen gerade auch für die Internen verloren zu gehen. Ob es die Sicherung von erträglichen Arbeitsbedingungen oder die betriebliche Mitbestimmung, ob es die Verteidigung und neuerliche Stärkung der Arbeitslosenversicherung oder die Einführung eines Grundeinkommens betrifft: politisch durchsetzbar erscheinen diese Ziele immer nur durch Allianzen zwischen vorgeblich privilegierten Internen und den Prekarisierten an den Rändern. Nichts wäre für die Durchsetzung politischer Ziele hinderlicher, als Gefechte zwischen „Drinnen“ und „Draußen“, der „Vätergeneration“ und den „ErbInnen von 68“.

Um für sich zu kämpfen, müssen die intellos précaires für alle kämpfen: Für diese Reflexion, die öffentlich erfolgen muss, haben Anne und Marine Rambach ein wunderbares Buch geschrieben: und das Lesen macht Spaß, macht Augenzwinkern und manchmal – Freuden der Selbstironie – auch gerührt.

Die Übersetzung der Zitate stammt von Eva Krivanec.

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