FORVM, No. 195/II
März
1970

Wie man einen Drogisten schafft

Aus dem Zyklus „Bambini di Praga“

Am Ende des Städtchens war eine Umzäunung, über deren ganze Länge sich die Aufschrift zog: TECHNISCHES LABOR DER DROGUERIE ZUM WEISSEN ENGEL.

„He, Bucifalchen“, sprach der Herr Gruppenleiter der Pensionskasse für Gewerbetreibende Stütze im Alter, „jeder Versicherungsmann, wenn er anfängt, muß sein Abitur machen. Und welchen Gewerbetreibenden schafft man am leichtesten?“

„Einen Drogisten“, erklärten die Herren Viktor Tuma und Tonda Uhde, Repräsentanten der Pensionskasse für Gewerbetreibende.

„Dann gehen Sie, he, und bieten Sie dem Besitzer des blühenden Labors eine Pension an, eine Pension ...!“, sagte der Herr Gruppenleiter und hob den Finger. „Überhaupt dieses Wörtchen: Pension. Das müssen Sie benützen, wie eine schöne Frau eine Brillantbrosche ... Pension, Pension! Meine Herren, das müssen Sie flöten, wie eine Mutter, wenn sie mit ihrem Kind schäkert, wie ein Liebhaber, wenn er flüsternd seine Geliebte an den Schlüssel als höchsten Liebesbeweis erinnert. Hübsch auffächern müssen Sie das Wort ... Also, jetzt rede ich ernst, he, probieren Sie es daheim vor dem Spiegel, bis Sie es können: Pension! Als wollten Sie sich selbst versichern ... Pension, Wesen unsichtbarer Dinge, Garantie einer glücklichen Zukunft ... Und nun gehen Sie, Bucifal, wir werden Ihnen durch ein Astloch zusehen.“

Ans Tor klopfte der Herr Gruppenleiter noch selbst.

Schlurfende Schritte, eine Stimme rief: „Die Riemen nicht mit den Händen überwerfen!“

Herr Bucifal schlug mit der Faust ans Tor.

„Lassen Sie Dampf in Kessel drei“, rief die Stimme.

Herr Bucifal legte sein Auge an ein Astloch im Tor, aber von der anderen Seite näherte sich demselben Loch ebenfalls ein spähendes Auge.

„Wer ist da?“ fragte die Stimme.

„Hier ist ein Repräsentant der ‚Stütze im Alter‘“, antwortete Herr Bucifal.

Das Tor ging auf, ein Mann in einem verstaubten langen Kittel und mit einem Rührscheit in der Hand wurde sichtbar. „Hier ist das Labor der Drogerie Zum weißen Engel. Kommen Sie weiter, ich lerne gerade einen neuen Gehilfen an“, sagte der Mann.

Ein älterer Mann pumpte Wasser in einen Bottich.

„Wir Drogisten“, erläuterte der Besitzer, „wir sind halbe Märtyrer. Diese Hand, nicht wahr, die habe ich seit damals verbrannt, als ich wegen der Herstellung des Tancolins herumexperimentierte, löblich bekannte Polierpaste für Parkettfußböden. Der Kessel mit dem Paraffin fängt Feuer, und die Explosion ist da! Eine wahre Pracht! Und meine Hand brennt wie im Alten Testament! Denn so ein technisches Labor, das ist ein wissenschaftliches Institut.“

„Und Ihre Augen, Herr Chef?“

„Das wieder war, als ich den Jägermeisterlikör produzierte“, antwortete der Drogist. „Man nimmt eineinhalb Kilo Jägermeisteressenz, zwanzig Gramm Veilchenwurz, dann vier Liter Alkohol, dreizehn Liter Sirup und dreiunddreißig Liter Wasser. Und doch fing uns das ganze zu brennen an, und der Deckel erwischte mich so am Kopf, daß mir beide Augen verrutschten. Daheim, wenn ich Fachliteratur lese, sitze ich am Tisch, das Buch liegt vor mir, aber schauen tue ich in die Ecke. Mit einem Wort, will ich lesen, muß ich sozusagen wegschauen. Aber durch Kleinigkeiten darf man sich von der experimentellen Drogerie nicht abbringen lassen. Was haben Sie für mich, mein Herr?“

„Die Pension“, sagte Herr Bucifal und blickte in die Baumkronen.

