Heft 2-3/2004
März
2004

„Wir sind hier, weil ihr dort wart’s!“

Die Ausstellung Gastarbejteri und der migrantische Widerstand

Welches Terrain betre­ten wir, wenn wir von migrantischem Wider­stand reden? Welche Art von Kämpfen führen MigrantInnen? Und wer ist ihr Haupt­gegner?

Die Kontextualisierung der Ausstellung Gastar­bajteri steht uns allen erst noch bevor. Im Folgenden liefere ich, als jemand, der in die Ausstellung involviert war und ist, [1] nur ein paar Skizzen, wie die Teile dieser Ausstellung aus meiner Po­sition heraus zu verstehen und wie sie mit den Begrif­fen „MigrantInnen“, „Na­tionalstaat“ und „Wider­stand“ in Verbindung zu bringen sind.

Die größere Geschichte, in der die Ausstellung Gast­arbajteri eingebettet ist, ist die des Nationalstaates. Die SozialwissenschafterInnen und HistorikerInnen, die zu den primären Gruppen gehören, an die sich die Aus­stellung wendet, sollen aus ihr lernen, dass nicht die Mi­grantInnen und der Prozess der Migration per se ein Forschungsobjekt sein sollen, sondern die Gebilde des Na­tionalstaates. Dieser Nationalstaat hat wie überall auf der Welt die Migrationsfra­ge aufgeworfen. Migration ist ein konstitutiver Be­standteil des Staates. Will man Klarheit über die Pro­blematik bekommen, muß man den Staat und seine Methoden, seine institutio­nellen Normierungs- und Normalisierungstechniken untersuchen.

Obwohl in den Ausstel­lungsunterlagen die Rede von einer Gegen-Erzählung ist, geht es nicht darum, eine zweite Geschichte zu ent­werfen, die möglicherweise neben der ersten existieren sollte, sondern um eine Neu­bewertung und Neukonzeptionierung des Bestehenden. Erstens, indem die Annah­men, auf denen eine natio­nalstaatliche Geschichts­schreibung beruht, hinter­fragt werden und zweitens, indem bestimmte, bisher nur verdeckte Ereignisse ihre ge­schichtsträchtige Bedeutung zuerkannt bekommen. Diese Herangehensweise stellt die Auffassung von Homogenität der österreichischen Nation ebenso in Frage wie auch die Annahme der Kontinuität der Geschichte. Wobei hier unter „Kontinuität der Ge­schichte“ nicht die Konti­nuität von rassistischen Maß­nahmen zu verstehen ist, son­dern die Linearität des offi­ziellen Geschichtsdiskurses, in dem nur diejenigen vor­kommen, die in diesen Ge­sellschaften auch etwas zu sa­gen haben, also über be­trächtlich mehr Macht als die anderen verfügen. „Die je­weils Herrschenden sind eben die Erben aller, die je gesiegt haben.“ [2] Es handelt sich um die Geschichte die­ser Sieger. Diese Art der Kontinuität, die sich unter anderem darin äußert, dass die Migration nirgendwo in den Schulbüchern vor­kommt, widerspricht die Ausstellung.

Das wichtigste dabei ist, trotz des leicht in die Irre führenden Titels der Aus­stellung, zu begreifen, dass diese nicht über „Migran­tInnen“ und „Österreicher­Innen“ spricht, sondern ver­sucht, einen Teil des perma­nent präsenten, aber nie di­rekt angesprochenen, um­fassenden Diskurses des Na­tionalstaates zu verändern. Die begrifflichen und geo­politischen Grenzen, die den Nationalstaat namens Öster­reich definieren, definieren auch die MigrantInnen, die zur gleichen Zeit und mittels desselben Prozesses hervor­gebracht werden. Insofern gib es keine Möglichkeit, diese Phänomene getrennt voneinander zu untersuchen. An diese Fragen knüpfen die „Stationen“ der Ausstellung mit ihrem Konzept der Au­torInnenschaft. Wer dies übersieht, hat die Ausstel­lung Gastarbajteri nicht ver­standen.

Da die Stationen Haupt­teil der Ausstellung sind, ist sie durch die Möglichkeit des Hinzufügens oder Weglas­sens beliebig veränderbar. Sie kann verkleinert, aber auch in einen noch größeren Kon­text gestellt werden. Vor­stellbar wäre zum Beispiel, um die Transformationen des Rassismus zu zeigen, die Ge­schichte der Migration innerhalb der Donaumonar­chie oder auch diejenige der Zwangsarbeiterinnen in der NS-Zeit miteinzubeziehen. Die Ausstellung ist ein Sam­melsurium von Einstellungen und antirassistischen Fokus­sierungen. Diese sind sowohl thematisch als auch raumzeitlich erweiterbar. Das macht diese Ausstellung zu einer Möglichkeit, deren Ver­wirklichung erst im Kopf der BetrachterInnen stattfindet. Dort, wo es Nicht-Abgeschlossenes zu sehen gibt, besteht die Notwendigkeit, selber Abschlüsse zu tätigen.

