MOZ, Nummer 56
Oktober
1990
Wahlen/KPÖ

Zwischen Erneuerung und Spaltung

Mit viel Optimismus begann die KPÖ nach ihrem letzten Parteitag mit der Umgestaltung und Öffnung der Partei. Das Ergebnis der bevorstehenden Nationalratswahlen könnte für diesen Prozeß von entscheidender Bedeutung sein.

Das Antreten der KPÖ bei den Nationalratswahlen war in den letzten Jahren nie eine aufregende Sache. Ob Gewinne — wie zuletzt 1986 — oder Verluste — wie fast immer —, die Veränderungen spielten sich im Bereich jenseits der Ein-Prozent-Hürde ab, und außer Funktionärsgemüter kümmerte die Verschiebung um einige Zehntelprozente kaum jemanden. Der Urnengang am 7. Oktober allerdings wird für die KPÖ von größerer Bedeutung sein: Ein gutes halbes Jahr nach dem „Erneuerungsparteitag“ wird das Ergebnis wohl auch für den weiteren Kurs der heimischen KommunistInnen mitentscheidend sein.

„Alles ist drinnen“, üben sich Funktionäre, um eine Wahlprognose gefragt, in Optimismus. Tatsächlich ist aber die Stimmung nicht besonders gut. Zwar zieht Walter Silbermayr, gemeinsam mit Susanne Sohn KP-Vorsitzender, eine insgesamt positive Bilanz — „Es ist uns einiges an innerparteilicher Demokratisierung gelungen, wir haben Offenheit geschaffen für das Ausdiskutieren von Meinungsverschiedenheiten, und auch nach außen haben wir mit den Projekten ‚Linkes Bündnis‘ und ‚linke Tageszeitung‘ Signale gesetzt“ —, die euphorische Stimmung ist allerdings kräftig gedämpft worden. Die nach außen gerichteten Angebote für eine linke Sammlung sind von der österreichischen Linken — oder vielmehr dem, was von ihr geblieben ist — kühler aufgenommen worden als erhofft. „Viele warten ab, halten sich noch bedeckt“, meint Silbermayr. Und intern formiert sich ein Teil der alten Funktionärsgarde zum Widerstand, jeder Mißerfolg für die neue Orientierung gibt ihnen die Hoffnung, daß der Spuk ‚Demokratisierung‘ bald vorbei sein könnte.

„Politische Kultur erfordert nicht nur Proklamationen, sondern vor allem Praxis. Und dazu benötigen wir Zeit“, resümiert Silbermayr doch genau Zeit ist, was fehlt. So setzte etwa die Besetzung des KP-Hauses „Wielandschule“ in Wien Ende Juni durch autonome Gruppen die Parteiführung unter Zugzwang. Gehandelt werden mußte — doch Silbermayrs Wunsch, verschiedene politische Kulturen durch einen Diskussionsprozeß einander anzunähern, ist, wenn die einen Räumung fordern, die anderen im Falle einer solchen mit Austritt drohen, kaum zu verwirklichen. So ist es auch nicht verwunderlich, daß der Status quo in der Frage des „Ernst-Kirchweger-Hauses“ von allen Seiten kritisiert wird: Während die MitbenützerInnen, wie die Besetzerinnen seit Abschluß von Verträgen heißen, der KPÖ vorwerfen, sie sei zwar bereit, Almosen zu geben, nicht aber, die zentrale Forderung autonomer Kultur, nämlich die Einheit von Politik und Leben (sprich: Arbeiten und Schlafen) zu akzeptieren, ätzen alte Kader: „Seht her, dazu führt Eure Öffnung.“

