FORVM, No. 478/479
November
1993

Hungarian Connection
Axel Springer Kft

Wie Deutsche und Österreicher die ungarischen Tageszeitungen sich unter den Nagel rissen, sie schänden und in den rassistischen wie nationalistischen Heuhaufen zündeln bis hin zu psychologischen Kriegsvorbereitungen gegen Rumänien und die Slowakei.

Die Marktverluste der regierungsnahen Tageszeitungen

Die regierungsnahen Morgenblätter »új Magygarország« (Neues Ungarn) und »Pesti Hirlap« (Pester Nachrichtenblatt) haben es in den letzten drei Jahren nicht geschafft, aus ihrem bescheidenen Leserkreis herauszubrechen. Ihre Auflagen bewegen sich zwischen 40.000 und 60.000 Exemplaren. Da über die tatsächlichen Verkaufsziffern keine verläßlichen Angaben existieren, ist man bei der Feststellung des wirklichen Verbreitungsgrades auf Vermutungen angewiesen. Es wird aber kolportiert, daß nur 60 bis 70 Prozent der gedruckten Auflagen verkauft werden können und der Rest zur Wiederverwertung an die Verlage zurückgeht. Dieser Umstand zeigt deutlich, daß sich die Annahme der Regierung, der ungarische Bürger würde sich bei der Wahl seiner Tageszeitung genauso verhalten, wie 1990 bei der Wahl seiner Parlamentsabgeordneten, als falsch werwiesen hat.

Spitzenreiter bei den überregionalen Tageszeitungen ist nach wie vor die — durch KP-Vergangenheit »erblich belastete« — »Népszabadság« (Volksfreiheit), gefolgt von der ebenfalls »belasteten« »Népszava« (Volkswort), dem traditionellen, über 100 Jahre alten Organ der ungarischen Gewerkschaftsbewegung. Weit abgeschlagen, am Ende der Liste der überregionalen Tageszeitungen, führen die regierungsnahen Blätter ihr Mauerblümchendasein.

Tabelle 1: Entwicklung der Auflagenzahlen überregionaler Tageszeitungen in den letzten drei Jahren Angaben in 1.000 / Stichtag Juli 1993
Name1/891/917/92
1. Népszabadság 460 327 316
2. Népszava 222 181 135
3. Kurir/Morg./Abend - 134 120
4. Mai Nap - 140 104
5. Magyar Hirlap 107 78 75
6. Esti Hirlap 133 93 70
7. Magyar Nemzet 132 121 70
8. új Magyarország - - 52
9. Pesti Hirlap [*] - 27 45
Quelle: MTV/Sept ’93

Besonders schön läßt sich die Problematik dieser Entwicklung anhand der »Magyar Nemzet« (Ungarische Nation) darlegen. Zur Zeit ihrer Blüte, 1988 bis 1990, wurde diese Zeitung im Zuge der ersten Privatisierungswelle mit der zum Hersant-Medienkonzern gehörigen Socpress verheiratet, dieses Unterfangen erwies sich jedoch wirtschaftlich als totaler Flop. Die Auflagenzahl sank 1992 fast auf die Hälfte und mit dieser Entwicklung schlitterte auch der Herausgeber in eine finanzielle Pleite von mehreren 100 Millionen Forint. Zur Zeit deutet alles daraufhin, daß die Socpress nur noch ihrem Geld nachläuft.

Die wachsende Erfolglosigkeit der Morgenblätter ließ die Printmedienbeauftragten der Regierung ihre Fühler nach den Nachmittagsblättern ausstrecken. Der Regierungspartei ist mittlerweile klar geworden, daß die Gründung neuer Zeitungen viel zu kapitalintensiv und risikoreich ist. So machte man sich auf die Suche nach bereits bestehenden »Rennern« auf dem Zeitungsmarkt, um das Manko der Präsenz auf dem Printmediensektor mit Hilfe einer Neoverstaatlichung auszugleichen.

Maxwells Tod

Das unerwartete Ableben des englischen Medienzaren Robert Maxwell im Jahr 1991 kam der Regierung zu Hilfe. Die Maxwell-Anteile an der Magyar Hirlap AG, 50 Prozent plus 1 Aktie, und jene an der Esti Hirlap AG, 40 Prozent, sowie die 100 Prozent Anteile an der Maxwell Farbdruck GesmbH wurden zusammen der Konkursverwaltung übergeben.