„Das sind Kirschen“, erklärte der Besitzer, „auch Opfer der Wissenschaft. Haben wir Mai, spielen die schon November. Das tun sie, seit hier das weltbekannte Rattengift der Marke Morol erzeugt wird. Kaum haben die Blätter getrieben, kann man sie schon für Tabak verwenden, so wirksam ist unser Bariumchlorid.“

An der Umzäunung erhob sich eine riesige Dogge, die kahl war wie die Kirschbäume und einen wankenden Gang hatte. Sie kam und leckte dem Besitzer die Hand.

„Ja, ja, Anita“, sagte der Drogist und tätschelte das Tier, „Moro hilft der Menschheit. Furchtbar nahe ging es mir immer, wenn ich las, daß die angegurteten Hunde vor der Vivisektion den Wärtern die Hände leckten ... Wirst wohl von der schlimmen Ahnung beschlichen, Anita, daß wir’s bald angehen? Da läßt sich leider nichts machen. Das ist eine Bordeauxdogge, was?! In Bydschau hab ich sie gekauft, und in Chlumetz am Bahnhof, wo ich mit ihr umsteige, mache ich einen Sprung ins Bahnhofsrestaurant auf ein Bier, nachdem ich das Riesentier an die Pumpe angebunden habe; Wie ich so durchs Fenster schaue, sehe ich plötzlich die Leute entsetzt davonrennen ... Ist doch die Sehnsucht über das Tier gekommen, es hat die Pumpe samt dem vier Zentner schweren Brunnendeckel ’rausgezogen und schleift alles zu mir ins Restaurant. — Herr Jozef, es ist wirklich schön, ein so anhängliches Tierchen zu haben“, fügte der Besitzer hinzu.

„Ach, woher!“ rief der Gehilfe. „Ich bin da mal von den Fräuleins gekommen, und aus ’ner Villa hatten sich drei Doggen unten durchgegraben, Pola, Anita und Alzig, Bestien wie Kälber, sie zogen mich in die Hütte ’nein und lagen bis zum Morgen auf mir drauf und knurrten mir ins Gesicht.“

Der Besitzer trat in den Schuppen und holte einen Schubkarren mit stockigem Mehl.

„Das kommt bloß daher, weil Doggen verspielte Tierchen sind“, meinte er. „Aber so ein Bernhardiner! Wieviel Menschen hat der nicht schon vom weißen Tod errettet!“

„Ach, woher!“ regte sich der Gehilfe auf. „Als ich im Hohen Gesenke Soldat gewesen bin, da ist in den verschneiten Bergen ein Frauenzimmer mit Skiern verlorengegangen. Na, wir gingen sie mit zwei Bernhardinern suchen. Und unterm Altvater ist uns der Fähnrich verlorengegangen, und an die Bernhardiner hatte sich so viel Schnee geklebt, daß wir sie in Decken tragen mußten. Jedes dieser Biester hatte ’nen Zentner, und dazu kamen zwanzig Kilo Eiszapfen. Wie Pianos ham wir sie durch den Schnee getragen. Und in der Kaserne mußten ihnen die Doktoren Umschläge machen, so ein Fieber hatten die gekriegt. Den Fähnrich ham wir nicht mehr gefunden. Und das Frauenzimmer, die Alte, die ist am Morgen zurückgekommen, hat die Skier hinter sich hergezogen, gut sechzig ist sie gewesen ... Hatte angeblich ’nen Spaziergang auf den Altvater gemacht.“

Der Drogeriebesitzer flüsterte dem Repräsentanten zu: „Ich muß ihn immer auf die Palme bringen ... Wenn er sich aufregt, arbeitet er besser.“

„Im Ernst?“ wunderte sich Herr Bucifal. „Aber, Herr Chef, Sie sprechen wie aus einem Keller. Haben Sie etwas mit dem Hals?“