Walter Baier, Referent für Bildung und Theorie im Zentralkomitee und einer der einflußreichsten Männer der KPÖ, schreibt in einem Aufsatz in der jüngsten Ausgabe von „Weg und Ziel“, einer Theoriezeitschrift der heimischen KommunistInnen, daß „sich die Tendenz zur Emotionalisierung, zur Polarisierung entlang objektiver Unterschiede in der politischer Kultur, Ausgrenzung und Selbstausgrenzung verstärkt haben“. Wenn er von „vorhandenen Tendenzen der Entfremdung eines Teiles des Apparats von der Organisation“ spricht und die Parteispitze auffordert, die „weitgehend reduzierte Handlungsfähigkeit“ zurückzugewinnen, wenn er formuliert: „Abzuschminken sind zunächst alle Illusionen, Erneuerung sei ohne oder gar gegen die wesentlichen Teile der Partei zu verwirklichen“, dann trifft Baier die Stimmung und Vorbehalte wohl eines großen Teils der Basis auf den Kopf. Er selbst will seinen Artikel jedoch keineswegs als Kampfansage an die beiden Vorsitzenden sehen: „Ich halte überhaupt nichts von einer emotionalen Zuspitzung.“ Deshalb, so Baier, betrachte er seinen Artikel auch als Schritt zur Deeskalation, die Grundvoraussetzung für die nötige inhaltliche Auseinandersetzung sei.

Und da, so der Koordinator der Programmdiskussion, gäbe es ohnehin genug zu leisten. „Die Gretchenfrage für die nächsten Jahre lautet: Wie kann man begründen, daß die KPÖ notwendig ist?“ (Baier). Für ihn selbst müsse sich ein Parteiprofil ergeben, das „sich deutlich unterscheidet von verschiedenen sozialdemokratischen Typen“. Anders als in kommunistischen Schwesterparteien gibt es in der KPÖ keine „ausformulierten“ (Baier) reformistischen Positionen, „aber angesichts des Untergangs des Sozialismus muß man schon sagen, daß sie naheliegen würden. Wer das leugnet, hat die Realität aus den Augen verloren“. Ob er mit seinem „realitv kühnen“ Anspruch, gegen diesen Reformismus eine sozialistische Umwandlung der Gesellschaft zu setzen, den Konsens innerhalb der Partei trifft, „habe ich noch nicht ausgetestet“ (Baier). Auch Silbermayr läßt keinen Zweifel aufkommen, daß „wir konsequent antikapitalistisch bleiben werden“.

Alte Zitate sollen Mut machen

Wenn auch vieles neu diskutiert und definiert werden müßte. So meint der Vorsitzende, daß die kommunistische Kapitalismuskritik viel zu traditionell war, „daß wir die Innovationsfähigkeit des Kapitals, sich ständig neu anzupassen, ständig größere gesellschaftliche Kosten zu erzeugen, aber gleichzeitig den Konsens immer wieder neu herzustellen, unterschätzt haben“. Als weiteren Aspekt der Programmdiskussion nennt Silbermayr, „daß wir über die Bedeutung des Staates nachdenken. Ich denke, die kommunistische Linke war zu staatszentriert und hat die Möglichkeit, über den Staat gesellschaftliche Veränderungen durchzuführen, überschätzt“.

Der Vorsitzende weiß, daß der Druck der bevorstehenden Wahlen den gewünschten und notwendigen offenen programmatischen Diskussionsprozeß nicht gerade positiv beeinflußt. „Wir haben uns nicht gefragt, welche Auswirkungen die Öffnung auf die Nationalratswahlen haben wird“, bekennt er, aber: „Jetzt stellt sich die Frage, wie die Wahlen unsere Projekte beeinflussen.“ Es ist ein offenes Geheimnis, daß manchen alten Kadern (und deren jungen Anhängern) eine vernichtende Wahlniederlage gar nicht so unrecht wäre — als Argument gegen die Erneuerung. Silbermayr wirbt deshalb um Solidarität: „Wenn andere Linke uns nicht unterstützen, dann wird der Prozeß scheitern. Denn natürlich besteht die Gefahr von Stimmeneinbrüchen“, bekennt er, dann nämlich, wenn „bisherige Stammwähler nicht zur Wahl gehen, andere aber, die die Erneuerung zwar begrüßen, sie aber noch beobachten, uns noch nicht wählen wollen.“

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