Hingerichtete Wehrmachtsdeserteure rehabilitiert
Bereits Ende letzten Jahres sind in Deutschland zwei Todesurteile gegen Kriegsdienstverweigerer der Deutschen Wehrmacht aufgehoben worden.
Hermann Stöhr, geboren 1898, nahm als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. Aufgrund seiner Kriegserlebnisse begann er, sich pazifistisch zu engagieren, unter anderem beim Internationalen Versöhnungsbund. Anfang März 1939 verweigerte er die Einberufung zur Wehrmacht und wurde am 31. August des Jahres, einen Tag vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, verhaftet. Im Gefängnis verweigerte er den „Führereid“ und wurde deswegen vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt. Am 21.6.1940 wurde Stöhr enthauptet, als erster Kriegsdienstverweigerer, der von der nazionalsozialistischen Justiz hingerichtet wurde.
Anfang Dezember 1997 hob das Berliner Landgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft und aufgrund des Berliner Gesetzes zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts aus dem Jahr 1951 das Todesurteil gegen Stöhr auf. Unter Hinweis auf die ein halbes Jahr zuvor erfolgte Aufhebung des Urteils gegen Franz Jägerstätter kommt das Gericht zu dem Schluß, daß die Verurteilung aus rein politischen Gründen erfolgte. Mit dem Todesurteil gegen Stöhr „war die Abschreckung der Gegner des Nationalsozialismus generell und speziell derjenigen gewollt, die aus christlich bedingten Gründen als Gegner des Nationalsozialismus den aktiven Wehrdienst verweigert haben“. Klarer noch als im Jägerstätter-Erkenntnis und unter Hinweis auf die Forschungsergebnisse von Manfred Messerschmidt, Norbert Haase und anderen hält das Gericht fest, daß die Wehrmachtsjustiz insgesamt keine unabhängige Justiz war, „da die politische und militärische Führung unmittelbar auf die Praxis der Wehrmachtsjustiz einschließlich des Reichskriegsgerichts Einfluß nehmen konnte“. Zur Beurteilung der Wehrdienstverweigerung unter dem Nationalsozialismus seien generell die heutigen Gesetze, also insbesondere das Zivildienstgesetz, anzuwenden. Da Hermann Stöhr mehrfach seine Bereitschaft bekundet hatte, anstelle des Dienstes mit der Waffe einen Arbeitsdienst zu leisten, war seine Verurteilung schon deswegen rechtswidrig.
Mittlerweile ist auch ein Platz am Berliner Hauptbahnhof nach Stöhr benannt. Auf ihm steht das erste Denkmal Deutschlands, mit welchem ein hingerichteter Kriegsdienstverweigerer geehrt wird.
Ebenfalls auf Antrag der Staatsanwaltschaft hat das Kölner Landgericht das Todesurteil gegen den Marinesoldaten Rainer Beck aufgehoben. Am Tage von Becks Hinrichtung war der Krieg bereits fünf Tage zu Ende. Der Maschinenmaat war Ende 1944 aus Angst, als sogenannter „Halbjude“ in Deutschland hingerichtet zu werden, von einem Einsatz in den Niederlanden nicht zurückgekeht. Das Landgericht begründete die nunmehrige Urteilsaufhebung damit, daß sich Beck bei seiner Fahnenflucht „in einem Notstand befunden“ habe. Er habe die Gefahr für sein Leben „ausschließlich durch seine Flucht aus der Marine abwenden können“. Für die Aufhebung des Todesurteils hatten sich jahrelang Dozenten und Studenten der evangelischen Fachhochschule Hannover eingesetzt.