Grenzsicherungspolitik
Die Regierung in Madrid betreibt Abschottungspolitik nach europäischen Standards, versucht aber gleichzeitig, das Bedürfnis der Unternehmer nach billigen Arbeitskräften zu befriedigen.
Die neuste Technologie auf den Gebieten der Bewegungsmelder, Radartechnik, Informatik und Kommunikation erlaubt uns, ein integriertes System anzubieten, mit dessen Hilfe Aussagen über Identität und Bewegungen von Schiffen getroffen werden können. (...) Zu einem wirklich konkurrenzfähigen Preis bieten wir eine unschätzbare Unterstützung der Uberwachungs- und der Grenzsicherungskräfte, die im Kampf gegen illegale Migration stehen, an — mit Erfolgsgarantie.
Dieser Text, entnommen einer Broschüre der Firma AMPER, ist Teil der neuen Realität in Spanien. Vormals Land der Emigration, wandelte sich Spanien, wie alle südlichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, seit den 80er Jahren in ein Land der Immigration. So jung die Geschichte der Zuwanderung nach Spanien, so jung auch das Bemühen, die Grenze vor unliebsamen Zuwanderern zu schließen. Dies beginnt Mitte der achtziger Jahre mit den Beitrittsverhandlungen Spaniens zur EU und verschärft sich Anfang der 90er Jahre mit der Etablierung des europäischen Schengenraums. Erst mit Schengen nahm auch die Logik der Festung Europa Gestalt an. Spanien wurde für die Sicherung einer der bedeutendsten Außengrenzen Europas zuständig.
Den europäischen Auftrag der Migrationsverhinderung nimmt Spanien sehr ernst. In den vergangenen Jahren wurden die Grenzsicherungsanlagen massiv ausgebaut und modernisiert, Personal verstärkt und gezielt für den Kampf gegen die illegale Einwanderung ausgebildet. Daneben hat eine Reihe von Reformen im Bereich der Ausländergesetzgebung dazu geführt, dass einerseits legale Zugangsmöglichkeiten zum Land immer stärker eingeschränkt wurden und sich andererseits die rechtliche und soziale Situation von Migrantinnen und Migranten im Land immer weiter verschärfte.
Dennoch reißen die Migrationsströme nach Spanien nicht ab, ganz im Gegenteil: Im Jahr 2003 ist Spanien das europäische Zielland Nummer 1 für illegale Zuwanderung. Zu erklären sind sowohl das Scheitern der Politik als auch die nicht abreißenden Migrationsströme mit der Situation auf dem spanischen Arbeitsmarkt.
Migration nach Spanien ist, abgesehen von der innereuropäischen Zuwanderung, Arbeitsmigration, und zwar aus Ländern, die ein deutliches Wohlstandsgefälle gegenüber Spanien aufweisen. Sie kommen nach Spanien, weil ihre Arbeitskraft hier nachgefragt wird — Teile der spanischen Ökonomie würden zusammenbrechen, gäbe es nicht die Migrantinnen und Migranten, die auf den Obstplantagen, in den Hotels und Restaurants, auf dem Bau und in privaten Haushalten die Arbeiten verrichten würden, denen die Spanier nicht mehr nachgehen wollen. Diese bestehende Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften taucht in den Zuwanderungskonzepten der spanischen Politik jedoch kaum auf. Es existieren lediglich halbherzige Versuche der legalen Arbeitskräfteanwerbung mittels festgelegter Kontingente; halbherzig, da die Quote für Arbeitserlaubnisse seit 1993 relativ stabil ist, wohingegen die Nachfrage nach ausländischen Arbeitskräften bereits zwischen 1993 und 1999 um 38% gestiegen ist.
Resultat dieser Politik, welche die Gegebenheiten der inländischen Arbeitskräftenachfrage ignoriert, ist zum einen eine Schattenwirtschaft, die mittlerweile auf gut 23% des Bruttoinlandproduktes geschätzt wird, und zum anderen eine ständig wachsende Zahl an Menschen, die sich ohne Papiere in einer vollkommen rechtlosen Situation im Land aufhält. Rund 29% der ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind im informellen Sektor beschäftigt, davon immerhin fast 6% mit einer gültigen Arbeitserlaubnis.
Profiteure dieser Situation sind in erster Linie die spanischen Unternehmer, die auf billige und leicht auszubeutende Arbeitskräfte zurückgreifen können. Denn Migranten und Migrantinnen arbeiten zum überwiegenden Teil in prekären Beschäftigungsverhältnissen, mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 50 Stunden und einem durchschnittlichen Einkommen zwischen 2,5 und 4 Euro die Stunde — im Schnitt 10 Euro unter dem Lohn der Inländer und Inländerinnen. Neben den Unternehmern profitiert aber auch der Staat, der beispielsweise den unangenehmen Folgen eines schlecht ausgebildeten sozialen Sicherungssystems entgehen kann, indem private Haushalte auf billige MigrantInnen zurückgreifen können, um ihre Kinder und Alten zu versorgen.
Das ist auch ein Grund für die politische Untätigkeit der Verantwortlichen. Hinzu kommt, dass die neue Selbstwahrnehmung Spaniens als aufstrebende Wirtschaftsmacht in Europa den augenscheinlichen Widerspruch zwischen Wirtschaftswachstum einerseits und einer Schattenwirtschaft von fast 23% des BIP andererseits nicht offen zulässt und letztlich auch die Bevölkerung hierin kein dringliches Problem sehen will. Ein deutliches Zeichen für das geringe Interesse der politisch Verantwortlichen, dieser Situation entgegenzutreten, ist die mangelnde Arbeitsmarktkontrolle und der fehlende Willen, für die Durchsetzung von Sanktionen zu sorgen. Für ganz Spanien sind nur 500 Inspekteure im Einsatz, die sich vor allem dem Problem des Arbeitsschutzes widmen. Werden einmal tatsächlich Sanktionen gegen einen Arbeitgeber oder eine Arbeitgeberin ausgesprochen, so tragen die überaus großzügigen Verjährungsfristen das ihre dazu bei, eine tatsächliche Zahlung der Strafe überflüssig zu machen.
Einzig den Gewerkschaften macht die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt Sorge, fühlen sie sich doch auch den ausländischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegenüber verpflichtet. Allerdings sind ihnen gleich zweifach die Hände gebunden: Anklagen können sie die Situation nur abstrakt, im Konkreten wollen auch sie nicht gegen irreguläre Arbeit vorgehen, sind die Leidtragenden von Arbeitsmarktrazzien doch zumeist die Migrantinnen und Migranten und nicht deren Arbeitgeber. Darüber hinaus fällt es ihnen schwer, gegen die Ausbeutung von Ausländern mobil zu machen, fühlen sich ihre Mitglieder doch weder solidarisch noch aus eigenem Interesse heraus zur Stellungnahme veranlasst.
Die von der EU und ihren Mitgliedstaaten betriebene Politik der Migrationsverhinderung ist im Ergebnis mehr als bloße Exklusionspolitik. Dadurch, dass das Öhr, welches in die EU hineinführt, immer enger wird, die Nachfrage nach Billigarbeitskräften aber bestehen bleibt und wächst, können jene, die schließlich hindurchkommen, noch leichter ausgebeutet werden. Für die spanische Regierung ist diese Politik in mehrfacher Hinsicht bequem. Sie kann zugleich den Interessen der europäischen Nachbarn und den Forderungen im Land nach Grenzsicherung entsprechen und die Bedürfnisse der Arbeitgeber nach billigen Arbeitskräften befriedigen.