Die Esti Hirlap AG war einfacher wieder unter staatliche Kontrolle zu bringen, da ihre Zeitung »Esti Hirlap« (Abend-Nachrichtenblatt) und der Verlag selbst durch die Umstellung auf Farbdruck in beträchtliche finanzielle Schwierigkeiten gekommen war und für den 40-Mio-Forint-Anteil Maxwells kein privater Interessent zu finden war. Einzig der Geschäftsführer der Pesti Hirlap GesmbH bekundete sein Interesse, war aber nicht bereit, mehr als 8 Mio Forint für die Anteile zu geben; diesen Betrag war es aber auch der staatlichen Hirlapkiadó AG wert. Ausgestattet mit dem Vorkaufsrecht staatlicher Betriebe wurden die Anteile erworben und somit hält der Staat bei der Esti Hirlap AG eine Aktienmehrheit von 80 Prozent. Pikanterie am Rande: Rechtlich wurde diese Transaktion von einem Rechtsanwalt namens György Antall, dem Sohn des Ministerpräsidenten Jószef Antall, über die Bühne gebracht.

Die Neoverstaatlichung der Magyar Hirlap AG scheiterte am Interesse zahlreicher privater Verlage, die den Aufwärtstrend und die damit verbundenen Gewinnmöglichkeiten dieser Aktiengesellschaft rechtzeitig erkannten. Durch die große Nachfrage stieg der Preis in eine Höhe, bei der die staatliche Pallas Verlags AG letztendlich passen mußte. Im März 1992 übernahm die JMG-Ost-Presse-Holding AG, Teil der schweizer J. Marquard Group, die verwaisten Maxwell Anteile. Bei diesem Deal gelang es den Schweizern immerhin, Konkurrenten wie die deutsche Gruner & Jahr, Teil der Bertelsmann Gruppe, oder die »L’espresso-La Repubblica« des italienischen Medienzaren Carlo de Benedetti auszuschalten.

Die beiden Großen

Es sind die beiden großen »Népszabadság«< und »Népszava«, die am stärksten außerhalb des Regierungseinflusses liegen.

Der Verlag, der früher die Regierungszeitung »Népszabadság« mit einer Auflage von 800.000 herausbrachte, wurde durch die Regierung unter dem Vorsitz von Jószef Antall in eine private Aktiengesellschaft gleichen Namens umgewandelt. Wie der Teufel das Weihwasser scheute sich damals die Regierung, ihre Hand nach dem ehemaligen Zentralorgan der MSZMP (Magyar Szocialista Munkás Párt, Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei = KP) auszustrecken. Die MSZMP-Nachfolgepartei, die MSZP (Ungarische Sozialistische Partei), gründete die Stiftung »Freie Presse« und diese wurde dann im Juli 1990 Eigentümer der Népszabadság AG, in der Folge zwangen die finanziellen Schwierigkeiten die Stiftung »Freie Presse« dazu, Anteile an ausländische Kapitalgeber zu verkaufen. So kam es, daß die Bertelsmann Gruppe die Aktienmehrheit erwarb und somit die »Népszabadság« in das Bertelsmann-Imperium einverleibte. Trotz des gewaltigen Einbruches der Auflagenzahlen in den Jahren 1989 bis 1991 konnten bereits Ende 1991 wieder leichte Gewinne verzeichnet werden und auch die Bilanz 1992 weist durchwegs positive Zahlen auf.