„Ja, eines Tages verbrannte ich mir zur Abwechslung die Gurgel, als ich Lysol statt Rum erwischte“, bestätigte der Besitzer kopfnickend. „Zehn Jahre hatte neben meinem Bett eine Flasche Rum mit einem Lysoletikett gestanden, damit mir die Kinder nichts daraus tranken, wie ich es als kleiner Junge beim Vater tat. Einmal aber stellt mir meine Frau irrtümlich wirkliches Lysol hin, und ich komme erst drauf, als ich schon drei Schluck unten habe. Tja, ein Drogist, dem nicht ein paar Finger fehlen oder die ganze Hand oder der keine anderen Spuren von Experimenten aufweist, der ist kein Drogist. — Sie, Herr Jozef, an Ihrer Stelle würde ich mir wenigstens ein Äffchen anschaffen!“

„Woher!“ schrie der Gehilfe, der Verdienst und Kleinverschleiß gegeneinander abwog. „Affen kann ich nicht sehen! Der Blödian Blechtin, mit dem ich auf Wanderschaft in Ziegenhals gewesen bin, der kaufte sich dort als Andenken ’nen Schimpansen. Daheim hat er mit dem Mistvieh zusammen gewohnt. Und weil er ein Sokol gewesen ist, hat er immer mit dem Expander geübt ...“

„Der Schimpanse?“ fragte der Drogist.

„Woher! Der Blödian Blechtin. Der Schimpanse, das Aas, der hat es auch gemacht, aber mit den Hosenträgern. Einmal komme ich auf Besuch, und Blechtin, der Blödian, sagt: ‚Na, probier’s halt auch mal mit dem Expander, du wirst sehen, wie gut das tut.‘ Da hab ich halt den Expander genommen, aber das Aas, der Schimpanse, langt nach dem vernickelten Griff, wir ziehen jeder an einer Seite von dem Expander, und als er ganz gespannt ist, da läßt die Hure, der Schimpanse, doch tatsächlich los, und mir schnellt der Nickelgriff so auf die Nase, daß meine Augäpfel drei Tage quer standen. Äffchen, von wegen!“

Die Bordeauxdogge wankte in die entfernteste Ecke der Parzelle und begann zu jaulen.

„Das gute Tier kennt den Fortgang der Morolerzeugung auswendig“, sagte der Drogist und hob den Sack mit dem stockigen Mehl.

„Herr Chef“, sprach Herr Bucifal, „denken Sie an die Pension. Wer gibt Ihnen etwas, wenn Ihre teuren Hände nicht mehr arbeiten können?“

„Momentchen Geduld noch“, erwiderte der Besitzer und schüttete das Mehl in den Bottich. Eine gelbe Wolke wälzte sich heraus und hüllte die Parzelle ein.

„Stinkt wie im Saustall“, sagte der Gehilfe und hustete.

„Das eben ist das Wahre“, freute sich der Drogist, „und wenn Sie’s erst ein bißchen umgerührt haben, geben wir drei Kasserollen ranzigen Rindertalg hinein, damit die Synthese den rechten Geschmack kriegt. Herr Pensionskasse, wo sind Sie? Dort. Ja, halten Sie sich an der Pumpe fest. Ich erkläre Ihnen jetzt den Vorgang. Manche Firmen geben Arsen ins Rattengift. Ich nehme lieber Bariumcarbonat, das mir die Ratte verschnabuliert wie eine Himbeere. Und das Bariumcarbonat verwandelt sich in ihrem Magen in Bariumchlorid, und erst dieses tötet“, jubelte er in der Wolke. „Es hat freilich einige Zeit gedauert, bis ich die richtige Synthese heraushatte. Zuerst einmal habe ich auf einem Gut zwei Sauen und eine Schar Hühner vergiftet. Dann haben mir die Klienten einige Monate lang Drohbriefe geschickt, von meinem Morol würden die Ratten eher gedeihen ... Aber jetzt? Nur noch Anerkennungsschreiben und Ehrenpreise.“

„Ein Gestank ist das, wie wenn man einen Dechanten schnitzelt“, sagte der Gehilfe und hüstelte in die Mehlschwade.

„Herr Jozef, wäre ich Sie, würde ich mir eine Ziege halten“, reizte ihn der Drogist.