Position und Opposition

Ich denke migrantischen Wi­derstand als eine Art Kristal­lisationspunkt, der ermög­licht, dass die Machtverhält­nisse klarer vorgeführt wer­den. Aus dieser Belichtung des Tatsächlichen werden dann weitere Ansatzpunkte, Verfahrensweisen und Posi­tionen herausgebildet. Inso­fern interessiert mich hier weniger die Ebene der allgemeingültigen Theorie, son­dern vielmehr jene der partikularen Praxis. Um heraus­zufinden, was der National­staat als vernünftig versteht, analysieren wir das Feld, das diese Form von Staat als ei­nen Fremdkörper (nicht da­zugehörend obwohl teilneh­mend) betrachtet. Es geht darum, die Normalität be­greiflich zu machen. Es geht darum, bislang unbegriffene oder unbenannte Realitäten durch Reflexionsarbeit, durch Schaffung entspre­chender Wissensobjekte und deren Einführung in Diskur­se aus dem Bereich des Un­begriffenen, der Normalität herauszuholen und sie zum Gegenstand bewussten poli­tischen Handelns zu ma­chen [3] Dadurch, dass wir Mi­grantInnen untersuchen, was im Feld der Migration vor sich geht — zum Beispiel als Illegalisierung, Kriminalisie­rung, Pathologisierung, Viktimisierung, Psychologisie­rung und Moralisierung — begreifen wir gleichzeitig, was oder wer diesen Techni­ken nicht oder auf eine an­dere Art und Weise unter­worfen wird als das bei den MigrantInnen der Fall ist. Dadurch, dass wir uns im Bereich der Machttechnik und -Strategie befinden, er­kennen wir, dass es eine Menge von AkteurInnen gibt. Wir sind weit davon entfernt, von irgendjeman­den, der nur „TäterIn“ oder nur „betroffen“ ist, zu reden. Viele AkteurInnen (auch wir) tragen mit ihren Handlungen dazu bei, dass die sogenann­te „Ausländergesetzgebung“ sich in einem ständigen Transformationsprozess be­findet. Wir sind in einem Feld, in dem die Gesetze der Aktion und Reaktion und diejenigen der Regelung und Verweigerung herrschen. Insofern kann man von einer Position und einer Opposi­tion reden. Die Opposition ist nicht deswegen opposi­tionell, weil sie dauernd rea­gieren muss, sondern weil ih­re Rolle diejenige der Instanz des Widerstands gegenüber den Machtverhältnissen ist, und ihre Funktion darin be­steht, zu versuchen, auf die Auflösung dieser Verhältnis­se hinzuarbeiten. Wahrlich eine andere Vision von dem, was wir heute innerhalb des österreichischen Staates als Opposition parteipolitisch oder medial serviert bekommen. Der migrantische Wi­derstand ist eine Opposition zu der Macht des National­staates. Die Oppositionen in unseren Gesellschaften be­stehen aus verschiedenen Ar­ten von Kämpfen. Foucault unterscheidet drei Typen von Kämpfen. Erstens die Kämp­fe gegen die Formen der eth­nischen, sozialen und reli­giösen Herrschaft, die er Kampf gegen die Subjektivierung nennt. Zweitens die Kämpfe gegen die Ausbeu­tung, „die das Individuum von dem trennen, was es produziert“. Diese nennt er Kämpfe gegen Formen der Subjektivität. Und als dritter Typus der Kämpfe erwähnt Foucault diejenigen gegen Unterwerfung. [4]

Grob können wir unter Kämpfen gegen die soziale Herrschaft den Widerstand gegen die andauernden Ver­suche der sozialen Regle­mentierung der MigrantIn­nen (Assimilation, Integrati­on, Diversitätspolitik usw.) verstehen. Hier wären auch die verschiedenen Formen von Selbstorganisation der MigrantInnen zu erwähnen. Unter Kämpfen gegen die ökonomische Ausbeutung lassen sich die konkreten Formen des Widerstands am Arbeitsplatz subsumieren. Dazu sind die wilden Streiks zu zählen, aber auch andere Formen der Vergrößerung der Machtpotenziale innerhalb des Arbeitssystems sel­ber, wie zum Beispiel Bil­dung von ethnischen und verwandtschaftlichen Netz­werken oder andauernde Forderungen nach Anerken­nung kultureller Eigenarten innerhalb des Unterneh­mens. Unter Kämpfen gegen die Formen der Subjektivierung sind alle die sozialen Kämpfe zu verstehen, die darauf zielen, die zuge­schriebene Opferrolle aufzu­brechen und zu versuchen, ein autonomes soziales Feld zu strukturieren.