Tab. 2: Die Bilanzen der Zeitungsverlage (in Mio Forint)
Verlag 1990 1991
1. Esti Hirlap AG -,- -50,0
2. Hirlapkiadó AG 8,2 185,5
3. Kurir AG 5,0 -39,0
4. Magyar Hirlap AG 7,3 -0,6
5. Magyar Nemzet AG  -,- -120,9
6. Mai Nap AG 1,5 21,0
7. Népszabadság AG 45,0 62,2
8. Pallas AG -112,1 -160,5
9. Pesti Hirlap GMB -104,6 -27,8
10. Publica AG -,- 131,6

Der Rückgang der Auflage dürfte bereits gestoppt sein und die Zeitung ist wieder auf bestem Wege, Marktanteile zu gewinnen und ihre Position als Marktleader auszubauen. Nicht zuletzt ist dies auf die Tatsache zurückzuführen, daß das Bertelsmann-Blatt »Népszabadság« nicht mit Themen wie Nationalismus, Rassismus oder Fremdenhaß spekuliert, sondern sich eisern als einziges anständiges und demokratisches Medium präsentiert.

Die Privatisierung der »Népszava« ging nicht ebenso reibungslos vor sich. Das traditionelle Gewerkschaftsorgan, welches die letzten Jahrzehnte vom Gewerkschaftsbund (SZOT) und später vom Zentralverband der ungarischen Gewerkschaften (MSZOSZ) herausgegeben wurde und in deren Eigentum befand, wurde nach 1989 zum Streitobjekt rivalisierender Gewerkschaftsorganisationen. 1991 erreichte die Verschuldung des Verlages eine Rekordsumme von 150 Mio Forint und diese steigerte sich noch bis Mai 1992 auf 289 Mio Forint. Das bedeutete den Konkurs. Doch auch diese Konkursmasse war der Regierung noch zu heiß, und so übernahm die Trade Union GesmbH die Herausgabe der »Népszava«. Die Trade Union GesmbH ist eine der wenigen nicht staatlichen, rein ungarischen Verlagsgesellschaften. Durch eine Kapitalaufstockung im Juli 1992 und den Einstieg der Vico AG als Mehrheitseigentümer dürfte die Zukunft der »Népszava« bis auf weiteres gesichert sein. Nach wie vor vertritt diese Tageszeitung gewerkschaftliche Interessen und steht somit in dauerndem Konflikt mit der Regierung.

Ausländisches Übergewicht — Medienkonzentration

In den letzten drei Jahren setzte ein Prozeß ein, den man mit dem Sprichwort »Vom Regen in die Traufe« bezeichnen könnte. Es ist der Wechsel des Abhängigkeitsverhältnisses der Printmedien von ehemals finanzieller und geistiger Abhängigkeit von der Regierung zur finanziellen und geistigen Abhängigkeit von ausländischen Medienkonzernen.

Die statistischen Zahlen aus dem Frühjahr 1993 sprechen für sich:

Tab. 3: Eigentumsverhältnisse bei überregionalen Tageszeitungen in %
Bertelsmann AG 28,18
Mirror 11,36
NewsIntl. 9,09
Hersant 6,27
Gesamt Ausland 54,90
— demgegenüber ungarisches Eigentum 45,10
Tab. 4: Eigentumsverhältnisse am gesamten Tageszeitungsmarkt in %
Springer 15
Bertelsmann 14
Funk 11
Mirror 7
Bonnier 7
Krone 6
Bronner 5
WAZ 5
NewsIntl. 4
Hersant 3
Gesamt Ausland 77
— demgegenüber ungarisches Eigentum 23

Die von Ministerpräsident Jószef Antall propagierte Privatisierung »um jeden Preis« hat in der Medienlandschaft der Republik Ungarn voll durchgegriffen. Innerhalb der letzten drei Jahre hat sich das Land medienpolitisch in ein gefährliches Abhängigkeitsverhältnis zum westlichen Kapital begeben.

