Vor 40 Jahren — der Fall B.
5 Jahre nach dem Staatsvertrag tauchten an den Wänden Österreichs Hakenkreuze und sogenannte Odalsrunen auf, „Heimattreue“ begannen sich erneut zu regen. Das Unterrichtsministerium empfahl Zeitgeschichte zu lehren. Der Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Hochschule für Welthandel berichtete also nicht mehr nur vom germanischen Pflug, der tiefer in die Erde eindrang als der römische, er widmete sich der jüngeren Vergangenheit. 3 Jahre vor 1968 war Wien Schauplatz von Demonstrationen, die Zustande an den Hochschulen zum Anlass hatten, die gewalttätig ausarteten und zu zahlreichen Verletzungen, sogar zum Tod von Ernst Kirchweger, eines Widerstandskämpfers und Kommunisten, führten. Begonnen hatte alles mit der Wiedereingliederung von Professoren, die eine Nazi-Vergangenheit hatten, in österreichische Universitäten. Einige von ihnen hatten nur das Parteibuch, nicht die Gesinnung gewechselt, was sie auch in den von ihnen vorgetragenen Lehrinhalten deutlich machten. Der frühere Studentenfunktionär Heinz Fischer, nunmehr im Parlamentsklub der Sozialistischen Partei tätig, widmete diesem Problem einen Artikel im theoretischen Organ der SPÖ, der „Zukunft“, in dem er auch einige Namen als Beispiele für alten nazistischen Ungeist nannte, der sich wieder auf Universitätsboden breit machte. Unter anderem war auch vom Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Hochschule für Welthandel, der Vorläuferin der heutigen Wirtschaftsuniversität, Taras Borodajkewycz, die Rede. Während seine Kollegen es vorzogen, auf diesen, auch in der „Arbeiter-Zeitung“ verkürzt nachgedruckten Artikel nicht zu reagieren, lief „Boro“ zu Gericht, fühlte sich in seiner Ehre gekränkt.
Einem größeren Kreis war er schon längere Zeit ein Begriff. In einer der damals populär werdenden Quizsendungen des Rundfunks hatte es eine Studentin der „Welthandel“ gewagt, den allgemein gebräuchlichen Begriff für ihre Hochschule zu verwenden: nämlich „Greißlerakademie“. Das Professorenkollegium reagierte beleidigt und leitete ein Disziplinarverfahren ein. Dies wiederum veranlasste den der ÖVP angehörenden Redakteur Heribert Husinsky zu einem Leitartikel im „Neuen Österreich“, einer offiziös-grosskoalitionären Postille unter dem Titel „Lotte und Taras“. Kernpunkt seiner Glosse war die Frage, wer mehr zur Schädigung des Rufes der Hochschule für Welthandel beitrage, eine junge, kecke Studentin oder ein alter, unbelehrbarer Geschichtsprofessor mit Vergangenheit.
Hinter diesem Artikel verbarg sich wohl auch interne ÖVP-Kritik an der Rehabilitierung eines Mannes, der in den dreißiger Jahren bereits unrühmlich dadurch auffiel, dass er keine Schwierigkeiten hatte, gleichzeitig mit beiden Spielarten des Faschismus sich anzufreunden, Dollfuß organisatorisch zu unterstützen und den illegalen Nazis zu dienen. Borodajkewycz war ein Exempel für das Fischen im Trüben der gar nicht so „Ehemaligen“, wie es von allen Parteien betrieben wurde.
Der Prozess gegen Heinz Fischer löste zunächst geringes Echo aus, erst als sich das damals noch junge Medium Fernsehen, in der von Gerhard Bronner und Peter Wehle gestalteten Sendung „Zeitventil“ der Sache annahm und der Schauspieler Sobotka einige Zitate aus Vorlesungen des Historikers wiedergab, der sorgfältig die jüdische Abstammung von ihm zitierter Persönlichkeiten angab, sich hie und da auch zu einem „Kaffeehaus-Juden“ hinreißen ließ, wurde die Sache publik. Die Hochschülerschaft an der „Welthandel“ glaubte für den Professor eine Pressekonferenz veranstalten zu müssen, um die Dinge richtigzustellen.
Der Professor, unter Gleichgesinnten zur Hochform auflaufend, bestätigte mit seinem antisemitischen Grundton alle Vorwürfe gegen ihn. Es bedurfte jedoch zweier Großdemonstrationen, um den Bundeskanzler Klaus, später als „echter Österreicher“ plakatiert, und den Unterrichtsminister Piffl-Percevic zu aktivieren. Ein langwieriges Disziplinarverfahren hatte den vorzeitigen Ruhestand des Professors mit unwesentlich gekürzten Bezügen zur Folge. Eine neonazistische Burschenschaft, der auch der Totschläger Ernst Kirchwegers angehörte, wurde verboten, der Totschläger zu wenigen Monaten Gefängnis verurteilt.
Bedeutender war die Wirkung der Affäre. Erstmals wurden Lehrinhalte einer Hochschule, die eher von den Überbleibseln faschistischer Ideologien verschiedensten Ursprungs denn von demokratischem Geist geprägt war, in Frage gestellt. Konsens aus der Zeit gemeinsamen Widerstandes gewann an Bedeutung gegenüber dem Stimmenfang der Konkurrenzdemokratie, zumindest vorübergehend.
Manche der Akteure von damals sind heute noch tätig, natürlich Dr. Heinz Fischer als Präsident des Österreichischen Nationalrats, aber auch die „andere Seite“ stellt noch Aktive, ein Wirtschaftskammerpräsident war damals glückloser Veranstalter der berüchtigten Pressekonferenz, wenig verwundert die Teilnahme einiger FPÖ-Funktionäre, früherer und jetziger, an den Demonstrationen für „Boro“.