FORVM, No. 301/302
Januar
1979

Die Frauen bleiben zurück

Expedition nach Sardinien

Heirat mit 20

Sardinien ist eine Welt für sich! Ein Teil Italiens, der aber bis heute seine eigenständigen Lebensformen bewahrt hat und erst langsam vom Rhythmus der Industriegesellschaft mitgerissen wird. Vielleicht ist das der Grund, warum gerade diese Insel soviel Interesse auf sich zieht. Zeitungsartikel, TV-Reportagen, Bücher beschäftigen sich mit sardischen Problemen. Der italienische Spielfilm „Padre Padrone“ schildert das Schicksal eines sardischen Schafhirten, der seinen Weg vom Analphabeten zum Sprachwissenschaftler macht. Auch in der BRD kann man viel über Sardinien hören und lesen. Doch ein Thema kommt nie zur Sprache: die spezifische Situation der sardischen Frauen. Wir beschlossen, einen längeren Aufenthalt auf der Insel im September 1978 — quasi „urlaubsbegleitend“ — zur Recherche über dieses Problem zu benützen.

Es ist nicht leicht, in das Innere Sardiniens zu gelangen. Auf der Fähre von Genua nach Porto Torres überfallen einen stürmisches Wetter und die Seekrankheit. Auf der Insel selbst sind die Busverbindungen unregelmäßig: Man muß oft Umwege in Kauf nehmen. Ein öffentlich ausgehängter Fahrplan existiert nur in größeren Städten wie Nuoro (Zentralsardinien) und Cagliari (im Süden der Insel). In Bitti, einem Ort nördlich von Nuoro, kamen wir rechtzeitig an, um eine sardische Hochzeit und sardische Gastfreundschaft zu erleben. Für die Braut würden die Flitterwochen auf dem Festland die erste Gelegenheit sein, die Insel zu verlassen. Die Tante, eine resolute Frau von 56 Jahren, war meine erste Interviewpartnerin.

Diese Frau hatte schon nach fünf Jahren die Schule verlassen, um der Mutter bei der Erziehung der jüngeren Geschwister zu helfen. Die Mutter starb im Alter von 35 Jahren, nach der Geburt von acht Kindern. Meine Gesprächspartnerin war unverheiratet geblieben. Sie machte einen sehr souveränen Eindruck. Sie hatte lange Zeit bei ihren Geschwistern die Rolle des Familienoberhauptes übernommen und viele Entscheidungen auf eigene Faust getroffen. Eine Berufsausbildung für Mädchen gab es früher überhaupt nicht. Zentralsardinien war (und ist teilweise heute noch) eine Hirtengesellschaft, wo die Frau Haus- und Feldarbeit verrichtet, der Mann sich aber bei der Schafherde befindet.

Bei diesem meinen ersten Interview bekam ich ein erstes Bild von der traditionellen Frauenrolle. Meine Gesprächspartnerin widersprach in ihrem ganzen Habitus dem Klischee der passiven Frauenrolle in der patriarchalischen Gesellschaft. Diese Frau in Bitti kritisierte, daß die Mädchen heutzutage viel zu jung heiraten würden. Früher hätten die Frauen erst mit 25 oder 30 geheiratet, jetzt sei das Heiratsalter schon bei 20 Jahren. Den Grund für diese Frühheiraten habe ich dann in einem anderen Interview erfahren. Immerhin lobte meine Gesprächspartnerin, daß die jüngeren Frauen nicht mehr — wie früher — zwangsverheiratet werden. Sie selbst hatte nicht geheiratet.

Immer wieder hörte ich in Bitti die Frauen darüber klagen, wie schwierig es für sie sei, einen Arbeitsplatz zu finden. Welche Gründe dafür ausschlaggebend sind und ob diese Frauenarbeitslosigkeit für ein industriell so unterentwickeltes Gebiet wie Sardinien typisch ist — darüber befragte ich dann in Nuoro eine junge Funktionärin.