In drei Jahren blieb kein Stein auf dem anderen

  • Der Axel-Springer Verlag war einer der ersten, der die Chance wahrnahm, in den ungarischen Medienmarkt einzusteigen. Zusammen mit dem Medienagenten Ferenczy, einem Auslandsungarn, und einigen lokalen Partnern gründete er die Axel-Springer Budapest GesmbH und brachte gleich zwei neue Medien auf den Markt: »tvr hét« (Fernseh- und Radiowoche) und »Auto extra«. Danach wurde die Axel-Springer Magyarország — 60% Axel Springer Deutschland, 15% Ferenczy, 15% angeblich Oscar Bronner (siehe aber vorige Seite, Entgegnung — Red.), 10% Beteiligungen diverser Redaktionen — gegründet, die 7 große regionale Tageszeitungen herausgibt. Gesamtauflage: ca. 450.000
  • McGraw Hill gab 1990 zusammen mit seinem ungarischen Partner, der Hirlapkiadó AG, die erste ungarisch-sprachige Ausgabe der »Business Week« heraus, heute erscheinen bereits »Penthouse« und »Playboy« in der Landessprache, die sich als gewinnträchtiger herausstellten als die »Business Week«. Trotz gewachsener Anzahl von diversen Girls- und Sexmagazinen, sind die Verkaufszahlen dieser beiden Klassiker weiter im Steigen.
  • Rupert Murdoch investierte in die Reform AG, welche die Tageszeitung »Mai Nap« (Heutiger Tag) und das Revolverwochenblatt »Reform« herausgibt.
  • Die deutsche Bertelsmann AG übernahm von der MSZP und der Agrobank AG zunächst 41,5 Prozent an der Népstabadság AG und in Folge stockte sie ihre Anteile auf 51 Prozent auf.
  • Die »Magyar Nemzet«, das finanziell schwer angeschlagene Organ der »Patriotischen Volksfront«, wurde zu 45 Prozent Eigentum des Franzosen Robert Hersant.
  • Die einzige täglich erscheinende Wirtschaftszeitung des Landes »Világgazdaság« (Weltwirtschaft) schloß mit dem deutschen Handelsblatt-Konzern eine Lizenzverbarung ab, die zunächst nur über redaktionelle Zusammenarbeit lief, in Folge erwuchs daraus aber auch eine Kapitalbeteiligung.
  • Associated Newspapers versuchte sich bei der »Kisalföld« (Kleine Tiefebene) auf dem regionalen Tageszeitungsmarkt.
  • Der Wiener Krone Verlag und die mit ihm verheiratete WAZ-Gruppe stieg gleich bei vier westungarischen Komitatszeitungen ein. Die Wiener Mediaprint ist inzwischen mit ihrer Vertriebstochter Hungaria Mediaprint ziemlich aktiv am Markt vertreten.
  • Der Vorarlberger Medienzar Eugen Ruß schoß sich auf den östlichen Teil des Landes ein.
  • Der Österreicher Oscar Bronner hat sich 5 % des gesamten ungarischen Tageszeitungsmarktes gesichert.
  • Die Fellner Brüder sind schon sehr frühzeitig, 1988, mit dem »Pop Express«, einem Remake ihres Rennbahn-Express auf die Bühne des ungarischen Medienmarktes gegangen.
  • Helmut Donner, Chef des a3 Fachverlages, verbündete sich mit dem Budapester Unio-Verlag, an dem er nunmehr mit 30 Prozent beteiligt ist. Die Herausgabe von acht Zeitschriften, darunter ein Sex- und ein Fitnessmagazin sichern durch anhaltenden Aufwärtstrend der Auflagenzahlen einen schönen Gewinn.

Daneben gibt es noch eine ganze Reihe italienischer, österreichischer, skandinavischer und deutscher Interessenten, die am großen Kuchen eines neuen Marktes mitnaschen.

Folgen der neuen Abhängigkeit

Die fatalen Auswirkungen dieses Abhängigkeitsverhältnisses werden im Folgenden am Beispiel nationalistischer Hetze und ethnischer Konflikte durch diese Medien, unter besonderer Berücksichtigung der Rolle österreichischer Verlage im Dienste deutscher Medienkonzerne, dargestellt.

Radikalisierung durch die Printmedien

Durch die politische Umwandlung des Landes seit den Wahlen Ende 1989 und begünstigt vom gänzlichen Vertrauensverlust der Bevölkerung in die zentralen Schaltstellen der Macht, ist die Bedeutung der Komitatszeitungen als meinungsbildende Plattformen enorm gestiegen.

Im Kampf um Marktanteile beherrschen Themen wie Nationalismus, Neofaschismus, Revanchismus, Rassismus, Fremdenhaß als Aufmacher jede dieser Tageszeitungen. Getarnt als Ausnutzen sämtlicher Möglichkeiten der Pressefreiheit, werden in den Komitatszeitungen ganz gezielt Demagogie und Hetze betrieben. Die Diktion der einzelnen Blätter wurde von den Strategen der Eigentümer ganz auf die spezifischen Gegebenheiten abgestimmt.

