Die Kugeln prallten nicht ab
Ein Jahr nach dem hundertsten Jahrestag des Völkermords an den Herero und Nama im damaligen „Deutsch-Südwestafrika“ jährt sich heuer das zweite große deutsche Kolonialverbrechen auf afrikanischem Boden zum hundertsten Mal: Die blutige Niederschlagung des Maji-Maji-Aufstandes in „Deutsch-Südostafrika“, dem heutigen Tansania.
Der Aufstand gegen die deutschen Kolonialherren, der sich v.a. gegen die erdrückende Steuerlast und die immer unerträglicher werdende Zwangsarbeit in den Baumwollplantagen richtete, begann mit der Verbreitung einer religiös inspirierten Botschaft durch den Maji-Propheten Kinjikitile, der basierend auf lokalen Glaubensvorstellungen eine Medizin versprach, die nicht nur von diversen Krankheiten heilen, sondern insbesondere gegen die Gewehre der Deutschen unverwundbar machen sollte. Kinjiktile war ein traditioneller Heiler, der jedoch durch die Verelendung großer Teile des südöstlichen Teils „Deutsch-Ostafrikas“ mit seiner Botschaft politische Relevanz erreichte und dessen Ideen sich durch von ihm entsandte Maji-Botschafter seit der zweiten Hälfte des Jahres 1904 in rasender Geschwindigkeit bei den im Landesinneren lebenden Bevölkerungsgruppen zwischen Nyasa-See und der islamischen Küstenbevölkerung ausbreiteten. Seine Botschaft verband sich jedoch auch mit einem inneren Reformprogramm, wonach die Maji-Medizin nur dann wirksam wäre, wenn sich die Konsumenten der Medizin an gewisse moralische Standards hielten, etwa bei Kämpfen keine Vergewaltigungen oder Plünderungen durchführen würden. Würden sich die Anhänger des Kultes jedoch nach der Einnahme der Medizin an diese moralischen Vorschriften halten, würden die Gewehrkugeln der Deutschen wie Wasser an ihnen abprallen, so das Versprechen Kinjikitiles und seiner Botschafter.
Unter der Führung von Kinjikitile konzentrierte sich die Bewegung anfangs auf die Verbreitung ihrer Botschaft und das Schmieden interethnischer Allianzen. Auch wenn die dabei verbreitete Botschaft eindeutig die eines Kampfes gegen die weiße Kolonialherrschaft war, so schien vorerst die Zeit noch nicht reif für den offenen Krieg zu sein. Erst als Kinjikitile am 16. Juli als Auslöser einer gewissen Unruhe in der Bevölkerung von den Deutschen verhaftet worden war, kam es vermutlich zu einem vorzeitigen Beginn der Kämpfe. Am 20. Juli trat im Dorf Nandete im Matumbi-Bergland eine von Maji-Maji-Heilern angeführte Gruppe von Dorfbewohnern vor den von der Kolonialmacht ernannten Kommunalschamben und begann die verhassten Baumwollpflanzungen — in denen sie bisher zur Zwangsarbeit gezwungen worden waren — auszureißen. Dieser Akt der Zerstörung der Pflanzungen der Kolonialmacht, war als Selbstermächtigung und Kriegserklärung der Maji-Maji-AnhängerInnen gegen die deutsche Kolonialherrschaft zu verstehen. Sie zerstörten damit das Symbol des Kolonialismus, der Ausbeutung und der Unterdrückung. In den darauf folgenden Tagen wurden deutsche Kolonialbeamte bzw. ihre lokalen Vertreter, sowie indische Zwischenhändler in der Umgebung angegriffen. Die Kämpfe breiteten sich rasch aus. Am 30. Juli wurde mit einem Plantagenbesitzer, der vor den heranrückenden Aufständischen geflohen war, der erste Deutsche getötet.