„Ich mag keine Ziege, man würde mir womöglich die Pension nehmen, wegen gewisser Dummheiten.“

„Aber Milch gäb’s, Sie arbeiten mit Giften ...“

„Woher! So ’ne Ziege, die kann tückisch werden. Schlenzt den Hintern ’rum, und ich fliege samt dem Mehlkübel zur Stalltür hinaus, weil ich schon kalte Hände hab’. Und dann, ich sehe auch schon schlecht, ich würde die Ziege bei Dämmerung gar nicht mehr finden. Außerdem zittern mir die Hände!“

„Da würden Sie sie prächtig ausmelken“, sagte der Drogist, trat aus der Wolke in den Stadel und zog mit einem Haken die erste Kasserolle voll ranzigem Rinderfett heraus. Kaum hatte es die Bordeauxdogge erspäht, jaulte sie noch mehr und machte Männchen.

„Gut, also keine Ziege, aber wie wär’s mit einem Kühlein. Das würde sich lohnen, das gäbe eine Menge Milch“, sagte der Drogist, weil er sah, daß der Gehilfe langsamer rührte,

„Woher!“ brüllte Herr Jozef und wirbelte wütend das Rührscheit herum. „Mit einer Kuh hat man noch mehr Ärger. Daheim hatten wir eine Schecke, eine herrliche Kuh, eine Schweizerin wie ein Ochse, wenn ich die zum Stier führte, zog sie mich wie auf einem Schlitten hinter sich her, obwohl ich ihr die Halfterkette im Maul festzurrte. Mit ’ner Kuh plagt man sich was ab!“ schrie der Gehilfe und rührte noch schneller. „Einmal komme ich mit der Schecke zum Stier, der Bauer ist nicht zu Hause, da läßt die Tochter, eine Schönheit, den Stier ’raus. Aber der Stier verwechselt mich mit der Kuh und stürmt auf mich los, ’rüber über den Misthaufen, und wie er noch elegant über die Deichsel vom Leiterwagen springen will, bleibt er mit den Vorderbeinen hängen und schießt einen Purzelbaum, und die Tochter, die Schönheit, kriegte gleich Angst, der Stier könnte sich sein kostbares Geschlecht angeknackst haben! In der damaligen Zeit, wenn eine Sau krank wurde, steckte man sie ins Bett, und wenn sie starb, war das ein ebenso großes Unglück, wie wenn ein Kind gestorben wäre. Und der zehn Doppelzentner schwere Stier steht auf, ich tapfer ’rauf aufs Dach, aber der Stier lehnt sich mit den Vorderbeinen an die Wand und stößt mit den Hörnern Dachziegel ’runter und prustet aus den Nüstern wie ’ne Feuerwehrspritze. Und da reden Sie von Kuh!“

„Hier sind die Kasserollen“, sagte der Drogist, „und jetzt schütten wir den ranzigen Talg in den Bottich.“ Er blinzelte heiter zum Repräsentanten hin, bückte sich, roch an einer Kasserolle und sprach träumerisch: „Das verleiht der Synthese das rechte Aroma!“ Sprach’s und schüttete den verdorbenen Talg in den Bottich.

Der Gehilfe rührte schnell mit einem Scheit — ein übler Geruch entstieg dem Herzen der Parzelle —, überstieg den Zaun und breitete sich weiter aus. Es dauerte nicht lang, da begann auf der Nachbarparzelle Herrn Alfred Pivonkas, der ein Vierteljahrhundert städtischer Güllenleerer gewesen war, die riesige Drehorgel zu kreischen, die er einst geerbt hatte.

Denn immer, wenn das technische Labor der Drogerie Zum weißen Engel Rattengift der Marke Morol erzeugte, zog Herr Alfred sein Instrument in den Hof, um ununterbrochen das gleiche Lied zu spielen: „Ich bin ein Prager Pepik ...“

Als er es ungefähr zum viertenmal spielte, lief der Drogeriebesitzer zum Zaun und schrie: „Herr Pivonka, hören hören Sie mich?“

„Nein, aber ich rieche Sie“, antwortete der Nachbar, und weil ihn die Hand schmerzte, drehte er die Kurbel mit der anderen weiter.

