MOZ, Nummer 42
Juni
1989
Randale in Berlin:

Kreuzberger Mächte

Am 1. Mai 1989 glich Berlin-Kreuzberg einem Belfaster Stadtviertel. Autonome und Türken beteiligten sich an einer Straßenschlacht plus anschließenden Plünderungen, wie sie Berlin schon jahrzehntelang nicht gesehen hatte.

Bild: Bildarchiv Umbruch

Glaubt man den bundesdeutschen Medien, von „taz“ bis „FAZ“, von ARD bis „Welt am Sonntag“, dann hat der Westberliner Stadtteil Kreuzberg gerade noch einmal Glück gehabt: am Abend des 1. Mai drohte seine Zerstörung durch ,„Chaoten“ (,„BZ“), „Suffkis, Hirnis und Randalos“ („taz“) und „blindwütige Randalierer“ (ARD). Anlaß für den über Tage dringlich tönenden medialen Einklang, der durch fraktionsübergreifendes Betonen der „Gemeinsamkeit der Demokraten“ aus dem Westberliner Abgeordnetenhaus abgerundet wurde, war eine heftige Straßenschlacht zwischen Polizei und mindestens 2.000 Leuten am Lausitzer Platz — seit der überraschend ausgebrochenen Revolte am 1. Mai 1987 eine Art militanter Routineveranstaltung, an der sich keineswegs nur das autonome und antiimperialistische Spektrum beteiligt. Anders als in den vorangegangenen Jahren war in diesem vor allem das politische Umfeld der Revolte: statt des schwarzbraunen regiert ein rosagrüner Senat, die legitime Vertretung des Kreuzberg politisch prägenden alternativen Mittelstands. Anders als in den letzten Jahren, wo Demontage der Regierenden gefragt war, erwiesen sich die Regierenden als HoffnungsträgerInnen. Dementsprechend fielen die Reaktionen aus.

Bild: Bildarchiv Umbruch

1987 hatte der AL-Delegiertenrat geschrieben: „Wer sich verwundert zeigt über den ‚Bürgerkrieg‘ in SO 36 (dem Kreuzberger Stadtteil, in dem viele Autonome wohnen), ist entweder blind oder zynisch. Die soziale und kulturelle Verelendung und die politiische Ausgrenzung gerade in diesem Kiez hätten schon viel früher zu einer solchen Eskalation führen können.“ Was 1987 noch als Ausdruck der gesellschaftlichen Situation verstanden werden sollte, durfte 1989 nur noch als böswillige Aktion gegen den rosa-grünen Senat interpretiert werden, gerade so, als ob der in seinen Vereinbarungen großartige sozialpolitische Veränderungen angekündigt oder gar schon umgesetzt hätte. So wenig die sozialen Revolten 1987 und 1988 zum Ziel hatten, den CDU-Senat zu stürzen, um einen rotgrünen zu installieren, so wenig haben sich die Auseinandersetzungen 1989 gezielt gerade gegen das rosa-grüne Bündnis gerichtet: das anders zu sehen, verdeutlicht nicht viel mehr als die Egozentrik der neu an die Regierung Gekommenen, deren Rhetorik darüber hinaus recht widersprüchlich ist. Die SPD- und AL-PolitikerInnen betonen nämlich stets den angeblich unpolitischen Charakter der diesjährigen Auseinandersetzung und den darin zum Ausdruck kommenden „Haß auf den Staat und den rot-grünen Senat“ in einem Atemzug.

Bild: Bildarchiv Umbruch

Die militanten Auseinandersetzungen am 1. Mai in Westberlin sind nur die Folie, die über die tatsächlich relevanten Vorgänge in der Stadt gelegt wird. In einer Situation, in der ein CDU-Senat abgewirtschaftet hat, ein rosa-grüner Senat aber die materiellen Verhältnisse nicht wirklich verbessern kann, werden die Autonomen zum neuen Feindbild aufgebaut, gegen das gemeinsam mobil gemacht werden muß. „Die Zerstörung des Bezirks“ geht plötzlich von ihnen aus, sie sind verantwortlich dafür, daß Kreuzberg „nur noch als Ort von Drogen, Gewalt, Alkohol und Zerstörung“ angesehen wird — denn im Gegensatz zu Spekulanten und Dealern sind die Militanten auf der Straße zu sehen, sie verfügen auch nicht über eine einflußreiche Lobby. Sich plötzlich in der Rolle des Sündenbocks wiederzufinden, hat die linksradikalen Gruppen, die zwar Teil der Auseinandersetzungen vom 1. Mai waren, aber nicht einmal die Mehrheit der AkteurInnen stellten, überrascht und schlagartig vor eine Situation gestellt, der sie politisch kaum gewachsen sind. Der Mobilisierung der veröffentlichten Meinung haben sie mit ihren nach innen zielenden Kommunikationsstrukturen wenig entgegenzusetzen, zumal auf Grund der Massivität der öffentlichen Kritik und der verzerrten Nachrichtenberichterstattung auch im autonomen Spektrum viel Kritik an dem konkreten Ablauf der Ereignisse in dieser Mainacht geäußert wird. Gelingt es dem rosa-grünen Bündnis aber, die Autonomen als die derzeit mobilisierungsfähigste linke Kraft zu isolieren, hat dieses Regierungsbündnis große Zukunftschancen, zumal dadurch auch der immer noch bestehende Legitimationsdruck gegenüber der außerparlamentarischen Opposition weitgehend weggenommen würde. Der Rechtsrutsch, der unmittelbar nach dem 1. Mai schon beachtliche Dimensionen angenommen hat, droht sich zur Lawine — mit verheerenden Wirkungen für die linken Grünen — auch in anderen Bundesländern und auf Bundesebene zu entwickeln: die jetzt schon weitgehende Spaltung von parlamentarischer Reformpartei und staatsfeindlicher Linker würde bis zum völligen Auseinanderbrechen noch einmal erheblich beschleunigt.

Bild: Bildarchiv Umbruch
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