Die deutsche Kolonialmacht, die anfangs überrumpelt worden war, begann nun jedoch umso härter zurückzuschlagen. Bald zeigte sich die hoffnungslose Unterlegenheit der Maji-Maji-Kämpfer in der offenen Feldschlacht, ebenso wie die Wirkungslosigkeit ihrer Medizin. Allerdings dürfte es den geistigen Führern der Bewegung noch eine Zeit lang möglich gewesen sein, das Versagen der Medizin auf die Nichteinhaltung der strengen Gebote des Kults zurückzuführen. Der Aufstand brach jedenfalls nicht sofort zusammen, als die Kugeln der Weißen nicht wie Wassertropfen auf der Haut der Kämpfer abprallten, sondern zigtausende Tote hinterließen. Die Bewegung änderte jedoch schließlich ihre Taktik und ging von der offenen Feldschlacht zum Guerillakrieg über. Die genaue Zahl der Toten dieses Krieges wurde nie ermittelt. Der tansanische Historiker Gilbert Gwassa schätzt jedoch, dass insgesamt zwischen 250.000 und 300.000 Menschen im Zuge der Kämpfe und der folgenden Massaker und der Politik der verbrannten Erde ums Leben gekommen sind. Als Guerillakämpfe dauerten die Kriegshandlungen jedenfalls bis 1907 an. Die Bedingungen der Kapitulation waren extrem streng: Alle Anführer mussten ausgeliefert werden. Sie erwartete nichts anderes als der Strick. Alle Waffen mussten abgegeben und hohe Strafzahlungen, die von den deutschen Offizieren willkürlich festgesetzt wurden, berappt werden. Wo die Strafzahlungen nicht aufgebracht werden konnten, wurden diese durch Zwangsarbeit ersetzt.
Angesichts dieser Situation flüchteten auch viele der Überlebenden ins benachbarte portugiesische Mozambique. Das ehemalige Aufstandsgebiet, in dem sich rasch Großwild ausbreitete, dem die Bevölkerung ohne Waffen schutzlos ausgeliefert war, wurde schließlich teilweise zum Wildreservat erklärt. Ökonomisch hat es sich bis heute nicht wieder erholt. Es ist heute eines der am schlechtesten entwickelten und am dünnsten besiedelten Gebiete Tansanias.
Im Zuge der antikolonialen Bewegung Tansanias bezog sich die TANU (Tanganyika African National Union) unter Julius Nyerere jedoch explizit auf die Maji-Maji-Bewegung als Vorläufer einer tansanischen Nationalbewegung. Insbesondere auf dem internationalen Parkett bezog sich der zukünftige tansanische Präsident immer wieder auf den Widerstand der Maji-Maji-Anhänger, um auf die lange Tradition einer tansanischen Nationalbewegung hinzuweisen. Tatsächlich stellte die Maji-Maji-Bewegung ein Novum im antikolonialen Widerstand Afrikas dar. Als erste Gruppierung organisierten sich die Maji-Maji-Anhänger nicht entlang ethnischer Linien, sondern quer zu diesen. Sie organisierten einen Großteil der ethnischen Gruppen im südlichen Landesinneren „Deutsch-Südostafrikas“, wobei die Trennlinien zwischen Gruppen, die mit den Deutschen zusammenarbeiteten und jenen, die sich am Widerstand beteiligten durchaus auch innerhalb ethnischer Gruppen verliefen. Die Maji-Maji-Bewegung stellte deshalb, obwohl sie auf sehr alten religiösen Vorstellungen aufbaute, die erste moderne politische Bewegung der Kolonialisierten Afrikas dar und kann deshalb durchaus mit einem gewissen Recht als Vorläuferin der späteren antikolonialen Befreiungsbewegungen gesehen werden.
Allerdings wurde auch in Tansania aus der Erinnerung an die Maji-Maji-Bewegung kein Nationalmythos. Neben der Niederlage der Bewegung und dem Gefühl — was die Wirksamkeit der Medizin betrifft — von den eigenen Führern getäuscht geworden zu sein, trug dazu sicher auch die Zurückhaltung der BewohnerInnen des ehemaligen Aufstandsgebietes bei der Unterstützung der TANU bei, zu groß waren selbst in den Fünfzigerjahren noch die Ängste, wieder eine vernichtende Niederlage zu erleiden. Die TANU musste deshalb gerade im Süden auch die Unterschiede zur Maji-Maji-Bewegung betonen, etwa, dass kein neuer Krieg geplant sei, sondern auf diplomatischem Wege die Unabhängigkeit erreicht werden solle.