„Herr Pivonka, hören Sie mit dem Spielen auf, wer soll sich das anhören?“

„Sehr richtig, aber Sie haben zuerst angefangen!“

„Herr Pivonka, ich werde mich bei der Handelskammer beschweren!“

„Von mir aus können Sie sich im Waschraum beim fünften Wasserhahn beschweren!“ rief Herr Pivohka und spielte weiter: „Ich bin ein Prager Pepik ...“ Plötzlich schrie er: „Sie gegen mich mit dem Dreck von Rattengift, ich gegen Sie mit der Drehorgel.“

„Herr Pivoika, das wird Repressalien zur Folge haben! Aug um Auge!“

„Bei mir für ein Auge zwei und für einen Zahn den ganzen Kiefer!“

„Was?!“ rief der Drogist. „Herr Pivonka, wenn die Menschheit im Kampf gegen die Natur nachläßt, fressen uns die Ratten samt Ihrem Leierkasten!“

Doch Herr Pivonka dachte sich das Seinige und drehte weiter die Kurbel, als sei die Drehorgel ein Ventilator, mit dem er den Gestank vertreiben könne.

„Die Menschen sind noch immer schrecklich unaufgeklärt“, jammerte der Drogist.

„Das sind sie. Und darum ist mir auch klar“, sagte der Repräsentant, „daß Sie keine Pension brauchen.“

„Woher wollen Sie wissen, was ich brauche und was nicht“, meinte der Drogist und schielte noch sonderbarer als gewöhnlich.

„Schätze, so eine Pension ist nichts für Sie. Ihnen reicht ein Magazinchen mit Anilinfarben und ...“

„Was haben Sie mir denn zu raten, was ich soll und was nicht? Und was, wenn ich gerade eine Pension will?“

„Ich denke ...“

„Sparen Sie sich Ihre Denkerei! Hier denke ich selber“, rief der Besitzer. „Ich will die Pension haben.“

„Die kostet Geld“, sagte Herr Bucifal.

„Sehe ich aus, als ob ich pleite wäre?“ knurrte der Drogist. „Ich will die Pension, und Sie schreiben mich auf. Und ich will meine soliden fünfzehnhundert Kronen.“

Herr Pivonka spielte zum zehntenmal sein Drehorgellied und sang: „Ich bin ein Prager Pepik und hab’ noch nicht gekickt ...“

Jemand drosch an die Umzäunung, die Bordeauxdogge hörte mit ihrem Gejaule auf, sprang am Zaun hoch und schielte mit ihren entzündeten Augen auf die andere Seite.

Herr Bucifal trug Namen und Vornamen ins Anmeldeformular ein.

„Ihr Kriminellen! Ihr Gottlosen!“ schrie der Jemand hinter der Umzäunung. „Wer soll denn das aushalten?“

„Da läßt sich nichts machen“, rief der Drogist, „wir haben ein Patent darauf!“

„Sakra! Das größte Problem Ist, Gott als den Ursprung alles Bösen zu begreifen, aber das da, das übersteigt noch den Rahmen des Göttlichen!“ schimpfte und wetterte der Jemand und begleitete jedes Wort mit einem Knüppelhieb gegen die Bretter.

„Geboren?“ fragte der Repräsentant.

„Achtzehnhundertfünfundneunzig“, sagte der Drogist. „Das dürfte der Adventist Horáček sein. Herr Horáček wir sind das notwendige Böse!“

Herr Horáček hörte auf, gegen die Umzäunung zu schlagen, und rief: „Es steht zwar in der Bibel, daß Arges kommen wird, aber, meine Herren, ich ersticke bereits in meinem Haus. Ihr Morol tritt durch die Wände hindurch! Das Unsichtbare geht durch die Stadt!“

Die Drehorgel im Hof des Herrn Pivonka verstummte, jedoch nur, um gleich darauf zum elftenmal die Luft mit demselben Lied zu zerteilen: „Ich bin ein Prager Pepik ...“ Und die Bordeauxdogge sprang weiter am Zaun hoch, wo jetzt Herr Horáček sinnierend stand, den Finger der einen Hand auf den Lippen, in der anderen den Knüppel.

„Leutchen, ich bin sehend geworden!“ schrie er plötzlich. „Eben ist mir die Teilung der Aufgaben in der Welt erschienen! Die einen sind dazu vorbestimmt — seid ihr drüben?“

„Jawohl“, rief der Drogist.

