LICRA
März
2012

Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust!

Else Lasker-Schülers ichundich im Hamakom Theater

Else Lasker-Schülers in den Jahren 1940 bis ’41 im Jerusalemer Exil entstandenes letztes Bühnenwerk IchundIch fand bisher vergleichsweise wenig Beachtung. Überraschen kann das nicht, war das Werk doch lange Zeit unter Verschluss. Zwar organisierte Else Lasker-Schüler zwei Lesungen ihrer theatralischen Tragödie für geladene Gäste, veröffentlichte sie aber zu Lebzeiten nicht. Einer, der zu diesen Vorträgen eingeladen war, war der Publizist Erich Gottgetreu. In der Zeit Nr.6/1969 schreibt er, dass viele Else Lasker-Schüler für in ihren Jerusalemer Jahren für geistesgestört hielten, selbst Max Brod eine regelrechte „Furcht“ vor ihr empfand. Dessen Intimus Kafka konnte ihre Werke nie leiden, das Verhältnis zu seinem Protegé Werfel war mal von gegenseitiger Bewunderung geprägt, mal von Ablehnung. Als 1960 die erste Gesamtausgabe der Werke Lasker-Schülers herausgegeben werden sollte, entbrannte Streit darüber, ob die Veröffentlichung von IchundIch ihrem Ruf zuträglich sei, oder ob es sich um ein Fragment einer Dichterin handle, über die die „geistige Nacht“ bereits hereingebrochen war. Besonders der Schauspieler, Else-Lasker-Schüler-Freund und -Herausgeber Ernst Ginsberg setzte sich damals gegen eine Veröffentlichung ein. Schließlich bat Werner Kraft, textkritischer Mitarbeiter der Gesamtausgabe, Martin Buber um einen Schlichtungsspruch. Dieser empfahl den Text in Auszügen zu veröffentlichen. Nachdem der damals noch völlig unbekannte Klaus Völker, später unter anderem langjähriger Leiter des Stückemarkts des Berliner Theatertreffens und Rektor der Ernst Busch Schauspielschule, durch den Abdruck der Auszüge im Hortulus auf IchundIch aufmerksam wurde, bewarb er sich mit seiner Studentenbühne A 18 um die Aufführungsrechte. Nachlassverwalter Manfred Sturmann genehmigte jedoch nur eine Lesung.
Einer jener Menschen, die sich am herausragendsten um IchundIch bemüht haben, ist Michael Gruner. Er besorgte fast zwanzig Jahre später, 1979, endlich die Uraufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus. Damals noch hielt er sich eng an die ausführlichen Regieanweisungen, die spektakuläre, apokalyptische Bilder zeichnen, Kostümfarben vorschreiben und sogar schon Videoprojektion. Ganz anders 2012 im Theater Nestroyhof/Hamakom, wo Gruner, nach 1990 am Staatstheater Stuttgart, IchundIch nun schon zum dritten Mal auf die Bühne bringt, und damit auch zur österreichischen Erstaufführung.
Der Saal des Jugendstiltheaters ist mit langen schwarzen Stoffbahnen zur black box verhängt. Musik auf kurzem Loop, ein ruhiger Puls, Sirenengeräusche, Stahlhämmern, Synthieklimpern. Zwei niedrige Zuschauertribünen, einander gegenüber. So empfängt das Theater die Besucher einer reduzierten, aber nicht weniger intensiven Aufführung. Auf Requisite wird weitestgehend verzichtet, Toneinspielungen sollen auf unsichtbar bleibende Gegenstände verweisen. Die unzureichende zeitliche Abstimmung trägt aber nicht zum Verständnis bei. Kaum zuordenbare Geräusche, wie etwa das Setzen von Schachfiguren, lassen sich aus dem Text zwar ableiten, doch erst viele Zeilen nach der Einspielung. Zu dicht und vielschichtig ist der Text, zu sehr fordert er die unbedingte und ununterbrochene Aufmerksamkeit, als dass, wer den Text nicht kennt, diese Geräusche noch im Nachhinein zuordnen könnte.
Eng an den Goetheschen Faust angelehnt, führt die Dichterin selbst durch das Stück, beginnend bei ihrer Version des Vorspiels auf dem Theater. Das Publikum direkt ansprechend, Zurufe aus dem Zuschauerraum diktierend, verwischt sie behände die Grenze zwischen Publikum und Bühne, ohne in die Gefahr zu geraten sie zu verletzen. Denn sie spielt nicht nur mit der alten Idee des Theaters im Theater, sondern macht das Theater selbst zum Inhalt. Max Reinhardt lässt sie zur Inszenierung ihres Werkes aus Hollywood einfliegen, Mephisto seine Strichvorschläge ablehnen. So erklärt sich auch die kluge Platzierung der Tribünen, die jeden einzelnen Zuschauer zwingt nicht nur auf die Bühne, sondern auch ins Publikum zu blicken. „Und lausch vor meiner Herzensbühne im Parquet mein Höllenspiel.“