Dazu kamen auch noch die Gegensätze zwischen der vom Islam und der Sprache Swahili dominierten Küste und den BewohnerInnen des Inlands. Viele Küstenbewohner betrachteten die Inlandsbevölkerung als rückständig, ihre Niederlage als Ausdruck dieser Rückständigkeit. Die überlebenden Nachkommen der Maji-Maji-Kämpfer traten schließlich selbst — wie in der Stadt Liwale — zum Islam über, oder versuchten, wie die BewohnerInnen der Region östlich des Nyasa-Sees, durch die Konversion zum Christentum selbst von der nun durchgesetzten Macht zu profitieren. Allerdings blieben auch unter der neuen Zugehörigkeit zu einer der großen Weltreligionen Widerstände bestehen, wie etwa der so genannte „Mekka-Brief“ bezeugt, der im Juni 1908 die Gläubigen dazu aufforderte sich auf das Ende der Welt vorzubereiten und sich von einer Zusammenarbeit mit den Deutschen fernzuhalten.
In Deutschland fand der Maji-Maji-Krieg weit weniger Öffentlichkeit als in Tansania. In der apologetischen Kolonialliteratur der Weimarer Republik und NS-Deutschlands fanden Heldengeschichten aus dem Maji-Maji-Krieg nicht so viel Platz wie jene aus „Deutsch-Südwest“. Aber auch heute, nachdem erstmals in einem gewissen Rahmen eine kritische Beschäftigung mit dem deutschen Kolonialismus in Afrika stattfindet, wird den Ereignissen in „Deutsch-Ostafrika“ weniger Aufmerksamkeit geschenkt, als jenen im stärker als Siedlerkolonie ausgerichteten „Deutsch-Südwestafrika“.
Das zum hundertsten Jahrestag des Kriegsbeginns erschienene Buch über den Maji-Maji-Krieg von Felicitas Becker und Jigal Beez, das u.a. auch Beiträge von Reinhard Klein-Arendt, Ingrid Laurien, Isack Majura und Alfred F. Fuko enthält, leistet hier einen wichtigen Beitrag, diese blutigen Ereignisse der deutschen Kolonialgeschichte der Vergessenheit zu entreißen.
Die durchaus aus unterschiedlicher Perspektive verfassten Beiträge erzählen nicht nur die Ereignisse der Jahre 1905-1907 nach, sondern gehen auch den Nachwirkungen des Krieges in Tansania und Deutschland nach. Auch wenn die Rezeptionsgeschichte des Krieges in Deutschland ruhig etwas ausführlicher ausfallen hätte können und v.a. auch den gesellschaftlichen Mainstream stärker behandeln hätte können, so ist doch der Beitrag von P. Werner Lange über die selbstkritischen Überlegungen des deutschen Offiziers Hans Paasches, der zum prominenten Kriegskritiker der frühen Weimarer Republik aufsteigen sollte, ehe er von Freicorps — die wie er in Ostafrika gekämpft hatten — ermordet wurde, ebenso interessant, wie Inka Challs und Sonja Mezgers Analyse der kolonialen Presse. Was fehlt, ist eine Analyse anderer deutscher Quellen oder — sollte es diese nicht geben — zumindest eine Analyse, warum es diese Quellen nicht gibt, bzw. warum der Krieg in „Deutsch-Ostafrika“ im Mutterland so viel weniger Aufmerksamkeit erregte als jener in „Deutsch-Südwest“ gegen die Herero und Nama. „Mehr“ könnte jedoch immer sein. Das größte Verdienst des Buches ist es, die blutigen Exzesse der deutschen Aufstandsbekämpfung und den Widerstand der Maji-Maji-Kämpfer überhaupt wieder für ein interessiertes Publikum aufzuarbeiten.
Felicitas Becker/Jigal Beez (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907 (Ch. Links Verlag, Berlin)