„Die einen sind dazu vorbestimmt, reine Luft zu atmen, die anderen sind dazu vorbestimmt, im Gestank schier zu ersticken. Und ich gehöre zu den anderen. Freunde, seid ihr drüben?“ schrie der Adventist, um die Drehorgel zu übertönen.

„Jawohl“, rief der Drogist.

„Hier — unterschreiben Sie“, sagte der Repräsentant und zeigte mit dem Finger auf die Stelle.

Inzwischen schrie Herr Horáček begeistert weiter: „Nun sehe ich weiter noch! Die unsichtbare Kirche, zu der auch ich gehöre, muß der Welt Sünden vertilgen. Und ihr und ich, wir sind der lebende Beweis. Leutchen, ich bin wiedergeboren! Ich bin zweimal da!“

Während der Adventist, überflutet vom Licht der Erkenntnis, so faselte, gewahrte er ein Mädchen mit einer weißen Masche im Haar, es schritt am Zaun entlang und spielte auf der Geige zu den Klängen der Drehorgel: „Ich bin ein Prager Pepik ...“ Es war das Töchterchen von gegenüber, aus dem letzten Häuschen in der Gasse, das jüngste Kind der Familie Hildebrant, einer Familie, die nichts erschüttern konnte, weil sie in allem ein gutes Zeichen für sich selbst erblickte ... Immer wenn Herr Pivonka Drehorgel spielte, drückte Frau Hildebrantova dem Mädchen schnell die Geige in die Hand und schickte es mit den Worten auf die Gasse: „Ruženka, geh und übe dich daran, mit großem Orchester zu spielen.“ Obwohl Ruženka über das erste Malát-Heft noch nicht hinaus war.

Das Mädchen mit der weißen Masche und der Geige unterm Kinn und den schönen ängstlichen Augen ging nun am Bretterzaun hin und her und spielte immerfort: „Ich bin ein Prager Pepik“, und die Mutter am Fenster träumte, wie Ruženka einmal im Smetanasaal spielen würde, begleitet von der Tschechischen Philharmonie.

„Was gibt’s?“ schrie der Drogist unwirsch. „Wir fangen jetzt mit der Adjustierung des Morols an!“

„Laßt von allem ab, um des großen Erbarmens willen, und rasch her!“ grölte Herr Horáček.

Herr Bucifal und der Drogist stellten Kisten an die Umzäunung und stützten sich auf den oberen Rand. Sie blickten hinunter, wo eine weiße Masche im Mädchenhaar zitterte.

„Schön spielt sie“, sagte der Drogist, „mit Gefühl.“

„Anders ist es gar nicht möglich“, flüsterte der Adventist, „als daß Gott selbst ein Abgrund sein muß, in dessen Tiefe ein goldenes Ringlein liegt. Ruženka, du bist das Ringlein in der Tiefe dieses Abgrunds...“ Herr Horáček sprach es und streichelte das Mädchen, das seine großen, frühreifen Augen zu ihm erhob ...

Später, als der Gehilfe apathisch auf dem Brunnenrand saß und stumpf die empfangenen Morolspritzer anstarrte, während der Besitzer die Mischung in blecherne Kilodosen füllte, verabschiedete sich Herr Bucifal.

„Das Geld, das Sie mir gaben, ist für drei Monate im voraus, und fünfzig Kronen sind Einschreibgebühr. Das übrige korrespondieren wir auf dem Postweg mit Ihnen aus“, sagte der Repräsentant und verbeugte sich. Sodann schritt er gemächlich die Umzäunung entlang, über deren ganze Länge sich die Aufschrift zog: TECHNISCHES LABOR DER DROGUERIE ZUM WEISSEN ENGEL.

„Hier ist mein Abiturzeugnis“, sagte er hinter der Ecke und reichte dem Herrn Gruppenleiter das Anmeldeformular.

Doch dieser stützte sich mit beiden Händen an die Umzäunung, schüttelte den Kopf, trommelte mit den Fäusten an die Bretter und blickte zum Himmel empor.

Herr Viktor lag auf dem Rücken im Gras, strampelte mit Armen und Beinen und wimmerte leise.

„Was ist?“ fragte Herr Bucifal erschrocken.

„Du bist der erste Versicherungsmann der ‚Stütze im Alter‘, der einen Drogisten geschafft hat“, antwortete Tonda Uhde.

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