Diese drei Formen sind nicht getrennt zu betrach­ten. Sie überlagern sich und sind voneinander abhängig. Es geht darum, aus den Ver­hältnissen auszubrechen und die Selbstverständlichkeit ei­nes AkteurInnendaseins zu erlangen. Und es geht dar­um, den Widerspruch zwi­schen der offiziell prokla­mierten „Demokratie“ und ihren tatsächlichen Aussch­ließungen und Grausamkei­ten andauernd vorzuführen.

Die Arbeitsplätze waren die allerersten Verbleibstät­ten der MigrantInnen, und insofern auch die ersten Or­te der Artikulation von wi­derständischen Praktiken. An dieser Stelle seien der Streik der jugoslawischen MigrantInnen 1965 im Iso-Span-Werk in Obertrum (Salzburg) [5] und der Streik der jugoslawischen Migran­tInnen bei einer Baufirma in Admont 1966 [6] erwähnt. In beiden Fällen wurden Lohn­erhöhungen gefordert. Die Niederschlagung der Streiks zog die Ausweisung vieler Streikender nach sich. Die „Fremdarbeiter“, die „unangenehm auffielen“, wur­den damals (wie großteils auch heute) kurzerhand abgeschoben. Damals wie heu­te fehlte den MigrantInnen eine Interessensvertretung. Das hat dazu geführt, dass die Regeln, die diese Inter­essensvertretungen für die Gesellschaft insgesamt vor­geben, zwar gültig sind, aber dass sie gleichzeitig — ange­sichts des metökenähnlichen Status der Migrantinnen — nie die vollständige gesamtgesellschaftliche Gültigkeit für sich beanspruchen kön­nen. Sie können von 10 Pro­zent der Gesellschaft nicht legitimiert werden, wenn diese überhaupt kein Wahlrecht und kein Partizipati­onsrecht besitzen. Wenn die Möglichkeit der Partizipation nicht gegeben ist, kann auch nicht von Allgemein­gültigkeit gesprochen wer­den. Insofern können die MigrantInnen nur die Rolle der potenziellen RegelbrecherInnen einnehmen. Ei­nerseits stabilisiert das den Repressionsapparat des Staa­tes, weil er immer und über­all auf die Gefahr der Sub­version hindeuten kann. Tatsächlich erleben wir seit den 1960er Jahren eine suk­zessive Zunahme an Akzep­tanz für die Kontroll- und Überwachungstechniken. Zweitens reagieren die MigrantInnen — trotz dieser Kontrollen, deren Hauptziel es ist, die Prekärität des Aufenthalts zu festigen — mit di­versen Verwurzelungsstrate­gien. Der Erfolg davon lässt sich daran messen, dass seit den 1970er Jahren, seit in ganz Europa ein „Auslän­derstopp“ proklamiert wur­de, die Zahl der MigrantIn­nen gestiegen ist. Der Spruch „Wir sind hier, weil ihr dort wart’s“ ist nur eine der Parolen, die diese gesellschaftliche Gruppe als die ihre bezeichnet, und die auch einen Einblick in die Motive, Ziele und Ursachen der Migration gewährt.

Ich möchte kein neues revolutionäres Subjekt kon­stituieren. Mir geht es um die Frage nach der Form der Handlungen der Men­schen, die nie so unfrei sein können um sich gegen die ihnen zugefügte Gewalt nicht zu wehren. Ich will zeigen, dass die MigrantIn­nen, genauso wie die Frau­en oder behinderten Men­schen sich immer zu Wehr gesetzt haben. Es geht dar­um, die Verschwiegenheit zu durchbrechen und den Be­reich der Politik so zu er­weitern, dass die Sprache der bisher als sprachlos Geltenden darunter ihren Platz finden kann. Die Taktiken und Strategien, die MigrantInnen dabei anwenden, sind — je nachdem in wel­chen soziopolitischen Kontext sie eingesetzt werden — verschieden, aber sie sind immer gegen einen Haupt­gegner gerichtet: den Natio­nalstaat und seine kalt­schnäuzigen Institutionen.

[1Gemeinsam mit Arif Akilic habe ich im Rahmen der Aus­stellung die Station „Selbstorganisation und Widerstand“ gestaltet, und vom Büro Trafo K., Arif Akilic und mir wur­de das Vermittlungskonzept für die Ausstellung erstellt.

[2Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. In: Ders.:
Sprache und Geschichte. Philosophische Essays. Stuttgart 1992, S. 145

[3vgl. Büro für ungewöhnliche Maßnahmen: Unser kleines Jen­seits. Das Wir und der Antirassismus. Ein Beitrag zur antirassistischen Arbeitspraxis. In: BUM (Hg.) Historisierung als Strategie. Positionen — Macht — Kritik. Wien 2004, S. 17

[4Michel Foucault: Das Subjekt und die Macht. In: Hubert Dreyfus/Paul Rabinow: Michel Foucault. Jenseits von Struk­turalismus und Hermeneutik. Weinheim 1994, S. 247

[5Arbeiterzeitung, 17. 6. 1965, S. 5

[6Arbeiterzeitung, 18. 6. 1966, S. 7

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