Wandmalerei,
ausgeführt von einer Frauengruppe in Villa Grande/Sardinien

Hausfrauen = Arbeitslose

Elisabetha ist Mitglied einer Autonomiegruppe („Su Popolu Sardu“) und gleichzeitig bei einer alternativen Rundfunkstation tätig. Dieses „Radiu Supramonte“ wird von einer Genossenschaft betrieben, deren Präsidentin Elisabetha ist — „lauter Gratisarbeit!“ Eine Stunde in der Woche arbeitet sie als Zeichenlehrerin; was sie damit verdient, muß zum Leben reichen. Ihren Angaben zufolge befindet sich gegenwärtig nur ein Prozent der sardischen Frauen in einem Arbeitsverhältnis, und zwar ausschließlich im Dienstleistungsbereich. Das hängt damit zusammen, daß auf Sardinien die Grundindustrie vorherrscht und es praktisch keine verarbeitende Industrie gibt, wo mehr Frauen beschäftigt werden könnten.

In einer Fabrik nahe Nuoro, in der auch Elisabethas Mann arbeitet, bilden zum Beispiel die Frauen eine Minderheit: Von insgesamt 2.500 Beschäftigten sind rund 150 Frauen, und sie müssen sich aufs Büro oder aufs Saubermachen beschränken. Auch wenn sie die gleiche Ausbildung haben wie die Männer, bekommen sie viel weniger Lohn. Das alte Lied! Auch die sardischen Frauen werden von vornherein in niedrigere Lohngruppen eingestuft. „Die Wirtschaftskrise hat in Sardinien vor allem die Frauen getroffen. Die Fabriken, in denen hauptsächlich Frauen gearbeitet haben, sind geschlossen worden — die Textilbetriebe zum Beispiel“, sagt Elisabetha.

Meine Frage, ob sich die Frauen wehren und etwas gegen ihre Arbeitslosigkeit unternehmen, bejaht sie vehement und berichtet von einer kürzlich erfolgten Aktion: Es wurden Listen angelegt, in die sich die Arbeitslosen — Jugendliche vor allem — eintragen sollten. Auf Sardinien haben sich die jungen Frauen massenweise in die Listen eingeschrieben, so daß jetzt da drin ebenso viele Frauen wie Männer geführt werden. „Die Frauen betrachten sich nicht länger als Hausfrauen, sondern als Arbeitslose! Wenn neue Arbeitsplätze geschaffen werden — für die der Unternehmer Geld vom Staat kriegt — so muß er dann auch genauso viele Frauen wie Männer einstellen ...“

Ob sich Elisabetha da nicht allzu große Hoffnungen macht? Freilich, schränkt sie ein: In den Bergwerken existiert ja Schichtarbeit, und da die Schutzvorschriften für Frauen die Nachtarbeit ja untersagen, könnten die Bergwerksunternehmer die Listen der Arbeitslosen unterlaufen. „Die Frauen werden dann eben fordern, daß die Arbeitsbedingungen in den Bergwerken ihren eigenen physischen Gegebenheiten angepaßt werden. Die müssen sich nach den Frauen richten, nicht umgekehrt!“ Und Elisabetha erzählt in diesem Zusammenhang von einer Genossenschaft in Orgosolo, die von 40 Arbeitslosen gegründet wurde, darunter sind auch junge Frauen, die um ihre Mitarbeit bei der Aufforstung des Gebietes kämpfen.

Die Tatsache, daß die Frauen von der Industrie auf den bloßen Dienstleistungssektor abgedrängt werden, hat für Elisabetha aber noch einen zusätzlichen Aspekt: der drohende Verlust der nationalen Eigenständigkeit. Die Bevölkerung Sardiniens fühle sich von Italien unterdrückt, kolonialisiert: „Wenn man die sardischen Frauen auf Dienstleistungen beschränkt, wenn man sie von den wichtigsten Wirtschaftsbereichen ausschließt, so greift man damit die sardische Kultur an. Man zwingt die sardischen Frauen, italienisch zu reden, in den Büros, in den Ämtern, in den Schulen, in den Geschäften ... Diese Art zu leben hat nichts mehr mit ihrer kulturellen Tradition gemeinsam. Es dient nur dazu, sie umzuerziehen und in eine bestimmte Richtung zu drängen. Man lehrt die jungen Leute Italienisch, und man lehrt sie gleichzeitig, sich an der Konsumgesellschaft zu orientieren!“

Der alte Kampf zwischen Hirten und Polizei:
Frauen beweinen die Opfer (Wandmalerei aus Orgosolo)

Die schwarzen Alten hatten die Macht

Das hätte die sardischen Frauen in zwei verschiedene Lager gespalten. Die einen — das sind die älteren Frauen aus dem Zentralgebirge, die fast immer nur schwarz gekleidet sind und noch eine größere Bindung an die traditionelle Kultur und an die Gemeinschaft haben. Die anderen — das sind die jüngeren Frauen, die italienisch erzogen wurden: die Italianisierten.