  • In jenen Komitaten, die im Grenzbereich zu Ländern mit ungarischen Minderheiten (Slowakei, Rumänien, Kroatien, Serbien) liegen, wird ganz bewußt die Karte nationalistischer Propaganda ausgespielt. Offen und verdeckt wird die Korrektur der Grenzen gefordert. Nur ein »Großungarn« könne die wirtschaftlichen Probleme des Landes lösen. Längst vergessen geglaubte Schlagworte aus den zwanziger Jahren tauchen immer konzentrierter auf.
  • In Komitaten mit ethnischen Minderheiten in Ungarn haben die Zeitungen als Generalthema die Säuberung von fremden Elementen. Darunter leiden Roma genauso wie Slowaken, Rumänen etc.
  • In der Zeit des Kommunismus sind viele Afrikaner, Araber, Vietnamesen ins Land gekommen, sie sind jetzt zusammen mit den Juden massiven Attacken der Zeitungen ausgesetzt.

Es ist richtig, daß die Parteien der Regierungskoalition mit Nationalismus und traditionellem Antisemitismus anfänglich auf Stimmenfang gegangen sind. Es ist jedoch unwahr, wie in westlichen Medien behauptet wird, daß die Wochenzeitung von István Csurka das Land in einen inneren Unfrieden hetze: Die Auflagenzahl von Csurkas Zeitung hält bei — wöchentlich — knapp 50.000 Exemplaren, wohingegen die regionalen Zeitungen bei rund 1,2 Millionen liegen. Täglich.

Es hat den Anschein, als hätten die ausländischen Medienkonzerne ein Interesse, in Ungarn den nationalen Unfrieden zu schüren. Als indirekter Beweis dafür, daß diese Stimmung nicht hausgemacht, sondern durch die neuen Eigentümer eingeimpft wurde, sei nur eines gesagt: Der für die Ungarn traditionelle Haß gegen Österreich ist einer Servilität besonderer Güte gewichen. Seltsamerweise werden keinerlei Ansprüche gegen Österreich auf Teile des Burgenlandes vorgetragen, umso vehementer erhebt man Gebietsansprüche gegen die Slowakei, Rumänien, Serbien etc. Ebenso auffällig ist, daß über die deutschsprachigen Minderheiten in Ungarn kein böses Wort verloren wird.

Mittlerweile ergibt sich eine fatale Rückwirkung der privatwirtschaftlichen Interessen der Verlage auf die reale Politik. In der Zeit vor den Wahlen 1994 setzen immer mehr Parteien auf die Vorgabe durch diese Blätter. Das geht bis hin zur anerkannten Gründung der Rechtspartei »Ungarische Richtung und Wahrheit«.

Welche Interessen, außer Auflagensteigerung, lassen die deutschen Verlage mit ihren österreichischen Vasallen eine derart verantwortungslose Medienpolitik betreiben? Am Vorabend eines Vereinten Europa sollen Grenzen, die seit 1945 den europäischen Frieden sichergestellt haben, in Frage gestellt werden.

Weder Slowenien noch Rumänien oder Kroatien fordern Grenzkorrekturen gegenüber anderen Staaten. Strategisch ist Ungarn sicherlich prädestiniert, einen mitteleuropäischen Flächenbrand auszulösen — doch welchen Erfolg versprechen sich die Sandkastenstrategen in den Chefetagen deutscher und österreichischer Medienkonzerne von diesem gefährlichen Spiel?

Die tragische Situation im ehemaligen Jugoslawien wird sicher keinen offenen Konflikt zwischen europäischen Staaten zur Folge haben, doch könnte das Zündeln im Heuhaufen des nationalistischen Bewußtseins der heißblütigen Ungarn durchaus einen europäischen Flächenbrand auslösen. Wie der slowakische Ministerpräsident Vladimír Mečiar in einem Gespräch mit der belgischen Tageszeitung »La libre Belgique« richtig bemerkte, bergen »groß-ungarische« Bestrebung ein ungeheuer größeres Gefahrenpotential für Mitteleuropa, als die Tendenzen eines »Groß-Serbien« im ehemaligen Jugoslawien.

