MOZ, Nummer 57
November
1990

Gehörrundgang

Prefab Sprout/Jordan: The Return/Cbs

Es gibt Süßigkeiten, die einem nicht den Magen verderben (können), besonders wenn sie für die Ohren bestimmt sind. Sweet, aber kühl und frisch wie diese mit Pfefferminze gefüllten hauchdünnen Zartbitterstückchen nehmen sich die 19 (!) neuesten Kompositionen von Paddy McAloon aus, Meister des Poparrangements und der Vocals mit Echo. Und trotz einigen harfenartigen Passagen und religionsnahen Verbalismen hat kein Gott die Band bekehrt, metaphorische Kritik sehnt sich nach einem Vollbad im Jordan oder läßt den angeblichen Schöpfer selbst zu Wort kommen: „Hi, this is God here“ eröffnet mit John Wayne-Showmasterstimme God himself das in der Folge herzergreifendst gospelschunkelnde „One of the broken“, wobei die Gitarre im einzig richtigen Moment die ansonst so abgenudelten bluesigen Riffs runterreiht, das Piano im ebenso richtigen Moment im Kurzzeitpathos (mehr, mehr schreit das wunde Hörerohr) anschlägt und McAloon wieder einmal nicht das Archiv zwecks Zitaten gestürmt hat, sondern um mit leichter Kompositeurshand Neues bis Ungehörtes zu bieten. Alle vorangegangenen Alben (meist Geniewürfe, was sonst) muten wie notwendige Stufen zu dieser erstaunlichen Höhe an, ab jetzt wird die Luft dünn für die Gruppe, die Kritikergötter runzeln ernst die Stirn: Wie will sich McAloon noch steigern? Drumcomputerausgelaugt lausche ich hingerissen dem exakten Schlagzeug von Neil Conti (Bowie wußte, warum er sich diesen Mann ausgeborgt hatte), raffiniert gebrochen von sporadischen Schnörkeln. Dieser Beat bildet die feinste Basis für ein federndes SozioSpacestück namens „Moondog“, das sich wie jede Nummer — egal die Tempi — zu einem Höhepunkt hinspielt. Verblüffende Akzente gelangen vergleichsweise Brian Wilson bei seinen besten Juwelen. Trotz der immensen Länge von weit über 70 Minuten schaffen „Prefab Sprout“, den gesamten Albumeindruck zum Finale hin nochmals zu steigern. Keyboardflirrend und abgehoben durch die gehauchte zweite Stimme von Wendy Smith, entschweben wir durch „Scarlet nights“, um „Doo wop in Harlem“ zu intonieren. Eine Hymne scheint das Geringste, was ich diesen hymnischen Popsongs schreiben kann! „Sing me no hymn of devotion ...“

Neil Young & Crazy Horse/Ragged Glory/Wea

Wenns zu gut lief, experimentierte sich Neil Young mit unerwarteten Einfällen an den Rand der Popmusik, erneuerte dadurch immer wieder sein Repertoire, um dann zu ganz alten roots zurückzukehren. Seit „Zuma“ scheint diesmal die Zeit stillgestanden zu sein, außer daß diesmal ein Pferd (verrückt?) umringt von der Gruppe vom Back-Cover linst. Deftig rauhe Riffs, geradlinig treibend in ruppigem Glanz, eben ragged glory, kein Spuk aus dem Rocknrollaltersheim, sondern der vitale Beweis ganz eigenwilliger Rockmusik, die Trends überdauert und ohne Comebackannouncements von Zeit zu Zeit zurückkommt. Gut so; Sie müssen nicht als verrückt angesehen werden, sollten Sie auf dieses Pferd setzen, denn Neil Young ist (und war) immer sein Geld wert.

Jesus And Mary Chain/Rollercoaster E.P./Wea

Ein Vier-Song-Minialbum, das neben den gruppentypischen Sounds von „Rollercoaster“ oder „Silverblade“ auch den eigenartig hohen Stellenwert von Leonard Cohen einmal mehr bestätigt. Eine gelungene Coverversion seines „Tower of song“ zeigt das ungebrochene Interesse junger Musiker, aus den Punk/Wavetagen entsprungen, an ihm. Wundern Sie sich noch immer darüber, daß etwa Nick Cave „Avalanche“ coverte und sich die „Sisters of Mercy“ nach einem seiner besten Songs benannten? Wie auch immer, die Jesus and Mary Chain kamen zwar nie ganz an ihre deklarierten Vorbilder „Velvet Underground“ heran, gehören aber in deren historischem Fahrwasser zu den interessanteren Repräsentanten, besonders wenn’s um extremen Gitarrenspeed oder vice versa um gedehnteste Breitwand-Herz-Schmerz-Lieder geht. That’s „Lowlife“.

Dee-Lite/World Clique/Wea

Alles gibt’s im Comebackverfahren, nun groovt man mit Abgrundbaß, Rhythmmachine und weiblicher Knautschstimme zu Wahwaheffekten und besingt halbherzig auf Trip die Liebe. Alles, was im Physischen größer als ein Mundvoll ist, kann dazu geschwungen oder geschaukelt werden. Modemacher Pucci, schon von Monroe um ein entsprechendes Begräbnisoutfit angegangen, erlebt ein Revival seiner psychedelischen Stoffdrucke durch Gallionsfigur Klier, Sängerin von „Dee-Lite“. Hoffentlich fallen bald Julie Burchill oder Tom Wolfe mit ihrer Säure über diesen bunten Schmarren her.

Fats Garden/Buried In Eden/Extraplatte

Das kühle Schrägbis Mainstream la bei Crepiscule geht zunehmend seichte Wege. Wunder bar dahingleitende Nebenbeitöne, so begabt wie unbedarft, na ja, die Belgier werden“s schon kaufen. New wavende Pommes Frites aktuell instrumentiert.

Klassik CD

Bela Bartok/Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta, Divertimento für Streicher/Ariola

Wo Liszt in folkloristischer Pusztaromantik tümpelte, legte sein Verehrer Bartok urtümliche Schichten der Bauernmusik frei. Kombiniert mit naiver Unsymmetrie, gelangen ihm erfrischende Kompositionen, die auch dem Klavier gelegentlich Schlagzeugarbeit abverlangten. Hier nun sein wohl populärstes Werk als Kostprobe.

A. Copland/Appalchian Spring, Rodeo, Quiet City, Fanfare For The Common Man/Ariola

Von Emerson, Lake & Palmer in die Popmusik eingebracht, von den Rolling Stones am Konzertbeginn lange (heuchlerisch) gespielt. Die Fanfare für den einfachen Menschen. Ebenfalls mir noch aus Teenietagen vertraut (E,L&P): das „Rodeo“ des modernen Klangtechnikers. Rundfunkeinflüsse, Jazzelemente, klassische Traditionen schlicht und cinemascopelike vermischt.

G. Finzi/Klarinettenkonzerte u.a./Ariola

Ironisch könnte man sagen, Finzi gehört in die Galerie der wichtigsten und bekanntesten Unbekannten. Drei exquisite Kompositionen des Briten werden hier vom an den Rollstuhl gefesselten und zu jeder Avantgardetat bereiten Alan Hacker (Nato-Label!) unter dem Dirigenten W. Boughton interpretiert. Eine rare Chance, die genützt werden sollte.