Hat sich also die Situation der jüngeren Frauen im Vergleich zu früher eher verschlechtert? Nach Elisabethas Meinung sind die mehr traditionell orientierten Frauen in einem gewissen Sinn emanzipierter. Sie sind zwar den Männern auch nicht ebenbürtig, aber sie haben im agrarisch-wirtschaftlichen Bereich ihren festen Platz. „Die Frau des Hirten erledigt alle Geschäfte. Sie verkauft den Käse. Sie erledigt die Geschäfte mit dem Weideland. Sie hat die ganze Familienökonomie in der Hand. Das gibt es jetzt nicht mehr. Die sardischen Frauen wurden in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht enteignet!“ Sie könne oft Frauen treffen, die, in traditionelles Schwarz gekleidet, sich freier benehmen und offenere Umgangsformen haben als die jungen Mädchen ... Es hat den Anschein, als überlebte hier noch ein Stück vorkapitalistischer und frauenfreundlicher Tradition des alten Sardinien, aus der Zeit vor der Eroberung durch Italien, vor der Unterdrückung durch die katholische Kirche und ihre rigiden Moralvorstellungen.

Damals sei die Sexualität überhaupt viel leichter und liberaler ausgelebt worden — das zeigen nicht zuletzt die alten Volkslieder und Gedichte. Vor nicht allzu langer Zeit gab es in sardischen Dörfern noch eine Art Probe-Ehe: „Bis um die Jahrhundertwende hielt sich der Brauch, daß zwei zusammenlebten, ohne sich zu verheiraten. Die katholische Kirche setzte sich aber leider auch dort durch ...“

Kultteppiche und Verlegersystem

Gibt es denn heutzutage auf Sardinien nicht mehr Freiheiten, auch im Sexuellen? Die Sexwelle sei auch nicht das Wahre, meint Elisabetha. Mit den untauglichsten Mitteln ist sie bis nach Sardinien gedrungen, mit schlüpfrigen Schlagern und den in Italien so beliebten Fotoromanen. Die sexuelle Freiheit blieb nur ganz an der Oberfläche; die entsprechende Sexualaufklärung und Sexualerziehung fehlte, die Burschen und Mädchen konnten mit ihrer größeren Freiheit nicht bewußt umgehen, nichts Rechtes anfangen. „Deshalb ist es heute so üblich, daß die Mädchen schnell heiraten — weil sie schwanger sind!“

Über Orgosolo führt uns der Weg nach Sarule, einem kleinen Nest. Im Haus von Bekannten fallen mir die schön gewebten Teppiche mit den traditionellen sardischen Mustern auf, und ich beginne mich für ihre Herstellung zu interessieren.

Luigia, 45 Jahre alt und Weberin, erzählt, daß die Teppiche vor Zeiten eher kultischen Charakter hatten, sie wurden als Totenteppiche oder als Ehebettdecken verwendet. Weben ist überhaupt eine alte Familientradition auf Sardinien. Bevor sie ganz am Aussterben war, wurde sie von der Firma Isola wieder aufgegriffen. Weberinnen wurden vom Dorf weg in die Fabrik zur Teppichherstellung geholt.

Sarule auf Sardinien:
Luigia webt. Die Männer ziehn als Wanderarbeiter in die Ferne.

„Vor 17, 18 Jahren hab’ auch ich in dieser Firma gearbeitet. Sie zahlte 1.000 Lire (= 2,50 DM) pro Tag, und in der Stunde 100 Lire (= —,25 DM). Heute verdienen die Weberinnen 5.000 Lire pro Tag (= 12,50 DM). Bis tief in die Nacht hab’ ich oft gearbeitet. Oft hat man uns Weberinnen die ganze Woche nicht bezahlt. Wenn ich protestierte, waren die Kolleginnen wütend. Sie waren mit jeder Bedingung zufrieden, weil sonst keine Arbeit da war. Vor vier Jahren hörte ich auf, bei Isola zu arbeiten ...“

Luigia hatte zwar keine andere Arbeit gefunden, doch sie wollte lieber selber Teppiche weben, auf eigene Faust, und das machen, was ihr gefiel: Die Firma hatte den Weberinnen oft 40 bis 50 Teppiche in Auftrag gegeben, dabei aber genau die Muster und Farben vorgeschrieben. Luigia dagegen wollte frei arbeiten, auch der Ausbeutung durch die Firma entgehn; das machen, was sie empfand, und nicht das, was ihr befohlen wurde.

