FORVM, No. 480
Dezember
1993

Gegendarstellungen

Im Jahre 1937, als ich mich zu einer Parteinummer der NSDAP überreden ließ, waren in Österreich die Verbrechen dieses Regimes noch nicht bekannt. Als mir bei meinem Aufenthalt in Berlin der Charakter des Regimes klar wurde, habe ich mich als Mitglied der »Freitagsgruppe« der Berliner Widerstandsbewegung angeschlossen und dort mit Mitgliedern der deutschen Akademie für Städtebau gearbeitet, was nachvollziehbar dokumentiert ist.

Diese Gruppe moderner Architekten vertrat das Gedankengut der englischen, österreichischen und deutschen Gartenstadtbewegung. Diese Gesinnung stand im diametralen Gegensatz zu den Monumentalbauten und Achsen Speers, was auch das Zitat in Ihrem Aufsatz zeigt.

Die von Ihnen möglicherweise als Gewaltmaßnahme mißverstandene »Umsiedlung« der Bevölkerung von den dicht bebauten inneren Stadtteilen zu den lockeren äußeren ist inzwischen in Wien wie in vielen anderen Städten von selbst erfolgt: die Einwohnerzahl der dicht bebauten Gebiete sinkt wegen der schlechteren Wohnverhältnisse, während die der äußeren Gebiete mit ihren besseren Wohnverhältnissen steigt.

Von einem vorübergehenden politischen Irrtum habe ich mich sofort distanziert, an meiner fachlichen Überzeugung von Anfang bis heute festgehalten.

Professor Dr. Dr.h.c. Roland Rainer, Architekt, Wien

Im Artikel »Die Ordentliche Planungspolitik des 3. Reiches in der 2. Republik« von Franz Untersmayr wurde ein heikles, aber umso bedeutenderes Thema aufgegriffen, nämlich das Verhältnis von Stadtplanung und politischer Macht. Anstatt dieses Thema jedoch seriös und unvoreingenommen zu behandeln — und hier gäbe es, weiß Gott, nicht nur historische sondern genügend aktuelle Bezüge — wird mit manischer Akribie nachzuweisen versucht, Roland Rainers Vorstellungen von Stadtplanung und Städtebau wären geprägt von nationalsozialistischer Geisteshaltung — denn er wäre ja Nazi gewesen.

Es ist einfach lächerlich, jede stadtplanerische Ordnungs- und Lenkungsvorstellung mit dem totalitären Machtanspruch und menschenverachtenden Zynismus der nationalsozialistischen Machthaber gleichzusetzen und Rainer als Protagonisten identifizieren zu wollen. Im Gegensatz zu vielen anderen, die sich hier in schamloser Weise hervorgetan haben und auch nach dem 2. Weltkrieg zu Ruhm und Ehre gekommen sind (man lese nur das Buch von Werner Durth), hat Rainer ein paar mehr (vergleichsweise) oder weniger harmlose Artikel geschrieben und praktisch keine Rolle in der NS-Zeit eingenommen. Der Vorwurf, daß er diese Artikel in NS-Zeitschriften veröffentlicht habe, ist ebenso absurd. Wo hätte er in der damaligen Zeit sonst veröffentlichen sollen?

Daß Rainer seine Vorstellungen zur gegliederten und aufgelockerten Stadt bis heute vertritt und bis heute niemand Anstoß daran fand, ist erstens der Beweis, daß seine Wortwahl nicht so übel sein kann und zweitens der Beweis für Kontinuität in der Sache, was gerade bei Architekten, die den gängigen Moden und dem Zeitgeist hinterherhetzen, keine Selbstverständlichkeit ist.

Grotesk ist der Vorwurf, Rainer habe die »Auflockerung der zu dicht verbauten Stadtgebiete« der Gründerzeit propagiert, die »Gesundung der Massenquartiere« angestrebt und damit einhergehende »Bevölkerungsverschiebungen« in Kauf genommen. Es mutet nachgerade seltsam an, diese Zielvorstellungen rechtfertigen zu müssen, waren sie doch immer schon Bestandteil aller sozialreformerischen Bestrebungen zur Beseitigung der katastrophalen Wohnbedingungen der Gründerzeit und fanden sie doch ihren ersten Höhepunkt in der Bau- und Planungsideologie des Roten Wien der Zwischenkriegszeit. In allen Planungskonzepten seither haben diese Zielvorstellungen ihren Niederschlag gefunden, bis herauf zur sanften Stadterneuerung, wenngleich in der Praxis leider oft und oft gescheitert. Daß Rainer den Sanierungsbedarf 1961 mit mehr als 300.000 Wohnungen einschätzt (bei damals mehr als 460.000 Wohnungen vor 1919), ist angesichts der in der Folge notwendig gewordenen massiven Sanierungsmaßnahmen durchaus gerechtfertigt.

Jede Neubautätigkeit am Stadtrand führt zwangsläufig zu »Bevölkerungsverschiebungen«. In der Stadterweiterungsperiode der 60er und 70er Jahre mit etwa 120.000 Neubauwohnungen am Stadtrand wurde dort Wohnraum für rund 360.000 Menschen geschaffen und auch gegenwärtig kann man von einer »Verschiebung« von 15.000 bis 20.000 Menschen/Jahr ausgehen. — Ein gemeiner Untergriff ist der Nebensatz, Rainer habe mit seiner Ansicht (1947), lediglich 150.000 bis 200.000 Wohnungen würden den Mindestanforderungen entsprechen, »vermutlich (!) die sogenannten Hitlerbauten gemeint«. Ich kenne keine nennenswerten Hitlerbauten in Wien. Mit den neueren Geschoßwohnungen, die Rainer nennt, können nur die Wohnhöfe des Roten Wien gemeint sein, deren städtebauliche Qualität wohl außer Zweifel steht.

Rainer als Prototyp eines opportunistischen Anpasslers hinzustellen, ist infam. Wäre er so bequem, wie viele andere seiner Architektenkollegen mit großen Namen, die bedenkenlos alle Ideale über Bord werfen, wenn es darum geht, möglichst viel Kubatur aus einem Grundstück herauszupressen oder sich selbst und dem Bauherren ein Denkmal zu setzen, dann könnte er nicht auf ein Lebenswerk zurückblicken, in dem menschlicher Maßstab und funktionelle Einfachheit unter Verzicht auf spektakuläre Inszenierung im Vordergrund steht.

Senatsrat Dipl.-Ing. Georg Kotyza
Leiter der Gruppe Stadtentwicklung in der Magistratsabteilung 18, Wien
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