Heft 7-8/2005
Dezember
2005

„Entehrung der kurdischen Führung und ihres Kampfes“

Demokratie im Nordirak auf dem Prüfstand

Am 19.12.2005 verurteilte ein Staatssicherheitsgericht in der irakisch-kurdischen Hauptstadt Erbil den in Wien lebenden Autor Dr. Kamal Sayid Qadir wegen „Entehrung der kurdischen Führung und ihres Kampfes“ zu einer Haftstrafe von dreißig Jahren.

Der promovierte Jurist und Politologe hatte im Oktober 2005 in mehreren im Internet veröffentlichten Artikeln und in einem Offenen Brief an den Präsidenten der kurdischen Regionalregierung und Vorsitzenden der KDP, Massoud Barzani, die KDP–Behörden und Barzani massiv kritisiert und beschimpft.

Am 19.10.05 reiste Qadir nach Erbil. Am 26.10. wurde er dann aus einem Hotel, wo er zum Kaffeetrinken verabredet war, von Angehörigen der „Parastin“, des Geheimdienstes der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) entführt. Bis zum 19.12. wurde er ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und galt als „verschwunden“ . Am 14.12. reisten zwei in Deutschland lebende Schwestern von Qadir nach Wien und wurden im Außenministerium vorstellig, von dort aus wurde Hilfe versprochen. Am 19.12. fand schließlich das Gerichtsverfahren statt: Es dauerte nur zwei Stunden und bestand darin, dass die inkriminierten Artikel vorgelesen und Qadir befragt wurde, ob er das geschrieben hätte. Nach seiner Bejahung wurde das Urteil gesprochen. Während der Verhandlung wurde ihm ein Anwalt, der weder ihn, noch die Akten kannte, zugeteilt. Während der Haft verschlechterte sich der Gesundheitszustand Qadirs stark, ärztliche Hilfe wurde verweigert. Deshalb trat er Ende Dezember in den Hungerstreik. Durch stärker werdenden internationalen Druck wurden am 8.1. Ärzte zu ihm gelassen, auf deren Anraten brach er den Hungerstreik ab. In Internetforum „Kurdistanpost“ wurden innerhalb kurzer Zeit 3500 Unterschriften für seine Freilassung gesammelt. In der 2. Januarwoche erschienen erstmalig (sic!) Artikel in mehreren österreichischen Zeitungen, auch in Deutschland, der Türkei und den USA wurde berichtet. Auf den steigenden Druck hin durfte Qadir über Telefon 20 Minuten frei in einem Internetforum sprechen, er berichtete u.a., dass seine Haftbedingungen sich wesentlich verbessert hätten, aber auch, dass er im Gefängnis misshandelt wurde. Die österreichische Sonderbeauftragte für den Irak, Gudrun Harrer, engagierte sich in dem Fall. Am 25.1. wurde diese vom irakischen Außenminister Zebari und vom Vizepremier Salih informiert, dass Qadir freigekommen wäre, dies erwies sich aber als falsch.

Die neuesten Informationen besagen, dass dieser Tage das Berufungsverfahren stattfinden würde, einen Anwalt hat Qadir immer noch nicht. Regierungsbeamte bedeuteten ihm, dass er mit mehreren Jahren Haft rechnen müsse. Zweifellos hat sich Qadir bei seiner — u.a. auch berechtigten — Kritik in weiten Teilen im Ton vergriffen. Auch sind seine Verschwörungstheorien blanker Unsinn. Dafür entschuldigte er sich bereits. Dies rechtfertigt aber keinesfalls eine Haftstrafe, dazu noch von drakonischem Ausmaß, zumal das Verfahren alles andere als fair und rechtsstaatlich war. Die noch junge kurdische bzw. irakische Demokratie erweist sich einen Bärendienst, wenn sie so mit Kritik umgeht. Bei allem Respekt vor den Verdiensten der KDP und Massoud Barzanis bei der Befreiung Kurdistans: ein souveränerer Umgang mit vermeintlichen Gegnern ist dringend erforderlich, um die Unterschiede zur Diktatur Saddam Husseins deutlich zu machen.

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