Außerdem ist es ihr lieber, wenn sie mit den Kunden direkten Kontakt hat. Unter den Touristen gibt’s auch weniger Reiche, denen der schöne Teppich einfach gefällt. „Ich gebe diesen Leuten lieber etwas Rabatt, als daß ich für die Firma oder andre Händler praktisch umsonst arbeite!“

Außer Luigia schaffte es aber nur noch ein andres Mädchen, auf Eigeninitiative hin etwas zu unternehmen — an der Costa Smeralda eröffnete sie eine Boutique. Voll Bitterkeit meint Luigia: „Heute beutet sie die Weberinnen von Sarule genauso aus. Zu Spottpreisen kauft sie ihnen die Teppiche ab!“ Und sie zeigt uns einen Teppich für 200.000 Lire (= 500 DM) als Minimum, für den diese Frau nur die Hälfte bezahlen wollte. Wenn eine Weberin in Sarule mehr verdienen möchte, bleibt ihr nichts andres übrig, als aus Sardinien auszuwandern und in den Touristenzentren entlang der italienischen Küste Arbeit zu finden.

Hier nur ein Wort über die Teppiche der Frauen von Sarule: Sie sind aus reiner Schafwolle und ganz dicht gewoben, ihre Farben werden von den Weberinnen selbst aus Gräsern, Baumrinde und Blättern fabriziert und zusammen mit der Wolle stundenlang gekocht. Luigia macht nicht nur Teppiche, sondern auch Umhängetaschen, und sie webt Motive der sardischen Tradition in ihre Produkte ein — Mond, Vögel, sardische Paare. Für unsere Kaufhausvorstellungen sind die Teppiche nicht gerade billig. Aber ich stellte eine Rechnung an: für einen Teppich mit den Maßen zwei mal drei Meter müssen die Frauen drei Monate lang arbeiten; wenn sie dann für das fertige Produkt 2.200 DM verlangen, so ist das nicht zuviel! Im Endergebnis verdient eine sardische Weberin — wenn man die Materialkosten abzieht — nur 200 DM pro Monat ...

Dorfszene in Laconi
(Fresco von Angelo Filloni aus San Sperate)

Giftige Feldarbeit

Im „Campidano“, der Tiefebene Sardiniens, die im Gegensatz zu den rauhen, zerklüfteten Bergen im Innern des Landes grün und fruchtbar ist, landeten wir in einem kleinen Ort nahe Cagliari: San Sperate. Dort lernte ich eine junge Lehrerin kennen. Amalia erkrankte als kleines Mädchen an Kinderlähmung, und für sie kam dann nur ein Studium in Frage, das sie sich mit Müh und Not auf klassische Weise verdienen mußte: Sie gab Nachhilfestunden. Als ich sie traf, unterrichtete sie an einer Volksschule, und auch nur in Vertretung einer Kollegin, obwohl sie als Lehrerin für Realschule und Gymnasium qualifiziert ist. Für drei Tage in der Woche bekam sie 36.000 Lire bezahlt das sind rund 90 DM.

In ihrer Freizeit arbeitet Amalia, natürlich unentgeltlich, für eine linke Bauerngewerkschaft; sie kümmert sich dabei um soziale Dinge wie Sozialversicherung, Unfallversicherung und Pension der Bauern. Über die Arbeitsbedingungen der Bäuerinnen und Plantagenarbeiterinnen weiß sie daher gut Bescheid. Im Gespräch mit ihr erfahre ich, daß die meisten Frauen aus der Gegend entweder auf dem Feld arbeiten, auf den Blumen-, Obst- und Gemüseplantagen, oder sich schwarz als Putzfrauen in der nahegelegenen Hauptstadt Cagliari verdingen.