Konfliktherd Slowakei — durch Medien gepuscht

Es ist ein gespenstisches Szenario, das sich um den Konflikt Ungarn-Slowakei rankt, welches von den Printmedien entworfen wurde. Die Politiker der beteiligten Staaten (Tschechien, Slowakei, Ungarn) sind mittlerweile zu Buhmännern und zugleich Statisten der aggressiven Redaktionspolitik mancher Medienkonzerne geworden.

Damit die führenden Politiker der Länder ihre Stellung weiter behaupten können, sind sie gezwungen, die von den Medien aufgereizte Bevölkerung bei Laune zu halten. Dies zeigt sich immer deutlicher in der härter werdenden Gangart der zwischenstaatlichen Kommunikation. Nach der Devise »steter Tropfen höhlt den Stein«, sind die traditionellen Aversionen der Völker in einem bislang unbekannten Maß gesteigert worden.

Seit der Staatsgründung der Slowakei durch dessen Ministerpräsidenten Vladimír Mečiar ist der Konflikt mit Ungarn immer stärker vertieft worden.

Die Medien in Tschechien (unter westlicher Führung) warnen Mečiar vor der ungarischen Agression. Die Medien in Ungarn (unter westlicher Führung) drohen Mečiar, die Minderheitenrechte der Ungarn gegebenenfalls auch militärisch zu schützen. Von den Medien angestachelt, hat sich nun ein Keil zwischen die beiden Staaten Slowakei und Ungarn getrieben.

Die Zeitungen in Westeuropa kritisieren das Verhalten des vom Westen ungeliebten Mečiar und rügen die ungarische Regierung wegen ihrer nationalistischen Politik. Die Tatsache, daß diese Stimmung durch jene Printmedien erzeugt wurde, die sich im Besitz freier, demokratischer Verlage des Westens befinden, die sich liberal geben und dem Osten Nachhilfeunterricht in Demokratie erteilen wollen, wird in der Berichterstattung mit keinem Wort erwähnt.

Es sieht so aus, als brauche der Westen nach der langen Friedensperiode in Europa kriegerische Auseinandersetzungen, um von der eigenen Unzulänglichkeit, der Krise der eigenen Wirtschaft, der Arbeitslosigkeit und den daraus resultierenden sozialen Schwierigkeiten abzulenken. Als Ablenkung vom aufflammenden Nationalismus in Westeuropa kam der Zusammenbruch des Ostblocks gerade recht. Er bietet die historische Chance, alle negativen Folgeerscheinungen in den neuen Demokratien dem »gescheiterten Experiment Sozialismus« anzulasten und gleichsam die politische Führung dieser Länder für eine Handvoll Dollars zu willfährigen Marionetten westlichen Kapitals zu machen.

Dr. Jeckyll und Mr. Hyde

Es ist sehr interessant, die Themen mit den Eigentümern zu vergleichen.

  • Die Blätter der Krone-WAZ-Gruppe folgen der bewährten Linie Dichands in Österreich. Mangels einer qualitativen Kontrolle geht man in Ungarn noch etwas forscher an die Themen heran, als es ein »Staberl« in Wien macht.
  • Springer & Partners (mit oder ohne Bronner) setzen auf Nationalismus und Revanchismus. Sie dürften sich dabei auf das Exotische der ungarischen Sprache verlassen und annehmen, daß ihre Doppelzüngigkeit (hie liberal-demokratisch — nationalistisch dort) unbemerkt bleibt: Im »Standard« drucken die Partner Bronner & Springer allerhand hübsche Kritik an den nationalistischen Strömungen in der jungen Demokratie von Ungarn als Folge der von den Kommunisten zerstörten Moral.

Von den wahren Eigentumsverhältnissen und den aus ihnen resultierenden Abhängigkeiten der Medien von Zielen des Auslands ahnen die ungarischen Zeitungsleser — für ihre Information auf diese Medien angewiesen — natürlich nichts.

[*seit Jänner 1991 unter dem Namen »Reggeli Pesti Hirlap«

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