Schon unter dem Titel Erster Akt folgt ein Prolog im Himmel auf dem Höllengrund. Der Übergang, von dem Höllengrund genannten Tal unweit der Jerusalemer Altstadt, in die lodernden Flammen der Unterwelt ist ein fließender. Ein naiver und besonders deutscher, gottesfürchtiger Faust, den jeder Forschergeist verlassen hat, tritt dort mit einem müden Mephisto in Dialog. Jakob Schneider mimt diesen Mephisto mit großem Körpereinsatz, sich biegend und windend, wie eben eine Schlange oder ein Wurm. Durch das Eintreffen von Göhring (sic), Göbbels, Hess und von Schirach in der Hölle wird das Zwiegespräch zwischen Faust und Mephisto jäh unterbrochen. Die vier Neuankömmlinge tragen das Bärtchen nach Hitlers Weise, ein eleganter Seitenhieb auf eine Ikonographie, die Teil der Popkultur geworden ist. Mephisto bereitet ihnen einen freundlichen Empfang und lädt, in einer an Auerbachs Keller angelehnten Szene, zu Wein und Engelsflügeln. Zunächst schwärmt er von den teuflischen Qualitäten Adolfs und lässt die Nazi-Granden ihre Bitte um Petroleum für Germania und für Rom vortragen, einzig Faust zeigt sich von dieser Gesellschaft angewidert. Doch als die vier beginnen Faust zu beleidigen, verlieren sie Mephisto, der Teufel aller Teufel [...] kapituliert, gibt sich geläutert und wünscht sich in das Himmelsreich zurück. Noch während die Truppen der Wehrmacht, beim Versuch auch die Hölle einzunehmen, in den Lavamassen versinken - „Adolf, Adolf, warum hast Du mich verlassen?!“ -, schreiten Mephisto und Faust gemeinsam vor Gott.
Zweiter Schauplatz. Wie die Hölle zum Höllengrund, steht das Himmelsreich zu Abraham Tichos Garten. Als „der berühmte Augenarzt des Heiligen Landes“ kommt Ticho schon in Lasker-Schülers Hebräerland vor. Die Dichtern unterhält sich in seinem Garten mit einer Vogelscheuche, die schon weiland mit Goethe eng verbunden war. Patrick Jurowski begeistert in dieser Rolle ebenso wie schon mit seiner expressiven Meisterleistung auf dem Höllengrund als schwachsinniger Teufel van der Lubbe. Bald tritt Gerschon Swet hinzu, ein weiterer Freund Else Lasker-Schülers, in Huldigungen als der geniale Redakteur erwähnt. Seine Frau Judith Swet war die langjährige Sekretärin des Verlegers Salman Schocken, der Else Lasker-Schüler bis zuletzt finanziell unterstützte. Der Redakteur der Haaretz soll das Stück besprechen und bittet die Dichterin um Hinweise. „Fragt nicht so viel steht denn nicht alles sachgemäß im Spiel?“, schleudert ihm die Vogelscheuche entgegen, die Dichterin selbst ist bereits zu schwach, um zu antworten. Sie stirbt, „das Stück ist aus Β Ich weiß nicht weiter ...“, einen verstörten und verwirrten Eduard Wildner als Swet zurücklassend als Person, die einen Autor sucht, sein bester Moment.
IchundIch ist nicht nur ein zynisch buntes Schauspiel. Es ist auch eine scharfe Analyse der Ichspaltung. Ich und Ich, das sind Faust und Mephisto, Mord und Mordlust, Theater und Dichtung, Marte und Else, Phantasie und Wirklichkeit, Heinrich und Wolfgang, Schwarz und Weiß. In ihrer Doppelrolle, als Dichterin und Marte Schwertlein, bringt Juliane Gruner diese Ichspaltung besonders eindrucksvoll auf die Bühne. Brillant hebt sie, auch im anderen Kostüm, die verträumte Dichterin von Marte Schwertlein ab, die sie fast schon aggressiv in ihrer Verwirrung zeichnet.
Wenn Else Lasker-Schüler in Arthur Aronymus und seine Väter den Holocaust vorhersah - „Der Hexenglauben ist auferstanden. Aus dem Schutt der Jahrhunderte. Die Flamme wird unsere unschuldigen jüdischen Schwestern verzehren“ -, so lässt sie in IchundIch das Dritte Reich untergehen. Von der Höllenfahrt zur Auferstehung, zynisch und zuweilen mit dem grauenhaften Reim des Kindes - oder der alten Frau - verspinnt sie Goethe und eigene Gedichte mit Korpsliedern und NS-Propaganda. Mit Sicherheit nicht der Text einer Verwirrten, sondern der einer großen Dichterin und Avantgardistin, die in ihrer Jugend den Expressionismus vorantrieb und mit ihrem späten Werk IchundIch, wenn auch noch in dramatischen Traditionen verhaftet, in virtuosen Momenten dem Postdramatischen Theater im Sinne Hans-Thies Lehmanns den Weg bereitet. „Göhring (wieder eindämmernd): Da sprach Pipifax der Kleine (auf Göbbels zeigend) Β //Göbbels: Ihr seid dumm wie Bohnenstroh! Ich allein, ja ich alleine bin ein Teufel Comme il faut!!“

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