Die Feldarbeit wirkt sich auf die Gesundheit der Frauen sehr schädlich aus, weil sie die Pflanzen mit giftigen Lösungen gegen das Ungeziefer besprühen müssen, ohne dabei Schutzmasken oder Handschuhe zu tragen. Jene Frauen, die nur als Taglöhnerinnen bei der Obsternte helfen, haben es da schon etwas besser — obwohl der Unterschied im Lohn im Vergleich zu den Männern auch hier gravierend ist: Ein Mann verdient 14.000 Lire, eine Frau nur 8.000 Lire pro Tag.

Wenn die Frauen weder als Bedienerinnen in Cagliari noch auf den Plantagen arbeiten, so sind sie Bäuerinnen — arbeiten müssen sie alle, und zwar schwer. „Überall im ‚Campidano‘ kann man merken“, sagt Amalia, „daß die Männer nach der Krise in den fünfziger Jahren in die Industrie abgewandert sind. Die Frauen blieben auf den Bauernhöfen. Deshalb werden die meisten landwirtschaftlichen Betriebe heute von Frauen geleitet. Das wird aber jetzt nicht als Arbeit anerkannt!“ Sie werden bloß als Hausfrauen gezählt, was aber mit den wahren Verhältnissen nicht übereinstimmt — sie leiten wirklich die Betriebe. Unter diesem Aspekt hat die Frau sogar eine gewisse Selbständigkeit gewonnen. Diese wichtige Position im Ökonomischen gehe freilich bei den jungen Leuten, die in den Städten leben, verloren, beklagt Amalia. „Bei der älteren Generation sieht man noch, daß die Frauen alles verwalten, alle Familienangelegenheiten fest in Händen haben. Es gibt sogar noch Pensionistinnen, ganz alte Frauen, die ihren Bauernhof betreiben!“

Der Motor ist für Männer

Wie die Arbeitsverhältnisse für Frauen in der Industrie beschaffen sind, schilderte mir dann eine andere Gesprächspartnerin. Cenzina, 29 Jahre alt, ist Zigarettenarbeiterin in einer staatlichen Zigarettenfabrik. Sie hat ein uneheliches Kind zu versorgen, das sie unter der Woche bei ihren Eltern läßt, und muß noch froh sein, bei der herrschenden Arbeitslosigkeit überhaupt einen Job gekriegt zu haben. Ihre Firma hatte auch wirklich eine reiche Auswahl: unter Hunderten von Bewerberinnen konnte sie sich in aller Ruhe 70 Frauen aussuchen. Diese wurden einer Art Aufnahmsprüfung unterworfen: „Man verlangte von uns eine Kraftprobe, eine Gedächtnisprobe, einen Intelligenztest, eine Prüfung der Allgemeinbildung und eine Reflexprobe!“, erzählt Cenzina. „Was man bei uns geprüft hat, das braucht man in der Fabrik gar nicht! Das hat mit der Zigarettenproduktion überhaupt nichts zu tun!“

Die ganze Prüferei diente den Chefs als reines Selektionsmittel, auch um die sogenannte „Unterschicht“ vom Betrieb fernzuhalten. Doch keine der 70 Frauen, die den Job erhielten, wurde nur deshalb eingestellt, weil sie die Tests bestand. „So geht’s bei uns in Italien!“

Es gibt für die Frauen gesetzliche Bestimmungen, denen zufolge sie keine Waren transportieren dürfen, die über ein bestimmtes Gewicht hinausgehn. In der Zigarettenfabrik wirkt sich das dann so aus, daß die Männer die anfallenden Transportarbeiten übernehmen, die Frauen aber während dieser Zeit die Zigarettenarbeit der Männer mitmachen müssen. „Ich würde aber gern einmal zur Abwechslung meine Zigarettenmaschine verlassen und auch was durch den Betrieb transportieren!“, sagt Cenzina. Im Betrieb gebe es zwei Arten von Transportwagen: Handkarren und Elektrokarren.

„Als ich verlangte, genauso wie die Männer Transportarbeiten zu machen, da sagten sie, ja, nimm den Handkarren ... Da gab’s für sie keine Schwierigkeiten, mir das zuzumuten — daß ich einen Handkarren bewegen darf, der 140 Kilo schwer ist! Der Elektrokarren bleibt für die Männer selber reserviert. Er funktioniert so, daß sich ein Mann hinaufsetzt, den Motor einschaltet, und das Ding fährt von alleine. Das ist viel leichter, als den schweren Handkarren ziehn! Mir hat man den Elektrokarren verboten und gesagt: ‚Du kannst das nicht. Du bist ja eine Frau ...‘“

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